Die ältesten Rathäuser

Das Rathaus an der Trostbrücke, welches bei dem großen Brande im Jahre 1842 vernichtet wurde, ist keineswegs das älteste der Stadt, oder auch nur auf dem Platze desselben erbaut. Die Gegend worin es liegt, gehörte nicht zur ältesten Stadt, welche nur das Kirchspiel St. Petri bis zum Fleet zwischen den Reichen- und Bäckerstraßen umfasste. Die Reichenstraßen und der Neß sind erst später, wenn auch in sehr früher Zeit, dem alten Kern hinzugefügt und in die Befestigung hineingezogen. In jener alten erzbischöflichen Stadt gab es aber zweifelsohne ein Rathaus und die Sage bezeichnet dessen Lage unfern der Marienkirche, am alten Markt, dem späteren Fischmarkt. Diese Nachricht gewinnt an Glaubwürdigkeit durch den Namen der bei demselben liegenden Straße Schopenstehl, der, wenn auch sein Vorkommen nicht vor dem 14. Jahrhundert nachzuweisen ist, doch daraus hindeutet, dass dort der Schupestoel, Seopenstel, der Pranger oder Kaak gelegen hat, der sich sowohl in Lübeck als in Bremen in der nächsten Nähe des Rathauses befand. Die genaue Lage dieses Rathauses hat man aus einem Kämmerei-Kontrakt vom Jahre 1601 bestimmen zu können geglaubt, worin dem Bürgermeister Erich von der Fechte und Symon von Petkum eine Brunnenröhre des Hauses zwischen dem alten Rathause und Otto Brödermanns Erbe verkauft und die Verlegung gestattet wurde.

Die Nachsuchung der früheren Besitzer einiger Grundstücke am Fischmarkt und Schopenstehl führte zu denselben Namen, aber die Schlussfolgerung, dass damit die Lage des ältesten Rathauses gefunden, war eine irrige, weil das in dem gedachten Kontrakte erwähnte alte Rathaus kein anderes ist, als das spätere Rathaus bei der Trostbrücke. Neben diesem besaß der 1601 als Nachbar angeführte Otto Brödermann laut des Stadterbebuches, von 1568 bis 1607 das unten wieder zu erwähnende, zum neuen Rathause mitbenutzte Erbe, während der gleichfalls namhaft gemachte Erich von der Fechte ein Erbe auf dem Fischmarkt (jetzt Herrmanns Erben) erst zwanzig Jahre später, ums Jahr 1621, zugeschrieben erhielt. Symon von Petkums Erbe aber, nach welchem die fragliche Brunnenröhre hingeleitet wurde, lag in der Reichenstraße.


Vielleicht in Folge der vielen Feuersbrünste, welche die alte Stadt Hamburg heimsuchten, vielleicht aber auch durch Baufälligkeit veranlasst, wurde das Rathaus verlegt, denn das Stadterbebuch aus dem 13. Jahrhundert führt es nicht am alten Markt, sondern in der Gegend der alten Bäckerstraße und des späteren Dornbusches auf. Aber auch die genaue Lage dieses Rathauses ist nicht ermittelt, obgleich vielfach gesucht. Dr. Hieron. Müller in seinem Traktat vom Herren Gerichts-Voigt 1745 S. 31 setzt dasselbe in die kleine (alte) Bäckerstraße, unfern der Pelzerstraße in die Gegend des alten Schrangens. Dr. Lappenberg war geneigt den Platz des Rathauses an der Ecke des Dornbusches und der kleinen Johannisstraße, wo das spätere Eimbecksche Haus lag, zu suchen und eine im ältesten Stadterbebuche vorkommende Bezeichnung eines Platzes des Hinrich Dreyer juxta Gildehusen, der sich später beim Rathause nachweisen lässt, auf ein Gildehaus zu beziehen und dieses für das alte Rathaus zu nehmen. Abgesehen davon, dass diese Bezeichnung nur ein einziges Mal vorkommt und es schon deshalb gewagt erscheint, daraus auf ein Haus der Gilden zu schließen, welche um diese Zeit sonst nicht in Hamburg vorkommen, muss in der Endung des Wortes selbst ein Zweifel gefunden werden, ob es überhaupt ein Haus und nicht einen Eigennamen bedeutet, weil für Haus der Ausdruck hus oder huse, aber nicht husen gebraucht zu werden pflegt. Lappenberg fügte seinen Ausführungen über diesen Punkt selbst hinzu: „Diese Vermutungen und Schlussfolgerungen ließen sich vielleicht noch weiter ausspinnen; doch scheinen sie nur einen neuen Beweis zu liefern, dass Geschichte leichter zu machen als zu finden und begründen ist.“ — Auf die Gegend des späteren Dornbusches, der ehemaligen Höken- oder Garbraderstraße oder das untere Ende der Pelzerstraße deuten aber auch noch andere mit dem Rathause in Verbindung stehende Baulichkeiten, wie der 1270 zuerst genannte Weinkeller, die Münze, die Stadtschreiberbude an der Schreiberbrücke und endlich der Roland an der Rolandsbrücke. Groß darf man sich das damalige Rathaus nicht denken, weil das spätere, für eine größere Stadt bestimmte, nur 88 Fuß Länge und 60 Fuß Tiefe hatte, und nur aus drei kleinen Zimmern, der darüber liegenden Laube und einer Halle bestand. Es wird sich in seiner Einrichtung wenig von den alten Wohnhäusern und selbst Bauerhäusern unterschieden haben; vielleicht von der Straße zu beiden Seiten des Einganges ein kleines niedriges Zimmer, darüber ein größeres, die Laube und hinten die große Diele oder Halle. Urkundlich erwähnt wird des alten Rathauses zuerst 1265 und zwar hatten die neueinwandernden Dominikaner vor etwa dreißig Jahren darin die Erlaubnis zur Errichtung eines Klosters nachgesucht.“ Im Stadterbebuche kommt es 1272 zuletzt und zwar als consulum domus in antiqua civitate vor. Wenn später Grundstücke in dieser Gegend bezeichnet werden, so liegen sie bei dem Weinhause oder dem Weinkeller der alten Stadt. Hieraus hat man folgern wollen, dass das Rathaus später in ein Weinhaus umgewandelt sei, was möglich aber nicht wahrscheinlich ist, weil beide 1270 genannt werden.

Außer dem Rathause in der alten Stadt gab es aber auch ein Rathaus in der neuen Stadt, dem St. Nicolai-Kirchspiel, welche bis zur Herrlichkeit und zur Alster zwischen dem Milderadistor und der Mühlenbrücke sich erstreckte. Die beiden Städte hatten anfänglich ihre eigene Verwaltung und ihr eigenes Recht. In der Altstadt galt das sächsische, in der Neustadt das soest-lübeckische Recht. Beide Städte hatten ihre eigenen öffentlichen Gebäude. Für die Altstadt sind nachzuweisen: der Weinkeller oder das Weinhaus im Dornbusch, an der Ecke der kleinen Johannisstraße, das Büttelhaus am Berge, der Brodschrangen an der Ecke der Reichenstraße, das Küterhaus oder Schlachthaus an der Alster beim St. Johanniskloster, das Salzhaus am Fischmarkt, und die Helle, worin die Schuster ihre Buden hatten, an der Ecke des Fischmarkts und der alten Bäckerstraße. In der Neustadt lagen der Weinkeller auf dem Hopfenmarkt in der Nähe des kleinen Burstahs, das Büttelhaus am Hopfenmarkt, der Brodschrangen an der Ecke der Deichstraße, das Küterhaus, dem Heil. Geist Hospital gegenüber, zwischen dem Millerntor und der Brücke zum Mönkedamm, also an der Nordseite des jetzigen Graskellers, die Helle in der späteren Bohnenstraße, dem Lewenstade gegenüber, an der Ecke der Brodlosentwiete. Der Ort des neustädtischen Salzhauses ist nicht nachzuweisen. Das Rathaus der Neustadt ist in der Nähe dieser Gebäude zu suchen und stand wahrscheinlich frei auf dem Markte der Görttwiete gegenüber, denn 1294 wurde im Erbebuche St. Nicolai ein Erbe an der Ecke der Straße gegenüber dem steinernen Hause des Rates umgeschrieben. In demselben Jahre wird das Rathaus der Neustadt bei Überlassung einer Rente aus demselben genannt. Es liegt die größte Wahrscheinlichkeit vor, dass dieses Gebäude das alte Rathaus war, welches die Grafen von Holstein ums Jahr 1280 dem bremischen Ritter Arnold von Blomendal verliehen hatten, wozu ihm die Stadt jedoch kein Recht einräumen wollte und darüber in eine Fehde verwickelt wurde, die ihr an zweihundert löthige Mark Schaden verursachte, aber zu ihren Gunsten endete. Dieses neustädtische Rathaus muss bald darauf verschwunden und auch die Kunde von demselben erloschen sein, denn in den langjährigen Streitigkeiten, welche das Domkapitel mit der Stadt führte und vor die päpstliche Curie zu Avignon gezogen hatte, wird in den im Jahre 1338 aufgenommenen Zeugenaussagen über die städtische Verfassung gelegentlich der angeblich noch vorhandenen zwei Rathäuser in Hamburg gedacht; indessen alle darüber befragten Zeugen stimmten darin überein, dass seit 60 — 80 Jahren nur ein einziges Rathaus in Hamburg sei, nicht aber wie derzeit angenommen war, ein altes im Kirchspiel St. Nicolai und ein neues im Kirchspiel St. Petri. Rokesberch, ein Geistlicher aus Verden, erklärte, dass er von zuverlässigen Leuten gehört, dass zwei Rathäuser (consitoria) der Bürgermeister und Ratmannen, nämlich zwei Gebäude in Hamburg gewesen und noch seien, dass aber seit unvordenklicher Zeit der Rat in dem an der Trostbrücke in St. Petri Kirchspiele belegenen Hause sich versammle. Hartwig Biscop, ein junger gelehrter Laie aus Hamburg, wusste, dass in seiner Vaterstadt zwei Rathäuser vorhanden, nämlich das neue in St. Petri, vor nicht langer Zeit erbaut, und ein anderes in einem andern Kirchspiel, dessen Namen er sich nicht erinnere. Heinrich Zedele wusste nur von dem einen Rathause in St. Petri auszusagen. Johann, Pfarrer zu Warin, erklärte, dass seit den dreißig Jahren, deren er sich erinnere, in Hamburg nur ein Rathaus vorhanden sei; doch sei daselbst ein altes Haus im St. Nicolai Kirchspiele, welches gewöhnlich der alte Weinkeller genannt würde. Ob dieses Haus vor der Zeit, deren er gedenken könne, ein Rathaus gewesen oder nicht, wisse er nicht.

Nach der Vereinigung beider Städte bedurfte man zweier Rathäuser nicht mehr und es konnte wenigstens eines eingehen, aber man wollte vielleicht keinem Teile einen Vorzug geben, oder auch keines der vorhandenen Gebäude war geräumig genug, kurz man erbaute ein neues. Das Jahr der Vereinigung der beiden Städte ist nicht bekannt, aber doch ziemlich genau zu ermitteln, denn im Mai 1232 wurden noch die Privilegien der Altstadt und Neustadt Hamburg, jedes für sich vom Kaiser Friedrich II. bestätigt, und als im Jahre 1246 die Grafen Johann und Gerhard von Holstein das Land zwischen dem Minoritenkloster und dem Millerntor der Stadt zur bessern Befestigung überließen, bestimmten sie, dass wenn dort Häuser erbaut würden, sie dem Recht der Neustadt unterworfen sein sollten. Dagegen erscheinen beide Städte vereinigt in dem ältesten Stadterbebuche, welches 1248 angelegt wurde, und dürfte dieses Jahr das richtige sein. Einen Beleg für die geschehene Vereinigung der Alt- und Neustadt liefert der erste Artikel des Stadtrechtes vom Jahre 1292, welcher mit der Bestimmung beginnt, dass Hamburg eins ist, (d. h. eine Stadt) und immer eine Stadt bleiben solle, dass man tüchtige Leute in den Rat lesen solle, wo sie auch besessen (d. h. in der alten oder neuen Stadt), dass man nur ein einziges Rathaus und nur eine Dingbank (Niedergericht) dabei haben solle und dass die Märkte bleiben sollten, wie sie früher waren. Der ganze Artikel mit seinen übrigen größtenteils sehr altertümlichen Satzungen scheint der Hauptinhalt des Vertrages über die Vereinigung von Alt- und Neu-Hamburg zu enthalten, welcher zugleich Einheit und Ordnung in dem Rate zu erhalten beabsichtigte. Es mögen städtische Bewegungen wie diejenigen vom Jahre 1287 ereignet haben, welche eine Trennung drohten und es daher ratsam machten, jene Bestimmung im Jahre 1292 dem im Übrigen kaum abgeänderten Stadtrechte vom Jahre 1279 voranzusetzen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Hamburger Rathauses