Abschnitt. 5

Unbedingt aber nenne ich die wichtigste von mir benutzte Quelle die Registratur der Königlichen Domainen-Cammer zu Hannover; es werden daselbst die alten Register aller Ämter des jetzigen Königreichs aufbewahrt; das älteste ist ein Münden’sches vom Jahr 1397. — Diese nun enthalten keineswegs wie die neueren Register nur magere Angaben über Einnahme und Ausgabe sondern geben bedeutend mehr, und sind oft Lagerbücher im weitesten Sinn des Worts. — Fast immer findet man von Alters her den Grund eines Gefälles, und die daraus herfliessenden Principe die bei Hebung oder Erlass in Frage kommen; ist ein solches jünger, so findet man das Jahr angegeben, wann es entstanden; ferner findet man Designationen der Brüchtegefälle in Form eines Protokolls; Güterverzeichnisse; Aufschlüsse über Verhältnisse der niederen Stände; Haushaltungen der kleineren Landstädte (— älteste Alfeld vom Jahr 1404) — mit einem Wort, dem eifrig Suchenden erschliesst sich hier ein Reichthum von Mittheilungen, die nirgends benutzt, ja wohl kaum noch von einem Historiker geahnet worden sind. — Aus dieser Quelle allein liesse sich ein grosser Theil der innern Geschichte Niedersachsens für einen folgenden Zeitraum direkt bearbeiten. — Zwar habe ich dieselbe für diesen nur sparsam und indirekt benutzen können; mitunter ist es in sofern geschehn, als es einen Zustand festzustellen galt, aus dem allein der in jenen Registern geschilderte hervorgehn konnte. Frühere Diplome, so alleinstehend wie die meisten uns übriggebliebenen sind, lassen sich nach der Verbindung, in welche man sie bringt, oft zu ganz verschiedenen Resultaten erklären; mir sind deren eine Menge erst durch die Erläuterungen klar geworden, welche mir diese Belege einer vierhundertjährigen fortlaufenden Praxis lieferten, z. B. über Heergewette und dergl. m. — Ich habe überhaupt Alles Geschichtliche wo es nur irgend angeht, so aufgefasst und dargestellt, dass es fest im praktischen Leben wurzelt und sich bis in’s Geringste erweislich diesem anschliesst. —

Diese Tendenz ist mir die höchste, und ich gebe mehr auf sie, als auf die scharfsinnigsten grandiosesten Systeme, die hinter dem Schreibtische ersonnen sind, die aber ihr Daseyn grade nur dadurch fristen, dass es eben so unmöglich ist zu beweisen: dass das praktische Leben der Völker dergleichen gesehen habe, als dass dies nicht der Fall gewesen sey. — Solche Systeme und Muhamed’s Sarg gleichen sich auf ein Haar! Und grade, weil einer Ansicht wie der meinigen jene Register so viel bieten, sey ihrer nochmals ganz besonders erwähnt.


Damit hängt aufs Genaueste zusammen, dass ich kein historisches Faktum einzig und allein aus der Etymologie einzelner Worte zu erklären oder abzuleiten gewagt habe; wenn mir die Sache selbst ausser Zweifel schien, so ist des dafür gebräuchlichen Wortes kaum weiter gedacht. — Vielleicht wird, auch dieser Weg getadelt werden, denn es ist grade in unserer Zeit einer scharfsinnigen Etymologie ein sehr hoher Platz eingeräumt. — Jedoch musste ich auch hier meiner Überzeugung folgen, und diese zwingt mich, jeden etymologischen Beweis der sich nicht auf einen historischen stützt, ganz von der Hand zu weisen. — Es steht einem solchen entgegen: dass zusammengesetzte Wörter oft, wie in der Chemie zusammengesetzte Stoffe, ein ganz neues Resultat geben, in welchem die einzelnen Theile der Zusammensetzung nicht wieder erkannt werden; dass man bei so manchen Wörtern imd Stellen gar keine einzig richtige Orthographie a priori aufstellen kann, sondern Jeder bestimmt die ihm am meisten dienende für die örtlich richtige; wenn man nun weiss, wie oft schon ein einziger Buchstabe oder eine andere Sylbenabtheilung den Sinn einer ganzen Stelle verändert haben, so ist dieser Umstand nicht weniger wichtig, — so vieler anderer hier nicht einmal zu gedenken. — Allein auch zugegeben, dass unter 10 etymologischen Beweisen immer mit 9 das Richtige getroffen würde, — der zehnte bleibt doch zum wenigsten schwankend; und welches Unheil kann schon da dieser anrichten, wenn auf seinen Resultaten weiter fortgebaut wird, denn kein Faktum steht ja für sich allein! Ich glaube sogar, der Historiker sollte nur bis zu einem gewissen Grade Etymolog seyn; der Letztere müsste ganz unabhängig von Jenem arbeiten, denn nur so braucht sich Keiner in seiner Untersuchung durch Resultate, die er als ihm gelegen, zu erhalten wünscht, von vorn herein befangen zu fühlen. — Denn läugnen lässt es sich dann doch nicht, dass die Etymologie noch Niemanden das, was er gern von ihr haben wollte, verweigert hat. — Ich habe daher für meine Untersuchungen immer zunächst den rein historischen Weg eingeschlagen; er ist der unscheinbare, aber vielleicht der mühsamste; er entbehrt der glänzenden Lichter, denn Verbindungen von Fakten in allen Gegenden der Erde können hier nicht mit wenigen Worten angedeutet, und wunderbare Zusammenhänge geahnet werden; dafür aber ist sein Resultat sicher, wenn auch oft gering; aber auf dem, was man hat, vermag man mit Sicherheit fortzubauen.

Ich habe auch einmal die Möglichkeit versucht, die Geschichte eines Volks zu schreiben, ohne mit einem Raisonnement darüber zu beginnen: woher der Name desselben komme; die Ableitung von Sahs ist daher so gut wie gar nicht beachtet. — Alle Ableitungen der Volksnamen von Nom. appellativis halte ich für eben so thöricht als überflüssig, und noch für einen Überrest der steifen Zopfgelehrsamkeit längst vergessener Zeiten. — Einmal giebt es wohl nie einen historischen Beweis, dass ein Volk eine solche Ableittmg für sich wirklich gemacht habe, sondern die erst bei Andern stets später entstandene individuelle Meinung bildet sich dies ein; und dann, — was ist damit verloren, wenn wir solche Ableitungen oder Vermuthungen dieserhalb unlerlassen? Wüssten wir vielleicht darum etwa weniger, dass z. B. die Sachsen des Sahs sich hauptsächlich bedient hätten? dem Historiker können nur dann die Etymologien von Volksnamen wichtig seyn, wenn sie von Nom. proprüs ausgehn; denn hier wird ein anderer wirklich historischer Zusammenhang dadurch berührt, wenn z. B. der Name Sachsen von dam Volke der Saken abzuleiten wäre. — Aus demselben Grunde vermag ich die Ruoda des Edeln, welche ja dem klaren Gesetz nach, ausser seinem Wehrgelde ist, nicht mit dem Ruden des Geringen im Sachsenspiegd allein der ähnlichen Orthographie wegen, zusammenzubringen. — Ich sehe mich lieber nach historischen Zeugnissen für ruoda und premium da um, wo gleichfalls historisch beglaubigt, zwei andere Abgaben bei einem Erkenntniss einer ganzen Volksgemeinde ausser dem objectum litis vorkommen.