Grausamkeit der Herrschenden.

Grausamkeit ist die Basis der russischen Herrschaft, des russischen Staatswesens. Nur im Geiste dieses Grundprinzips sprach jener Tambower Gouverneur Muratow, der im offiziellen Regierungsblatt die Dezimierung des russischen Volkes als das beste Heilmittel gegen die Revolution bezeichnete und der Autokratie den Rat erteilte, ihren Bestand durch die Entnahme von Geiseln aus dem Volke zu sichern. Seit tausend Jahren ist Russland nicht anders regiert worden. Mord und Peitsche bilden Anfang und Ende aller Verwaltungskunst. Die Herrscher selbst folgten einander nur durch das Gesetz der Tötung, nicht durch das Gesetz der Erbschaft. War in alten Zeiten ein russischer Fürst sanft gesinnt und milde gestimmt und schrak vor dem Morden zurück, so zögerte er doch nicht, seine Nebenbuhler zu blenden nach der Sitte, die man von den Griechen übernommen hatte. Als Wßewolod III. Gregorjewitsch im Jahre 1176 Großfürst geworden war, vollzog er als erste Regierungshandlung die Blendung seiner Neffen.*) Großfürst Wassilij Wassiljewitsch ließ seinen Rivalen Wassilij Kossoj blenden; im Jahre 1446 wurde aber Wassilij Wassiljewitsch selbst geblendet.**)

*) Karamsin, Geschichte des russischen Reiches. Nach der zweiten Originalausgabe übersetzt. Riga 18244. III 41.


**) Karamsin V 258.

Charakteristisch ist der Zug der Grausamkeit, der in Leichenschändungen zur Geltung kommt. Haß russischer Herrscher macht auch an Gräbern nicht Halt. Boriß Godunow, selbst ein Usurpator, läßt im Mai 1606 die Leiche des falschen Dmitrij ausgraben und die Asche in die Moskwa werfen, so daß keine Spur von dem Thron-Anmaßer auf Erden bleibt.*) Peter der Große läßt bei seinem Regierungsantritt alle Parteigänger seiner Schwester Sofia nicht bloß hinrichten, sondern befiehlt, die Leichen vor dem Fenster der Prinzessin aufzuhängen. Als Peter 1697 im Begriffe ist, zum ersten Male nach Europa zu reisen, entdeckt er ein Komplott, geschmiedet von den ehemaligen Freunden seines verstorbenen Feindes Iwan Miloslawskij. Der Zar verschiebt seine Abreise, um ein furchtbares Rachewerk auszuführen. Die von Würmern zerfressene Leiche Miloslawskijs, die zwölf Jahre lang in der Erde gelegen, wird ausgegraben und auf einem von zwölf Schweinen gezogenen Schlitten nach Preobraschensk gebracht. Dann stellt man sie in einem offenen Sarg auf das Schaffot, auf dem die Teilnehmer des Komplotts eines langsamen Todes sterben müssen: sie werden kunstgerecht zerstückelt und zerschnitten, und bei jedem Messerstich, den der Henker tut, spritzt das Blut der Verschwörer auf den verfaulten Leichnam ihres einstigen Führers.**) — Kaiser Paul wütet sogar gegen Steine. Er befiehlt am 17. Januar 1798, das Monument Patjomkins in Cherson zu zerstören und die Asche des größten Günstlings Katharinas ins Wasser zu werfen.***)

*) Memoires du regne de Pierre le Grand Empereur de Russie Pere de la Patrie. Par le B. Iwan Nestesuranoi. Nouvelle edition en quatre volumes. A Amsterdam 1728. I 283. Bei diesem barbarischen Akte spielte auch der Aberglaube eine Rolle: ,,In der Woche vom 18. bis 25. Mai beschädigten Fröste die Gärten und Felder. Es verbreitete sich das Gerücht, daß die Leiche des Pseudo-Dmitrij als Vampyr an den Frösten Schuld hätte. Man wollte auf dem Grabe gräßliche Erscheinungen gesehen haben. Die Leiche wurde also ausgegraben, die Asche mit Pulver vermischt und aus Kanonen hinausgeschossen und in alle Winde zerstreut“.

**) K. Waliszewski, Pierre-le-Grand, l’éducation, l’homme, l’oeuvre; d’aprés des documents nouveaux. 5éme ed. Paris 1897. pp. 54, 147.

***) So erzählt in seinen Erinnerungen Comte Fédor Golovkine, La Cour et le Règne de Paul I. Souvenirs et anecdotes. Avec introduction et notes par S. Bonnet, Paris 1905. 168. Aber der russische Historiker Schilder sagt in seiner Biographie des Kaisers Paul: daß Patjomkins Leiche bis 1798 nur in der Kirche beigesetzt war und daß Paul, weil der Platz ein Wallfahrtsort für Neugierige geworden, den Sarg in aller Stille in die Erde versenken ließ, ohne daß Jemand erfahren hätte, wo er sich seither befand. — Bei den Römern stand auf Leichenschändung Todesstrafe. Karl der Große erklärte die Gräberschänder als ehrlos und ließ ihnen zur Strafe ihre Güter zur Hälfte rauben. Dies hielt aber einen anderen römischen Kaiser, Heinrich VI., den Eroberer beider Sizilien, nicht davon ab, die Leiche Tankreds ausgraben und ihr durch den Henker den Kopf abschlagen zu lassen. 890 ließ Papst Stefan VI. die Leiche seines Vorgängers Formosus ausgraben, in päpstlichem Ornat vor Gericht schleppen, verurteilen, mit Kot beschmieren, verstümmeln und enthaupten und schließlich in den Tiberfluß werfen. Unter der Herrschaft der Inquisition wurden die Knochen verstorbener Ketzer öffentlich verbrannt. Philipp der Schöne ließ die Leichen der Templer ausgraben und verbrennen. 1793 wurden die Königsgräber zu St. Denis zerstört und die Knochen der Monarchen in ein Massengrab geworfen.


Nach einem Regierungswechsel sind die neuen Machthaber vor Allem darauf bedacht, Jene, die vor ihnen den Platz an der Sonne innegehabt haben, in den Schatten zu drängen. Nach dem Tode Peters II. wird seine Braut Katharina Dolgoruckij in das Kloster zu Tomsk in Sibirien verbannt. Doch nicht genug damit; man will ihr auch den Verlobungsring, die letzte Erinnerung an ihre zerstörten stolzen Hoffnungen entreißen; „schneide mir den Finger ab“, entgegnet die Fürstin stolz dem Offizier, der den Ring verlangt.*) Die ganze Familie der Zarenbraut, sechzig Personen, wandert in die Verbannung nach Tobolsk. Aber sie könnte doch noch gefährlich sein; Uschakow und Ssuworow, die Henker der neuen Regierung, erhalten daher den Auftrag, die Häupter der Familie Dolgoruckij unschädlich zu machen. Die Henker sind der Aufgabe gewachsen. Sie martern die Opfer bis zur Bewußtlosigkeit, entreißen ihnen in der Folter beliebige Geständnisse und fällen dann das Todesurteil: Iwan Dolgoruckij wird gerädert und dann enthauptet; sein Bruder Alexander zieht es vor, sich selbst den Bauch aufzuschneiden. Die stolzesten Günstlinge wissen, was sie trifft, wenn ein Herrscherwechsel stattfindet, und sie sind alle kaltblütig auf das Unvermeidliche gefaßt. Von Iwan Dolgoruckij wird erzählt, daß er, während man ihm Arme und Beine brach, nach dem Klang der Hiebe sein Gebet skandierend sprach. Nur ein einziges Mitglied der Familie, Wassilij Wladimirowitsch Dolgoruckij, entgeht wie durch ein Wunder dem Massakre.

*) K. Waliszewski, L’héritage de Pierre le Grand, Règne des femmes, gouvernement des favoris, 1725 — 1741. Paris 1900. 160.

Aus dem Exil von Elisabeth zurückgerufen, hält er es für seine wichtigste Aufgabe, jetzt seinerseits den Henkern zu tun zu geben. Kanzler Ostermann und Feldmarschall Münnich werden vom Gericht des neuen Regimes zur einfachen Enthauptung verurteilt; eine Stimme protestiert dagegen und verlangt für Ostermann das Rad, für den Feldmarschall Münnich die Vierteilung. Dieser Unbarmherzige ist Wassilij Dolgoruckij. Und seine Meinung dringt durch. Elisabeth die Gütige unterschreibt das Urteil, behält sich aber vor, im letzten Augenblick Gnade zu üben. Auf dem Schaffot wird den Verurteilten kundgetan, die Gnade bestehe darin, daß statt der komplizierten Todesstrafe einfache Enthauptung stattfinden solle. Erst als die Verurteilten schon das Haupt gebeugt haben, um den Todesstreich zu empfangen, wird ihnen mitgeteilt, daß die barmherzige Kaiserin auf ihre Hinrichtung gänzlich verzichte.*) Eine furchtbar grausame Inszenierung, würdig der sadistischen Natur der scheinheilig-frommen Tochter Peters des Großen.

*) K. Waliszewski, La dernière des Romanov, Elisabeth I, Impératrice de Russie 1741 — 1762. Paris 1902. 14 — 15.

Die Grausamkeit erscheint den Russen als eine wahrhaft erhabene Eigenschaft, als ein Attribut des Heldentums und des Herrschertums; und das Sprichwort: „Nahe dem Zaren, nahe dem Tod!“ ist nicht eine Klage, sondern der jubelnde Schrei freudig sich opfernder Sklaven. Der Grausamste ist der Heiligste. Der heilige Alexander Newskij Fürst von Nowgorod war einer der unmenschlichsten Tyrannen, die die russische Erde hervorgebracht hat. Er verbündete sich mit den Mongolen gegen das eigene Volk, und als Nowgorod den Fremden den Gehorsam verweigerte, fiel der Fürst selbst über seine Stadt her und ermordete die Einwohner. Und also wurde Alexander ein Held und ein Heiliger. Auch Iwan der Schreckliche wird gefeiert, dieser Zar, der das Ungeheuer Kaligula, das Scheusal Nero zu übertreffen vermochte. Daß dieser grauenhafte Fürst jahrzehntelang ungestraft sein Volk morden konnte, bis er schließlich eines natürlichen Todes starb; und daß dann die Großen und die Sklaven einmütig den Tod eines solchen Herrschers beweinten als ein Unglück für Russland und das russische Volk: das wird eines der ewigen Rätsel des russischen Charakters bleiben. Iwan der Schreckliche ist seinen Russen als ein großer Mann erschienen, weil er sich selbst mit Alexander dem Großen verglichen hat.*) Unter Iwan ist Kasanj erobert worden, der Zar jedoch hat wahrlich keinen Anteil an den Siegen, da er sich einem feigen Hunde gleich hinter den letzten Nachzüglern verkroch. Man rühmt Iwans vortrefflichen Verstand; er nützte. ihn aus, um furchtbaren Lüsten zu fröhnen. Von der Erhabenheit der Majestät war er ganz erfüllt; sogar unvernünftigen Tieren gegenüber kannte er verletzte Herrscherehre: ein aus Persien nach Moskwa geschickter Elefant, der vor dem Zaren nicht niederknieen will, wird auf Iwans Befehl in Stücke zerrissen. Niemand darf klüger oder geschickter oder glücklicher sein als der Souverän: die Höflinge, die mit dem Zaren Karten oder Dame spielen und zu gewinnen wagen, werden grausam bestraft.

Russische Chronisten nannten Iwans IV. blutgierige Tyrannei: ein fremdes Ungewitter, das aus dem Abgrund der Hölle abgeschickt worden, um Russland zu verwirren und zu zerreißen. Aber ein echt russisches Werk ist Iwans Institution der Opritschina**), diese Leibgarde von sechstausend Mann, die das Recht hatte, Hoch und Niedrig zu bedrücken und zu morden. Das Trabantenkorps war zusammengestellt aus den nichtswürdigsten Subjekten, die das Russland Iwans des Schrecklichen aufzuweisen vermochte. Wen die Opritschniki verdächtigen wollten, konnte sich nimmer retten vor dem Untergang. Wer einem Opritschnik ein böses Wort sagte, beleidigte den Zaren. Als Symbole ihres Amtes hatten die Opritschniki an ihren Sätteln Hundeköpfe und Besen angebunden; dies bedeutete: Die Opritschniki beißen die Feinde des Zaren und fegen Russland rein. Mit diesen merkwürdigen Symbolen ritten die Opritschniki Tag und Nacht durch die russischen Städte auf die Jagd nach dem russischen Volke.

*) Karamsin IX 62.

**) Opritschina, das Vorrecht; der Name galt für die Leibwache des Zaren. Das Volk nannte die Opritschniki auch Kromeschniki, Auserlesene, nämlich: Auserlesene der höllischen Finsternis. Vgl. Karamsin VIII 69. Nach Karamsin VIII 64 war der Name Opritschina bis dahin in der russischen Sprache nicht bekannt.

Bei anderen berühmten Herrschern teilt man die Geschichte ihres Lebens nach ihren Siegen oder Ruhmestaten ein. Die Epoche des Zaren Iwan des Schrecklichen jedoch zerlegt der russische Historiker Karamsin in folgende Kapitel: erste Epoche der Grausamkeiten; zweite Mordepoche; dritte Periode der Massakres und Torturen; und so fort bis zur sechsten und letzten. *) Iwans erste Opfer sind seine alten Ratgeber. Sie wagen es, dem jungen Herrscher Vorschläge zu machen, sie halten sich für klüger; fort mit ihnen, in die Verbannung, aufs Schaffot! Er sollte seinen Ministern dankbar sein, sie haben seine Stellung befestigt, seine Herrschaft gesichert. Der Dank ist ihm lästig, er befreit sich von seinen moralischen Gläubigern durch den Henker. Kaum hat er das Blut seiner besten und treuesten Freunde fließen sehen, da erwacht die in ihm schlummernde Bestie; der Götzendienst, den der Selbstherrscher sich selber weiht, fordert blutige Opfer. Und das Volk beugt sich in Ehrfurcht vor dem Wilden. Es sieht in ihm nicht eine Ausgeburt der Hölle, vielmehr den von Gott Erwählten. Es sieht in ihm nicht den zügellosen Mörder, es sieht in ihm den Gerechten, der nicht bloß die Gemeinen seiner Untertanen tötet, sondern mit seinem Dolch und seinem spitzigen Stab auch die Höchsten und Vornehmsten trifft.

*) Karamsin VII 262, VIII 15, 66, 79, 113, 151, 213 und IX 62.

Iwan IV., 1530 geboren, war drei Jahr alt, als sein Vater starb. 1547 ließ er sich zum Zaren krönen. Er soll in seiner Jugend ebenso schön und tugendhaft gewesen sein, als er später in der Epoche seiner Grausamkeit häßlich und lasterhaft wurde. Er begann sogar mit Reformen, wollte Russland zivilisieren, brachte deutsche Handwerker, Künstler und Gelehrte nach Moskau, begründete die ersten Buchdruckereien, schloß einen Handelsvertrag mit Königin Elisabeth von England, errichtete ein stehendes Heer, die Strjeljzy, und eroberte Kasanj und Astrachanj. Aber der Zivilisator macht dem Aberglauben die größten Konzessionen, und als man ihm berichtet, daß eine Frau, namens Maria, ihn hasse und durch Zauberei zu verderben drohe, läßt er sie und ihre fünf Söhne wegen Hexerei verbrennen. *)

Die erste große Mordepoche beginnt 1560. Der Zar liebt den Wein und die Weiber. In seinem Palaste wird Tag und Nacht gejubelt und gezecht. Aber „Wehklagen war nicht fern der Freude, Wein floß in Moskwa vor dem Blute“, sagt ein russischer Chronist aus der Zeit Boriß Godunows. Als Zar Iwan ein unanständiges Narrenspiel aufführen läßt und dabei mit seinen Lieblingen in Masken erscheint und tanzt, bricht der alte Bojar Repnin ob dieses furchtbaren Verbrechens in Tränen aus. Der trunkene Zar lacht und will dem alten Bojaren ebenfalls eine Maske vorbinden; der wirft die Larve zu Boden, tritt sie mit Füßen und klagt: „Ziemt es sich für den Zaren einen Possenreißer abzugeben?“ Der Zar schweigt, aber als Repnin in den Tempel geht, um von Gott Verzeihung für die Frevel des Zaren zu erflehen, wird er von einem Söldling des Herrschers am Altar ermordet. Der geliebteste Günstling Iwans ist Theodor Basmanow. Fürst Dmitrij Obolenskij-Owtschinin sagt dem Basmanow ins Gesicht: „Du bist beim Zaren in Gunst, weil du ihm durch die schmutzigen Werke der Sodomie dienst.“ Iwan läßt den Fürsten zum Mahle einladen und neben sich setzen; und während der Mahlzeit stößt er dem ahnungslosen Gaste plötzlich das Messer ins Herz, richtet er ihn mit höchsteigner Hand.

Es blüht das Geschäft der Denunzianten. Niemand ist sicher vor der Angeberei. Jeder sucht der Grausamkeit des Zaren zu schmeicheln und sich zu retten, indem er Andere verleumdet. Man behorcht die Gespräche in den Familien, man schließt Freundschaften, um seine Freunde zu verraten; aber nicht bloß Worte geben Anlaß zu Anzeigen, auch Blicke und Mienen finden ihre Kenner und Enträtselung. Der Zar nimmt jede Denunziation als gerechtfertigt an und die Richter wagen niemals nach Beweisen zu suchen. Zwei Fürsten Kaschin werden ohne Schuld und ohne Verhör dem Tode durch Henkershand überliefert; der Fürst Kurljätew samt seiner ganzen Familie ermordet; Scheremetjew, der Schrecken der Krymer, wird gefoltert, und während er unter dem Knut verblutet, kommt der Zar selbst zu ihm und fragt höhnisch: „Wo ist deine Kasse?“ Das ist der verheißungsvolle Anfang. Bald fließt das Blut des Adels und des Volkes in Strömen. „Moskwa erstarrte in Furcht“, sagt der Chronist; in Kerkern und Klöstern stöhnten die Opfer, und der Tyrann von dreißig Jahren wurde immer mißtrauischer und grausamer. „Der Blutbecher stillte nicht seinen Durst“, schreibt Karamsin, „sondern vermehrte ihn, und der Zar wurde eine wahre Geißel“. Aber noch ist in ihm nicht alles Gefühl erstorben, er bemüht sich wenigstens, seine Grausamkeit zu rechtfertigen, das Morden als Gerechtigkeit hinzustellen, er behauptet: seine Opfer seien Verräter, Zauberer, Feinde Christi und Russlands. Dann kommen Augenblicke, da er sich den Schein der Zerknirschung und der Reue gibt, da er sich nennt: schuldig vor Gott; einen abscheulichen Mörder der Unschuldigen. In seiner Beichte sagt er von sich: „Ich bin ein stinkender Hund, ich war jederzeit in Trunkenheit und Hurerei, in Ehebruch, Unflätherei, Totschlag und Blutvergießen, Plündern, Rauben und jeglicher Schandtat“. In Wahrheit verhöhnte der Zar den Himmel wie die Menschen. Den Teil der Zeit, den das Mordhandwerk ihm übrig ließ, verbrachte er in der Kirche, doch nur um in der tiefsten Stille über neue Blutpläne nachdenken zu können. Er wollte sein Schloß in ein Kloster verwandeln und seine Lieblinge zu Mönchen machen. Aus seinen Opritschniki wählte er die dreihundert allergottlosesten aus; er bildete aus ihnen eine Bruderschaft, gab ihnen ein Taffja oder Käppchen und ein schwarzes Mönchsgewand. Er selbst war der Abt dieser Bruderschaft und ihr nachahmenswertes Vorbild. Nach der von ihm verfaßten Klosterordnung läutete der Zar als Abt um vier Uhr Morgens zur Frühmesse; wer nicht pünktlich erschien, wurde für eine Woche eingekerkert. Der Morgengottesdienst dauerte bis sechs oder sieben Uhr. Der Zar „sang und betete eifrig und neigte sein Haupt zur Erde“, aber oft unterbrach er sich in der frommen Andacht, um grausame Befehle zu erteilen. Um zehn Uhr fand ein Brudermahl statt. Alle saßen, nur der Zar stand und gab den Genossen seine Unterweisungen, wie man zum Seelenheil gelangen könne. Bei diesem Mahle floß Wein oder Meth in Strömen, jeder Tag im Kloster war ein Festtag. Sobald das Brudermahl zu Ende, speiste der Zar-Abt allein. Hierauf folgten religiöse Unterhaltungen. Nachdem man sich genügend erbaut hatte, trat man eine Rundfahrt durch die Gefängnisse an, um Unglückliche foltern zu lassen. War das Schauspiel befriedigend ausgefallen, kehrte man heiter heim. Um l0 Uhr Abends zog sich der Zar ins Schlaf gemach zurück, wo ihm drei Blinde nacheinander Märchen erzählen mußten, bis er sanft einschlummerte.

Fürst Kurbskij ist der Erste, der sich gegen den Grausamen zu empören wagt. Aber nur aus sicherer Entfernung erhebt er seine furchtbare Anklage, beginnend mit den Worten: „An den einst herrlichen Zaren, jetzt aber im Gewissen aussätzigen Tyrannen, dessengleichen selbst unter den Herrschern der Ungläubigen nicht gefunden wird! Gibt es keinen Gott und keinen höchsten Richter für den Zaren? Die Tränen der unschuldigen Opfer bereiten dem Tyrannen seine Strafe. Fürchte auch die Todten! Die von dir Erschlagenen stehen lebend vor dem Allerhöchsten; an seinem Throne fordern sie Rache. Deine Kriegshaufen retten dich nicht. Deine Schmeichler, die unwürdigen Bojaren, die Gesellen deiner Schmausereien und deiner Wollust, die Verderber deiner Seele, die dir ihre Kinder zum Opfer bringen, machen dich nicht unsterblich!“ Iwan stieß dem Diener, der diese Botschaft überbrachte, einen spitzigen Eisenstab durch den Fuß, stützte sich mit aller Wucht auf den Stab und befahl dann dem Boten, den Brief vorzulesen. Ruhig hörte er jetzt Kurbskijs Klagen an und gab folgende Antwort: „Wir dürfen nach Belieben unsere Knechte belohnen, wir dürfen sie auch nach Belieben hinrichten. Bisher haben russische Herrscher noch keinem Menschen Rechenschaft über ihr Tun und Lassen gegeben.“ Und mit diesen Worten eröffnete er seine zweite Mordepoche. Alle wahren oder vorgeblichen Freunde des Fürsten Kurbskij wurden samt ihren Familien hingerichtet. Als erstes Opfer fielen der Fürst Gorbatij-Schujskij, ein direkter Abkömmling des heiligen Wladimir, und sein siebzehnjähriger Sohn Peter. Ohne Furcht und Arm in Arm schritten beide zur Richtstätte. Der Sohn trat zuerst zum Henker und beugte sein Haupt unter das Schwert; er wollte den Vater nicht sterben sehen. Der Vater aber schob den Sohn schnell beiseite und bat: „Laß mich dich nicht tot sehen!“ Und der Jüngling überließ heldenmütig dem Vater den Vortritt, nahm des Teuern abgeschlagenes Haupt in die Hände, und indem er es küßte, empfing er den Todesstreich.*) Am selben Tage wurden noch ein Schwager Gorbatijs und mehrere andere Fürsten hingerichtet; damit das einerlei Köpfen die Zuschauer nicht ermüdete, wurde der Abwechselung halber der Fürst Dmitrij Schewürew auf den Pfahl gespießt; „er lebte am Pfahle“, berichtet der Historiker, „noch einen Tag und sang ein Loblied zu Ehren Christi.“

*) Das war die neue Auflage einer weltgeschichtlichen Tragödie: Im Jahre 1268 wurden in Rom Konradin der Hohenstaufe und sein Vetter Friedrich von Österreich hingerichtet. Friedrich starb zuerst, Konradin hob des Vetters Haupt auf und während er es küßte, traf ihn selbst der Streich.

Gleich Ludwig XI. verbindet Iwan der Schreckliche die Grausamkeit mit der Wollust. Im Juli 1568 befiehlt er seinen Henkern, in die Häuser jener Kaufleute und Ratssekretäre einzubrechen, deren Weiber im Rufe außerordentlicher Schönheit stehen. Man schleppt die Frauen aus der Stadt hinaus auf einen Platz, wo der Zar für eine Nacht sein Quartier aufgeschlagen hat. Iwan wählt die Schönsten für sein eigenes Lager aus und überläßt die übrigen den Günstlingen. Zur Feier der Orgie werden alle Herrenhäuser in der Umgegend niedergebrannt und auch das Vieh und Getreide vernichtet. Am anderen Morgen bringt man die geschändeten Weiber in die Häuser ihrer Männer zurück. Dieses Ereignis bildet die Einleitung zur dritten Mordepoche, die sich durch Erfindung neuer Strafen auszeichnet. Ein unglücklicher schwacher Greis namens Feodorow wird verleumdet, daß er dem Zaren nach dem Leben trachte und selbst den Thron anstrebe. Iwan glaubt gern das unsinnige Märchen und rächt sich also: Er bekleidet den Feodorow mit dem zarischen Gewände, setzt ihm die Krone aufs Haupt, drückt ihm das Zepter in die Hand und zwingt ihn, auf dem Throne Platz zu nehmen. Dann spricht er feierlich-höhnisch zu ihm: „Sei gesund, großer Zar des russischen Landes. Siehe, die ersehnte Ehre hast du von mir empfangen. Da ich aber die Macht habe dich zum Zaren zu machen, so habe ich auch die Macht, dich wieder vom Throne zu schleudern.“ Und mit diesen Worten stößt der Zar dem Greise ein Messer ins Herz. Auf das Signal hin fallen die Opritschniki über den Sterbenden her, reißen ihn in Stücke und schleppen den Fleischklumpen aus dem Palast auf die Gasse, um den Leichnam den Hunden vorzuwerfen. Dasselbe Schicksal trifft die altersgraue Gattin des Märtyrers und eine Unzahl angeblicher Mitverschworener. Einige zog man nackt aus; dann hieb man ihnen den Kopf ab und warf den Rumpf ins Wasser. Den Fürsten Schtschenjätew überfiel man im Kloster, wo er weltfern seinen Lebensabend verbrachte, und quälte ihn zu Tode; der Fromme sollte als ein Heiliger den Martertod erleiden, und der Zar befahl, ihn in seiner Zelle auf einer Pfanne zu rösten und ihm währenddem Stacheln unter die Nägel zu treiben. Dem steinalten Fürsten Pronskij wurde die Gnade zu teil, einfach ertränkt zu werden. Den Schatzmeister Tjutin nebst Frau, zwei kleinen Söhnen und zwei blühenden Töchtern hieb der Fürst Tscherkaßkij, der Schwager des Zaren, eigenhändig in Stücke. Zerfleischen ist die Lieblingsmethode der dritten Mordepoche. „Die Opritschniki“, erzählt der Historiker, „liefen mit langen Messern und Äxten bewaffnet in der Stadt umher, suchten nach Opfern und erschlugen täglich zehn bis zwanzig Menschen.“ Mit Vorliebe mordeten sie die Betenden in den Kirchen. In allen Straßen floß das Blut, lagen die Leichen unbeerdigt, da sich niemand aus den Häusern wagte, um die Ermordeten zu bestatten. „Durch die Totenstille in Moskwa scholl nur das fürchterliche Geheul der Henkersknechte.“

Demütigend gering ist die Zahl jener, die dem Massenmörder im Hermelinsgewande entgegenzutreten den Mut haben. Der Zar kredenzte dem Bojaren Mitkow eine Schale Meth, erhielt jedoch zur Antwort: „O Zar, du befiehlst uns, zugleich mit dir Meth zu trinken, der mit dem Blute unserer Brüder, rechtgläubiger Christen, vermischt ist.“ Der Zar gab dem kühnen Sprecher statt Meth den Tod, er durchbohrte ihn auf der Stelle mit seinem gewöhnlichsten Mordwerkzeug, dem scharfen Eisenstabe. Ein anderer Held ist der Metropolit Filip. An einem Sonntag dieses unheimlichen Jahres 1568 tritt Iwan der Schreckliche in die Kathedrale zur Himmelfahrt Mariä. Der Metropolit blickt starr auf das Bild des Erlösers und scheint den Herrscher nicht zu bemerken. Bestürzt eilen die Bojaren zum Metropoliten hin und rufen ihm zu: „Heiliger Vater, hier ist der Zar! Heiliger Vater, segne ihn!“ Der Metropolit aber spricht mit dröhnender Stimme: „Ich erkenne den Zaren nicht! O Herr, wir bringen hier Gott unser Opfer, und jenseits des Altars fließt unschuldiges Christenblut. Seitdem die Sonne am Himmel glänzt, ist es nicht gesehen noch gehört worden, daß gottesfürchtige Zaren ihre eigenen Staaten so furchtbar zerrütteten. Selbst in ungläubigen heidnischen Reichen giebt es Gesetze und Recht, Barmherzigkeit gegen die Menschen — aber in Russland nicht. Vermögen und Leben der Bürger sind ohne Schutz. Überall Raub, überall Mord; und im Namen des Zaren werden sie verübt. Noch stehst du auf dem Throne. Aber es ist ein Höchster dein und unser Richter. Wie wirst du vor seinen Richterstuhl treten, befleckt mit dem Blute der Unschuld, betäubt von dem Geheul ihrer Qual? Denn selbst die Steine unter deinen Füßen schreien um Rache. Herr, ich spreche als Hirt der Seelen; ich fürchte nur den einzigen Gott!“ Iwan stand sprachlos da, zitternd vor Wut. Dann stieß er mit seinem Stabe von Eisen gegen die steinerne Diele und schrie mit grauenerregender Stimme: „Pfaff, bis jetzt hatte ich euch Aufrührer zu sehr geschont; künftig werde ich so sein wie ihr mich schildert!“ Und nun beginnt eine neue Serie von Hinrichtungen; die hervorragendsten kirchlichen Würdenträger werden als Verräter angezeigt, verhaftet, gefoltert und dem Henker überliefert. Nur an den Metropoliten selbst wagt sich der Zar doch nicht. Er hält die Formen ein, läßt Filip regelrecht als Zauberer anklagen und vor Gericht stellen. Der Metropolit sagt unerschrocken: „Es ist besser als unschuldiger Märtyrer zu sterben, denn als Metropolit die Schrecken und Frevel dieser unglücklichen Zeit stumm mit an zusehen“; und erklärt, seine Würde niederzulegen. Der Zar schreit ihn zornig an: ,,Du bist nicht dein eigener Richter!“ reißt ihm die bischöfliche Kleidung ab und läßt ihn mit dem Besen aus der Kirche fegen. Filip wird zunächst in ein Kloster gesperrt und durch Hunger gefoltert. Eines Tages öffnet sich die Tür seiner Kerkerzelle und man bringt ihm auf einer Schüssel seines Neffen Haupt nebst der zarischen Botschaft: „Da ist dein lieber Verwandter, deine Zaubereien haben ihm nichts geholfen.“ Und zum zweiten Male erscheint ein Abgesandter Iwans bei Filip, um für den Mörder-Zaren spöttisch den Segen des Ex-Metropoliten zu verlangen. Fest entgegnet Filip: „Man segnet nur die Guten!“ Auf dieses Trotzwort antwortet der Zarenbote mit Erdrosselung. Die Mönche-Zellengenossen begraben vor Entsetzen zitternd in aller Heimlichkeit in einer schnell aufgeworfenen Grube hinter dem Altar die Leiche des Heldenpriesters. Nun ist der Zar auch dieses unbequemen Warners und Richters ledig, und er wütet ärger als zuvor. Er ermüdet sogar seine Henker, deren mordgewohnte Arme nicht mehr fähig sind das grauenvolle Handwerk unausgesetzt bei Tag und Nacht zu üben. Ein Einziger erschlafft nicht in der blutigen Tätigkeit und das ist Iwan selbst. Für ihn gibt es keine Lust mehr als diese: die Menschen leiden und sterben zu sehen. Die Verzweiflung seiner Höflinge, Bojaren und Untertanen ist die Würze seiner Mahlzeiten; die Erde, über die er schreitet, muß bedeckt sein mit einem Teppich von Menschenfleisch. Sein Mißtrauen kann nur gebannt werden durch Mord ohne Grenze; die Furcht, die er selbst vor seinem Nächsten empfindet, erstickt er durch das Entsetzen, das er verbreitet, wo er erscheint mit seinem von Häßlichkeit entstellten Antlitz und seinem blutbefleckten spitzigen Eisenstab, seinem unzertrennlichen Begleiter.

Dem Schrecklichen genügt nicht die Ermordung einzelner. Er will ganze Familien auf einmal sterben sehen. Fällt einer in Ungnade, so wird alles hingerichtet, was mit dem Unheilvollen in Verbindung gebracht werden kann. Mit peinlichster Sorgfalt werden seine entferntesten Verwandten aus den verborgensten Winkeln herbeigezerrt und aufs Schaffot geschleppt. Greise und Säuglinge werden nicht geschont, schwangere Frauen und unschuldige Mädchen dem Henker dargebracht. Dann folgen den Menschenopferungen die Opferungen von Städten, endlich von Provinzen. Nicht bloß alles lebende, auch das unbewegliche Gut des Volkes fällt der Vernichtung anheim. Die Tiere auf dem Felde und im Walde werden abgeschlachtet; die Flüsse und die Seen vergiftet, um die Fische im Wasser zu verderben; die Herrenhäuser und die Hütten der Bauern in Asche und Trümmer gelegt und das Getreide in den Scheunen verbrannt. Das ist der Pogrom *), diese echt russische Zerstörungswut, die alle Dämme überflutet, vor dem Heiligsten nicht Halt macht und nicht gebändigt ist, solange noch ein Nagel in der Mauer, ein Stein auf dem anderen. Um im Großen sein eigenes Volk umbringen zu können und wenigstens einen Schein der Rechtfertigung für sich zu haben, erfindet Iwan eine Verschwörung der Provinz gegen das Schreckensregiment in Moskau. Er tritt mit seinen Opritschniki den Rachezug an und überfällt die Stadt Klin im Gebiete von Twer. In wenigen Stunden ist aus dem blühenden Orte ein Trümmerhaufen geworden, und da die Würger die Stätte des Unglücks verlassen, bleibt darin nur der Tod zurück: weder Weiber noch Kinder sind verschont worden, kein einziger Einwohner von Klin ist mit dem Leben davongekommen. Von Klin geht der Zug der Mörder nach Twer. Hier wird fünf Tage lang gemordet und geplündert; kein Haus bleibt unversehrt, und was nicht mitgenommen werden kann, wird an Ort und Stelle vernichtet. Das blutige Schauspiel wiederholt sich in Medny und in Torschok, wo sich der Zar den Spaß vergönnt, die krymschen und livländischen Gefangenen an ihren Ketten ermorden zu lassen. Und so fort Ort um Ort, Tag um Tag. Wehe dem, der diesen blutgierigen Scharen in den Weg tritt! Kein Mensch, kein Tier wird am Leben gelassen; kein Warner soll übrig bleiben, um die bedrohten Städte vor dem drohenden Unheil zu retten.

*) Dieses heute vielgebrauchte Wort Progrom bedeutet wörtlich Verheerung; es stammt vom Verbum ... , zu Trümmern zerschlagen, verwüsten. Bei den Judenverfolgungen der neuesten Zeit feiert diese russische Zerstörungssucht ihre höchsten Triumphe; man hat sich deshalb gewöhnt, ein Judenmassakre einfach einen Pogrom zu nennen, eine Verwüstung ohne Rest.

So kommen Iwans Vortruppen am 5. Januar 1570 unbemerkt vor Nowgorod an. Die Stadt wird durch Schlagbäume von der Außenwelt abgeschlossen, damit sich niemand flüchten könne. Dann dringt eine Schar der Opritschniki in die Stadt und versiegelt die Kirchen und Klöster, fesselt die Mönche und die Geistlichen. Die Opritschniki legen jedem Popen und jedem Mönch eine Abgabe von zwanzig Rubel auf. Wer das Geld nicht sofort erlegt, wird öffentlich vom Morgen bis zum Abend gepeitscht. Alle Kaufleute und Gerichtspersonen werden an Ketten gelegt, alle Frauen in den Häusern eingesperrt. Totenstill werden die Gassen, wie ausgestorben erscheint die große Stadt. In dieser bangen Ruhe erwartet man des Zaren Ankunft. Am Tage, wo er vor den Toren von Nowgorod eintrifft, schleppt man die Mönche und Popen auf den Marktplatz; mit ihrer Hinrichtung feiert man das Erscheinen des Herrschers; mit Keulen schlägt man sie tot, und ihre Leichen läßt man unbeerdigt auf den Gassen liegen. Am 8. Januar rückt endlich der Zar mit seinem Sohne in Nowgorod, das vor Entsetzen erstarrte, ein. Auf der großen Brücke, die über den Wolchowfluß führt, geht der Erzbischof dem Schrecklichen entgegen, mit den wundertätigen Heiligenbildern in den Händen, mit zitternder Stimme fromme Segenswünsche auf das Haupt des verruchtesten Menschen herabflehend. Aber Iwan schiebt den Erzbischof schroff beiseite und schreit ihn an: „Nicht das lebenschaffende Kreuz ist in deiner Hand, sondern die mörderische Waffe, die du uns ins Herz stoßen willst. Ich kenne deinen Anschlag.“ Dennoch befiehlt er dem Priester, in die Kirche zu gehen und den Gottesdienst abzuhalten; Iwan hört die Lithurgie und betet inbrünstig. Zum Mittagsmahle erscheint er im erzbischöflichen Palaste und läßt den Erzbischof an seiner Seite sitzen; mitten im Mahle aber schreit er mit fürchterlicher Stimme auf, und auf sein wütendes Signal hin ergreifen die Opritschniki den Erzbischof und beginnen eine allgemeine Plünderung. Iwan und sein Sohn begeben sich auf den Stadtplatz, um hier Gericht zu halten über Nowgorod und die Nowgoroder. Täglich schleppt man fünfhundert bis tausend Männer vor den Zaren und den Zarensohn. Keiner kann eines Verbrechens überwiesen werden, keiner ist sich einer Schuld bewußt; aber alle werden verurteilt, niemand besteht vor dem Gericht, das keine Gnade kennt, das nicht Gerechtigkeit sucht, sondern Mord und Schrecken verbreiten will. In langen schier endlosen Reihen schleift man die Opfer vom Gericht zur Richtstätte. Da wird einer mit einer glühenden Masse überschüttet, ein anderer mit dem Kopf oder den Füßen an einen Schlitten gebunden und in rasendem Lauf in den Fluß geschleppt. Ganze Familien werden mit Stricken zusammengebunden, Männer mit ihren Frauen, die Mütter mit ihren Säuglingen, und wie Ballen ins Wasser gerollt. Eifervoll rudern die Opritschniki in Kähnen den Wolchowfluß auf und ab; mit Pfählen, Äxten und Fischerhaken sind sie bewaffnet, um jene, die sich vielleicht noch über Wasser halten, aufzugabeln, abzustechen und in Stücke zu hauen. Das ist eine anstrengende Arbeit, bei Tag und bei Nacht ununterbrochene Aufmerksamkeit erfordernd. Das Morden währt Woche um Woche, fünf Wochen lang. Erst als Iwan das sechzigtausendste Todesurteil gesprochen, steckt er sein Schwert wieder in die Scheide und befiehlt plötzlich Frieden. Von den armseligen Resten der Bewohnerschaft läßt er aus jeder Gasse je einen Mann herbeischleppen. Aus den tiefsten Gruben, den heimlichsten Kellern kriechen sie hervor, zaghaft und ungläubig, da man ihnen Freiheit und Leben zusichert. „Schattengleich, bleich und abgezehrt erschienen sie,“ schreibt der Chronist, „aber der Zar sah sie an mit gnädigem und sanftem Auge, in dem aller Zorn erloschen schien,“ und sprach: „Betet zum Herrn für die wahre gottesfürchtige Zarenherrschaft. Gott richte den Verräter, eueren Erzbischof Pimen. Von ihm werde das Blut gefordert, das hier geflossen ist. Nun mögen Weinen und Wehklagen verstummen, lebt und gedeiht in dieser Stadt!“ Dann befahl er, den Erzbischof ,,in schlechter Kleidung, mit einem Dudelsack und einer Schellentrommel in den Händen, einem Possenreißer gleich, auf eine weiße Stute zu setzen“ und nach Moskau zu führen. Er selbst aber begab sich nach Pskow, um dieser Stadt das Schicksal Nowgorods zu bereiten. Pskows Bürger, gewarnt, eilten beim Nahen des Zaren alle auf die Gassen, kniend boten sie dem Herrscher Salz und Brot an und flehten: „Nimm Brot und Salz von deinen liebenden treuen Untertanen; aber mit unserem Leben thue nach deinem Gefallen, denn Alles, was wir haben, und wir selbst sind dein, großer Selbstherrscher!“ Diese Unterwürfigkeit allein hätte Pskow wohl nicht gerettet; es trat indessen ein Ereignis ein, das den Schrecklichen verjagte. Ein Blödsinniger reichte dem Zaren statt Salz und Brot ein Stück rohen Fleisches. „Ich bin ein Christ,“ entgegnete Iwan, „und esse in den Großen Fasten kein Fleisch.“ Da schrie der Blödsinnige dem Zaren ins Gesicht: „Du thust Schlimmeres, du nährst dich von Fleisch und Blut der Menschen.“ Bei diesen Worten des Irren überfiel den Fürchterlichen eine unbegreifliche Angst. Er wagte nicht, den frechen Sprecher anzurühren, kehrte auf der Stelle um und befahl seinen Truppen: „Stumpft euere Schwerter an den Steinen ab!“

Für das unterlassene Pskower Blutbad entschädigt sich Iwan in Moskau. Diesmal sind es des Zaren vornehmste Günstlinge und Lieblinge, die ihr Haupt unter das Henkerbeil beugen müssen. Sie alle, die bisher an der wilden Menschenjagd teilgenommen haben, die unbarmherzig ungerührte Jäger waren, sie alle sind nun selber das gehetzte Wild. Dem nach immer neuen grausamen Aufregungen lüsternen Herzen Iwans ist dies ein seltsam prickelnder Genuß: die Henker auf der Schlachtbank als Opfer zu sehen. Des Zaren innigste, allerintimste Freunde schreiten in der neuen langen Reihe der Märtyrer obenan. Da ist der Knjäs Wjäsemskij. Iwan hatte zu ihm ein blindes Vertrauen. Ewig von der Furcht vor Meuchelmord erfüllt, traute er nur diesem Genossen seiner Schandtaten; war er in Krankheitsfällen genötigt, ein Medikament seines Leibarztes Arnulph Lensäus zu nehmen, so empfing er das Heilmittel aus Wjäsemskijs Händen; zog er sich nachts in sein Schlafgemach zurück, dann wachte Wjäsemskij an des Wüterichs Lager, ihn in sanften Schlummer lullend durch Entwurf neuer Mordpläne, durch die erquickende Ausmalung künftiger Greuelszenen. Und währenddem schon schwelgt der Zar in dem himmlisch freudigen Gedanken, dieses Werkzeug seiner Schandlüste hinrichten zu lassen. Ein Wojewode, den Wjäsemskij mit Wohltaten überhäuft hat, denunziert den Wohltäter beim Zaren als Verräter. Iwan untersucht nichts, fragt nichts, sagt nichts. Aber des Günstlings Schicksal ist entschieden.

Eines Abends kehrt Fürst Wjäsemskij aus dem Kremlj in sein Wohnhaus zurück; da findet er im Vorzimmer den Leichnam seines Dieners. Er kennt solches Vorspiel; er weiß, was ihm bevorsteht, er weiß auch besser als jeder andere, daß sein Los unabänderlich ist, und klaglos ergibt er sich darein. Nach Wjäsemskij werden Basmanow Vater und Sohn ins Gefängnis geworfen; der junge Theodor Basmanow war des Zaren Bettgenosse und Lustknabe, das rettet ihn nicht. Sie, die unzählige dem Zaren zu Gefallen zu Tode gemartert haben, werden nun selbst zur Freude des Zaren unmenschlich gefoltert, bis sie sinnlos vor Qualen Verbrechen gestehen, die sie nie zu erdenken gewagt hätten, und hunderte Namen von Mitschuldigen nennen, die niemals mit ihnen in Verbindung gestanden. Das ist dem Zaren ein wahres Fest, die Häupter seiner Höchsten zu fällen. Am 25. Juli 1570 läßt er auf dem Marktplatz von Kitajgorod alles zu dem Schauspiel herrichten. Achtzehn gewaltige Galgen werden aufgestellt und symmetrisch umgeben von den seltsamsten Marterwerkzeugen. In der Mitte des Platzes erhebt sich ein riesiger Scheiterhaufen und über diesem ist an einem Seil eine Kufe mit Wasser aufgehängt. Die unheimlichen Vorbereitungen jagen den Moskowitern einen unbeschreiblichen Schrecken ein. Ängstlich flüstert man einander zu, daß der Zar nach Nowgorods Untergang nun auch den Moskaus selbst beschlossen habe. Rette sich wer kann! Es beginnt eine allgemeine Flucht der Einwohner in die Keller und auf die Dächer. Die Kaufleute lassen ihre Geschäfte im Stich, in offenen Magazinen liegen die kostbarsten Waren herum; man brauchte nur zuzugreifen und könnte Vermögen erhaschen an Gold und Juwelen. Aber wer denkt an Raub und Reichtum, da der tausendfache Tod einem auf allen Gassen droht! Unberührt bleiben die fortgeworfenen Kostbarkeiten, jedweder ist nur darauf bedacht, das nackte Leben zu retten vor den Qualen der Torturen, die Iwans Geist tagtäglich neu erfindet. Durch die stillen starren Gassen ertönt plötzlich der Schall der Becken, der Schritt von schwergepanzerten Rossen, Stöhnen von Verurteilten und Klirren von Ketten. Voran zieht in festlichem Gewande der große Zar, und ihm zur Seite sein geliebter ältester Sohn Iwan, der Erbe seines Namens und seines Reiches, seines Sinnes und seiner Grausamkeit. Den beiden folgt die Schar der Bojaren und Fürsten, die Legion der Opritschniki, und endlich die lange Reihe der Verurteilten, hunderte und hunderte der Vornehmsten des Landes; gestern noch an der Spitze der Verwaltung, auf dem Gipfel der Macht, auf beneidetem Platze an der Sonne, sind sie heute unglücklicher und ärmer als die Elendsten der Gasse, schleppen sie ihre zerfleischten Leiber unter der Eisenlast der Marterwerkzeuge zu der Bühne ihrer Leiden. Jäh macht der Zug Halt, und der Zar fragt, weshalb kein Volk zu sehen. Man sagt ihm den Grund. Da befiehlt der Herrscher, Leute herbeizuschaffen, Publikum für das Schauspiel. Er selbst spornt sein Roß, zieht durch alle Straßen, ruft überall seine treuen Moskowiter auf, Zeugen seines Gerichts zu sein, das nicht dem Volke, sondern den Großen droht. Rache und Strafe denen, die dem Rufe nicht gehorchen; Gnade und Sicherheit jenen, die den Mut haben, ihre Verstecke zu verlassen und sich rund um die Galgen als Zuschauer zu scharen. Nachdem die Opritschniki dem Zaren das verlangte Volk herbeigeschleppt, ruft Iwan: „Volk, du wirst Qualen sehen und Tod. Doch ich züchtige Verräter. Antworte, Volk: ist mein Gericht gerecht?“ Und alle antworten: „Langes Leben dem großen Zaren, Untergang den Verrätern!“ Und dann beginnt das Schauspiel. Zuerst fällt das Haupt Wjäsemskijs. Hierauf befiehlt Iwan dem jungen Basmanow, den alten Basmanow zu erschlagen; befiehlt dem Fürsten Nikita Prosorowskij, seinen Bruder zu ermorden. Nachdem das Grauenvolle geschehen, werden der junge Basmanow und der Fürst Nikita Prosorowskij als Vatermörder und als Brudermörder gerichtet und hingerichtet. Auf daß das Volk des Zaren Gericht gerecht und groß finde, werden nicht alle Verurteilten nach gleichem Maße behandelt. Die Einen werden zerstückelt, andere auf der rechten Seite mit siedendem, auf der linken Seite mit eiskaltem Wasser überschüttet. In einer Ecke des Platzes wird gehenkt, in einer anderen gespießt. Iwan selbst nimmt Teil am Vergnügen. Einen alten Mann durchstößt er kunstgerecht mit der Lanze, einen anderen nagelt er mit dem spitzen Stab an die Erde, einen dritten erschlägt er mit der Keule. In vier Stunden werden zweihundert Menschen geschlachtet. Iwan ist befriedigt von der Blutmahlzeit und gesättigt, doch es gelüstet ihn noch nach einem süßen Nachtisch. So reitet er denn hinweg von dem Mordplatz, um einzukehren in die Häuser der Ermordeten, und der Klagen der Witwen, der Tränen der Waisen zu spotten, den Beraubten ihre letzten Habseligkeiten zu entreißen. Im Hause des hingerichteten Tunikow gefällt dem Zaren des Ermordeten fünfzehnjährige Tochter; unter dem Tränenschleier leuchtet ihre Schönheit in überirdischem Glänze, der Herrscher will sie zur Märtyrerin machen, und während der Zar die Mutter foltert, wird die Tochter vom Zarensohn vergewaltigt. Nach solchem Tagewerk gönnt sich Iwan eine Pause; eine Pause von drei Tagen, und dann hält er Gericht über eine neue Serie von Edelleuten. Diesmal ist die Strafe gleich für alle: die Verurteilten werden erschlagen, hierauf in eine Reihe gelegt, und der Anführer der Henkersknechte, Maljuta Skuratow, zerhackt die Leichname mit Beilen in Stücke, die den Hunden als Fraß vorgeworfen werden. Die Weiber der erschlagenen Edelleute endlich, achtzig an Zahl, schleppt man gebunden herbei und ersäuft sie im Flusse.*)

*) Die Wahrhaftigkeit der Schilderungen russischer Historiker wird durch die zeitgenössischen nichtrussischen Chronisten erhärtet. So erzählt Th. Hiärns Lyf-, Ehst- und Lettländische Geschichte, Seite 277, aus dem Jahre 1567: ,,Welchergestalt Iwan zu Moskau, Nauwogorod, Pleskau und anderen Örter gantze Familien ohnangesehen einigen Geschlechts, Alters oder Standes ausgerottet, selbige an Weib, Kinder, Gesinde, Viehe, Hunde, Katzen, ja die Fische im Wasser und alles, was sie hatten, durch seine Aprißniken, welche zwar sonst die außerwehltesten Kriegsleute der Reußen seyn, anjetzo aber von dem Großfürsten für nichts anders alß Henckersbuben gebrauchet werden mit unmenschlicher Tyranney tödten, würgen und gäntzlich vertilgen, ehrliche Frauen und Jungffern schänden und nackend herumb schleppen lassen, den Einwohnern alles das Ihrige beraubet und dergestalt einen unglaublichen Schatz, so mit vieler Hunderttausenden unschuldigem Blut besudelt, zusammengebracht, in seinem eigenen Lande so viel hundert Edel-Höfe, Flecken und Dörffer ausgebrant .... Sogar erstreckte sich dieses Unmenschen Tyranney nicht allein über seine eigene unschuldige Unterthanen und kleine Kinder, sondern auch leblose Dinge und seiner eigenen Länder Früchte und Waren“.

Und Niemand erhebt sich gegen den Mörder. Stumm und geduldig ertragen die Vornehmen und Geringen die Qualen, die der Tyrann ihnen bereitet, vor dem kein Einziger Wert und Ansehen genießt. Er allein mit seinem scharfen Eisenstabe und seinem furchtbaren Blick hält Alle in Zittern und Demut, in Willenlosigkeit und Gehorsam. Er erhebt seine Stimme, und wortlos sinken Hunderte und Tausende in den Staub vor ihm; er erhebt seine Hand, und klaglos wälzen sich die Scharen aufs Schaffot. Wer besteht neben dem Zaren, dem großen Selbstherrscher? Wer ist reich, wer vornehm? Wer darf sich rühmen seiner Verdienste, seiner Siege? Verdienst ist Gefahr und Reichtum Verbrechen. Die Reichsten und Vornehmsten, die dem Throne am nächsten stehen, die großen und glücklichen Heerführer und Minister, die dem Zaren am eifrigsten dienen, sie sind seinem Zorn am leichtesten erreichbar, sie locken am ehesten seine Mordlust und seine Habgier, nach ihren Schätzen und schönen Weibern strecken Zar und Zarensohn am häufigsten ihre ruchlosen Hände aus.

Der von Iwan geliebteste Heerführer Fürst Peter Obolenskij-Sserebrjänow wird eines Tages nach Moskau berufen: im Augenblick, da er vor dem Herrscher niederknien will, wird er auf einen Wink Iwans ergriffen und von den Opritschniki auf der Stelle enthauptet. Dem Wojewoden Kosarinow-Golochwastow droht dasselbe Schicksal; gewarnt, flüchtet er sich in ein Kloster, um als Mönch seine Tage zu beschließen. Aber diese Flucht rettet ihn nicht vor dem gewaltsamen Ende. Iwan erspäht seine Zuflucht, läßt ihn auf eine Pulvertonne binden und in die Luft sprengen; „die Mönche sind Engel“, höhnt Iwan, ,,und müssen gen Himmel fahren“. Die Verbrechen dieser Unglücklichen sind nicht bekannt, existierten wohl gar nicht. Das Verbrechen eines dritten Opfers, des Beamten Mjäsojed Wisloj, bestand in der blendenden Schönheit seiner Gattin. Iwan läßt die Frau vor den Augen des Mannes schänden und aufknüpfen, und während sie noch lebend am Galgen baumelt, wird der Gatte enthauptet. Einige von Jenen, die der Zar zu seinen Opfern erwählt hat, weilen im Felde. Iwan schickt seine Henker ab, um die Geächteten hinzurichten. Aber da die Henker nur die Leichen der vor dem Feinde gefallenen Helden finden, befiehlt Iwan zur Strafe dafür, daß sie es gewagt, den Heldentod zu sterben, ihre Kinder zu töten oder in den Kerker zu werfen.

Nach dieser Mordepoche tritt eine kurze Pause ein. Die Opritschniki verschwinden, die Massenhinrichtungen hören auf. Ist der Bluthund ermüdet, erschöpft, gesättigt? Die bange Frage wird bald beantwortet werden, der schlummernde Tiger erwachen und mit neuer unstillbarer Gier nach Opfern suchen. Je mehr sich dieses Ungetüm seinem Ende nähert, je wilder wird seine Raub- und Mordleidenschaft. Ruht sie eine Weile, so ist es nur, als wollte sie frische Kräfte sammeln, um mit verhundertfachter Wut auszubrechen. Immer hastiger sucht der Tyrann unter seinen Großen und unter seinem Volke aufzuräumen, als fürchtete er, in der kurzen Spanne seiner Lebenszeit auf Erden nicht genug des Grausamen leisten zu können; als hätte er die Angst, daß er vor dem Richterstuhl der Hölle nicht vollkommen blutbedeckt erscheinen würde. Und der Himmel läßt diesem Abgesandten des Teufels reichlich Muße, seinen Kreislauf zu vollenden, alle Taten zu vollführen, die seine Mordlust ersinnt.

Fürst Michael Worotünskij, der Eroberer von Kasanj, steht dem Zaren im Wege, weil er vom Volke geliebt wird; er wird in Acht und Bann getan. Aber als Moskau vom Chan bedroht wird, ruft Iwan den Fürsten zur Hülfe herbei, und der Geächtete folgt dem Rufe des Herrn und rettet Moskwa. Und was wird der Lohn des Helden? Ein Sklave des Fürsten beschuldigt seinen Herrn der Zauberei und geheimer Zusammenkünfte mit Hexen, mit denen er einen Anschlag auf das Leben des Zaren plane. Das genügt. Der Triumphator, der Eroberer Kasanjs, der Retter Moskwas, der erste Diener des Zaren, der Mann, dessen Treue und Gehorsam sich in hundert bitteren Prüfungen bewährt haben, der Greis, der nach einem Leben harter Arbeit, nach Jahrzehnten voller Siege nicht nach Ruhm und Ehren geizt, sondern bloß nach einem einsamen stillen Plätzchen strebt, um friedlich den kargen Rest seiner Tage zu verbringen, er wird am Rande des Grabes von den Schergen seines Zaren ergriffen, die ihm statt des friedlichen Endes gewaltsam den Tod des Märtyrers bereiten. Man schleppt ihn auf einen Scheiterhaufen, martert ihn, legt ihn zwischen zwei Feuer, um ihn bei lebendigem Leibe zu rösten; und Iwan selbst schiebt mit seinem blutigen Stabe die glühenden Kohlen mit raffinierter Berechnung immer näher an den Leib des Opfers, ihn vorsichtig versengend, aber nicht barmherzig verbrennend. Denn im Augenblick, da der Dulder seinen Leiden zu erliegen droht, reißt man ihn vom Scheiterhaufen herunter und belebt den Sterbenden durch Stärkungsmittel für noch einige Stunden, auf daß er nicht bewußtlos den Tod des Ertrinkens im Bjelo Osero erleide, den der Zar ihm zum Schlusse zugedacht hat.

Zu derselben Zeit wie Worotünskij wird der Bojar Morosow nebst seinen Söhnen und seiner Gemahlin hingerichtet. Morosow ist weder berühmt, noch ein hervorragender Günstling, weder als Zauberer, noch als Majestätsverbrecher beschuldigt worden. Er lebt still und zurückgezogen, ein hochbetagter Mann, fern vom Hofe. Und doch ist er in den Augen Iwans mit einer unverzeihlichen Schuld beladen: er ist durch einen unbegreiflichen Zufall den früheren Massenhinrichtungen entgangen, als einziger von allen Bojaren der früheren Zeit übriggeblieben; er hat es gewagt, fünf Mordepochen Iwans zu überleben! Um ihm das Sterben schöner zu machen, werden mit ihm und seiner Familie gleichzeitig umgebracht: Fürst Kurakin, Buturlin, zahlreiche Günstlinge, Adlige und drei Geistliche: der Abt von Pskow, der Erzbischof Leonidas von Nowgorod und der Archimandrit Theodorites. Den Geistlichen gebührt besondere Ehrung durch besondere Todesart. Der Abt wird mit einem Marterwerkzeug zerfleischt, der Archimandrit ersäuft, der Erzbischof aber als der Höchste in eine Bärenhaut eingenäht und den Hunden vorgeworfen. *) Die letzterwähnte Hinrichtungsart gefällt dem Zaren ganz besonders, sie wird für eine Zeitlang seine Lieblingsmördmethode.**) Er wendet sie namentlich für Richter und Geistliche an. ***)

*) Das Verbrechen des Erzbischofs Leonidas bestand darin, daß er sich geweigert hatte. Iwans vierte Ehe, als eine ungesetzliche, einzusegnen.

**) Auch die römischen Tyrannen ließen Verbrecher in Tierhäute einnähen und den Hunden vorwerfen. Afrikanische Despoten strafen ungehorsame Sklaven auf gleiche Weise. In Havanna wurden früher alle zum Tode verurteilten Verbrecher den Hunden zum Fraß überliefert. Dictionnaire de la pénalité III 239 berichtet von einem exotischen Volke, das besonders die Ehebrecher zu solcher Todesart verurteilt.

***) Der Grausame kann auch humoristisch sein: Ein Wojewode von Stariza kommt zum Zaren, als dieser lustig tafelt. ,,Sei gesund, mein geliebter Wojewode,“ begrüßt der Herrscher gutgelaunt den Ankömmling, ,,du bist Unserer Gnade würdig,“ und zum Zeichen dieser Gnade schneidet er dem Überraschten ein Ohr ab! Als Magnus Herzog von Holstein König von Livland geworden war, gab Iwan seine Nichte dem neugebackenen König zur Frau. Der Hochzeit, so wird in dem Buche Description de la Livonie, (Utrecht 1705, p. 126) berichtet, wohnte Iwan persönlich bei, ,,und er bezeigte viel Freude in barbarischer Art nach seiner Gewohnheit“: er stellte sich in die Reihe der jungen Mönche und sang mit ihnen, indem er mit seinem dicken Stock den Takt auf ihren Köpfen schlug, bis das Blut in Strömen floß. Dem Abgesandten des Fürsten Kurbskij stieß Iwan seinen spitzen Stab durch den Fuß in die Erde, und dann erst ließ er sich vom Angenagelten die Botschaft vorlesen. Dem Gesandten eines ausländischen Fürsten, der vor dem Zaren nicht das Haupt entblößte, ließ Iwan gar den Hut auf den Kopf nageln. Ein anderer fremder Diplomat kam in gleichem Falle besser davon. Es wird erzählt, in der ,,Reise nach Norden / worinnen die Sitten / Lebens-Art und Aberglauben derer Norwegen / Lappländer / Kiloppen, Borandier, Syberier, Moßcowiter usw. beschrieben werden“ (Zum andernmahl gedruckt, Leipzig, bey Gottfried Leschen, 1706, S. 169): „Der Ritter Hieronymus Bose / der als Abgesandter zu Iwan geschickt ward / hat den Hut vor ihm abgenommen und trotziglich wieder aufgesetzet. Der Kayser fragte ihn /ob er nicht das Tractament wüste / das ein anderer Abgesandte wegen dergleichen Kühnheit empfangen hätte? Ich weiß es / antwortete er / allein ich bin der Königin Elisabeth Abgesandter / welche ihre Mütze nicht abnimmt /noch ihr Haupt vor einigen Fürsten in der Welt entblöset: und wenn man einen von ihren Ministern beschimpftet / so wird sie solches / wie es ihr zukömmt / zu rächen wissen. Sehet einen tapfferen Mann / sagte der Kayser / indem er sich gegen seine Boyards wendete / der sich unterstehen darff / vor die Ehre und das Interesse seiner Königin also zu reden“.

Aber auch seine alten Methoden läßt Iwan nicht in Verfall geraten. Wie in früheren Zeiten springt er auch jetzt plötzlich von der Tafel auf, trommelt seine Henker zusammen und reitet mit dem schauerlichen Mordruf: „Heida, Heida“ auf die Jagd nach Menschen. So begibt er sich einmal vom Tische hinweg in die Kerker der litthauischen Gefangenen, um die Unglücklichen an ihren Ketten umbringen zu lassen. Nachdem er sich im Blute von mehr als hundert Menschen gebadet hat, kehrt er wieder zu seinem unterbrochenen Mittagsmahle zurück und setzt mit frischem Appetit das Essen fort.

Die Marterwerkzeuge und Todesarten werden in der letzten Mordepoche immer mehr verfeinert, und Erfinder dieser Art sind großen Lohnes und seltener Zarengunst sicher. Da gibt es Pfannen zum Braten lebender Menschen, kunstvoll konstruierte Oefen, vollendet ausgearbeitete Kneipzangen, spitze Nägel und Stacheln als Werkzeuge der Folter. Handwerk, Kunst, Industrie und Wissenschaft, Alles im Reiche ist tätig für des Zaren Grausamkeit. Die Menschen werden nicht blindwütig gemordet; im Wahnsinn herrscht Methode. Wird ein Opfer zur Zerstückelung verurteilt, so muß der Henker nach vorgeschriebener Norm verfahren, das Zerschneiden und Zerhacken nach den Gelenken vornehmen und stets darauf bedacht sein, das Opfer unter den Todesqualen möglichst lange bei Bewußtsein zu erhalten. Die abgeschnittenen Stücke werden an Schnüren aufgezogen. Andere Opfer werden mit feinen dünnen Schnüren in der Leibesmitte durchgesägt. Wieder Anderen zieht man bei lebendigem Leibe die Haut vom Rücken, um Riemen daraus zu schneiden. Oder man reißt einem Verurteilten Stücke Fleisch aus dem Leibe und wirft diese Fetzen, während das Opfer noch lebt, hungrigen Tieren vor; man zwingt den Unglücklichen durch die kostbarsten Mittel der ärztlichen Wissenschaft, bei Bewußtsein zu bleiben und die Augen offenzuhalten, damit er diese Mahlzeit der Tiere, deren Kosten sein sterbender Leib bezahlt, mitansehe. Das strömende Blut ist Nektar für den Tyrannen; das Heulen der Tiere, das Schreien der Märtyrer Musik für seine Ohren. Zuweilen stößt Iwan selbst mit seinem Dolche oder Stabe zu, aber er bereut dies sofort als einen Akt der Schwäche und wahnsinnigen Mitleids, weil er die Qualen der Opfer abzukürzen fürchtet, da doch die Strafe lange, endlos lange dauern soll. Er bemüht sich daher, wo es nur angeht, seine Mordgier zu zügeln, den Genuß nicht zu überhasten, und begnügt sich damit, die Sterbenden zu beschimpfen oder zu verhöhnen und ihre Qualen zu verlängern. Und es gibt verruchte Männer der Wissenschaft, die ihre Kräfte in den Dienst dieser Barbarei stellen. Der Arzt Bomelius, ein teuflisches Genie, erfindet in mühsamem Studium, als Resultat zahlloser Nächte der Arbeit und des Denkens ein Gift, das die Menschen nach bestimmten Stunden oder Tagen unfehlbar tötet. Der Zar braucht einem Opfer mehr oder weniger von diesem Gift zu verabreichen, um es früher oder später sterben zu lassen. Die Günstlinge und Untertanen werden zu Uhrwerken, die nach einer von dem Herrn festgesetzten Frist stillestehen müssen. Die infernalische Erfindung des Bomelius funktioniert so tadellos, daß Iwan nach dem Ende dieses oder jenes Mannes seine Tageseinteilung bestimmt. Er setzt eine Truppenparade fest für die Stunde des Todes des Fürsten Gwosdew-Kostowskij, er ordnet das Mittagsmahl an für den Augenblick des Hinscheidens eines anderen Günstlings. Er gibt einem heimlich Verurteilten soviel Tropfen Gift, daß der Mann just im Augenblick sterben muß, da er sich von der Hochzeitstafel erheben will, um sich in das Brautgemach zu begeben. Dieses Gift des Bomelius präzisiert im Vorhinein Tage, Stunden und Minuten. Der Erfinder dieser Übernatürlichkeit aber muß schließlich selbst das Los Aller teilen, die das Schicksal in der Nähe Iwans leben ließ. Der mißtrauische Zar ängstigt sich am Ende vor der unheimlichen Genialität des Leibarztes. Bomelius wird plötzlich ergriffen, an einen Pfahl gebunden und geröstet.*)

*) Während Karamsin sagt, daß Bomelius öffentlich verbrannt wurde, berichten andere (Tradescant der Jüngere 1618 in Russland, S. 145), daß „Bomelius gefoltert, nach der Folterung an einen Pfahl gebunden, ans Feuer gelegt, schließlich auf einem Schlitten aus dem Kreml hinausgeschleppt und, noch lebend, in ein Grab geworfen wurde“.

Iwans Mißtrauen gegenüber Bomelius war ungerechtfertigt. Der Bluthund ist gefeit gegen alle Angriffe. Niemand wagt auch nur daran zu denken, den Massenmörder durch Mord zu beseitigen. Stumm sieht die ganze Welt dem Schauspiel zu, stumm beugen die Russen ihr Haupt vor dem Henker, wenn der Zar es befiehlt. Die Großen am Hofe klagen nicht einmal, begreifen gar nicht das Elend ihres Daseins. Trotzige Kläger vor dem Herrscher werden sie nur bei Rangstreitigkeiten, wenn ein vornehmes Geschlecht zu Gunsten eines anderen bei der Tafel, im Heere oder in der Verwaltung zurückgesetzt erscheint. Solchen Klagen schenkt Iwan auch Gehör. Er schont die Empfindlichkeiten seiner Großen, ihren Adelsstolz; nur nicht ihre Köpfe. Er verleiht ihnen Rang, Amt und Würde; dafür gestatten sie ihm, jederzeit ihr Leben zu vernichten. Auch die Familie des Zaren macht keine Ausnahme; doch erfindet er für seine eigenen Verwandten eigene Strafen: um seinen Schwiegervater Nagoj zu martern, befiehlt Iwan, dem in der Heilung von Krankheiten geschickten Kaufmann Stroganow, daß er dem zarischen Schwiegervater die schmerzlichsten Haarseile in den Seiten und auf der Brust einziehe. Der Schwager Iwans, Fürst Nikita Odojewskij, wird zum Tode verurteilt, seine Hinrichtung aber Jahre hindurch immer wieder aufgeschoben, weil sich der Zar am Zittern des Verurteilten weiden will. Als Iwans dritte Braut plötzlich abzumagern beginnt, beschuldigt man die Verwandten der zwei ersten Frauen des Herrschers der Zauberei; darauf werden des Zaren Schwäger teils zu Tode gepeitscht, teils auf Pfähle gespießt. Der einzige Verwandte Iwans, der geschont wird, ist sein Vetter Prinz Wladimir Andrejewitsch. Aber auch für Wladimir Andrejewitsch kommt die Stunde des Unheils. 1569 sendet Iwan seinen Vetter mit einem Heere nach Astrachanj. In Kostroma empfangen die Bürger den Prinzen als Vertreter des Zaren mit hohen Ehren. Ob dieser Ehrenbezeigungen gerät Iwan in Zorn, er läßt die Vorsteher der Stadt Kostroma nach Moskau bringen und hinrichten und beruft den Vetter zurück. Als Prinz Wladimir mit seiner Familie vor Moskau eintrifft, wird er überfallen und eines Giftattentats gegen den Zaren beschuldigt. Iwan erscheint, reicht dem Prinzen, seiner Frau und seinen Söhnen Gift und sagt: „Trinkt das nun selbst aus!“ Die Prinzessin antwortet: „Besser ist es von der Hand des Tyrannen als von der des Henkers zu sterben.“ Und die Verurteilten trinken das Gift, und der Zar bleibt bei ihnen, um Zeuge ihrer Leiden und ihres Todes zu sein; dann führt er die Dienerinnen zu den Leichen ihrer Herrschaft und verspricht ihnen Gnade. Sie aber entgegnen: „Wir verlangen Deine Barmherzigkeit nicht, blutdürstiges Ungeheuer! Zerreiße uns! Dich verabscheuend verachten wir das Leben und die Qualen.“ Iwan läßt die Weiber auf der Stelle nackt ausziehen und umbringen. Auf daß das Werk vollkommen sei, begibt er sich in das Kloster, wo die Mutter des Prinzen Wladimir als Nonne lebt, und ersäuft die Greisin an Ort und Stelle. Auf den Charakter Iwans vermochten auch Frauen keinen Einfluß zu üben, der irgendwie eine Milderung seiner Sitten, seines Wahnsinns hätte herbeiführen können. Der Grausame war zwar ein leidenschaftlicher Frauenfreund und heiratete, den russischen Kirchengesetzen zum Trotze, nacheinander acht Frauen; aber er liebte keine von ihnen, sie waren ihm nicht Gattinnen, sondern Sklavinnen. Die erste Ehe schloß er gleich, nachdem er sich in seinem siebzehnten Lebensjahre hatte krönen lassen, nach der damaligen moskowitischen, von den Byzantinern übernommenen Sitte: Alle heiratsfähigen Töchter der im Dienste des Zaren stehenden Bojaren mußten nach Moskau pilgern; die fünfzehnhundert schönsten von ihnen wurden in einem Riesengebäude einquartiert, das mehr als hundert Schlafsäle und in jedem Saale zwölf Betten enthielt. Dann erschien eines Tages der junge Zar, begleitet von einem einzigen alten Höfling, um die Schönen zu mustern. Seine Wahl fiel auf Anastasia Sacharin-Koschkin. Als Anastasia nach kurzer Ehe an den Folgen einer Vergiftung gestorben war, brach Iwan mit dem alten System der Brautschau. Er hatte von der Schönheit einer tscherkessischen Prinzessin, der Tochter des Fürsten Temgruk, vernommen und befahl, daß man sie nach Moskau schaffe. Die wilde Tscherkessin gefiel ihm, er ließ sie taufen und heiratete sie im Jahre 1561. Von dieser zweiten Gemahlin Iwans, die als Christin den Namen Maria führte, wird erzählt, daß sie dem Zaren an Grausamkeit nicht nachstand. Nach zwei Jahren wurde auch sie vergiftet, und Iwan schritt zu einer dritten Ehe mit der Kaufmannstochter Marfa Ssobakin. Diese überlebte die Hochzeit nur um zwei Wochen und starb plötzlich an den Folgen einer Vergiftung. Nun hätte die russische Kirche dem Zaren keine neue Ehe mehr erlaubt. Aber Iwan erklärte der Geistlichkeit folgendermaßen die Gründe, die ihm eine vierte Ehe gestatten mußten: „Die Zarin Marfa,“ sagte er, „ist als Jungfrau gestorben, diese Ehe war nicht vollzogen, existierte in Wahrheit nicht. Ich wollte mich ins Kloster zurückziehen, doch ich muß für die Erziehung meiner Kinder sorgen und das Reich und den christlichen Glauben verteidigen; deshalb kann ich der Weltlichkeit nicht entsagen. Um aber Sünden zu vermeiden im weltlichen Leben, bin ich genötigt wieder zu heiraten.“ Die Geistlichkeit mußte des Zaren Gründe gutheißen, und Iwan vermählte sich in vierter Ehe mit Anna Koltowskoj. Diese fand kein gewaltsames Ende; doch nach kurzer Zeit wurde sie vom Zaren ins Kloster geschickt. Nun emanzipierte sich Iwan ein für allemal von priesterlicher Zustimmung zu seinen Ehen und verheiratete sich zum fünften Male mit Anna Wassiltschikoff, und nach ihrem Tode, der als Folge einer Vergiftung eintrat, zum sechsten Male mit der Witwe Wassilissa Melentjeff; die schöne Wassilissa fiel bald in Ungnade, weil sie stark abmagerte und der Zar die mageren Frauen haßte. Ihre Nachfolgerin als siebente Gemahlin Iwans war Maria Dolgorukow; der Zar entdeckte in der Hochzeitsnacht, daß sie einen anderen geliebt hatte, ließ sie am frühen Morgen in einen geschlossenen Wagen bringen und diesen samt der jungen Zarin ins Wasser werfen. Jetzt erwählte Iwan im Jahre 1580 die Tochter Maria des Höflings Nagoj zu seiner achten Gemahlin. Auch diese Ehe befriedigte ihn nicht, und er beschloß, sein Glück außerhalb seines Reiches zu versuchen und um die Hand einer fremden Prinzessin anzuhalten.

Am Hofe des Zaren befand sich ein englischer Arzt, Jakob Roberts, der die Aufmerksamkeit Iwans auf den englischen Hof lenkte und sich anheischig machte, eine Verwandte der Königin Elisabeth als Braut des moskowitischen Herrschers herbeizuschaffen. Diese Verwandte war Marie Hastings, Tochter des Lord Huntingdon, der tatsächlich ein entfernter Verwandter der Königin war. Die Unterhandlungen zwischen dem Doktor Roberts und dem Zaren führte im Auftrage des letzteren Nagoj, der Vater der Zarin Maria, die im Falle des Gelingens des Planes natürlich den Platz hätte räumen müssen!

Nachdem alles besprochen und festgestellt war, reiste der Diplomat Fedor Iwanowitsch Pissemski als Gesandter des Zaren nach London. Pissemski hatte auch politische und kommerzielle Angelegenheiten zu erledigen, aber sie waren Nebensache. Die Instruktion, die der Zar seinem Boten gab, besagte: „Vor allen Dingen trachte die Prinzessin Titunski (so hatten die Russen den Namen der zukünftigen Zarenbraut verstümmelt) zu sehen. Prüfe sie mit Sorgfalt, notiere genau, wie sie aussieht. Ich will wissen, was sie für ein Gesicht hat, von welcher Farbe ihr Teint ist; und vergiß auch nicht, annähernd ihren Leibesumfang zu beschreiben. Erforsche alles, was ihre Familie betrifft, und erkundige Dich bei verläßlichen Personen über ihr Alter. Schließlich hast Du Sorge zu tragen für ein getreues Porträt der Prinzessin. Wenn irgend möglich, bemühe Dich, genaue Maße von ihrer Größe und ihrem Umfang zu erhalten.“ Pissemski erbat eine Instruktion für den Fall, daß man in London Kenntnis von der früheren Verheiratung des Zaren und von der jetzt noch bestehenden achten Ehe haben sollte. Der Zar erwiderte: „Dann wirst Du antworten, daß meine früheren Frauen alle tot sind. Was jedoch die Zarin Maria, meine jetzige Gemahlin, anbelangt, so sage dieses: Die Zarin besitzt keine Rechte. Da sie die Tochter eines simplen Bojaren ist, hat ihre Ehe mit mir keine Konsequenzen, und die neue Zarin wird allein die Rechte und den Rang der Herrschersgattin haben.“ — „Und wenn man, o Zar, nach deinen Kindern fragt?“ — „Dann sage: Der Thron bleibt meinem Sohne Fedor, der einer früheren Ehe entstammt und schon zum Erben erklärt ist, vorbehalten. Wenn mir aber die englische Prinzessin Kinder schenken sollte, so werde ich ihnen entsprechende Apanagen festsetzen. Bei dieser Gelegenheit erwähne auch folgende Bedingungen: Die zukünftige Zarin muß, ebenso wie alle Personen, die sie aus England mitbringt und bei sich behalten will, zum russischen Glauben übertreten. Vor der Verlobung ist zwischen England und Moskau eine Allianz, in aller Form abzuschließen.“

Im September 1582 kam Pissemski, den der Arzt Roberts als Dolmetsch begleitete, in Windsor an. Das erste, was der russische Gesandte in England erfuhr, war die Nachricht von dem Siege Báthorys über Iwan, und es war natürlich, daß man den Russen infolgedessen kühl empfing. Erst nach langem Zögern ließ ihn die Königin zur Audienz berufen, Pissemski brachte also seine Werbung vor und bat die Königin: man möge ihm gestatten, die Prinzessin zu sehen und zu malen. Elisabeth entgegnete: „Ich wäre sehr glücklich, mit dem Zaren in Verwandtschaft zu kommen. Aber ich habe mir erzählen lassen, daß der Zar nur schöne Frauen liebt, und Marie Hastings ist nicht schön. Zudem hat sie kürzlich die Blattern überstanden, und es wäre nicht gut, jetzt ihr Porträt anzufertigen.“ Dennoch fragte sie: „Und was würde mit den Töchtern geschehen, wenn Marie Hastings solche haben sollte?“ Worauf Pissemski erwiderte: „Unsere Herrscher verheiraten ihre Töchter mit fremden Potentaten!“ was ein wenig stark übertrieben war, da dies bisher nur einmal stattgehabt hatte.

Pissemski verließ die Königin voller Hoffnung und begann nun den Instruktionen gemäß über die Allianz zu verhandeln, deren Abschluß ja der Verlobung vorausgehen mußte. Die Königin Elisabeth erklärte sich einem Bündnisse geneigt und verlangte dafür bloß das Monopol des gesamten moskowitischen Außenhandels. In den bezüglichen Verhandlungen war vom Zaren Iwan immer nur als von dem „Neffen der Königin“ die Rede. Die Russen merkten nicht, daß man sich über sie lustig machte; dem guten Pissemski dämmerte erst die Erkenntnis, als die Geschichte sich furchtbar in die Länge zog und Monat um Monat zwecklos verstrich. Da raffte er sich auf und beschwerte sich bei der Königin. Sie wollte ihr Amüsement nicht vorschnell abbrechen und befahl, dem Russen die Erwählte Iwans zu zeigen. Der 17. Mai 1583 war der große Tag. Man führte Pissemski in den Garten des Lord Bromley und hier zeigte man ihm von ferne eine Gruppe von Frauen, an deren Spitze sich Marie Hastings befand, ,,die Braut des Zaren“. Der Kanzler Lord Bromley sagte: „Die Königin hat befohlen, daß man Ihnen ihre Nichte nicht in einem Zimmer, sondern im Freien zeigen soll, damit Sie sie besser betrachten können.“ Der Russe grüßte die Dame respektvoll von fern und war aus dem Parke kaum fortzubringen. „Haben Sie sie genug betrachtet?“ fragte der Kanzler, und Pissemski erwiderte: „Ich habe den zarischen Instruktionen gehorcht.“ Und in seinem Bericht an den Zaren sagte er über dieses denkwürdige Rendezvous: „Die Prinzessin von Huntinsk, Marie Hantis, ist von hoher Figur, von weißem Teint; sie hat blaue Augen, blonde Haare, eine gerade Nase und lange Finger.“ Elisabeth wollte den Spaß bis zum Schlüsse genießen und berief Pissemski: „Ich bedaure bloß“, sagte sie, „daß meine Nichte nicht schön genug für den Zaren ist.“ Die Hastings war übrigens auch nicht mehr jung, sondern schon dreißigjährig. Als Pissemski schwieg, setzte die Königin hinzu: „Ich glaube, sie hat Ihnen selbst auch nicht gefallen.“ Worauf der Russe hastig entgegnete: „Ich habe auf den Engel nur einen Blick zu werfen gewagt, und ich glaube, daß sie schön ist. Der Rest ist Sache Gottes.“

Pissemski ließ die Zarenbraut malen und reiste dann, mit dem Erfolg seiner Reise vollkommen zufrieden, wieder nach Russland. Die Königin Elisabeth schickte mit ihm den Diplomaten Bowes nach Moskau, der den Auftrag erhielt, die Situation jedenfalls auszunützen und in Russland kommerzielle Konzessionen zu erlangen. Am 13. Dezember 1583 erschien Bowes in Audienz beim Zaren. Die Unterredung war ganz intim, denn der Zar wollte nichts von Politik hören, sondern nur über „die geheime Affäre“ unterhandeln. Der Zar fragte kurzweg: „Was denkt die Königin in Bezug auf meine Heirat mit Marie Hastings zu thun?“ Bowes erwiderte: „Die Königin hat mich geschickt, um die Intentionen des Zaren zu erfahren.“ Aber der Zar drückte den Gesandten an die Wand und verlangte ehrliche Antwort; und da sagte Bowes: „Die Nichte der Königin war krank, sehr krank. Auch weiß man nicht, ob sie sich zu einem Religionswechsel entschließen könnte. Übrigens ist sie unter den Verwandten der Königin die entfernteste; es gibt zehn andere, die vielleicht besser für den Zaren passen würden.“ — ,,Was sind das für Personen?“ fragte der Zar. „Sind es Töchter von Fürsten oder von Unterthanen der Königin?“ — „Ich habe keine Instruktionen, und weiß nicht, was ich sagen soll.“ Iwan geriet in Zorn und rief: „Sie sprechen in einer Art, die nicht geduldet werden kann, denn unter den Souveränen, die meinesgleichen sind, kenne ich einige, die ihrer Herrin überlegen sind.“ Und er überschüttete den englischen Gesandten mit zahllosen Insulten und schickte ihn aus dem Palaste fort. Aber seine fixe Idee ließ ihn nicht ruhen. Er befahl Bowes, wieder zur Audienz zu erscheinen, und erklärte ihm: den englischen Untertanen solle alles Gewünschte bewilligt werden, wenn der Zar sich mit einer Verwandten der Königin verheiraten würde; falls nichts aus dem Projekte mit Marie Hastings werden sollte, wollte der Zar eine andere Verwandte Elisabeths heiraten und sich zu diesem Zwecke persönlich nach London begeben. Der englische Prediger Humphry Cole mußte dem Zaren ein Memoire über die Hauptpunkte des Protestantismus ausarbeiten, und Gerüchte wollten schon wissen, daß Iwan entschlossen war, seinen Glauben zu verlassen, um nur eine englische Prinzessin zur Gemahlin zu erhalten. Des Zaren Tod machte diesen Plänen ein Ende.*)

Iwan liebte keine von seinen Frauen, und von seinen Kindern nur eins, den ältesten Sohn, den Prinzen Iwan. Die folgerichtige Entwicklung aber fordert, daß der Mörder seines Volkes schließlich auch zum Sohnesmörder wird. Bei allen seinen Blutzügen wird Iwan von seinem gleichnamigen Sohne begleitet, dem präsumtiven Erben seiner Krone. Der Sohn hält mit dem Vater gleichen Schritt, wie er mit ihm gleichen Sinnes ist. Zar und Zarensohn sind unzertrennlich. In allen wichtigen Geschäften, auf Reisen, bei Mordtaten, in Schwelgereien und Ausschweifungen, immer sieht man sie Seite an Seite, Hand in Hand. Oft tauschen sie ihre Maitressen untereinander aus, oft haben sie zu gleicher Zeit dieselbe Beischläferin. **) In Ehesachen treibt es der Sohn wie der Vater. Er wird niemals Witwer, heiratet aber doch zum zweiten und zum dritten Male, indem er sich der ersten und der zweiten Frau durch ihre Verbannung ins Kloster entledigt. Seine ungesetzlichen Beischläferinnen sind zahllos und werden gewechselt wie ein Nachthemd.

*) Vgl. K. Waliszewski, Ivan le Terrible, Paris 1904.

**) Einmal schenkt der Zar eine Geliebte dem Zarewitsch. Das Mädchen wird ob dieser Verschenkung von einigen Frauen des Hofes verhöhnt und beklagt sich bitter beim Zaren. Daraufhin werden die Spötterinnen zu strengster Winterszeit in Gegenwart aller Leute nackt ausgezogen und lange im Schnee festgehalten. ,,Nun lache du über sie!“ sagt der Zar zur beschimpften Maitresse. Karamsin VIII 282.

Der Sohn mordet und hurt gleich dem Vater und ist so dessen Liebling geworden. Es ist bezeichnend, wodurch schließlich der Prinz in Ungnade fällt. Russland ist 1582 vom Feinde bedroht, und der Thronfolger tritt in einer Anwandlung von Patriotismus vor den Herrscher mit der Bitte: „Vater, gieb mir ein Heer zur Verjagung des Feindes!“ Dieses Verlangen ist dem Zaren verdächtig. „Rebell!“ schreit er zornglühend und von wahnsinniger Wut erfaßt, und mit seinem furchtbaren Stabe schlägt er den Sohn wuchtig aufs Haupt. Blutend stürzt der Prinz zu Boden. Des Zaren Zorn ist verraucht, er kommt zum Bewußtsein seines ungeheuerlichen Verbrechens und erblassend klagt er sich vor allen laut an: „Ich habe meinen Sohn ermordet!“ Er wirft sich nieder, küßt und herzt den Sterbenden und beschwört die Ärzte, den Sohn zu retten. Die Ärzte wissen weder Hilfe noch Trost, der sterbende Prinz allein verzweifelt nicht und bittet den Vater, nicht zu klagen: „Ich allein trage die Schuld, mein Herr, verzeihe mir, ich sterbe als dein treuer Sohn und treuester Unterthan!“ Zerschmettert wankt der Tyrann von der Leiche des Sohnes hinweg; tagelang weigert er sich, Speise und Trank zu genießen; Nacht um Nacht verbringt er schlaflos, stöhnend und jammernd, sich selbst anklagend und laut seine Absicht verkündend, der Welt zu entsagen und im Kloster seine Tage zu beschließen. Aber die Großen, hinter diesem Plane nur eine List des Grausamen witternd, die seine Minister und Günstlinge auf die Probe stellen soll, sie kommen demütig herbeigeschlichen und betteln den großen Zaren an, das heilige Russland nicht ohne seinen mächtigen Schutz zu lassen. Kein einziger wagte gegen die Greuel zu protestieren; alle ohne Ausnahme aber protestieren dagegen, daß das Scheusal vom Schauplatz verschwinde. Die Feigheit wird belohnt: Iwan gibt den Bettelnden nach, bleibt Zar und wütet weiter.

Und da auch dieses wilden Tigers Ende kommt, stirbt er im Augenblick der Verübung einer Tat, die die würdige Krönung seines grauenhaften Lebens ist. Vom Fieber des Todeskampfes aufgerieben und verschmachtend wälzt sich Iwan auf seinem Lager. Die keusche Gattin Feodors, der nach der Ermordung des Bruders durch den Vater Thronfolger geworden, tritt zum Sterbenden hin, um ihn in seinen letzten Momenten zu trösten; und sie neigt sich zu ihm hinab, seine Schmerzen zu lindern. Da plötzlich stößt sie einen fürchterlichen Schrei aus und stürzt von wahnsinnigem Entsetzen erfaßt von dannen: der verreckende Unmensch hat seine letzten Kräfte zusammengerafft, um seine barmherzige Schwiegertochter zu sich hinabzureißen und zu vergewaltigen ! — Und doch, als die Erlösung des Reiches und des Volkes erfolgt ist, tönt nicht ein Schrei des Jubels durch das Land, sondern von einem Ende bis zum anderen erhebt sich laut und einmütig die Klage einer ganzen Nation um den Verlust eines großen Zaren. Ist dies Verblendung oder Sklavenfurcht, die selbst im Verstorbenen noch eine Macht sieht?

Mit Iwan dem Schrecklichen und seinem Sohne Feodor endete das Herrscherhaus Rurik. Mit den Romanows kam kein milderes Regime zur Herrschaft. Zar Alexej Michajlowitsch wird zwar als sanfter Fürst gerühmt; aber seine Gesetze atmen doch alle den Geist der Barbarei. 1653 erklärte er die früheren Ukase, die für Räuber und Diebe die Todesstrafe anbefohlen hatten, als „Gesetze, die dem göttlichen Willen widersprechen.“ Er verwandelte daher die Todesstrafe für Verbrechen des Raubes und Diebstahls in Gliederstrafen, Verstümmelungen einzelner Körperteile und Verbannung nach Sibirien. Für den Wiederholungsfall, und handelte es sich auch um den gelindesten Diebstahl, setzte er jedoch selbst wieder die Todesstrafe fest. Und Alexejs Sohn, Peter der Große, war in Bezug auf Grausamkeit der direkte Fortsetzer Iwans des Schrecklichen. Ja, es gibt Historiker, die Peter noch härter beurteilen als den Zaren Iwan. *)

*) So sagt S. Sugenheim: ,,Peter fehlt jedes Gepräge des Menschlichen, weil ihm jede göttliche, jede höhere Grundlage fehlt. Seine Erscheinung ist die eines reißenden Tieres, einer Bestie in Menschengestalt, die über und mit Menschen in einer Art schaltet, wie ein Mensch kaum mit Tieren umgehen würde“. (Russlands Einfluß auf und Beziehungen zu Deutschland. Frankfurt am Main 1856. I 182.)

Der Schreckliche lebte in einer Zeit, wo auch in anderen Ländern das barbarische Mittelalter noch fortdauerte. Aber Peter hat europäische Sitten kennen gelernt und begeht seine ungeheuerlichen sadistischen Exzesse just in seiner Eigenschaft eines Zivilisators. Nur in der Theorie ist er liberal und Kulturmensch, in der Praxis bleibt er Despot, Tyrann, ein blutgieriger Wilder, viehisch roh bis ans Ende seines Lebens, ein Trunkenbold, Wüstling und Sadist. Mit der Ausrottung der Strjeljzen beginnt er sein Blutwerk. Zivilisierung des Reiches und Volkes ist ihm Vorwand und Anlaß zum Massakre. Die Strjeljzy unterstützen die Reaktion, sind die Säulen, die die Herrschaft der Usurpatorin, der zarischen Schwester, der Regentin Sophie aufrechthalten; sie verhindern das Eindringen der europäischen Kultur, sie bedrohen die Fremden in Peters Umgebung. Diese reaktionäre Macht muß eingeschüchtert, zerstört, unschädlich gemacht werden. Der junge Zar begnügt sich nicht mit einigen Knutenhieben und einigen Hängungen; er will gleich Iwan dem Schrecklichen im Großen arbeiten. Köpfe in Massen fallen, Blut in Strömen fließen sehen. Die Sastenki (Folterkammern) werden zu einer ständigen Einrichtung; kein anderer russischer Herrscher, auch Iwan der Schreckliche nicht, hat so viele Folterkammern gekannt. Peter beschäftigt ihrer vierzehn auf einmal. Im Dorfe Preobraschenskoje funktionieren die Folterknechte ununterbrochen Tag und Nacht, Wochen, ja Monate hindurch. Da wird nach den modernsten Methoden gequält und geschunden, zerstückelt und geröstet. Ein Verurteilter wird siebenmal auf die Folter gelegt und erhält 99 Knutenhiebe; obwohl gewöhnlich schon einige wenige Knutenhiebe einen Menschen töten können, übersteht der Delinquent doch diese Folterpein, da die Henker im Sastenok außerordentlich geschickt arbeiten, ihr Opfer wohl an den Rand des Graben bringen, aber nicht schnell verenden lassen. Der Oberstleutnant der Strjeljzy, Korpakow, sticht sich selbst ein Messer in den Hals, um weiteren Folterqualen zu entgehen. Er trifft sich aber nicht tötlich, und man verbindet ihn ein wenig und setzt dann die Folterung fort. Wie Iwan der Schreckliche liebt auch Peter das Foltern und Morden nicht einzelner, sondern ganzer Familien. Nicht allein die verhaßten, zum Untergang bestimmten Strjeljzy werden auf die Folterbänke geschnallt; auch ihre Frauen, Mütter, Töchter, Schwestern, selbst ihre entferntesten Verwandten männlichen sowohl als weiblichen Geschlechts schleppt man in die Folterkammern. Die Damen der Regentin Sofia werden alle ohne Ausnahme der Folter unterworfen; eine von ihnen entbindet im Sastenok; unter dem kunstvoll schlagenden Knut windet sie sich in Geburtsschmerzen, und der Henker ist gleichzeitig Accoucheur. Trotz aller Torturen werden keine Beweise für ein wirkliches Komplott zutage gefördert. Manchmal entreißt man dem oder jenem durch den Knut oder das Feuer die verzweifelte Zusage eines Geständnisses; aber kaum ist der Gefolterte zu Atem gekommen, so muß er gestehen, daß er nichts zu gestehen habe, und die Folter beginnt von neuem. Die Regentin Sofia selbst wird gefoltert, von ihrem eigenen Bruder, dem Zaren.

Das ist das Abschreckendste. Nicht allein die Grausamkeit der Justiz ruft unser Entsetzen hervor, sondern die Grausamkeit dieses Herrschers, des Zivilisators. Wie Iwan der Schreckliche nimmt Peter der Große aktiv teil an den Folterungen. Er wandert von einer Folterkammer in die andere, weidet sich an den Qualen, ergötzt sich an dem zerfetzten Fleisch der nackten Weiber, wühlt gierig in den blutenden Wunden, zieht selbst die Stricke der Hängenden fester an, ergreift mit Wollust den Knut, um auszuholen zu den vernichtenden Schlägen, assistiert schließlich bei den Hinrichtungen in den geheimen Verließen wie auf den öffentlichen Plätzen. Er spielt gern den Matrosen, macht den Zimmermann; also zur Abwechslung auch den Henker. Dieses Handwerk erscheint ihm der Ausübung durch den Herrscher würdig wie jedes andere. In einem Lande, wo ein Hofnarr wie Turgenjew ein Bataillon gegen den Feind führt; wo ein anderer Hofnarr, Fürst Romadanowski, während der Abwesenheit des Zaren im Ernst die zarische Gewalt ausübt, die ihm im Karneval übertragen worden war*); in einem solchen Lande, wo die seltsamsten Persönlichkeiten die seltsamsten Ämter und Würden innehaben, da darf schließlich auch der höchste Richter zugleich der erste Kopfabschneider sein. Hängen und Köpfen ist für Peter ein Vergnügen wie Bäume fällen und Masten stürzen. Er genießt dieses Vergnügen wie jedes andere maßlos. In dem Strjeljzen-Pogrom tötet er mit eigener Hand nicht weniger als 84 Menschen. Aber mit dem Morden allein ist seine grausame Wollust nicht zu befriedigen. Er will die Opfer in ihrer scheußlichen Verstümmelung noch so lange als möglich vor Augen haben. Der Kopf des Bruders der Zarin Lopuchin und vier Köpfe anderer Feinde Peters bleiben jahrelang auf dem Richtplatz ausgestellt; der Hinrichtung Gagarins, des sibirischen Gouverneurs, müssen alle Mitglieder des Senats, alle Freunde und Verwandten des Verurteilten beiwohnen, und während der Hingerichtete vor dem Senatspalaste am Galgen baumelt, müssen alle diese Gäste mit dem Zaren lustig trinken.

*) Während der Europareise Peters vertritt Romadanowski, der durch einen zarischen Faschingscherz den Titel eines Vizekaisers erhielt, faktisch den Zaren in der obersten Leitung der Regierungsgeschäfte. Er spielt seine Rolle furchtbar gut. In seinem Hause hat er, wie der Zar im Palaste: Gefängnisse, Kerkerzellen, Folterkammern und Marterwerkzeuge. Als in Moskau ein Straßenauflauf entsteht, läßt Romadanowski einfach zweihundert Menschen aus der Menge herausgreifen, auf den Roten Platz schleppen und ohne weiteren Prozeß an den Rippen auf Eisenhaken aufhängen. Peter erfährt von diesem Vorfall und macht seinem Stellvertreter heftige Vorwürfe darüber, daß er sich in der Trunkenheit zu einem solchen Mißbrauch seiner furchtbaren Gewalt hinreißen ließ. Und Romadanowski wagt darauf dem Zaren zu schreiben: ,,Der Vorwurf der Trunkenheit trifft nicht mich, sondern Jene, die Muße zum Saufen haben und ins Ausland wandern, um Iwaschka (Bacchus) zu frequentieren. Wir aber haben Besseres zu tun, als im Wein zu waten. Wir waschen uns alle Tage in Blut“.

Der Reformator und Zivilisator Russlands eilt von Wissensdurst getrieben nach Europa. Und eine der ersten Fragen, die er in Königsberg an den Kurfürsten Friedrich stellt, ist diese: wie man in Preußen die Verbrecher bestrafe. Die Antwort lautet: „Man hängt die Diebe und rädert die Mörder.“ Das Rädern kennt der Zar noch nicht, und er bittet, man möchte ihm diese Methode zeigen, ihm zuliebe jemanden gleich rädern. Es ist aber niemand in den Gefängnissen, der diese Strafe verdienen würde; da sagt Peter: „Nehmet nur einen aus meinem Gefolge.“ Es kostet Mühe, ihm diese Grille aus dem Kopf zu jagen.*) Es ist ihm damit blutiger Ernst. In solchen Dingen spaßt er nicht. Er gibt dem General Repnin den Befehl, die Einfuhr von Holz aus Polen nach Riga zu verhindern; ein schlichtes Postskriptum besagt: „wenn ein einziges Brett passirt, schneide ich dir den Kopf ab.“ Und das ist keine leere Drohung, keine bloße rhetorische Floskel, ebensowenig wie die Warnung, die an einen nachlässigen Korrespondenten ergeht: „was er nicht aufs Papier bringt, werde ich ihm auf dem Rücken anbringen.“**) Ein Juwelier, der beschuldigt ist, Steine vertauscht zu haben, wird zum Zaren gebracht, und der macht persönlich den Folterknecht, wippt den Betrüger stundenlang, gibt ihm den Knut. Abends erzählt der kaiserliche Henker in heiterster Laune den Vorfall dem Herzog von Holstein, „um darzutun, daß Arbeit nicht schände.“ Die Beamten, die Fehler begangen haben, ruft Peter in sein Arbeitszimmer und erteilt ihnen mit seiner Dubina (Prügel), seinem Stocke, den er stets bei sich hat wie Iwan der Schreckliche seinen berüchtigten spitzigen Eisenstab, eine Lehre. Diese Bestrafung im Arbeitszimmer des Zaren gilt, weil eine geheime, als besondere Gnade. Da kommt mancher Minister aus dem Kabinett des Herrschers heraus, tüchtig durchgebläut, aber Niemand ahnt es, und gleich darauf sitzt der Geprügelte an der allerhöchsten Tafel und trinkt Bruderschaft mit dem großen Kaiser. Schwerer und schändend ist die Strafe erst, wenn Peter den Stock öffentlich, im Rate oder gar auf der Straße handhabt. Will der Zar einem Günstling Auszeichnung erweisen, so gestattet er ihm statt Seiner die Herren des Hofes zu prügeln, mit dem Knut zu schlagen und sogar mit dem Beil Köpfe abzuhauen.

*) Baron Charles Louis Pöllnitz, Mémoires. Berlin 1791. I 179.

**) K. Waliszewski, Pierre le Grand, 195.

Gefährlich sind des Herrschers Launen für seine geliebtesten Freunde. Er gestattet seinen Tischgenossen die vollkommenste Redefreiheit, aber ein Gardekapitän, der in der Trunkenheit von der kaiserlichen Erlaubnis Gebrauch macht, wird von Peter auf der Stelle halbtot geknutet. Fürst Mentschikow wird von dem Herrn auf offener Straße so furchtbar mit dem Stab bearbeitet, daß man ihn zu Bette bringen muß.*) Der Zar scheut sich nicht, eigenhändig auch FRauen zu prügeln. Er inquiriert die Generalin Balk, die Schwester des William Mons, über das Liebesverhältnis ihres Bruders mit der Zarin. Die Balk leugnet, etwas zu wissen. Peter knutet sie, bis sie gesteht; und als sie die Wahrheit gestanden hat, erhält sie als Strafe für ihr anfängliches Leugnen weitere dreizehn Knutenhiebe. **)

Der große Zar ist frei von aller Großmut gegen besiegte Feinde. Nach der Eroberung von Narva ohrfeigt er den Kommandanten Hom, weil dieser ihm solange tapfer widerstanden hat, und da die Frau des Kommandanten während des Sturmes auf die Festung getötet wurde, befiehlt der Zar, ihre Leiche ins Wasser zu werfen.***) 1705 besucht Peter das Kloster der Basilianer im eroberten Polozk und betrachtet die dort aufgestellte Statue des heiligen Josaphat. Wer hat den Heiligen getötet? fragt er. Die Schismatiker, erhält er zur Antwort. Darauf zieht er ohne weiteres den Degen und sticht den Pater Kosikowski, der die Antwort erteilt hat, nieder. Die Offiziere der zarischen Suite fallen über die übrigen Mönche her, ermorden drei, verwunden zwei tötlich. Das Kloster wird geplündert, die Kirche geschändet.

*) Russische Anecdoten oder Briefe eines teutschen Officiers an einen Liefländischen Edelmann. Wansbeck 1765. S. 111.

**) Büsching XI 491. — Halem, Leben Peters des Großen, 1803. III, S. 201.

***) Derselbe Zar umarmt 1714 nach der Schlacht von Twaermynde den Kapitän Ehrensköld und sagt ihm: ,,Ich bin stolz, mich mit einem solchen Gegner geschlagen zu haben“. Aber solche edle Haltung ist die exzeptionelle.

Ein über diesen Vorfall von den Mönchen nach Rom geschickter Bericht erzählt unglaubliche Details: Der Zar hetzt einen englischen Hund auf einen der Mönche, um ihn erwürgen zu lassen. Einige Frauen, die das Unglück haben, Zeuginnen der Szene zu sein, beginnen zu weinen; ihr Mitleid mit dem Ermordeten ist Verbrechen, und zur Strafe schneidet man ihnen die Brüste ab. Makarow, der Sekretär des Zaren, vermerkt in seinem Tagebuch unter dem Datum des 30. Juni entschuldigend: „Die Kirche der Unirten zu Polozk besucht und fünf Unirte getötet, weil sie unsere Generale Häretiker genannt. Der Zar von einer nächtlichen Orgie kommend war betrunken.“ —

Der Zar ist krank. Der Kriminalrichter kommt und fragt, ob man nicht einigen zum Tode Verurteilten das Leben schenken solle, damit sie zu Gott für das Leben des Kaisers beten. „Meinst du,“ fragt Peter, „daß Gott das Gebet der Missetäter erhören werde? Ich lasse die Gerechtigkeit walten, Gott waltet über mich.“*) Aber wenn er auch die Gerechtigkeit walten läßt, ist er doch sentimental genug, um seine Freunde oder Freundinnen, die er dem Henker überliefert, in der letzten schwersten Stunde persönlich zu trösten. Er tritt eines Abends in die Zelle von William Mons, den er im Bette der Zarin Katharina erwischt und deshalb zum Tode verurteilt hat, und drückt ihm sein Bedauern aus, daß er genötigt sei, ihm am nächsten Morgen den Kopf abschlagen zu lassen. Er verurteilt seine Geliebte Hamilton, die ihr neugeborenes Kind umgebracht hat, zur Enthauptung, aber zu ihrem Troste erscheint er persönlich bei der Exekution; er küßt die Verurteilte auf dem Schaffot vor aller Welt auf die Stirn, klagt ihr mit Tränen in den Augen: ,,Ich kann dich nicht retten!“ und wendet sich dann ab, um nicht den Todesstreich sehen zu müssen.**) Trotz aller Sentimentalität peitscht er seine Gemahlin Eudoxia Lopuchin halbtot; ermordet er seinen Sohn, den Thronfolger Alexej, nicht im Zorn und unbedacht wie Iwan der Schreckliche, sondern mit Überlegung, im Dienste seiner Zivilisationsidee, für deren Verwirklichung der Sohn ein Hindernis scheint. Peters Zivilisierungsmethoden sind auch sonst seltsamer Art.

*) Stählins Anekdoten von Peter dem Großen, S. 10. — Halem, Leben Peters des Großen. III 125.

**) Histoire de Russie et de Pierre-le-Grand par M. le Général Comte de Ségur, Paris 1829, p. 410. — Halem und Stählin. — „Einige sagen sogar, daß Peter das abgeschlagene Haupt in die Hände genommen und geküßt habe“. Herrn Jonas Hanway zuverlässige Beschreibung seiner Reise, von London durch Russland und Persien. Hamburg und Leipzig 1754. I 396.

Er verbietet eines Tages die altmoskowitische Sitte, daß sich das Volk auf der Straße vor dem Zaren niederwerfe; ein Mütterchen, das den strengen Befehl nicht kennt, sinkt bei Peters Erscheinen ehrfurchtsvoll in den Staub — der Zar läßt sie aufheben und knuten! Bei einem Aufenthalt in Moskau bemerkt der Zar zu seiner Überraschung, daß der Hofmann J. D. Naumow einen Bart trägt; dieser Fortschrittsfeind erhält sofort die Batogy, ungezählte Stockstreiche auf die Fußsohlen.

Die Zarinnen sind nicht milderen Sinnes als die Zaren; nur sind die Frauen hinterlistiger, verüben die Grausamkeiten heimlicher, zeigen sich dagegen in der Öffentlichkeit als sanftmütig, lassen sich gern als gütig rühmen. Von der Zarin Anna Iwanowna sagt Lady Rondeau: ,,Sie war ein Modell der Humanität und manifestirte Widerwillen gegen jede Art Grausamkeit.“ Und diese Kaiserin läßt vor den Fenstern ihres Speisezimmers ihren Koch aufhängen, weil er die Bliny, ihre Lieblingsspeise, mit ranziger Butter gebacken hat! Während eines Festmahls an ihrer Tafel reicht Anna dem Oberstallmeister Kurakin, ehemaligem Gesandten in Paris, ihr Glas hin, damit er ihren französischen Wein koste; er wischt den Rand des Glases, ehe er es zum Munde führt, mechanisch mit der Serviette ab. „Elender, du scheinst dich vor mir zu ekeln!“ schreit die Zarin wütend, und überliefert Kurakin dem Polizeichef Uschakow. Der Metropolit Wanatowitsch von Kijew schmachtet während der ganzen Regierung Annas im Gefängnis, weil er bei einem Tedeum im Herleiern des Titels der Zarin einen Sprachfehler beging.

Anna läßt sich gern vorsingen; die Sängerinnen dürfen mit dem Gesang nicht aufhören, bevor die Zarin dies befiehlt; hält eine vor Erschöpfung inne, so riskirt sie Ohrfeigen von der kaiserlichen Hand und außerdem Zwangsarbeit im Waschhaus. 1736 diktirt Anna einem Kabinettskurier die Knute, weil er auf einer sibirischen Poststation von der bevorstehenden Hochzeit der Prinzessin Anna Leopoldowna, der präsumtiven Thronfolgerin, gesprochen hat; der Kurier hielt es gewiß für kein Verbrechen, da man in Petersburg von dieser Hochzeit ganz offen sprechen durfte.

Die Diener standen ihrer Herrin nicht nach. Annas Polizeichef Uschakow läßt im Gefängnis in der Pause zwischen zwei Folterungen den Richtern und Inquisitoren Erfrischungen servieren und sagt: „Ihr habt gearbeitet, restauriert euch!“ Die Sittenverwilderung der höchsten und allerhöchsten Gesellschaftskreise zeigt die Mißhandlung, die der Dichter Tredjakowskij erdulden mußte: Es wird ihm befohlen, zur Feier des berühmten Narrenfestes im Eispalaste im Jahre 1740 ein Festgedicht auf die Illumination zu fabrizieren. Der Überbringer des Befehls schnauzt den Dichter an und der Beleidigte begibt sich zum Kabinettsminister Wolünskij, um Beschwerde zu erheben; statt der Genugtuung erhält er Ohrfeigen! Er schweigt, macht seine Verse, bringt diese aber nicht dem Wolünskij, sondern Biron, dem Günstling der Zarin, einem Todfeinde des Kabinettsministers. Unglücklicherweise trifft Tredjakowskij im Vorzimmer Birons den Minister; der errät des Dichters Absicht, läßt dem Poeten auf der Stelle die Kleider vom Leibe reißen und zählt ihm siebzig Stockschläge auf den Rücken hin. Dann schleppt er ihn zur Maskerade mit, zwingt ihn, sein Gedicht auswendig zu deklamieren, und belohnt ihn schließlich mit einer neuen Tracht Prügel. Dem wilden Wolünskij selbst ergeht es allerdings noch viel schlimmer. Biron fleht seine Geliebte, die Zarin, auf den Knieen an, seinen Todfeind Wolünskij hinrichten lassen zu dürfen. Anna kann dem Liebhaber eine solche Gnade nicht versagen. Man schleppt Wolünskij aus seinem Palast ins Gefängnis, reißt ihm in der Folter die Zunge und den rechten Arm heraus und zerrt den Halbtoten am 27. Juni 1740 aufs Schaffot, um ihn zu pfählen. In diesem Augenblick erst entdeckt Anna ihr mitleidiges Herz: sie befiehlt, dem Verurteilten bloß zuerst den linken Arm wegzuschneiden und dann den Kopf abzutrennen. — Die Diplomaten La Chetardie und Mardefeld haben ausgerechnet, daß Anna während ihrer zehnjährigen Regierung 7.002 Todesurteile unterfertigt und 30.000 Personen nach Sibirien verbannt hat. Das ist das Modell der Humanität!

Elisabeth, Peters I. Tochter, führt in der russischen Geschichte den Beinamen: die Gütige. Sie hat zwar sechzigtausend Menschen in zwanzig Jahren nach Sibirien verschickt; aber sie war doch weichherzig, denn als sie eines Tages durch Zufall Zeugin einer Hinrichtung wurde, fiel sie in Ohnmacht. Die furchtbaren Sitten der Epoche Annas betrachteten die guten Russen als eine Folge der deutschen Wirtschaft, die die Zarin, ehemalige Herzogin von Kurland, nach der Newa verpflanzt hatte. Das streng nationale Regime Elisabeths, der Tochter Peters des Großen, begann daher mit der Ausrottung der deutschen Machthaber, der Biron, Münnich, Ostermann. In der bangen Nacht der Thronumwälzung, da Elisabeth ängstlich auf das Resultat ihrer Verschwörung harrte, schwor sie sich zu, während ihrer Herrschaft kein Blut zu vergießen. Aber gleich nach ihrer Thronbesteigung verurteilte sie doch die Machthaber des gestürzten deutschen Regimes: Münnich, Ostermann, Golowkin, Löwenwolde und Mengden, zum Tode durch Vierteilung, Räderung oder einfache Enthauptung. Sie ersetzte allerdings die Todesstrafe durch Verbannung, aber sie tat dies erst im letzten Augenblick, als der Henker schon seine Opfer an ihren Haaren zu Boden zerrte, um ihnen den Todesstreich zu geben. *)

*) Ausgang; des Ioanschen Zweiges der Romanow und seiner Freunde. Dargestellt durch F. W. Barthold. Historisches Taschenbuch VIII, S. 111.

Die junge Zarin, die den Verurteilten die Todesstrafe erließ, wollte ihnen nicht auch die Schrecken vor dem Tode ersparen.

Den Charakter Elisabeths schildert ein Zeitgenosse ebenso possierlich als treffend *): „Elisabeth war sanft und hart. Holde Sanftmut und schrecklicher Tygersinn wohnten neben einander in ihrem Busen.“ Die Manifestationen ihrer kaiserlichen Barmherzigkeit, ihre zur Schau getragene religiöse Frömmigkeit kontrastieren allzustark mit ihren Handlungen, mit ihrer Rachsucht, ihrer persönlichen Grausamkeit, ihrer grausamen Verwaltung, ihrer Sittenlosigkeit. Sie schont weder Menschen noch Tiere. In 48 Stunden rast sie von Petersburg nach Moskau und besät die Straße mit krepierten Pferden. Die sanfte Kaiserin flucht gemein wie ein Kosak. Katharina II. erzählt in ihren Memoiren, wie Elisabeth 1750 auf einer Jagd ihren Intendanten mit den ordinärsten Schimpfworten regalierte, weil nicht genug Hasen da waren. Aber im Verkehr mit ihren Kammerfrauen genügen der Kaiserin bloße Schimpfworte nicht mehr; sie ohrfeigt nach rechts und links; greift auch zur Peitsche und zum Stock und ist erst beruhigt, wenn sie Blut fließen sieht. Diese Frau ist entsetzt bei der Kunde vom Erdbeben in Lissabon und beschließt, auf Kosten ihrer Privatkasse ein Quartier der zerstörten Stadt aufbauen zu lassen. Sie verträgt es nicht, wenn man einen verwundeten Soldaten vor ihr erscheinen läßt. Im siebenjährigen Krieg muß man, um ihr gutes Herz nicht zu betrüben, die Zahl der Gefallenen vor ihr verheimlichen. Als über den Dichter Lomonossow, wegen Beleidigung der Orthodoxie durch das Gedicht „Der bepißte Popenbart“, die Knutenstrafe verhängt wird, verwendet sich Elisabeth persönlich dafür, daß ihm die Strafe erlassen werde „in Anbetracht seiner gelehrten Verdienste und seiner vorzüglichen Geistesgaben“, und Lomonossow kommt mit einer Gehaltsstrafe davon. Dieser Großtat rühmt sich Elisabeth Zeit ihres Lebens, immerfort will sie dafür Bewunderung und Dank einheimsen.

*) Biographie Peters des Dritten, Kaisers aller Russen, von Herrn von Saldern. Petersburg 1800.

Sie selbst kennt keine Dankbarkeit. Dem Chirurgen L’Estocq verdankt sie den Thron; aber auf eine bloße Anschuldigung hin läßt sie den Mann auf die Folter spannen und ihm die Glieder zerbrechen; er erträgt die Qualen mit ebensoviel Geduld als Stolz; erst als man ihm sagt, die Kaiserin begnadige ihn, knirscht er mit den Zähnen und schreit: „Ich habe nichts mit dieser Kaiserin zu thun, die mich dem Henker ausgeliefert hat. Ich brauche ihre Gnade nicht.“

Einmal legt man der Zarin einen Gesetzentwurf vor. Die darin angeordneten Strafen erscheinen ihr zu streng, barbarisch. Sie verweigert ihre Unterschrift und sagt: „Das ist mit Blut geschrieben.“ Und gleich darauf erteilt sie den Befehl, Mademoiselle Tardier ins Gefängnis zu werfen und unbarmherzig zu behandeln. Welches Verbrechen mag die Unglückliche begangen haben? Sie hat, die Wahnsinnige, vor der Zarin einige Nouveautés verheimlicht, die für andere Klientinnen angekommen sind. Elisabeth wacht streng darüber, daß sie alle Neuheiten zuerst zu sehen bekomme; nur was ihr nicht gefällt, darf anderen Frauen angeboten werden, dagegen müssen Modelle von Kleidern und Coiffüren, die sie adoptiert hat, für sie allein reserviert bleiben. Anna Wassiljewna Ssaltykow, deren Vater der Zarin mit zum Throne verholfen hat, wird brutal vom Hofe verjagt, weil sie einmal in einer Coiffure à la coque, wie die Kaiserin, erscheint.

Am schlimmsten ergeht es aus ähnlichem Anlaß der Hofdame Natalia Balk, Gemahlin des Generals Lopuchin. Sie ist die schönste Frau am Hofe und verletzt schon dadurch die Eitelkeit der Herrin. Bei einem Hofball erscheint die Kaiserin mit einer Rose in den Haaren; die Lopuchin hat den unglückseligen Einfall, dies nachzumachen. Wütend eilt die Kaiserin auf die Verbrecherin zu, läßt sie im vollen Saale niederknien, nimmt eine Schere und schneidet die Rose samt dem Haarbüschel herunter; dann verabreicht sie der Knieenden ein paar schallende Ohrfeigen und kehrt zum Tanze zurück. Als man ihr berichtet, daß die Lopuchin infolge der erlittenen Beschimpfung in Ohnmacht gefallen sei, zuckt sie die Achseln und sagt: „Sie hat, die Thörin, was sie verdient!“ Von diesem Augenblick an ist Natalia Lopuchin für den Henker gezeichnet; eine Denunziation genügt, um sie ihm auszuliefern: Die schöne Frau unterhielt einst ein Liebesverhältnis mit dem nach Solikamsk verbannten Löwenwolde, Hofmarschall der verjagten Regentin Anna Leopoldowna. Löwenwolde vertraut dem kurländischen Offizier Berger, der den Verbannten eskortiert, folgende Botschaft an seine geliebte Natalia an: „Die Zeit der Prüfung wird vorübergehen, das Unheil kann sich ändern.“ Berger denunziert diese Botschaft, und mehr braucht es nicht, um die Lopuchin zu verderben. Ein Komplott ist entdeckt, die Lopuchin als das Haupt der Verschwörung gegen Elisabeth dem Verderben geweiht. Alle ihre Freunde und Freundinnen werden mit hineingezogen. Der Sohn der Lopuchin, ein junger Offizier, ehemaliger Page der Regentin Anna Leopoldowna, von Elisabeth seiner Stellung enthoben, gibt in einem Restaurant in der Trunkenheit seiner Unzufriedenheit über seine Entlassung lauten Ausdruck; man läßt ihn noch mehr trinken und suggeriert ihm Anklagen gegen seine Mutter. Man verhaftet ihn auf der Stelle, knutet und foltert ihn, und er sagt, was man von ihm hören will. Die Affaire ist fertig. Wippe, Knut, Tortur tun das Übrige. Eine der Mitangeklagten, Frau Lilienfeld, wird bloß deshalb verurteilt, weil sie in einer Gesellschaft wiedererzählt hat, was die Lopuchin über die Zarin gesagt haben soll. „Foltert sie!“ befiehlt Elisabeth. Der Polizeichef Uschakow und seine Henkerkollegen wagen der Zarin vorzustellen, daß die Lilienfeld hochschwanger und nicht imstande sei, die Tortur zu überstehen. Worauf die sanfte Elisabeth entgegnet: „Sie hat meine Gesundheit nicht geschont, ich habe auch ihre nicht zu schonen.“ Der Diplomat Mardefeld berichtet, daß die Offiziere, die bei den Gefangenen die Wache hielten, nicht die Kraft hatten, die Greuel der Torturen mit anzusehen. Elisabeth aber, die echte Tochter Peters des Großen, ist bei den Folterungen oft anwesend und weidet sich an den Qualen ihrer Rivalinnen auf dem Gebiete der Mode und im Reiche der Schönheit. Dies tut die Heuchlerin indessen nur heimlich, inkognito. Sobald zur Ausführung kommen soll, was sie gewünscht hat, unternimmt sie schleunigst einen Ausflug nach Zarskaja Müsa; bei der öffentlichen Exekution will sie nicht dabei sein. Die Zartfühlende hat den Henkern genügende Instruktionen hinterlassen. Ihr würdiges Spezial-Tribunal verurteilt zu Räderung, Vierteilung, Enthauptung; findet eine ganze Gesellschaft des schwersten Hochverrats schuldig. Die Zarin ist just von einem Balle heimgekehrt, als man ihr die unzählbaren Todesurteile zur Unterschrift vorlegt. Sie ist noch wollüstig erregt vom Tanzen, in einer seligen Stimmung, jetzt will sie vom Töten nichts wissen. Also denkt sie barmherziger, übt Gnade. Einige geknutete Rücken, einige zerfleischte Brüste, einige abgerissene Zungen werden ihrem Gerechtigkeitssinn und ihrer Rachelust genügen.

Und so geschieht es. Am 31. August 1743 wird das Schauspiel feierlich inszeniert. Charakteristischerweise bezeichnen die offiziellen Dokumente der Zeit das Schaffot als Theater. Auf diesem Theater erscheinen nacheinander die Anwärter auf Knut und Brandmarkung: der Gardeoffizier Moskow, Fürst Putjätin, Staatsrat Sibin, Gräfin Anna Bestuschew, endlich Natalia Lopuchin, ihr Gemahl und ihr Sohn. Den letzten vier Personen soll auf Elisabeths ausdrücklichen Befehl auch die Zunge ausgerissen werden. Gräfin Bestuschew, geborene Golowkin, die in erster Ehe Gemahlin Jaguschinskijs, des Günstlings Peters des Großen gewesen ist, kennt die Sitten des Landes, weiß auch das Herz des Henkers auf richtige Weise zu rühren. Im Augenblick, da der Henker sie ergreift, läßt sie in seine Hand einen kostbaren Diamanten gleiten, und der Brutale verwandelt sich in einen geschmeidigen geschickten Menschen, der die Knutenhiebe bloß markiert und mit dem Messer die Zunge nur leicht streift, verletzt, aber nicht zerstört. Ehe der Betrug entdeckt wird, schleppt man die Gräfin Bestuschew auch schon fort, transportiert sie in die Verbannung nach Jakutsk, wo sie zwanzig Jahre später vor Hunger und Kälte umkommt. Ihr Gatte, Bruder des Vizekanzlers, tat nicht das Geringste zu ihrer Rettung oder Befreiung, sondern tröstete sich in den Armen der schönen Frau Haugwitz; auch ihre Tochter, die am Hofe eine glänzende Rolle fortspielte, kümmerte sich nicht um sie. Nicht so klug wie die Bestuschew ging die Lopuchin mit dem Henker um, und so wird auch ihr Los ein schlimmeres. Unter dem Jubel der zuschauenden Menge reißt ihr der Henker die Kleider vom Leibe, bis die schönste Frau der Hauptstadt vor dem Pöbel in voller Nacktheit dasteht. Sie wehrt sich, sie verteidigt jedes Kleidungsstück mit wilder Wut, sie beißt und kratzt den Henker; umsonst, er ist bald Herr der schwachen Frau, er packt sie am Halse, würgt sie, und da sie verzweifelt nach Luft schnappt, reißt er ihr mit einem einzigen Ruck die Zunge heraus, imd lachend hebt er das blutende Stück hoch empor und bietet CS der Menge zum Kaufe an: „Ein Rubel für die Zunge der Lopuchin! Wer gibt einen Rubel für die Zunge der schönen Lopuchin?“ Er erlaubt sich damit nichts ungebührliches; er übt nur sein gesetzmäßiges Recht aus, er ist der Selbstherrscher auf dem Schaffot; die abgerissenen Zungen, die abgehackten Glieder seiner Opfer sind sein Eigentum, über das er verfügen darf nach Gutdünken, und wenn er bei seinem blutigen Geschäft auch Humor entwickelt, so ist ihm das liebe Publikum nur dankbar dafür. Nachdem der gute Mann die Zunge angebracht hat, wendet er sich wieder der Arbeit zu. Die ohnmächtige Patientin erweckt er mit einem feinen Knutenschlag wieder zum Leben, dann vollführt er kunstgerecht die ihm gewordene Aufgabe; nicht ein einziger Schlag geht fehl und keiner ist so stark, daß er der Geprügelten gleich das Leben kosten müßte. General Lopuchin wird vom Platze als halbtot hinweggetragen, die Generalin aber übersteht die Marterung und wird nach Seleginsk in Sibirien transportiert. *) Von hier bettelt sie ununterbrochen um Gnade; nach zehn Jahren des furchtbarsten Exils tritt sie, die Protestantin, zur Orthodoxie über, um auf diese Weise das Herz der frommen Elisabeth zu erweichen; umsonst — einer Kreatur, die einmal schöner gewesen ist als die Souveränin, kann dieses Verbrechen nie vergeben werden.

*) Waliszewski, La dernière des Romanov. 42 und 317. — Russische Günstlinge (von Helbig), Tübingen 1809, S. 230. — Sugenheim, Russlands Beziehungen zu Deutschland, I 250.

Erst Peter III., der in seiner kurzen Regierungszeit einige Befehle gab, welche die Aufhebung der Tortur bezweckten und die geheimen Verhaftungen perhorrcszierten, befreite die Lopuchin gleich allen anderen Opfern des barbarischen Elisabethischen Zeitalters aus ihrem Kerker im ewigen Eise.

Unter Katharina II. herrschte in der Justiz sicherlich eine sanftere Auffassung, obwohl es nicht an Widersprüchen fehlte. Die Kaiserin sorgte für ein beschleunigtes Verfahren, um die Qualen der Gefangenen abzukürzen. Im Jahre 1769 erschien ein Moskauer Kaufmann, namens Popow, der durch die Langsamkeit des Gerichtsverfahrens ruiniert worden war, vor Gericht und schrie wild: „Es gibt im Russland Katharinas II. keine Justiz!“ Die Kaiserin befahl, aus dem Protokoll diese Worte zu entfernen, aber gleichzeitig ordnete sie an, den Prozeß Popows schnellstens zu beendigen, „damit man sehe, daß es in Russland eine Justiz gibt.“ Katharina II. rühmte sich, daß sie niemals ein Todesurteil unterschrieben; indessen ließ sie Mirowitsch hinrichten, der beschuldigt war, zu gunsten des entthronten und gefangenen Ioan Antonowitsch, des letzten Romanow, eine Verschwörung angezettelt zu haben. Und für Pugatschew, den falschen Peter III., verlangte sie eine komplizierte Todesstrafe nach altrussischem Muster; es sollten dem Thronanmaßer bei lebendigem Leibe zunächst die rechte Hand und der linke Fuß, dann die linke Hand und der rechte Fuß und hierauf das Haupt abgeschlagen werden; durch ein unliebsames Versehen des Henkers wurde zuerst der Kopf abgeschlagen, und der ganze Spaß war verdorben. Aber im allgemeinen war die Todesstrafe nicht mehr in Gebrauch, sondern ersetzt durch Verbannung und sogar bloß durch die Peitsche; Knut und Tortur, um Geständnisse zu erzwingen, wurden seltener angewendet. Große Toleranz bewies Katharina II. in sogenannten sentimentalen Affären. Unter der Zarin Anna Iwanowna wurde die Bäuerin Euphrosyne wegen Ermordung ihres Gatten am 21. August 1730 lebendig eingegraben und nicht begnadigt, trotzdem sie wie durch ein Wunder bis zum 22. September leben blieb. Katharina II. war in ähnlichen Fällen milder gesinnt: Eine Bauernmagd, Tochter reicher Eltern, liebt einen armen Burschen, liegt mit ihm im Bett. Da kommt plötzlich der Vater des Mädchens nach Hause. Die Erschrockene verbirgt den Geliebten unter der Bettmatratze. Das Bett ist der Sitte entsprechend gemeinsames Lager der Familie. Das Gewicht von Vater, Mutter und Tochter erstickt den Versteckten. Am Morgen gehen die Eltern aufs Feld, und die Tochter findet unter der Matratze eine Leiche. Im Moment dieser schrecklichen Entdeckung tritt ein Nachbar ein. Das Mädchen beichtet ihm die Entstehung des Unheils. Er trägt die Leiche fort und wirft sie in den Fluß. Als Lohn seiner Verschwiegenheit verlangt er das Mädchen zur heimlichen Maitresse. Sie gewährt ihm. Sie bekommt ein Kind. Der Mitwisser ertränkt das Kind, um ihr Verhältnis nicht offenkundig werden zu lassen. Sie muß es dulden und schweigen. Dann kommt der Schreckliche und verlangt Geld und immer wieder Geld. Sie bestiehlt ihren Vater. Einmal in der Trunkenheit wandelt ihren Tyrannen die Lust an, in der Schenke vor seinen Freunden seinen bisher verheimlichten Besitz zu zeigen. Er zerrt sie mit sich fort und prunkt mit seiner Eroberung. Da reißt sie sich los, stürmt hinaus, zündet die Schenke an und sieht jauchzend zu, wie in den Flammen ihr Verfolger und seine Freunde, vor denen ihre Schande enthüllt ward, hilflos zugrunde gehen. Die Brandstifterin wird ausgeforscht und verhaftet. Sie gesteht alles ohne Zögern und wird wegen Mord, Diebstahl, Kindermord und Brandstiftung zum Tode verurteilt. Aber Katharina begnadigt sie, absolviert sie und legt ihr bloß eine Kirchenbuße auf. — Von dieser kaiserlichen Barmherzigkeit und weiblichen Sentimentalität ist keine Spur mehr zu entdecken, wenn die Person Ihrer Majestät selbst irgendwie mit im Spiele ist. Während eines Séjours in Peterhof erwacht die Kaiserin nachts infolge eines Skandals. Ein Lakai, der bei einem Kammermädchen schlief, hat es verursacht. Die Zarin verurteilt den Verbrecher zu hundert Knutenhieben, was der Todesstrafe gleichkommt; überlebt er dieses Hundert, so soll man ihm die Nase abschneiden, die Stirn mit glühendem Eisen brandmarken und ihn schließlich nach Sibirien verschicken. Die Hofdame Gräfin Bruce wird mit dem Liebhaber der Kaiserin, Korsakow, im Bette ertappt. Katharina zwingt das Paar im Bette zu bleiben, ruft die Dienerschaft und läßt dem ungetreuen Liebhaber und der respektlosen Hofdame auf der Stelle eine tüchtige Tracht Prügel auf den Hintern applizieren. Die Frau, die soviel liebt, duldet an ihrem Hofe keine Abenteuer außer ihren eigenen. Am liebsten teilt sie die Schläge selbst aus. Täglich findet sie Veranlassung zu solchen Züchtigungen. Aber es wird behauptet, daß auch die Kaiserin manchmal einen Peitschenhieb von ihrem Günstling Patjomkin auszuhalten hat.

Der wahnsinnige Paul verurteilte für die harmlosesten Versehen und seltsamsten Vergehen zu den schwersten Strafen. Der Mißtrauische sah in allen Verschwörer. „Die Gilets haben die französische Revolution verursacht,“ sagte er und proskribierte dieses Kleidungsstück. Knapp nach seiner Thronbesteigung befahl er, den Bau der Isaakskathedrale, den man unter Katharina II. in Marmor begonnen hatte, in Ziegelsteinen zu beenden. Darauf machte ein Humorist das Distichon: „In Marmor ward er begonnen und wird jetzt in Ziegeln beendet, also spiegelt der Bau beide Regierungen wieder.“ Der Freche wurde, nachdem man ihm die Ohren und die Zunge abgeschnitten, nach Sibirien verschickt. Peter der Große verbot das Niederknien vor dem Zaren, Paul verlangte es wieder streng. Die Frau des Gastwirts Remuth fuhr spazieren, als der Kaiser daherkam. Die Ärmste bemerkte den Monarchen nicht und hielt nicht an, um auszusteigen und dem kaiserlichen Ukase gemäß auf der Stelle niederzuknien. Paul ließ sie ergreifen und im Gefängnis drei Tage hintereinander mit Ruten streichen.*)

Alexander I. und Nikolaj I. waren Freunde speziell des Peitschens. Nikolaj prügelte, wie Iwan und Peter, seine Höflinge eigenhändig mit seinem Stock. Den Dichter Puschkin ließ er wegen einer harmlosen Spötterei blutig schlagen. Namentlich Frauen ließ der Zar der Peitschenstrafe unterziehen. In seiner Armee herrschte eine Strenge ohnegleichen. Die Soldaten wurden beim geringsten Vergehen zur Strafe des Spießrutenlaufens verurteilt. Ein Fähnrich wurde verurteilt, „zweimal durch eine Schwadron Spießruten zu laufen.“ Nikolaj änderte eigenhändig das Urteil ab: „Dreimal Spießrutenlaufen durch zwei Schwadronen.“

*) Karl VI., König von Frankreich, ist in einem gleichen Falle noch viel barbarischer vorgegangen: Louis von Bourbon, berühmt durch die Schlacht von Azincourt, traf auf einem Ritt den vorbeifahrenden König. Er grüßte ehrerbietig, hielt aber nicht an und stieg nicht vom Pferde. Karl befahl dem Profossen von Paris, dem Frechen nachzueilen und ihn ins Gefängnis zu werfen. In der Nacht wurde Louis von Bourbon gefoltert imd in einen Sack, der die Aufschrift ,,Laissez passer la justice du Roy!“ trug, gebunden und so in die Seine geschleudert.