Verschiedener Ursprung der Städte im Mittelalter überhaupt

Die Entstehung und das Gedeihen freier Munizipal-Verfassungen ist in der finsteren Nacht der mittleren Zeiten eine der erfreulichsten Erscheinungen. Durch sie ward ein Geist geweckt, dessen Wirkungen eine undankbare Nachwelt leicht übersehen mag, da der Zeiten rascher Lauf stets neue Phänomene mit sich führt, welche die gleichzeitigen Geschlechter lebhafter interessieren. Allein der aufmerksame und denkende Geist wird bei jener früheren Erscheinung um so lieber verweilen, als er in ihr eines der ersten Fundamente und eine der ersten äußeren Bedingungen der bessern gesellschaftlichen Kultur des heutigen Europas erblickt. Verwilderte und rohe Völkerschaften konnten sich nur allmählich zu einem bessern Zustande erheben. Ohne jene tätige Kirche des neuen Roms, welche, die verschiedenen Völker unseres Weltteils zu einem Ganzen zu vereinigen, mit vielem Glücke und stets regem Eifer sich bemühten; ohne diese freien Munizipalitäten, welche die ersten rohen Versuche einer bessern gesellschaftlichen Ordnung, einer größeren Wohlhabenheit und die Ausbildung eines freien dritten Standes wagten: ohne dies beides würden die neuen Europäischen Völkerschaften wahrscheinlich in Arabische Räuberhaufen ausgeartet sein. Und wenn nun auch jene mütterliche Pflege der Kirche über rohe Geschlechter später in einen seelenlosen Druck für die mündig Gewordenen ausartete, und diese zur Empörung führte: .so war sie es doch, welche das erste gemeinschaftliche Band zwischen den Europäischen Völkern schuf: sie hat geleistet, was schwerlich je ein anderes Institut würde haben leisten können. Gleichmäßig verhält es sich mit der Wirkung der freien Munizipalitäten. Denn so unvollkommen auch die politischen Einrichtungen dieser Kommunen waren und blieben, in welchen kleinlichen Geist sie später auch versanken: so sind doch hinter Wällen und Mauern, und unter dem Schutze städtischer, obschon unvollkommener Freiheiten, die Keime von dem allen gediehen, was den Europäer so ausgezeichnet über die Bewohner aller übrigen Teile der Erde erhebt. Hier übte die neue Welt, nach Zertrümmerung der alten, sich wieder in Freiheit und gesetzlicher Ordnung; hier lernten die Barbaren die Friedenskünste schätzen und lieben, und indem sie nach Wohlhabenheit strebten, und das Erworbene genießen wollten, ward die Ordnung ihnen teuer, welche ihnen Schutz versprach; sie lernten die Handhabung eines öffentlichen und eines Privat-Rechts ehren.

Zwar gab es Städte, wenn man darunter bloß größere Haufen von Menschenwohnungen auf einem eng beschränkten Räume sich denkt, unter halb barbarischen Völkern. Cortez hat ein Mexico, und Pizarro hat andere solche zusammen gerückte Menschen-Haufen in Amerika entdeckt. In unseren Tagen sind in dem Innern von Afrika ähnliche Erscheinungen vorgekommen, wenn man auch gar nicht weiter des kultivierteren Asiens gedenkt. Auch mussten die Menschen erst näher zusammen rücken, bevor an das Verlassen der Wildheit und an eine bessere Ordnung, an bürgerliche und politische Freiheit gedacht werden konnte. Vor der Entstehung freier Munizipalitäten in Europa waren die Menschen an vielen Orten bereits auf einen eng beschränkten Raum näher zusammen gerückt.


Trotz des Völkersturms waren in den ehemals West-Römischen Provinzen, jenseits der Donau und des Rheins, einige Trümmer weiland blühender Städte geblieben, die den Wanderer an eine bessere Vorwelt erinnerten; Trümmer, zwischen welchen der eingedrungene nordische Barbar nun in seiner rohen Willkür hauste. Allein gewiss waren jene alten Städte nicht gänzlich zerstört worden, nicht alle ihre Bewohner waren durch das Schwert gefallen oder vor den Barbaren geflüchtet. Über wie manche ehemals blühende Städte später auch die Pflugschar gehen mochte, so sammelte sich doch auch Manches wieder, als die wilden Plünderungen der Völkerzüge vorüber waren. Die tief Gebeugten hoben schüchtern sich wieder empor. So haben jenseits der Donau und des Rheins, im nachmaligen Deutschland, manche Städte sich selbst wieder, mit Beibehaltung ihres alten Namens, empor gehoben, wie etwa Köln, Mainz, Speier; und in allen ehemals Römischen Provinzen war dies bald mehr bald weniger der Fall. Freilich waren dies nicht Städte mit vormaliger Freiheit, mit vormaligem Wohlstande; sie mussten ein neues Leben mühevoll beginnen.

Wo nun aber auch zu der Römer Zeiten keine solche enger zusammen gerückte Menschenhaufen gewesen waren, da entstanden vor, zu und seit Karls des Großen Zeiten andere aus einem andern Grunde. Die Häuptlinge der Barbaren, ihre Könige, die Angesehenen aus dem Stande der Freien, die größeren Gutsbesitzer und hohen Vasallen, sammelten um ihre Wohnungen und Burgen mehrere ihres Gesindes und ihres Gefolges, Freie und Halbfreie, Dienstmänner und Leibeigene, welche durch Arbeit und Dienste des Häuptlings Bedürfnisse befriedigten, und deren Existenz an die seinige durch diese oder jene Banden geknüpft war. Die Vertrauten der Gottheit, reich durch fromme Gaben, mächtig durch des Glaubens Gewalt, sammelten andere Haufen um ihre Wohnungen her; der Sitz eines Bischofs, der heilige ein Gotteshaus umgebende Boden, befriedigt durch unsichtbare Waffen, lockte andere an, sich hier zu sammeln. Ein mächtiger Laie, ein geehrter Pfaff, konnte dem kleinen schwächeren Freien einen bessern Schutz in schutzlosen Zeiten geben, als er selbst sich zu geben vermochte, und so entsagte dieser ärmere minder mächtige Freie seiner Selbstständigkeit und Freiheit, und begab sich unter mannigfaltigen Bedingungen und Leistungen in die Klientel eines Vermögenderen. Wo man Schutz fand in schutzlosen Zeiten, da sammelten sich Menschen gern, und verpflichteten sich ihrem Beschützer, um vermöge eines allgewaltigen Instinkts das Leben mindestens zu fristen, wenn auch fast alles fehlte, des Lebens sich zu freuen.

Ein dritter Grund, weshalb die Menschen näher zusammen rückten, lag in den drohenden Einfällen anderer noch roherer Völkerschaften, die hier über Ungarn her aus Asien die neu sich bildenden Staaten zu zertrümmern schienen, dort aus dem hohen Norden von Europa, als kühne Nordische Seeräuber, unter dem Namen von Normännern, bald hier bald dort in gefahrvollen Streifzügen und Landungen sich zeigten. So erwuchsen in den Niederlanden mehrere Bürger der Streifzüge dieser letzteren wegen, und um diese Burgen sammelte sich viel Volks; hieraus erwuchsen Städte. So hat gegen die Streifzüge von Ungarn aus Heinrich der Erste von Deutschland mehrere Wehrplätze angelegt, und hinter den Erdwällen derselben mehreres Volk versammelt; denn gewiss ist dieses Institut, wenn gleich alle andere Nachrichten über die Einrichtung dieser Wehrplatze unsicher sind, wenn gleich mancher Widerspruch in den Aussagen der Chronikenschreiber liegt, und alle andere Folgerungen über die
spätere Bildung der freien Kommunen aus dieser frühen Anlage, und die Ableitung späterer Deutschen Städte aus diesen festen Stationen, mit großer Ungewissheit verbunden sind.

Dieses Zusammenrücken der Menschen, durch die eine oder die andere Ursache veranlasst, musste indessen allerdings schon einige wohltätige Folgen hervor bringen. Der Berührungspunkte unter diesen Menschen wurden immer mehrere, die Verteilung der Arbeit konnte immer besser gedeihen, als wenn familienweise auf großen Flachen des platten Landes die Menschen einzeln lebten, und jede Familie sich selbst Alles in Allem sein musste. Ein größerer Schutz konnte seine guten Wirkungen nicht verfehlen; der Bedürfnisse wurden mehr, und sie konnten eher befriedigt werden; der Markt für die erzielten Produkte erweiterte sich; ein schiffbarer Strom, das Meer, an welchem diese Städte gelegen waren, boten mehr Gelegenheit zum Tausch und Vertrieb; ein reicher Fischfang am benachbarten Strom, an dem Gestade der nahe gelegenen See oder des Meeres, eine entdeckte Salzquelle, ein aufgespürtes Bergwerk, und manche andere Begünstigungen des Zufalls, der Natur, der Lage, ließen diesen Menschenhaufen schneller als jenen gedeihen.

Indessen, alle diese Städte waren weit entfernt von den später entstandenen Kommunen, die, mit Munizipal-Freiheiten begabt, Europa eigen wurden, und dieses Weltteils Übermacht und seine, alle übrigen Weltteile überwiegende Kultur begründen halfen. Jene älteren Städte, als sie allmählich nach der Völkerwanderung entstanden, waren ohne politische und bürgerliche Freiheit; für Person und Eigentum fanden diese Menschenhaufen einen höchst unvollkommenen Schutz. Die Zwingburgen, welche in ihrer Mitte oder in ihrer Nähe lagen, verkündigten ihren Herrn; dieser war ihr Richter, ihr Beschützer: und wie oft ihr Räuber und ihr Tyrann? Ihm oder seinem, diesen Menschenhaufen vorgesetzten Vogt, Schulzen, oder Advokaten, und wie diese Beamten irgend sonst hießen, gehörte was die fleißige Hand wirkte, durch Gewalt, wenn er wollte, oder durch Herkommen und Gewohnheit.

Wenn diese vereinten Haufen rascher gedeihen sollten, so mussten sie unabhängiger von der Gewalt ihrer, Herren oder deren Beamten verfahren können. Denn nur bei der Freiheit, oder der Hoffnung seine Kräfte zu eigenem Genuss zu verwenden, bei der Sicherheit seines Fleißes Frucht zu genießen, erwächst ein tatenvolleres Bemühen, seinen Vorteil zu verfolgen, seine Wohlhabenheit zu mehren, und an diesen menschlichen Banden wird das bessere Selbst des klügelnden Geschlechts zur freieren Entwicklung geführt; des Menschen Geist schafft sich alsdann Aufgaben, er sucht sie zu lösen; es erwachst ein dem Sklaven unbekanntes Bedürfnis, unabhängig von der Willkür eines andern, nur selbst gegebenen Gesetzen zu gehorchen, und nach politischer Freiheit und Gleichheit zu streben: und wie schwer oder wie unmöglich auch dies den Menschen zu erreichen sein mag, wie oft auch diese gepriesene politische Freiheit und Gleichheit nur ein klägliches Gaukelspiel für Weise und Toren ist; so verfehlt doch selbst diese süße Täuschung ihre gute Wirkung selten, wie längst ein trefflicher Schriftsteller bemerkt hat.

Die Genossen der Städte, vor dem Aufkommen der Munizipal-Freiheiten, waren aus eben so verschiedenen von einander streng geschiedenen Klassen von Menschen unbezweifelt zusammen gesetzt, als verschieden die Bewohner des platten Landes überhaupt waren; denn selbst in den Munizipal-Städten des Römischen Reichs waren die alten Freiheiten im Sturm der Barbaren wenig geachtet worden; und wohin Römische Sitte nicht gereicht hatte, da hatte man ohnehin auch gar keine Munizipal-Freiheiten gekannt. Ein Gemisch von Freien, von Vasallen, leibeigenen. Hörigen, Sklaven, und Mischlinge von den ersteren und letzteren, trieben sich in diesen Städten wie auf dem Lande umher.*) Wie hatte es andere sein sollen und sein können?

*) Wenn Einige diese ersten städtischen Genossen sogleich als aus lauter Freien bestehend darstellen, um etwa den Nachkommen jener zu schmeicheln: so sieht man nicht, wie damit die ersten Freibriefe von manchen Städten zu reimen sind, welche offenbar die Zeichen der Leibeigenschaft erst von ihnen nehmen. — Heinrich V befreit Speier vom Budteil und Besthaupt; er gibt den Einwohnern der Stadt das Recht, über ihre Verlassenschaft zu bestimmen, obschon nicht alle zu jenem verpflichtet gewesen zu sein und dieses Recht entbehrt zu haben scheinen; die Bischöfe von Mainz, Worms und Lüttich erteilen um dieselbe Zeit gleiche Rechte ihren Städteeinwohnern (Lehmanns Speiersche Chronik, Buch 4, Cap. 22.) Bischof Volquin erteilt seiner Stadt Lübbeke 1279 noch dieses Privilegium. 1314 erklärte Herzog Otto die Bürger von Braunschweig für freie Leute, welches wahrhaftig nicht nötig war, wenn sich dieses von jeher von selbst verstand. Dass leibeigenes Volk fleißig nach den allmählich entstehenden freien Kommunen flüchtete, dass Reichs-Statute dies vergebens wehrten, dass Leibeigene, welche Jahr und Tag in den Städten gewesen waren, von ihren Herren nicht wieder zurück gefordert werden konnten, sind alles bekannte Dinge. Somit sind gewiss vom Anfange an Leibeigene mit Freien gemischt in den Städten gewesen, und auch später sind stets Leibeigene hinzu gekommen; und wenn auch diese, als das städtische Wesen sich mehr ausgebildet hatte, nicht sogleich zur vollen Bürgerschaft gelangten, sondern als Beisassen, Grasbürger, und unter anderen seltsamen Namen darin lebten: so konnten doch die Nachkommen derselben zum Bürgerrecht unbezweifelt gelangen (Dreyers Einleit. in die Lübeckischen Verordnungen, S.79); und gerade dies war eines der vortrefflichsten Institute der Städte. Die erforderte Ebenbürtigkeit, welche Herr Dreyer (a. a. O. S..77-79) zum Bürger fordert, ist, nach unserm Dafürhalten, eine spätere Einführung. Wirklich konnten Bastarde und Knechte, wenn sie verschiedene Stufen durchliefen, zum Genuss der Hansischen Freiheiten selbst gelangen. Wenn der vortreffliche Mann (S.76) behauptet, dass selbst die Handwerker freie Leute gewesen: so ist dies mit vielen anderen Nachrichten geradezu im Widerspruch, voraus gesetzt, dass er die frühen Zeiten meint; denn dass diese Klasse in späteren Zeiten als frei geachtet ward, ist freilich keinem Zweifel unterworfen, sie genossen ja auch Waffenehre. — Es ist hier flicht der Ort, wo der Verfasser feine Vorstellung über den Gang des städtischen Wesens völlig erweisen könnte; es erfordert dies einen Raum, den er an einem andern Orte zu finden gedenkt. Er ist bei den Untersuchungen über den Hansischen Bund auf Verschiedenes gestoßen, welches der Aufmerksamkeit der fleißigen Untersucher entgangen zu sein scheint. Er bittet, vorläufig die im Text gegebene Darstellung nur halb so freundlich aufzunehmen, als manche andere Hypothese aufgenommen worden ist, der es doch erweislich an jedem historischen Fundament gebricht.

Es ist nicht minder wahrscheinlich, dass die größere Zahl dieser Einwohner aus Hörigen und Mischlingen oder Halbfreien bestand, um so mehr, da die ärmeren gemeinen Freien bei einem großen oder mächtigen Stadtherrn , so wie auf eines andern Großen Landgut, Schutz suchten, und in dieser Hinsicht zu diesem oder jenem Dienst gegen den Schuhherrn sich verbanden, auch schlechtweg sich in Leibeigenschaft begaben. Die verschiedenen Klassen blieben auch anfangs streng genug geschieden; dass sie auf einem engen Raume zusammen wohnten, hob die Scheidewand nicht auf; der waffenbürtige freie Mann verachtete den geschäftigen gemeinen Stadtbewohner, welcher die Sklavenarbeit tat, da Jagd und Krieg nur edle Beschäftigung edelgeborener Barbaren war.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Hanseatischen Bundes. Erster Teil