Abschnitt 10

Postwesen 1701-1785-Allgemeiner Zustand der Postanstalt


So begreiflich hiernach das Streben der Fuhrinteressenten war, Fuhrleistungen um jeden preis, selbst gegen offenbar ungenügenden Lohn zu erhalten, so unverständlich bleibt es auf der anderen Seite, wie die Regierung übersehen konnte, daß sie mit den niedrigen Fuhrlöhnen sich selbst unberechenbaren Schaden zufügte. Ganze Bände Akten enthalten Verhandlungen der Regierung über Maßnahmen zur Abstellung der Unterschleife, aber alle Vorschläge blieben wirkungslos, ebenso die zahlreichen herzoglichen Verordnungen, welche gegen die Unterschleife der Postfahrer und deren Knechte, die Postillone, gerichtet waren, zumal es auch an einer ausreichenden Ueberwachung der Posten unterwegs fehlte; denn die den Posten beigegebenen Schirrmeister machten mit den Postfahrern gemeinsame Sache. Sobald eine Post außerhalb des Stadtweichbildes war, stiegen die Bockpassagiere auf und verließen den Postwagen kurz vor der nächsten Station wieder, um jenseits derselben die Reise auf demselben Postwagen fortzusezuen. In gleicher Weise erfolgte die heimliche Auflieferung der Postsendungen. Reisende und Postfahrer feilschten um das Porto und die Postkasse hatte das Nachsehen. Als die Regierung im Jahre 1744 ein Mittel gegen diese Mißbräuche gefunden zu haben wähnte, indem sie die Postillone besonders zu beeidigen beschloß, richteten diese an den Herzog eine Eingabe, die mit folgenden bezeichnenden Worten schloß: "Wir können uns, ohne unser Gewissen zu beflecken und meineidig zu werden, zu einem so harten Eide nicht verbinden, da wir unterwegs keine Briefe annehmen und keine reisende Person vor ein kleines Trinkgeld ein Flach Weges mitnehmen sollen, welches gewiß Keiner, wer er auch sey, halten konnte oder würde, indem wir ja wegen der unterwegs aufzugebenden Briefe vor den Krügen anfahren und fragen müssen, ob mit der Post etwas zu bestellen, auch Zeitungen abgeben und bei solcher Gelegenheit ein Glas Bier oder Branntwein fordern müssen, damit der Wirth des Nachts ein Licht anzünde."


Im Jahre 1749 wußte die Regierung sich schon gegen die Unterschleife nicht anders zu helfen, als daß sie durch Verordnung vom 6. Mai für jede entdeckte Defraude unnachsichtlich Dienstentlassung und Bestrafung des Schuldigen mit Karrenschieben androhte. Im Jahre 1755 wurden sogar dem Denuncianten 2 - 3 Rthlr. Denunciationsgebühren versprochen. Aber kein Mittel hatte Erfolg, auch nicht die Verordnung, daß die Accisebeamten, Amtslandreiter u. s. w. angewiesen wurden, die Posten unterwegs zu revidiren. Diese Bestimmung blieb sogar nur kurze Zeit in Kraft, da bei den Revisionen längere Verspätungen eintraten und die Postillone bei jeder Defraude die Ausrede gebrauchten, daß unterwegs aufgenommene Passagiere und Sachen bei der nächsten Postanstalt angemeldet würden.

Im Jahre 1780 äußerte sich der Postdirektor Wachenhusen in Schwerin über die Defrauden der Postillone folgendermaßen: "Was man von den Defraudationen der Wagenmeister und Postillons hört und siehet ist wirklich ganz außerordentlich; selten wird man einen Postwagen unterwegs begegnen, der nicht mit Passagieren und Päckereien völlig befrachtet ist; siehet man die Post aber ins Stadtthor fahren, so wird man gewöhnlich einen leeren Wagen gewahr, und ich wollte fast behaupten, daß durch diese enormen UnterschIeife 1/4, wo nicht gar 1/3 der gesammten Postrevenües verloren gehen. Die Frechheit der Postillone geht in Schwerin soweit, daß es nicht auszudenken. Der Güstrow'sche und Rostocker Postillon haben ungescheut und vor den Augen der halben Stadt ihr Nebenkontor in der Gegend des Püsserkatens, der Hamburger und Lübecker zu Lankow, der Wismar'sche hat es schon gar in der Stadt und unmittelbar vor dem Spielthor, und daß es anderer Orten besser gehen sollte, steht nicht zu vermuthen." Bis zum Jahre 1785 hatte die Verwaltung noch kein Mittel ausfindig gemacht, wie dem Unwesen erfolgreich zu wehren sein möchte.

Allerdings muß zugegeben werden, daß auch die hohen Portogebühren indirekt das Publikum verleiteten, sich lieber mit den Postfahrern über einen niedrigeren Preis zu einigen, als das taxmäßige Porto zu zahlen, aber bei ausreichenden Fuhrlöhnen würde die Postverwaltung zuverlässigere, leistungsfähigere Postfahrer gewonnen haben, welche schon die Furcht vor Strafe mehr von Defrauden zurückgehalten hatte. Bei der üblichen Verpachtung der Fuhren an den Mindestfordernden büßte sie jedoch ständig namhafte Beträge ein, und durch das schlechte Pferdematerial schädigte sie obendrein noch empfindlich ihren Ruf, da Verspätungen und überhaupt langsame Beförderungen trotz aller Strafen fast zur Regel geworden waren.

Nicht viel besser sah es um die Besorgung der nicht regelmäßigen Fuhrleistungen aus, nämlich die Gestellung der Beiwagen zu den regelmäßigen Posten, der Extraposten, Kuriere und Estaffetten. Der Uebernahme dieser Leistungen hatte sich die Postverwaltung fast ganz begeben; sie waren unter Kontrole der Postanstalten dem Fuhrgewerbe überlassen, und zwar auf verkehrsreichen Straßen den Reihefuhrämtern, in kleineren Orten an Nebenkursen gewissen Fuhrinteressenten. Reihefuhrämter bestanden 1780 in Schwerin, Gadebusch, Wittenburg, Boizenburg, Rehna, Sternberg, Bützow, Güstrow, Parchim, Neustadt, Grabow, Hagenow und Dömitz, ferner auch in dem schwedischen Wismar, wo E. E. Rath dem daselbst schon lange bestehenden Fuhramt am 14. December 1744 eine neue Fuhrordnung verliehen hatte.

In Rostock lagen die Verhältnisse anders als sonst im Lande. Hier bestand bereits ein Fuhramt für den Reiseverkehr seit dem 17. Jahrhundert. Unter dem 12. Januar 1691 war dem von E. E. Rath privilegirten Fuhramt eine Rolle ertheilt worden, die im Jahre 1717 erneuert wurde. Das Rostocker Reihefuhramt bestand völlig selbstständig neben dem herzoglichen Postkontor daselbst, und letzteres mußte bei Bestellung von Extraposten u. s. w. mit dem Fuhramt in Verbindung treten. Das Postkontor empfand dieses Verhältniß naturgemäß als sehr lästig, da ihm alle Mittel fehlten, die Fuhramtsinteressenten zu ihrer Pflicht anzuhalten. Da zahlreiche Klagen über das Reihefuhramt erhoben wurden, so machte das Postkontor wiederholt den Versuch, Einfluß auf das Fuhramt zu gewinnen, aber Bürgermeister und Rath nahmen sich regelmäßig des Fuhramts so nachdrücklich an, daß alle Bemühungen, eine andere Organisation des Fuhramts herbeizuführen oder die Aufsicht über dasselbe dem Postkontor zu übertragen, fruchtlos verliefen.

In Schwerin, Güstrow und Rostock sollten mindestens 12, in Parchim 8 und in den übrigen Städten 6 Fuhrleute in das Fuhramt aufgenommen werden. Die Fuhrleute wurden nach ihrem Alter in "eine Reihe oder Beurt gesetzt" und die Namen in der Fuhrrolle verzeichnet; das Amt war nach Art der Zünfte mit mehreren Aelterleuten besetzt. Jedes Fuhramt hatte eine Lade, in der die Urkunden des Fuhramts aufbewahrt wurden. Jeder Fuhramtsgenosse rnußte mindestens 4 - 5 gute Pferde und eine Postkalesche für 4 - 5 Personen halten und war verpflichtet, nach der Reihe die vorkommenden Fuhrleistungen auszuführen. War ein Fuhramtsgenosse behindert, zu fahren, so wurde er in dem jeweiligen Turnus überschlagen. An verkehrsreicheren Orten bot die Herbeischaffung der Gespanne keine Schwierigkeit, da besonders das wohlhabendere Publikum vorzog, lieber mit Extrapost zu fahren als mit der ordinären Post. Der Extrapostdienst war überdies sehr gewinnbringend, da manche Orte einen außerordentlich starken Extrapostverkehr hatten, besonders Boizenburg, Gadebusch, Güstrow u. a. In den kleineren Orten dagegen kamen seltener Extrapostleistungen vor. Dann hielt es schwer, besonders zur Erntezeit, die pflichtigen Fuhramtsgenossen heranzuziehen, und es vergingen an Stelle der vorgeschriebenen Expeditionszeit von 1 Stunde oftmals mehrere Stunden, bevor ein Gespann zur Stelle war. Da die Extrapost-Fuhrleistungen immer nur bis zur nächsten Station auszuführen waren, so wiederholte sich hier nicht selten dasselbe Schauspiel mit dem Aufsuchen eines Fuhramtsgenossen, und man kann ermessen, mit welchem Zeitverlust im vorigen Jahrhundert das Reisen mit Extrapost in Meklenburg verbunden gewesen sein muß.

Sämmtliche Posten hatten die Meile im Sommer in 1 1/4 im Winter in 1 1/2 Stunden zurückzulegen; die Fahrzeit mußte im Stundenzettel "von dem Expediteur eigenhändig und in Gegenwart des Postillons verzeichnet werden; jedoch an Orten, wo keine richtige Uhr vorhanden ist, soll auf einen geringen Unterschied sogar genau nicht gesehen werden." Jede Versäumniß, und Versäumnisse kamen bei den schlechten Wegen und dem vielfach schlechten Pferdematerial häufig vor, fand strenge Ahndung. Nicht selten wurden die Versäumnisse durch eigene Schuld der Postfahrer verursacht, die trotz aller Verbote der Verwaltung und der Proteste der Reisenden bei jedem der zahlreichen Krüge an den Landstraßen anhielten und mit den Bockpassagieren Erfrischungen einnahmen. Ein Stein des Anstoßes waren besonders die beiden Schinkenkrüge vor Hamburg, ferner auch die wichtige Station in Escheburg an der Straße nach Hamburg, wo ein ungewöhnlich lebhafter Postenverkehr stattfand.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Landes-Postwesens