Das Niedergericht

Wenn auch das Gebäude des Niedergerichts erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts an das Rathaus gebaut und dessen Räumlichkeiten dann nach und nach fast gänzlich miteinander verbunden wurden, so ist doch auch schon vor der Zeit eine Benutzung der obern Räume zu andern als gerichtlichen Zwecken nachzuweisen, und deshalb des alten Gebäudes hier ausführlicher zu gedenken; um so mehr aber, weil die bisherigen Nachrichten und selbst die, welche Dr. Jacobi in seiner Geschichte des Niedergerichts bietet, nur dürftig sind. Das älteste bekannte Richthaus oder Niedergericht (praetorium) lag an der Trostbrücke, dem Rathause gegenüber, auf dem Platze, den später die alte Börse einnahm. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es gleichzeitig mit dem Rathause an der Grenze der beiden früher abgesonderten Städte erbaut ward, weil in dem Stadtrecht von 1292 ausgesprochen ist, dass nur eine Dingbank in der Stadt sein solle. Das alte Gebäude war auf der Quaimauer neben der Trostbrücke von Backsteinen, wohl ohne Zweifel im Stile des alten Rathauses erbaut, und bestand aus zwei Stockwerken und einem Keller. Von großer Ausdehnung war die Baulichkeit wohl nicht, weil das spätere Haus nur 29 Fuß Länge und 19 Fuß Tiefe hatte, und es kaum anzunehmen ist, dass das ältere größer war. Der Keller diente 1401 zur Aufbewahrung von gefangenen Holländern, Friesen und Vitaliern, also Seeräubern, ward aber von 1410 an vermietet. Das untere Stockwerk war für die Gerichtssitzungen bestimmt, und scheint man sehr viel auf die würdige Ausschmückung dieses Raumes verwendet zu haben. Im Jahre 1382 wurden zwei Ridelakene für die Fenster des Richthauses angeschafft, 1387 der daselbst hängende Kandelaber vom Maler Bertram wiederhergestellt, und 1408 das Gemälde im Sitzungssaal aufgefrischt. Im Jahre 1464 wurden neue Sitze mit zwei Docken, vermutlich in Schnitzwerk, angebracht, und vier Jahre darauf durch Diedrich Epsenrod verschiedene neue köstliche Gemälde, welche in früheren Zeiten an den Wänden des Richthauses angebracht waren, vergoldet und hergestellt. Auch an der Außenseite des Gebäudes müssen Malereien angebracht gewesen sein, wie am Rathause, denn im Jahre 1474 erhielt die Wittwe des Johannis Bornemann eine nicht unbedeutende Summe für 17 Pannele, worin die Könige gemalt waren, und 1534 lieferte der Maler Hans Ficken verschiedene Malereien zum Schmuck des Hauses. Für die Uhr des Richthauses kommt 1529 die kleine Ausgabe von 6 Schillingen vor, die sich wohl nur auf ein Stundenglas oder eine Sonnenuhr bezieht. Das Dach wurde 1527 vermutlich neu mit Schiefer gedeckt, weil 12.000 Schiefersteine für dasselbe angeschafft sind; doch muss die Deckung nicht dauerhaft gewesen sein, denn schon 1535 waren wieder 12 Schiffpfund Schiefersteine für das Richthaus nötig. Im Artikel 75 des langen Recesses von 1529 wurde vom Rat und den Bürgern beliebt, dass auf dem Richthause eine Glocke aufgehängt und gelautet werden solle, wenn der Rat die Erlaubnis zum Brauen gebe, oder die Bursprake verlesen oder von der Laube den gemeinen Bürgern Mitteilungen gemacht werden sollten. Diese Glocke sollte auch geläutet werden, bei Ablegung von Eiden und bei Verkündigung einer Verbannung, und diente selbige ferner zum Einläuten der Jahrmärkte und als Schandglocke. In früherer Zeit läutete bei vielen dieser Akte die Glocke des Marienturms, welche aber in Folge des mit dem Domkapitel über die Reformation entstandenen Streites nicht mehr benutzt werden konnte. — Bisher ganz unbeachtet, aber nicht ohne Interesse ist das obere Stockwerk des Richthauses, von dem uns nur die Stadtrechnungen Auskunft geben. Hier wurden 1389 der Herzog von Sachsen und 1437 der Graf von Schauenburg bewirtet. Da sonst solche Feste auf der Laube des Rathauses stattfanden, so dürfte vielleicht der Kreis der Gäste in diesen Fällen kleiner gewesen sein. Diese Räume waren nicht ohne Schmuck, und erhielten 1473 an verschiedenen Stellen durch Hinrich Bergh gefertigte gemalte Pannele. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts bekam das obere Stockwerk des Richthauses eine andere Bestimmung. Der Bürgermeister Heinrich Meuermeister, Doktor der Rechte und der Philosophie, hatte 1479 der Stadt einen großen Schatz von gedruckten Büchern zur Stiftung einer öffentlichen Bibliothek vermacht, und wahrscheinlich schon vor seinem 1481 erfolgten Tode dem Rate übergeben. Diese Bibliothek ward im Richthause aufgestellt, und der obere Raum dafür eingerichtet. Im Jahre 1479 wurden die Räume für die Bibliothek gemalt, und im folgenden Jahre zwölf Fenster im obern Stockwerk des Richthauses, vor der neuen Bücherei und dem Vorplatz, mit steinernen Einfassungen und neuem Glase versehen, und eine Menge Holzwelk verwendet. Ein unbekannter Mitstifter gab 1480 für die neue Bibliothek an der Trostbrücke 344 Talente. Ein neuer Zuwachs wurde derselben 1486 durch die von der Wittwe des Bürgermeister Meuermeister gekauften Bücher und merkwürdigen Schriftstücke. Zum Einband der Bücher der Ratsbibliothek im Richthause wurden 1491 dem Ratsherrn Hinrich Salsborg, welchem die Aussicht anvertraut sein war, acht Häute vergütet. Diese öffentliche Bibliothek ward nach der Reformation in Folge der Bugenhagenschen Kirchenordnung mit andern vorhandenen Büchern vereinigt und in einem Flügel des St. Johannisklosters aufgestellt.

Als im Jahre 1558 die steinerne Vorsetzenmauer, worauf das Richthaus stand, schadhaft wurde, musste das Gebäude abgebrochen werden. Ein neues ward 1559 neben dem Rathause an der Trostbrücke erbaut, auf dem Platze, wo bisher Buden gestanden. Da das Ganze über dem Wasser aufgeführt werden musste, zog man einen Fachwerkbau vor, der reich mit Schnitzwerk verziert wurde. Das Gebäude war 29 Fuß lang, 19 Fuß tief und zwei Stockwerke hoch. Unten befand sich nur die Gerichtsstube mit einem Eingang neben der Rathaustüre, und nach der Trostbrücke hin ein kleiner Ausbau mit einem Abtritt. Im obern Stockwerk war wiederum nur ein Saal, zu dem man durch die schmale Treppe in der Wand des Rathauses gelangte. Auf dem Dache stand ein kleines Türmchen mit der Schandglocke. Der obere Raum war ursprünglich zu einem Museum bestimmt, zu dessen Einrichtung und Ausschmückung 1561 eine nicht unbedeutende Ausgabe gemacht ward. Was dieses Museum enthielt oder enthalten sollte, darüber ist keine Kunde auf die Nachwelt gekommen. Später hielt hier das Admiralitäts-Kollegium seine Sitzungen, und nachdem die Laube des Rathauses zu andern Zwecken benutzt wurde, ward aus den Fenstern der Admiralitätstube die Bursprake verlesen. Der Platz des alten Richthauses ward gleich nach dem Abbruch des Gebäudes der Kaufmannschaft zu einer Börse überlassen, welche nach Errichtung einer neuen steinernen Vorsetze, einen Raum von 112 Fuß Länge und 42 Fuß Breite pflastern und einhegen ließ, welche Arbeit 1560 beendigt wurde.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte des Hamburger Rathauses