Geschichte der letzten landständischen Wahlen im Großherzogtum Hessen, im Mai und Juni 1841

Autor: Buchner, Karl Friedrich August (1800-1872) Jurist und Schriftsteller
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Politik, Wahlen, Wahlsystem, Wahlrecht, Wahlgesetz, Staatsdiener
Aus: Deutsche Monatsschrift für Literatur und öffentliches Leben. Erster Band. 1842. Januar bis Juni. Herausgegeben von Karl Biedermann (1812-1901) deutscher Politiker, Publizist und Professor für Philosophie.

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Im Mai und Juni 184 l fanden im Großherzogtum Hessen neue landständische Wahlen statt.

Nach dem Inhalte des Wahlgesetzes, den Vorgängen und der Zeitlage konnte über deren Ergebnis kein Zweifel sein.

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Was nämlich zunächst den Inhalt des Wahlgesetzes betrifft, so gehört dieses zu denjenigen deutschen Wahlgesetzen, welche, bei erklärter Begünstigung des Staatsdieners, den Nichtstaatsdienern gegenüber, doch auch den Staatsdiener in starker, fester Hand halten. Jene erklärte Begünstigung des Staatsdieners beruht darauf, dass schon ein ständiger jährlicher Gehalt von 1.000 Gulden ihn zum Abgeordneten der Städte und Bezirke wählbar macht; dieses Halten in starker, fester Hand ist das von der Staatsregierung sich ausdrücklich vorbehaltene Recht der Urlaubserteilung. Nichtstaatsdiener werden nicht als Landtagsabgeordnete zugelassen, wenn sie nicht im Besitze eines ansehnlichen Vermögens sich befinden. Die Abschätzung dieses Vermögens hängt ab teils von der direkten Besteuerung, teils von dem eigentümlichen oder nutznießlichen Besitze großherzoglich hessischer Staatspapiere. Beide Arten des Zensus möchten gelten, wenn sie nicht so ins Enorme gingen, als es wirklich der Fall ist. Denn um in der Eigenschaft eines Steuerzahlenden wählbar zu sein, muss man als Adelsabgeordneter 300 Gulden direkte Steuern für eigentümliches oder nutznießliches Vermögen jährlich entrichten, als Abgeordneter der Städte und Bezirke 100 Gulden. Das ist schon sehr Viel in einem Staate, wo das Grundeigentum bedeutend geteilt, und, wenigstens in den beiden älteren Provinzen, nicht sehr häufig der Grundbesitz zugleich mit tüchtiger Intelligenz und Unabhängigkeit der Stellung verbunden ist. Zwar setzt das Wahlgesetz auch fest, dass, wenn in einem Wahlbezirke keine 25 Wählbare, welche 100 Gulden direkte Steuern entrichten, vorhanden sein sollten, die Zahl 25 durch die zunächst höchst Besteuerten in diesem Bezirke, mit Wählbarkeit für das ganze Land, ergänzt werden solle, aber diese Bestimmung äußert im Allgemeinen nur insofern eine Wirkung, dass sie die Zahl der Wahlfähigen den Köpfen nach vermehrt. Denn in den Städten, wo vielleicht die eine oder andere Intelligenz, welche nicht gerade 100 Gulden direkt Steuern zahlt, dadurch wählbar gemacht werden könnte, unterbleibt regelmäßig die Anwendung dieser Bestimmung, weil daselbst, auch ohne dieselbe, genug Wählbare vorhanden sind, und in den Bezirken sind, nach der schon längere Zeit erfolgten, in anderer Hinsicht sehr ersprießlichen Aufhebung der Amtsadvokaten, unabhängige Intelligenzen sehr selten.

Um als Kapitalist wählbar zu sein, muss man als angesessener Adliger 60.000 Gulden in großherzoglichen Staatspapieren eigentümlich oder nutznießlich besitzen; für den Abgeordneten der Städte und Bezirke genügt der Besitz von 20.000 Gulden in solchen Papieren. Dieser ziemlich eigentümliche Grund der Wählbarkeit beruht, nach einer Ministerialbekanntmachung vom 31. März 1821, darauf, dass „die Staatsgläubiger, welche ihr Vermögen dem Staate anvertrauet haben, nicht zu jeder Zeit im Stande sind, dasselbe für Grundeigentum oder Gewerbe zu verwenden, mit, hin ohne ihre Schuld gehindert sind, die Bedingungen zur vollständigen Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte zu erfüllen.“ Zugleich hatte man der Wandelbarkeit dieses Mobiliarvermögens dadurch vorzubeugen gesucht, dass dasselbe bei einer öffentlichen Behörde hinterlegt und dabei die Verpflichtung übernommen werden musste, es nicht vor Ablauf von 6 Jahren zurückzunehmen.

Man sieht ein, wie diese verschiedenen Bedingungen der Wählbarkeit auf verschiedene Weise zusammen wirkten, die Wahl einflussreicher und geistig begabter Oppositionsmitglieder zu erschweren.

Aber es war nicht genug, dass das Wahlgesetz die Wahl der Staatsdiener sehr erleichterte, dabei doch aber auch der Staatsregierung überließ, welche gewählte Staatsdiener sie an ihre Mission gehen lassen wollte, dass dasselbe ferner den nicht sehr vermögenden Nichtstaatsdiener von der Wahl ganz ausschloss; vielmehr trat dazu noch eine Bestimmung, vielleicht nicht in dieser Absicht ursprünglich gefasst. Es ist dies die Bestimmung, dass, wer als Mitglied der einen oder der andern Kammer auf Landtagen erscheinen will, nie wegen Verbrechen oder Vergehen, die nicht bloß zur niederen Polizei gehören, vor Gericht gestanden haben darf, ohne gänzlich freigesprochen worden zu sein. Der Zweck dieser Maßregel geht nun allerdings zunächst darauf, dass Keiner, welcher wegen Diebstahls, Raubs, Mords, Fälschung u. s. w. bestraft, oder — in den beiden älteren Provinzen — deshalb von der Instanz absolviert worden ist, in die Reihen der Landtagsabgeordneten eintreten könne. Aber war es nötig, durchs Gesetz dies zu bewirken? Man erinnert sich jenes Gesetzgebers des Altertums, welcher für überflüssig hielt, eine Strafe gegen den Vatermörder auszusprechen, weil ihm ein Fall, wobei diese Strafe zur Anwendung käme, unmöglich deuchte. Jener Gesetzgeber irrte, vielleicht mit Absicht, indem er durch großartiges Vertrauen mehr auf die Sittlichkeit seines Volkes zu wirken hoffte, als durch Strafandrohung. Ich weiß nicht, ob ein solches Vertrauen nicht auch in unsern modernen Wahlgesetzen an seinem Platze gewesen wäre, ob man von den Wahlmännern nicht hätte annehmen dürfen, sie würden keine solchen Abgeordneten wählen, welche, eines von niederträchtiger Gesinnung zeugenden Verbrechens überführt oder dessen bezüchtigt, unwürdig der Ausübung so erhabenen Bürgerrechts sind. Aber es ist nur allzubekannt, welche Folge man jener Bestimmung gegeben hat, politischen Angeschuldigten gegenüber. Es ist bekannt, dass, kraft einer ähnlichen Bestimmung in der Verfassungsurkunde des Königreichs Württemberg, dort im Jahre 1831 die sogenannten „Demagogen,“ obgleich der König sie begnadigt hatte, von der Kammer ausgeschlossen wurden. Endlich ist bekannt, dass in Folge jener Bestimmung der Hofgerichtsadvokat H. K. Hofmann in Darmstadt, wegen seiner Bemühungen um Erteilung einer Verfassungsurkunde in eine, später liegen gebliebene politische Untersuchung verwickelt, deshalb im Jahre 1833 in die großh. hessische Abgeordnetenkammer nicht zugelassen wurde, und eben so gewiss ist, dass, wegen bloß erfolgter Absolution von der Instanz in Bezug auf angeschuldigte Teilnahme bei einer Wahlbestechung, der Gemeinderat E. E. Hoffmann in Darmstadt in jene Kammer nicht mehr zugelassen werden wird.

Allerdings beschäftigte sich im Jahre 1833 die damalige zweite Kammer mit dem Versuche, in das Erwägen der Kammern zu stellen, ob ihre Mitglieder wegen, der Gesinnung nach gemeiner Verbrechen bestraft oder in Untersuchung gewesen seien, und nur auf solche Verbrechen hin den Eintritt in die Kammer noch weiterhin gesetzlich zu wehren; aber es blieb beim Versuche. Ja sogar in das neue Strafgesetzbuch von 1840 hat man jene Bestimmung der Verfassungsurkunde aufgenommen, indem man sich mit der Zusicherung des Regierungskommissars begnügte, dass die Bestimmung in Erwägung genommen und darüber den Ständen besondere Gesetzesvorlage gemacht werden solle. Diese Gesetzesvorlage ist bis zum Schlusse des damaligen Landtages nicht erfolgt und wird also wahrscheinlich auf dem bevorstehenden stattfinden. In welchem Sinne sie abgefasst sei, lässt sich noch nicht sagen. Gewiss aber ist es nicht bloß vom Standpunkte einer liberalen Gesetzgebungspolitik aus wünschenswert, sondern es wäre auch im höchsten Grade billig und gerecht, wenn man die Kammern selbst in solchen Fällen zu einer Art von Jury machte.

In Vorstehendem ist erörtert, wie schon nach dem Inhalte des Wahlgesetzes das Ergebnis der neuen landständischen Wahlen im Mai und Juni 1841 vermutet werden konnte. Wie aber jenes Gesetz gehandhabt werden würde, ließ sich aus frühem Vorgängen schließen.

Während nämlich die Wahlen für den Landtag von 1832/33 ohne eigentlichen Regierungseinfluss erfolgt waren, machte dieser sich für die folgenden Landtage, nach Auflösung des Landtages von 1822/33 und desjenigen von 1834, in stets gesteigerten Graden geltend. Der Wahl von 1833 war Unterdrückung oder Verbot der im Großherzogtum Hessen (mit Zensur) erscheinenden oder hauptsächlich dort gelesenen Oppositionsblätter vorausgegangen, und als demungeachtet alle Oppositionsmitglieder des vorigen Landtages wieder gewählt wurden, mit Ausnahme eines Verstorbenen und Zweier, die sich die Wahl verbeten hatten, da machte sich das Urlaubsverweigerungsrecht in vorher noch nie dagewesener Ausdehnung geltend. Zwölf Urlaubsgesuche von Staatsdienern wurden abgeschlagen. Elf davon hatten auf dem vorigen Landtage zur Opposition, und zwar mehrere derselben zu einer sehr gemäßigten gehört, und der Zwölfte war in der Frage des Mainzer Assisenpräsidiums, als richterliche Person, gegen die Ansicht der Staatsregierung aufgetreten. Gleiche Urlaubsverweigerung erging an zwei nachträglich gewählte Staatsdiener. Diese waren bis jetzt ebensowenig Abgeordnete gewesen, als jener Richter am Assisenhofe, aber die öffentliche Meinung gesellte sie der Opposition zu.

Es ist leicht einzusehen, welches die Folgen dieser Urlaubsverweigerungen waren. Da nämlich die Natur der dabei zu Grunde liegenden Absicht unmöglich zweifelhaft sein konnte, so unterließen von da an selbst die unabhängig gesinnten und nicht eingeschüchterten Wahlmänner die Wahl von Staatsdienern und Staatspensionären, wenn sie nicht gewiss waren, dass die Staatsregierung an deren politischen Ansichten Nichts zu tadeln fände.

Bei der zweiten Landtagsauflösung (1834) bestanden schon seit Jahr und Tag keine Oppositionsblätter mehr und die Wahl liberaler Staatsdiener war aus dem angeführten Grunde nicht mehr zu erwarten. Indessen konnten dieselben immer noch auf die Wahlen einwirken, und die Wahlmänner konnten daran denken, die entstandenen Lücken aus unabhängigeren Ständen im Sinne der Opposition zu ergänzen. Gegen Beides suchten nun insbesondere die erlassenen Wahlrescripte zu wirken. Auch wenn die Handlung an sich nach den bestehenden Gesetzen nicht als strafbar erschiene, sollten, bei versuchtem Einfluss auf die Wahlen, die betreffenden Staats- oder öffentlichen Diener jeder Gattung unmittelbar dem Ministerium angezeigt werden. Was die Wähler selbst betreffe, so seien dieselben „vor der Vornahme der Wahlen“ „auf die ernstlichste und eindringlichste Weise an die Wichtigkeit ihres Berufs und an die Verantwortlichkeit, welche sie durch ihre Stimmgebung übernehmen, zu erinnern u. s. w.“ Diesen offiziellen Maßregeln gesellten sich analoge Bemühungen der Presse, und zumeist der in Darmstadt erscheinenden „Hessischen Zeitung“ zu, welche in einzelnen Aufsätzen die Majorität der aufgelösten Kammer stark angriff und, bald durch freundschaftliche Vorstellungen, bald durch Drohungen, auf die Wahlmänner zu wirken und der Staatsregierung wohlgefällige Wahlen zu Stande zu bringen suchte.

Während auf diese Weise die Presse für die eine Seite tätig war, war es schwer oder unmöglich, entgegengesetzte Ansichten durch dasselbe Mittel ins Publikum zu bringen, und sogar das Sitzungsprotokoll der aufgelösten Kammer, welches die Opposition vorteilhaft für sich glaubte, erfuhr Verzögerungen in der Ausgabe. Umsichtige Sorgfalt in Bestimmung der Wahlorte (z. B., dass diesmal die Wahl für den Wahlbezirk Butzbach nicht in Butzbach selbst vorgenommen wurde, sondern im Dorfe Langgöns, welches näher bei Gießen liegt); große Strenge in der Beaufsichtigung der Korrespondenz und der Bemühungen um die Wahlen überhaupt, wenn sie den Absichten der Regierung entgegen zu wirken drohten; möglichste Beeilung der Abgeordnetenwahlen, so, dass dieselben teilweise an den nämlichen Tagen statt fanden; — dies waren die hauptsächlichsten Mittel, deren sich die Regierung für ihre Zwecke bediente. Der letztgenannte Umstand besonders war ungünstig für die wenigen noch übrig gebliebenen Oppositionskandidaten, welche sonst, beim Unterliegen an dem einen Orte, bei zeitiger Benachrichtigung, noch an andern Orten um ihre Erwählung sich hätten bemühen können.

Herr E. E. Hoffmann erklärte in der Allgemeinen Zeitung und wollte beweisen, „dass Angestellte aus fast allen Fächern die Wahlfreiheit auf vielfache Weise beengt und gegen den Art. 16. des Wahlgesetzes gehandelt haben, und dass bis heute (den Tag jener Erklärung) gegen diese Personen keine Untersuchung eingeleitet wurde.“ Die Antwort, die ihm ein Herr Freimuth Wahrmann pseudonym darauf gab, bestand bloß in der mattherzigen, halb eingestehenden Aufforderung: „Er möge alle Wahlumtriebe ohne Unterschied ans Tageslicht bringen.“

Möge man nun den in Vorstehendem angedeuteten Ansichten beitreten, oder der Behauptung Derjenigen beipflichten, welche die Verwandlung der bisherigen Majorität der zweiten Kammer in eine sehr kleine Minorität in der Unzufriedenheit des Volkes mit den beiden aufgelösten Kammern begründet sahen, immer bleibt diese Verwandlung gewiss. Von den 30 Mitgliedern der zweiten Kammer gehörten nun nur noch etwa 10 der Opposition an, die manchmal bis 14, 15 stieg, aber auch nicht selten bis 5, 6 sank.

Es bedarf nicht des Zusatzes, dass dieser Landtag von der Staatsregierung nicht aufgelöst wurde. Vielmehr blieb er sechs Jahre (1835 bis 1841) in seiner normalen Wirksamkeit.

Die Mehrzahl der Menschen liebt aus Bequemlichkeit das Hergebrachte, und da, nach dem Sprichworte, Wahl Qual macht, so greift man im Falle der Wahl gern wieder nach dem, was schon da war. So auch in politischen Dingen, und zwar ganz besonders in friedlichen oder zum Frieden gezwungenen Zeiten. Eine Folge hiervon ist, dass bei einer neuen landständischen Wahl die bisherigen Gewählten immer viele Chancen des Wiedergewähltwerdens für sich haben, zumal, wenn den Wählern das Material oder die Intelligenz abgeht, zu prüfen, ob eine solche Wiedererwählung in ihrem und des Volkes wohlverstandenem Interesse sei.

Diese Betrachtung führt uns zur Zeitlage, als Prognostikon des Ergebnisses der neuen landständischen Wahlen.

Diese Zeitlage, im weitern Umfang genommen, datiert seit der Einnahme Warschaus und hat als relativ neuesten Punkt den Sieg des Torysmus in Großbritannien. Enger aber gefasst und zumal in diejenigen Grenzen gebracht, welche die Überschrift dieses Aufsatzes umgreift, möchte sie durch das bereits Gesagte schon hinreichend charakterisiert sei. Zusätzlich dazu werde nur bemerkt, dass durch die seit den letzten Wahlen in der Provinz Rheinhessen neu eingeführten Administrativbeamteten (die Kreisräte) die Staatsregierung weit kräftigere Hebel der Einwirkung auf die Wahlen erworben hatte. Nützlich war auch diesen Absichten der Rücktritt mehrerer Oppositionsmänner, welche bis dahin durch Steuerzahlung oder durch hinterlegte großherzogliche Staatspapiere wahlfähig gewesen waren, aber nun ihre Staatspapiere zurückzogen oder, selbst mit Opfern, durch wirkliche oder scheinbare Veräußerung der steuerbaren Objekte bewirkt hatten, dass sie nicht mehr mit der erforderlichen Steuer im Verzeichnisse der Steuerpflichtigen aufgeführt wurden.

In Bezug auf diesen letztern Umstand gehört hierher nur die Frage: Ob Einwohner Rheinhessens wohl taten, dieser Auswanderung aus der großherzoglich hessischen Abgeordnetenkammer sich beizugesellen und folgeweise von neuer Wahl sich auszuschließen? Denn bei ihnen galt und gilt es noch, Werthvolles zu bewahren, und während Andere allerdings sagen können, — in einer Zeit, da jeder praktisch nur an das Nächste denkt, — dass die politische Witterung gar nicht darnach sei, Senklinge einzulegen und Blüten zu wecken, hätten und haben Diese doch das Interesse, die errungene und durch viele Jahre mit vieler Liebe gepflegte Frucht sich nicht entziehen zu lassen. Man verteidigt mit größerer Hoffnung des Erfolgs Das, was man hat, als man Das erwirbt, was man noch nicht hat.

Solcher Erwägungen scheinen jedoch wenige dort gepflogen worden zu sein. Vielmehr hörte man im Allgemeinen, dass mehrere rheinhessische Abgeordnete, Mitglieder der Opposition, ihren Wunsch, nicht wieder gewählt zu werden, zu erkennen gegeben hatten. Indessen war dieser Wunsch, so lange sie sich nicht wahlunfähig gemacht hatten, immer nur ein bedingter, da den Abgeordneten im Großherzogtume Hessen nicht, wie den württembergischen und badischen, das Recht der Verzichtleistung zusteht, sondern, nach erfolgter Wahl, nur die Kammern bei gewichtigen Verhinderungsfällen Entlassung zu erteilen haben.

So, d. h. ziemlich lass von Seiten der oppositionell Gesinnten, weil sie doch an einem für ihre Absichten erwünschten Ausgange verzweifelten, während, dem Vernehmen nach, die Staatsregierung alle geeigneten Mittel anwandte und namentlich die bestellten Wahlkommissare zur mündlichen Bescheidung nach Darmstadt kommen ließ, begannen im Lande die Wahlen der ersten Wahlreihe.

An diesen Wahlen der ersten Wahlreihe (den Wahlen der Bevollmächtigten) nehmen alle Staatsbürger, welche in Stadt oder Bezirk wohnen und das 21tste Jahr zurückgelegt haben, Teil. Dabei ist zur Gültigkeit der Wahl erforderlich, dass wenigstens zwei Dritteile der Stimmfähigen abgestimmt haben. Geschieht dies nicht, so soll es so angesehen werden, als habe die Stadt oder der Bezirk auf das ihnen verfassungsmäßig zustehende Recht, durch einen Abgeordneten sich vertreten zu lassen, für die nächsten zwei Landtage (die Wahlperiode) verzichtet.
In der Stadt Darmstadt sollten die Wahlen der Bevollmächtigten vom 26. April bis 6. Mai 1841 vor sich gehen. Die Aufforderung des Regierungskommissars dazu enthielt die Bestimmung, dass Diejenigen, welche ihre Stimmzettel nicht zu Hause oder eigenhändig zu schreiben wünschten, im Wahllokal verpflichtete Skribenten finden sollten, deren Geschäft es sei, die Stimmzettel der Wähler, sofern es von Letzteren verlangt werde, nach ihren Angaben auszufüllen. Diese Bestimmung schien den Sinn zu haben, dass, wer seinen Stimmzettel nicht eigenhändig schreiben wolle, ihn nicht durch wen er sonst wolle, schreiben lassen dürfe, sondern damit an jene verpflichteten Skribenten gewiesen sei. Auf dagegen erhobene Reklamation und verlangte ungesäumte öffentliche Erläuterung erklärte zwar der Regierungskommissar, dass jene Wahlbeschränkung nicht in seiner Absicht gelegen, aber er bezweifelte auch, „dass die fragliche Stelle häufig in diesem Sinne interpretiert werden werde,“ und hielt deshalb die gewünschte erläuternde Bekanntmachung für „überflüssig.“

Jedenfalls hatte nun jene Bestimmung die Folge, dass man Bedenken trug, von Andern geschriebene Wahlzettel anzunehmen und als die seinigen zu adoptieren, vorausgesetzt nämlich, dass diese Annahme nicht von einer Seite vorgeschlagen wurde, von welcher man eine Harmonie mit den Wünschen der Behörde vermuten musste. Früher, und noch bei den nächstvorausgegangenen Wahlen, war dies ganz anders. Namentlich hatte der Gemeinderat E. E. Hoffmann damals eine Menge schon geschriebener Wahlzettel Andern zur Abgabe Namens ihrer, wenn sie wollten, zustellen lassen. Auch fand das großherzogliche Hofgericht in Darmstadt, gelegentlich der schon erwähnten Untersuchung gegen Herrn E. E. Hoffmann, darin nichts Unerlaubtes.

Die Wahlen der Bevollmächtigten gingen unterdessen in Darmstadt sehr schläfrig von Statten. Am 6. Mai sollten sie vollendet sein und am 5. hatten die erforderlichen zwei Dritteile der Stimmfähigen noch nicht, sondern von 4.646 Stimmfähigen im Ganzen noch nicht einmal 1.500 abgestimmt. Deshalb erließ die „Kommission zur Leitung der Wahl der Bevollmächtigten,“ bestehend aus dem Bürgermeister und zwei Gemeinderäten, einen dringenden öffentlichen Aufruf an die Wahlberechtigten, ihrer „Pflicht,“ abzustimmen, sich zu entledigen, und „auch diejenigen ihrer Angehörigen und Freunde, welche an der Wahl Teil zu nehmen, aber bis jetzt nicht abgestimmt hätten, hierzu, soweit als möglich, zu veranlassen.“ Zugleich wurde die Frist zu den Abstimmungen vom Regierungskommissar bis zum 14. Mai verlängert.

In dieser Zeit ergingen denn auch noch andere mehrfältige Ermahnungen, abzustimmen, teils durch gedruckte Einzelzettel, teils, an die säumigen Staatsdiener, durch spezielle Aufforderungen der Wahlbehörde, welche ihr Kollegialpräsident oder Direktor ihnen mitteilte. Auch bot man Einzelnen, welche sich mit Mangel an Zeit entschuldigten, bereits ausgefüllte Stimmzettel zum Abgeben an. Und so kam denn wirklich, in Folge dieser außerordentlichen Anstrengungen, die Wahl zu Stande.

Dass sie so schwer fiel, war die Schuld teils der Apathischen, Gleichgültigen, Trägen, teils der Unzufriedenen, welche Letztere man in die Unzufriedenen des höheren politischen Standpunktes und in die Lokalunzufriedenen teilen konnte.

In welchem Sinne übrigens mitunter wirklich gewählt wurde, geht daraus hervor, dass auf einem Wahlzettel eine ganze Seite mit lauter Doktoren gefüllt wurde und dass ein anderer Wahlzettel nur solche Gewählte enthielt, deren Vorname Friedrich ist. Ähnliche Spiele des Humors gab es noch mehrere.

In Mainz war keine Verlängerung des Wahltermins nötig, aber dort hatte der Regierungskommissar auch schon in seiner ersten Bekanntmachung als „Hauptsache“ bezeichnet, „in dem Wahltermin den Stimmzettel abzugeben,“ und für den Fall, dass „wider Erwarten nicht zwei Dritteile der Stimmfähigen zur Abstimmung kämen,“ in der Perspektive gezeigt, dass dann „die größte und bevölkertste Stadt unsers Landes bei der Gesetzgebung nicht repräsentiert werden würde.“

Größere Schwierigkeiten hatte das Zustandebringen der Bevollmächtigtenwahlen in Worms gefunden.

Auch aus den Wahlbezirken, wo übrigens die Gewohnheit, Das, was von oben gewünscht wird, auch zu tun, noch heimischer ist, erfuhr man Manches, was wie Lässigkeit lautete, und hörte von Mitteln, dieser Lässigkeit zu begegnen, welche wohl schwerlich aus dem Inhalte der Verfassungsurkunde und des Wahlgesetzes abgeleitet werden konnten. So erzählte man von einem Dorfe, der dortige Bürgermeister habe durch die Schelle ans Wählen erinnern lassen, unter der Androhung, dass die Nichtwählenden die Kosten des Wahlakts tragen müssten; und von einem andern Bezirke, die dortigen Wähler seien bei Vermeidung einer Strafe von einem Thaler zum Wählen aufgefordert worden. Noch anderswo hatte man die Stimmzettel in den Häusern gesammelt u. dgl. M.

Immer bleibt diese vielfach erschienene Lässigkeit eine eigentümliche Erscheinung, und, da sie meist in den Städten vorkam, dürften Diejenigen, welche sie der geringen konstitutionellen Kulturstufe des Volkes zuschreiben, ebenso wenig Recht mit ihrer Behauptung haben, als Diejenigen, welche sie aus einer praktisch gewordenen bürgerlichen Glückseligkeitslehre abzuleiten sich bemühen. Allerdings machen ruhige, friedliche Zeiten, in welchen kein äußeres, bedeutendes Wellenschlagen sichtbar ist, die Menge schlaff und gleichgültig; aber dies war nicht der einzige Grund der Wahllässigkeit. Gründe positiver Unzufriedenheit in Darmstadt wurden vorhin schon erwähnt, und namentlich mochte der erstere derselben auch noch anderwärts irr ziemlicher Ausdehnung vorhanden sein. Vielleicht stand damit in Verbindung, dass gerade von den Behörden das Zustandekommen der Wahlen mit so großem Eifer betrieben ward.

Ist erst die Wahl der Bevollmächtigten beendigt, so macht sich's leicht mit der Wahl der Wahlmänner und der Wahl der Abgeordneten.

Ich führe diese letztern hier summarisch an. In Darmstadt fielen die zwei früheren Abgeordneten, beide Staatsdiener, aus, und es war eine dem Bürgerstande gemachte Konzession, dass man statt deren nur einen Staatsdiener und, wie früher, einen gewerbetreibenden Bürger zu Abgeordneten wählte.

Auch in Mainz sielen die zwei früheren Abgeordneten, beide dem Handelsstande angehörig, aus, und der Obergerichtsrat Aull in Mainz, sowie ein Kaufmann, traten an ihre Stelle. Herr Aull gehörte mehreren früheren Landtagen als Abgeordneter an und strahlte da immer durch feurige Beredsamkeit hervor. Auf dem Landtage von 1832/33 bekannte er sich in der Sitzung als „Legitimist“ und stimmte für den Schlossbau, war aber auch eifriger Anhänger der rheinhessischen Gesetzgebung, sowie in mehreren Fällen gegen die Ansichten der Staatsregierung. Für den Landtag von 1834 wieder gewählt, bekam er keinen Urlaub und wurde nach Darmstadt ans dortige Oberappellations- und Kassationsgericht versetzt. Er hatte damals viel Mühe, diese Versetzung widerrufen zu sehen und wieder in seinen Stand als pensionierter Kreisgerichtspräsident zurückkehren zu dürfen. Später erfolgte dann, auf seinen Wunsch, seine Ernennung zum Mitgliede des Obergerichts in Mainz.

Zu Gießen hatte schon in einer vorläufigen Wahlmännerversammlung der Wahlmann, Geheime Medizinalrat Dr. Walser, erklärt, für keinen Staatsdiener, wer es auch sei, stimmen zu wollen. Auch fehlte nur Dessen eine Stimme dem nachher daselbst zum Abgeordneten gewählten Geheimen Regierungsrate Schmitthenner. Herr Schmitthenner, ein geborner Nassauer, war seit 1828 Professor der Geschichte in Gießen, dann mehrere Jahre Mitglied des Oberstudienrats in Darmstadt, kehrte aber nachher mit dem oben erwähnten Titel als Professor nach Gießen zurück. Die Wahl war keine Oppositionswahl, doch weisen Herrn Schmitthenners lebhafter Geist, sein Witz, seine vielseitigen Kenntnisse und seine Beredsamkeit ihm im Voraus eine bedeutsamere Stelle in der Kammer an, als seinem Vorgänger daselbst, dem Geheimen Medizinalrate von Ritgen in Gießen.

In Offenbach fiel die Wahl auf den dortigen Oberzollinspektor (der, wie es heißt, nicht der Regierungskandidat war), an die Stelle eines früher gewählt gewesenen dortigen Kaufmanns.
Friedberg behielt seinen Abgeordneten, den dortigen Bürgermeister, bei.

Alsfeld vertauschte seinen früheren Abgeordneten, einen Advokaten in Gießen, Mitglied der Opposition, wahrscheinlich in Folge eines von jenem ausgesprochenen Wunsches, mit seinem Bürgermeister.

Auch in Worms wurde der frühere Abgeordnete, Generalstaatsprokurator Porcus in Mainz, nicht wieder gewählt, sondern ein dasiger Weinhändler.

Nicht weniger fiel in Bingen der frühere Abgeordnete, Advokat-Anwalt Schmitt in Mainz, früher Mitglied der Opposition und erster Präsident der Abgeordnetenkammer auf dem Landtage von 1834, durch, und der Gemeindeeinnehmer und Gutsbesitzer von Steinherr in Bingen trat an seine Stelle. In der bescheidenen Dankrede, welche Herr von Steinherr hielt, sprach er seinen „guten Willen“ aus, „unter umwandelbarem Festhalten an dem Prinzip der rheinhessischen freisinnigen Institutionen und Gesetze,“ das Interesse seiner Kommittenten zu wahren.

Die Wahlbezirke Großgerau, Seligenstadt, Pfungstadt, Lorsch, Breuberg und Umstadt wählten ihre früheren Abgeordneten wieder. Der Wahlbezirk Heusenstamm verließ diesmal seinen bisherigen Abgeordneten, einen mit der Opposition stimmenden Ökonomen in dem Bezirke, und wandte sich einem Steuerkommissar zu. Im Wahlbezirk Langen hatte sich der bisherige Abgeordnete die Wahl verbeten, und sie siel nun auf einen Weinhändler, Mitglied der Opposition der vorigen Landtage, und zwar, wie man erzählt, mehr zufällig, nachdem er zweimal gleiche Stimmen mit einem Staatsdiener gehabt hatte, dadurch, dass zwei Wahlmänner, Wirte, darauf aufmerksam gemacht wurden, dass der bevorstehende Landtag eine Tranksteuerrevision bringe. Auch der Wahlbezirk Heppenheim wählte einen Andern, doch von derselben ministeriellen Schattierung. Der Wahlbezirk Waldmichelbach vertauschte seinen früheren Abgeordneten, bisweilen Mitglied der Opposition, mit einem, den Regierungsansichten entschieden zugewandten Staatsdiener. Ebenfalls einen Staatsdiener wählte der Wahlbezirk Erbach, mit Aufgebung seines bisherigen Abgeordneten, eines der ausgezeichnetsten Mitglieder der Landtage von 1832/33, 1834 und 180/41, und Oppositionsmitgliedes, des Hofgerichtsadvokaten A. Emmerling in Darmstadt. Der Wahlbezirk Großbieberau endlich hatte sich diesmal einem, in dem Bezirke wohnenden Ökonomen von Adel zugewandt.

Ihre früheren Abgeordneten wählten ferner wieder die Wahlbezirke Gladenbach, Heuchelheim, Romrod, Schotten, Grünberg, Butzbach, Bingenheim und Büdingen. Im Wahlbezirk Battenberg erfolgte eine Oppositionswahl in der Person des Hammerbesitzers Franck in Reddighausen. Herr Franck war noch vor mehreren Jahren Pfarrer in Wöhl und geistlicher Inspektor daselbst. In seinen politischen Grundsätzen entschieden der Opposition angehörig, wirkte er bei den damals stattfindenden landständischen Wahlen in diesem Sinne. Wie man annahm, war davon die Folge, dass er gegen seinen Wunsch als Pfarrer nach Hatzfeld versetzt ward. Herr Franck nahm in Folge dessen seinen Abschied; ein harter Entschluss für einen Mann mit starker Familie und nur mäßigen Vermögensverhältnissen. Indessen hatte Herr Franck Kopf und Herz am rechten Flecke; er kaufte jenen Hammer, und seine Verhältnisse sind jetzt ganz gut. Über die Geschichte seiner Wahl das Nachstehende:

Einige Wochen vor der Anordnung der Bevollmächtigtenwahlen wurde in Biedenkopf, dem Sitze des Kreisrats und des Landgerichts, der dortige Kreissekretär Stumpf als der fähigste Mann zu Vertretung des Bezirks da und dort genannt. Indessen versammelte der Kreisrat, nach seiner Zurückkunft von einer Reise nach Darmstadt, sämtliche Bürgermeister des Landgerichtsbezirks zu Battenberg um sich, erteilte ihnen den Auftrag zur Vornahme der Bevollmächtigtenwahlen und hielt eine Anrede, worin er, nachdem er über jeden Wählbaren des Bezirks Etwas geäußert hatte, zuletzt den Kreissekretär als den einzig Tüchtigen empfahl, den er besonders auch deshalb wünsche, weil er mit einer vielseitigen wissenschaftlichen Bildung und praktischer Fähigkeit eine gründliche Kenntnis der Verhältnisse des Bezirks verbinde und mit ihm, dem Kreisrate, in vertrauter Freundschaft stehe. Er erbot sich dabei, jedes Anliegen, welches Einwohner des Bezirks für den Landtag hätten, Herrn Stumpf nach Darmstadt mitzuteilen. Herr Stumpf selbst, der sich zu gleicher Zeit in Battenberg eingefunden hatte, erbat sich von Einzelnen, deren Wahl zu Wahlmännern wahrscheinlich war, ihre Stimmen. In gleichem Sinne wirkte der zum Aktuar bei den Bevollmächtigtenwahlen des Landgerichts Battenberg bestimmte Dekanatsrechner Simon. Nach beendigten Bevollmächtigtenwahlen erhielten an einem Freitage sämtliche Bevollmächtigte eine vom Kreisboten ihnen eingehändigte Aufforderung, den folgenden Tag um 8 Uhr Morgens in Battenberg zur Wahl der Wahlmänner zu erscheinen. Es war wahrscheinlich, dass manche Bevollmächtigte, namentlich aus der Herrschaft Itter, worin mehrere Orte 10 Stunden von Battenberg entfernt liegen, ausbleiben würden. Indes sie kamen doch Alle — mit Ausnahme eines Einzigen — zur bestimmten Stunde. Die abgeschickten Boten hatten Manchem die Namen der als Wahlmänner in Aussicht Genommenen in dem Verzeichnisse angestrichen, und geraten, nur diese Namen auf die Stimmzettel abzuschreiben. Auch hatten sie ihnen das Wirtshaus, wo sie einkehren möchten, bezeichnet. In Battenberg fand sich vor der Wahl eine bedeutende Anzahl unterer Bezirksdiener ein, welche, nebst Andern, auf die Bevollmächtigten zu wirken suchten, dass sie die Wahlmänner aus Biedenkopf und dem Landgerichtsbezirk Battenberg wählten. Da aber auf der andern Seite fest zusammengehalten wurde, um das Resultat der Abgeordnetenwahl dem eben erwähnten Einflusse zu entziehen, so wurde nur die Hälfte der Wahlmänner aus Battenberg und Biedenkopf, die andere Hälfte aber aus der Herrschaft Itter entnommen.

Nach Beendigung der Wahlhandlung, etwa 5 Uhr Samstags Nachmittags, wurden von dem Wahlkommissar Boten zur Einberufung der Wahlmänner auf den folgenden Montag Vormittags 9 Uhr abgeschickt. Die Boten konnten bei den Itterer Wahlmännern vor Sonntag Vormittags nicht eintreffen. Es war leicht möglich, dass der Eine oder Andere bei der Ankunft des Boten nicht zu Hause, dass er vielleicht vom Filialorte in die Pfarrkirche gegangen war und nach dem Gottesdienst wohl auswärts noch Verschiedenes besorgte, wodurch seine Rückkehr sich bis spät in den Nachmittag verzögerte. In den Einberufungsschreiben war auch gesagt, es sei notwendig, dass jeder einen Alterschein mitbringe. Den Itterern musste es aber völlig unmöglich werden, nach der Herbeischaffung dieser Scheine noch zu rechter Zeit in Battenberg anzukommen. Dennoch kamen alle Itterer Wahlmänner, einen Einzigen ausgenommen. Es hatte ein jeder die Unmöglichkeit, sich mit dem Alterscheine zu versehen und bis zur bestimmten Zeit in Battenberg einzutreffen, eingesehen und war deswegen sogleich nach dem Empfang des Einberufungsschreibens abgereist. In Battenberg wurden die Wahlmänner ohne die Scheine zur Teilnahme an der Wahl ohne Schwierigkeit zugelassen.

An dem Tage der Wahl trafen von Biedenkopf und andern Orten Viele ein, welche die Wahlmänner bei Seite zu ziehen, in einem Wirtshause fest zu halten und für Kreissekretär Stumpf als Abgeordneten zu gewinnen suchten. Da unterdessen bekannt geworden war, dass manche Wahlmänner Herrn Franck ihre Stimmen geben wollten, so suchte man sie ihm abgeneigt zu machen durch das Vorgeben, Herr Franck werde auf dem Landtage zur Erhöhung der Holzpreise wirken, er sei vom Glauben abgefallen etc.

Beim ersten Skrutinium erhielt Herr Stumpf 12, der Rekrutierungsrat Stammler (das vorige Mal Abgeordneter des Bezirks) 1 und Herr Franck 11 Stimmen. Da hiermit keine absolute Stimmenmehrheit erzielt war, so musste eine zweite Wahl vorgenommen werden, wo sich für Herrn Stumpf 11 und für Herrn Franck 12 Stimmen ergaben. Ein Stimmzettel für Kreissekretär Stammler in Biedenkopf (der Wahlmann wusste also den Namen seines Gewählten nicht recht) wurde für nichtig erklärt. Die dritte Abstimmung stellte die Stimmen für Herrn Stumpf und für Herrn Franck gleich. Das Los entschied endlich für Herrn Franck.

Herr Franck steht im Rufe eines umsichtigen, tüchtigen und beredsamen Mannes, — wünschenswerter Füllwein für eine, der Zahl nach nur noch sehr schwach vertretene und etwas müde gewordene politische Ansicht! Auch im Wahlbezirk Lauterbach fand eine Oppositionswahl statt, indem man daselbst nach einem Mitglied der Opposition der zweiten Kammer von 1832/33, einem Postmeister, zurückgriff. Die übrigen Wahlbezirke: Homberg, Vilbel, Hungen und Gedern, wählten ebenfalls diesmal andere Abgeordnete, sämtlich Staatsdiener, Vilbel den Hofgerichtsrat Georgi in Gießen, Dirigenten und erstes Mitglied der von 1835 bis 1839 in Darmstadt bestandenen Untersuchungskommission gegen die dort inhaftierten politischen Gefangenen, unter denen auch der Pfarrer Weidig war. Jene Wahl fand mit 12 gegen 10 Stimmen statt, nachdem bei der zuerst vorgenommenen die Stimmen sich zwischen ihm und dem Postmeister Simon in Vilbel gleich geteilt hatten. Wie man mehrfach erzählte, war insbesondere ein Landgerichtsaktuar dortiger Gegner für Herrn Georgis Wahl sehr bemüht gewesen, und auch das in Umlauf gesetzte Gerücht soll dabei mitgeholfen haben, dass Herr Georgi als Landstand sich für einen der vom ihm inquirierten politischen Gefangenen, den Pfarrer Flick, verwenden würde. Dieser Mann lebt nämlich, nach erfolgter Verurteilung und Begnadigung, am Orte seiner früheren amtlichen Wirksamkeit zu Petterweil (dem Wahlbezirke Vilbel angehörig) in betrübter Lage. Eine eigene Verknüpfung der Dinge, welche eines schmerzlichen Humors nicht entbehrt!

Von den Wahlbezirken der Provinz Rheinhessen wählten wieder ihre früheren Abgeordneten: die Wahlbezirke Alzey, Oberingelheim, Wöllstein, Oppenheim, Pfeddersheim und Osthofen. Hiervon waren die Wahlen zu Wöllstein, Pfeddersheim und Osthofen Oppositionswahlen und der Wahlkampf im Wahlbezirk Wöllstein nächst dem in Bingen vielleicht einer der heißesten. Es waren nämlich da zuerst der Geheime Staatsrat Knapp und der Steuerrat Debus, Beide in Darmstadt, als Abgeordnete vorgeschlagen, während die Freunde des früheren Abgeordneten, des freisinnigen Brunck in Förfelden, für Diesen sich bemühten. Nach einer Notiz in der „Badischen Zeitung“ (Num. 165., vom 14. Juni 1841), ging der Wahlkommissar zu den Wahlmännern ins Haus und nicht eher wieder weg, bis sie ihm in die Hand versprochen, Herrn Brunck nicht zu wählen.

In Folge des zweckmäßigen Operierens seiner Gegner war Brunck nicht unter die Wahlmänner gekommen; doch siegte er bei der Wahl als Abgeordneter mit 14 gegen 11 Stimmen, welche dem Staatsprokurator Knyn in Mainz zugefallen waren. Ebenfalls — aber mehr durch einen Zufall — war der Freiherr Heinrich von Gagern, Gutsbesitzer zu Monsheim, Mitglied der Opposition auf den Landtagen von 1832/33, 1834 und 1835/36, nicht unter die Wahlmänner des Wahlbezirks Pfeddersheim gekommen. Demungeachtet siegte daselbst, mit 24 gegen 1 Stimme, das frühere Oppositionsmitglied, der Advokat-Anwalt Glaubrech in Mainz. Der Wahlbezirk Wörrstadt nahm diesmal den Obergerichtsrat Jung in Mainz und der Wahlbezirk Brotzenheim den General-Staatsprokurator Kilian in Darmstadt zu Abgeordneten, Beide ohne Parteifärbung, aber geschickte Juristen, redliche Männer und Anhänger der rheinhessischen Institutionen. Der frühere Abgeordnete des Wahlbezirks Brotzenheim war der Ökonom Grode in Gauodernheim, Mitglied der Opposition und Urheber des bekannten Antrags gegen den Geheimen Staatsrat Knapp in Darmstadt. In Oppenheim war bei der Wahl auch der Name des Freiherrn von Gagern in Monsheim genannt worden, aber der Wahlkommissar bemerkte, dass er nicht wählbar sei, indem er nicht im Verzeichnis der Wahlfähigen stehe. Dies war zwar richtig, aber ein Gewählter kann auch noch nach der Wahl, z. B. durch Deposition großh. hess, Staatspapiere, sich wahlfähig machen. Außerdem wird versichert, dass Herr von Gagern wirklich damals schon die zur Wahl erforderliche Steuer bezahlte, aber sich dieselbe — wie es heißt, absichtlich — erst nach der Redaktion jenes Verzeichnisses hatte überschreiben lassen.

Die Wahlen im Sinne der Staatsregierung waren meist mit ansehnlichen Majoritäten erfolgt, doch nahm man wahr, dass die Angaben der Stimmenverhältnisse bei der Wahl, nachdem einige weniger günstige für die Staatsregierung vorgelegen, in der „Hessischen Zeitung“ unterblieben.

Geladen wurde zu den Wahlen überall sehr spät, nur einen oder zwei Tage vorher, überhaupt aber der Gang der Wahlen, besonders der Abgeordnetenwahlen, sehr beeilt, so dass von den, meist zerstreut wohnenden Wahlmännern keine vertrauliche Besprechung über den zu Wählenden stattfinden konnte.

Naivitäten fehlten bei den einzelnen Wahlen nicht. So waren viele Wahlmänner des Wahlbezirks Waldmichelbach sehr geneigt, ihren Wahlkommissar, einen Landrichter, zu wählen, während doch solche Beamtete nach dem Wahlgesetz gar nicht wählbar sind, und im Wahlbezirk Büdingen hatten die Höchstbesteuerten im Bezirk dem Ministerium die Bitte vorgetragen, einem Steuerkommissar dortiger Gegend die zum Abgeordneten erforderliche Qualifikation durch Besoldungszulage zu verschaffen. Aber es erfolgte abschlägige Resolution, da das Gesuch nach dem definitiven Besoldungsetat unzulässig sei.

Unverschämt war — bei Erwägung der in diesem Aufsatz enthaltenen Daten —, dass ein ** Korrespondent der Allgemeinen Zeitung aus Darmstadt in Nr. 154. derselben (3. Juni 1841) schrieb: „Die Regierung habe sich jeglichen Einflusses auf das Zustandebringen der Wahlen enthalten,“ insofern man nämlich die Regierung mit demjenigen identifizieren darf, was ihre Angestellten für sie tun.

Von den zu Abgeordneten gewählten Staatsdienern erhielten nur zwei keinen Urlaub; der eine auf seinen ausdrücklichen Wunsch, der andere, einer der später gewählten Adelsdeputierten, als unentbehrlich im Ministerium, wo er als Sekretär angestellt war.

Von den am 8. Juni 1841 gewählten 44 Abgeordneten standen 35 in öffentlichen Ämtern und waren 29 insbesondere Staatsdiener. Unter den 6, welche in öffentlichen Ämtern stehen, ohne gleichzeitig Staatsdiener zu sein, ist 1 Vizepräsident der Handelskammer in Mainz und 5 Bürgermeister. Unter den 29 Staatsdienern fanden sich 2 Geheimeräte, 5 Oberappellations-und Kassationsgerichtsräte, 2 Obergerichtsräte, 1 General-Staatsprokurator, 1 Oberfinanzrat, 1 Oberbaurat, 1 Professor, 1 Oberforstmeister, 2 Hofgerichtsräte, 2 Geheimesekretäre, 1 Oberzollinspektor, 3 Steuerkommissare, 1 Hofrat (Dirigent des Irrenhauses), 2 Rentamtmänner, ein Postmeister, 1 Distriktsteuereinnehmer, 1 Kreissekretär, 1 Schaffner. Von den 64 gewählten Abgeordneten waren Mitglieder der vorigen Kammer: 23; 19 davon wurden den Anhängern des Ministeriums zugezählt, 4 der Opposition; neugewählt sind: 21, darunter Mitglieder früherer Landtage: 2. Unter den Neugewählten zählt man im Voraus entschieden zu den Anhängern des Ministeriums: 6; zur Opposition 3; unbekannt ihrer politischen Gesinnung nach sind: 12. Von den Mitgliedern des vorigen Landtages sind bei der diesmaligen Wahl ausgefallen: 4. Von den neugewählten Mitgliedern des bevorstehenden Landtags, deren politische Gesinnung noch unbekannt ist, konnte man wohl, nach Stellung und Verhältnis, zwei Dritteile als Anhänger des Ministeriums vermuten.

Die sechs, später erfolgten Adelswahlen boten keine besondere Erscheinung. Regelmäßig sind dies zugleich Angestellte im höheren Militär- Hof- oder Zivildienst. So auch diesmal wieder, bei einigen Veränderungen in den Personen. Diese sechs vermehrten die Zahl der in öffentlichen Ämtern Befindlichen von 35 auf 41, also auf 41/50 der Kammer, welches Verhältnis auch jetzt noch besteht, nachdem einer der Geheimen Sekretäre durch Beförderung wahlunfähig wurde und ein Hofgerichtsrat als Abgeordneter an seine Stelle trat. Und sonach würde das Verhältnis des vorigen Landtags, nämlich eine sehr kleine Opposition und eine sehr große Anzahl von teilweise stark markierten Anhängern des Ministeriums, bei zur Hälfte veränderten Personen, sich wiederholen. Vielleicht aber ist jene kleine Opposition prädestiniert, nicht einmal sehr sichtbar zu werden, nämlich beim Mangel solcher Prinzipfragen, welche für praktisch gehalten werden. Dann würde sie wahrscheinlich nur etwas verstärkt beim Ausgabebudget sich geltend machen und bei Gesetzgebungsfragen, besonders mit Rücksicht auf rheinhessische Interessen, ihre Anzahl steigen sehen, indessen schwerlich bis zur Majorität.
Karl Buchner.