Umfang der fürstlichen Rechte und Befugnisse. Rat und Patriciat der Stadt

Es ist eine den hervorgehobenen Resultaten durchaus entsprechende Erscheinung, dass nach dem Jahr 1262 der Rat der Stadt Rostock als verwaltende und richtende Behörde eine bedeutend konkretere Gestalt annimmt, wahrend der Einfluss des fürstlichen Regimentes einen Halt nach dem anderen aus der Hand verliert. Zwar behauptet der fürstliche Richtvogt noch seinen Platz in Rostock; in wichtigen Urkunden, in denen Vereinbarungen, Separatverträge mit einzelnen Bundesstädten niedergelegt sind, findet sich noch immer die althergebrachte Form: advocatus et consules civitatis Roszstoc, advocatus et consules consilio praesidebant. Dennoch ist aus dieser Form nicht auf eine hohe Machtbefugnis von Seiten dieser fürstlichen Vogtes zu schließen, es lässt sich vielmehr sicher nachweisen, dass die Autorität der consules, des Stadtrates schon über der des fürstlichen advocatus steht. Wenn im Jahr 1260 die Städte Lübeck, Rostock und Wismar zusammentraten und zur Befestigung ihrer Vereinigung die oben erwähnten Grundgesetze aufstellten, die in mannigfacher Weise die landesherrlichen Rechte z. B. der Rostocker Fürsten unbeachtet ließen, wenn dann die Fürsten gegen diese zum Beschluss erhobenen Satzungen aufgetreten, gegen jene Übergriffe ihr Wort erhoben und die Ausführung hätten inhibieren wollen, so glaube ich nicht, dass sie im Stande gewesen wären, den sich unwiderstehlich Bahn brechenden Geist, von dem die Städte in ihrer Neubildung belebt waren, aufzuhalten und von seinem Ziele abzulenken. Darum zeigt sich zugleich auf der Seite der Fürsten ein nicht zu verkennender politischer Scharfblick, wenn sie nicht an eine Vergewaltigung des aufwachsenden Elementes dachten, vielmehr mit anerkennenswerter Mäßigung die Entwicklung desselben nicht beeinträchtigten. Andere bemerkenswerte Symptome für die Umgestaltung des Verhältnisses zwischen Fürst und Stadt sind folgende: Der Rostocker Rat begnadigt z. B. zwei Verbrecher auf Fürsprache des Fürsten Waldemar; ebenso wird ein Verbrecher auf Fürbitten des Fürsten, der ein persönliches Interesse an dem Delinquenten hatte, entlassen, nachdem er aber die hinzugefügte Verwillkürung verletzt, der gerechten Strafe übergeben. Ein noch eklatanteres Zeugnis liegt aus der Zeit von 1268 — 1270 vor: Der fürstliche Vogt Volceko Tunneko hatte sich der schwersten Vergehungen schuldig gemacht, hatte zur Nachtzeit ein Haus in der Stadt erbrochen, einen Bürger, der sich irgendwie gegen ihn vergangen haben sollte, festgenommen, dessen Frau und Diener getötet und darauf seinen Gefangenen ohne Einwilligung der Ratmannen, an den Pranger gestellt*). Wegen dieser Gewalttätigkeiten und Verletzung der Rostocker Ratsbefugnisse entzog er sich der ihm drohenden Strafe durch die Flucht, fügte jedoch der Stadt durch Blockierung des Hafens und andere Schädigungen bedeutenden Nachteil zu. Gegen diesen Verbrecher, obwohl fürstlichen Beamten, tritt der Rostocker Rat als richtende und strafende Gewalt auf. Tunneko wusste sich der persönlichen Strafe von Seiten des Rostocker Rates zu entziehen; die über ihn ausgesprochene Acht wird in Kraft geblieben sein, da wir ihn im Jahr 1283 im Gefolge des Fürsten von Werle finden, nachdem er seinen Wohnsitz in Rostock aufzugeben genötigt, im Jahr 1274 sein daselbst am neuen Markt gelegenes Erbe veräußert hatte. — Es ist ferner eine bemerkenswerte Erscheinung, dass in derselben Form wie Rostocker Ratmannen von Waldemar und anderen Fürsten in urkundlichen Bestimmungen als Zeugen und Beisitzende aufgeführt werden, der Fürst Waldemar als Zeuge fungiert in Urkunden, die selbstständig vom Rostocker Rate ausgehen, so im Jahr 1282. Der Rat war aus den hervorragendsten und tüchtigsten Bürgern der Stadt zusammengesetzt, es gibt eine Reihe zum Teil adeliger Familien, die viele Jahre hindurch durch einzelne Abkömmlinge ihres Stammes vertreten sind; dahin gehören vor Allen die von Cosfeld, die schon im Jahr 1265 zwei Glieder ihrer Familie, den Gerlach und Andreas, im Rate sitzen haben, ferner die Familie der von Cröpelin, die Familie der von Magdeburg (1041, 1076), der Stamm der de Lawe, de Wokrente, von der Möhlen (de molendino). Unter bürgerlichen Familien nehmen einen hervorragenden Rang im Rate ein: die Monachi (Mönche), die Witte (Albi), Schwarz (Niger), Reinbert, Lare (Cerdo, Gerber), Tiedemann u. s. w. lauter alte Rostocker Geschlechter, deren Namen zum Teil noch nicht in Rostock erloschen sind. Zehn Ratmannen waren am 24. Juni 1218 Zeugen der Urkunde, durch welche Borwin ihre Stadt mit lübischem Recht bewidmete, 23 Consuln — der ganze Rat — unterschrieben im Jahr 1252 die Bestätigung durch Borwin II. Die Zahl der „dem Rat präsidierenden Ratmannen“ wird in dieser Zeit wohl schon 16 betragen haben, vom Jahr 1265 belief sie sich auf 18; nur vorübergehend steigerte sie sich in den Jahren 1279 und 1280 auf 24*). An der Spitze des Kollegiums, dessen Neubildung wie zu Lübeck durch Kooptation auf Petri Stuhlfeier erfolgte, standen proconsules, auch magistri genannt, drei der Ratmannen, camerarii — qui tabulae presidebant — wurden mit der Führung des städtischen Haushaltes betraut.**)

*) In wenig unterbrochener Reihenfolge liegen Verzeichnisse der Ratsmitglieder für die Zeit von 1265 bis 1289 vor; die Zahl ist aber nur in den Fällen sicher zu bestimmen, wenn dabei steht „consilio presidentibus“, da öfters sämtliche Ratmannen, auch die nicht eigentlich fungierenden, herangezogen werden, wie z. B. bei der Anleihe vom 5. September 1262 (Urk. 962); hier werden ohne den obigen Ausdruck 24 genannt, schließlich aber wird bemerkt: Ista bona solvent, quicunque consilio president. Die in Lübeck, Wismar und anderen Städten gewöhnlichen Bezeichnungen: „consules tam presentes quam preteriti“, „consules novi et veteres“ finden sich in den Rostocker Urkunden nicht gerade, nur einmal heißt es: „Dit is witlich deme menen rade. beyde olde unde nyie“, Urk. 2424, vgl. Gesch. Wismars S. 42; Frensdorff, Stadt- u- Gerichtsverf. Lübecks S. 102. – Im Jahr 1280 heißt es ausdrücklich von den 24 Rathmannen: consilio presidebant (Urk. 1520), in die cathedre Petri 1281 gilt es nur von 18 (Urk. 1565).
**) Über den Amtsantritt am 22. Febr. vgl. für die Zeit seit 1300 Urkdb. VI, p. XVIII, dass er früher an demselben Tage erfolgte, ist unzweifelhaft, vgl. Urk. 1565; Urk. 1287, Febr. 24, werden die neuen Consuln zuerst genannt. Die Bennung proconsules – und zwar für 3 – sowie die der camerarii, gleichfalls für 3, findet sich nur in der Urk. (2008) vom Jahr 1289
. Actum hiis consulibus presentibus:
proconsulibus:

Everhardo Nachtrauen
Johanne Monacho
Ludolfo Pede
camerariis – gleich in der nächsten Urk. 2029: tabule presidebant.:
Ludberto Dunevare
Henrico de Lare
Nycholao de Molendino
consulibus:
Alberto de Cosfelt
Martino de Silua
Conrado de Lawe
Hermanno de Vemeren
Johanne de Cimiterio
Johanne Pugile
Borchardo de foro
Henrico de Arena
In dem Geldbußen-Register von 1275 werden ohne Zusatz von „consulum” oder „civium“ magistri erwähnt: Thidericus Brunswic emendavit I marcam, quod male tractavit magistros (Urk. 1374); jedenfalls die beiden, im 14. Jahrh. wiederholt genannten, iudices magistri excessuum (Urkb. VI, p. XVIII.). Der Kämmereiherrn waren keineswegs allezeit drei einjährige; vor den neunziger Jahren zeigen sich starke Schwankungen, im Jahr 1284 waren es sogar 12, die je 3 wol vierteljährlich aus der Zahl der sitzenden Ratmannen präsidierten, vgl. Urkk. 1722. 1740. 1742. 1767.


Zu Wirren im Rat, vermutlich wegen des Eintritts von Handwerkern in denselben, kam es zum ersten Mal im Jahr 1288. Sechs Ratsherren, Johann Rufus, Johann Nachtraven, Heinrich Monachus, Johann Kempe, Christian und Heinrich von Ibendorf vertrieben und ihrer Güter beraubt, brachten ihre Sache zunächst an den Bischof von Schwerin; als dieser sie lässig betrieb, berief der Erzbischof von Bremen den Dekan und den Canonicus der Schweriner Kirche Richard von Lüneburg zu Schiedsrichtern. Die Stadt, welche die Entscheidung durch ein weltliches Gericht verlangte, appellierte an den römischen Stuhl, worauf Papst Nicolaus IV., nachdem Decan und Canonicus den Rat exkommuniziert und Rostock mit dem Interdikt belegt hatten, die schließliche Entscheidung des Zwistes am 28. Januar 1289 den Pröpsten zu Lübeck, Stettin und Tribsees übertrug. Da die Vertriebenen später in Rostock auftreten, muss wenigstens ihre Restitution erfolgt sein. Die Anlässe des Konfliktes blieben.

Der Rat, der Regierer der Stadt, hatte vornehmlich die Finanzwirtschaft zu leiten, das Steuerwesen, Schoß und Vermögensabgaben zu regulieren. Seit dem Jahr 1262 werden oft Stadtanleihen notwendig, die erste ist nicht bedeutend, mit der Zeit häufen sie sich und werden größer. Die verschiedenen Fächer der Verwaltung waren einzelnen Sektionen zugeteilt, so stand der städtische Fiskus unter den drei camerarii, die zugleich auch das städtische Archiv zu überwachen hatten.

Die Ausbildung und Ordnung des Gerichts- und Prozessverfahrens, sowie die Ausarbeitung und Feststellung des Strafrechtes nahm hauptsächlich die Tätigkeit des Rostocker Rates in Anspruch. Die hier einschlagende wichtige Urkunde ist aus dem Jahr 1275. Es lag in der Natur der im Rate vorhandenen Elemente, dass jene schlichten, aber tatkräftigen und umsichtigen Bürger wohl in der Verwaltung und dem Regimente der Stadt, in praktischen Unternehmungen mit reichem Erfolge wirken konnten, dass sie auch wohl im Stande waren, treffliche Gesetze zu geben und die Beobachtung derselben zu überwachen, die Würde der Stadt überall zu vertreten, aber Rechtsgelehrte waren sie nicht, und doch brauchte die Stadt solche Männer, wohlbewanderte und geschickte Juristen, die verwickelte und schwierige Rechtssachen im Interesse der Stadt durchfechten und ausbeuten konnten. Diese sogenannten rhetores, städtische Angestellte, von deren Dasein eine Urkunde aus dem Jahr 1275 Zeugnis gibt, gehen hin und wieder zwischen Rostock und Lübeck, so dass für dieselben eine bestimmte Reiseordnung entworfen wird.

Rostocker Marktverhältnisse ordnete und regulierte der Rat in den Jahren 1275 und 1278': dieselbe enthält eine Verordnung über die Verlosung der am Markte und unter dem Rathause gelegenen Kaufbuden unter den Bürgern, hauptsächlich Kaufleuten und Bäckern. Wichtig ist die Bemerkung, dass der Rat diese Angelegenheit vorher mit den Bürgerältesten gemeinschaftlich beraten habe, die überhaupt bei wichtigen, die Stadt betreffenden Angelegenheiten zu Rat gezogen wurden*).

*) Consules cum senioribus civitatis; dass diese seniores gleichbedeutend sind mit den majores lehrt eine Lübecker Urkunde vom Jahre 1266. Urkdb. d. Stadt Lüb. I, 284. Als „discretiores“ werden sie z. B. in Rostock von den Consuln herangezogen, als ein gewisser Eike im Jahr 1287 auf den Ersatz des Geldes verzichtet, welches er als Vogt zu Skanör für die Stadt hat aufwenden müssen, oder als sich Rötger Horn im folgenden Jahr verpflichtet, für eine bestimmte Summe die Einfahrt in den Warnemünder Hafen zu vertiefen. Urkk. 1926. 1977. Die „discretiores omnium civitatum“ sollen “ad omnia statuenda et ordinanda necnon errata corrigenda“ nach der Bestimmung des Landfriedensbündnisses herangezogen werden, den Johann, Herzog von Sachsen-Lauenburg und die Fürsten und Städte der wendischen Ostseeländer im Jahr 1283 abschließen. Urk. 1682.

Die Bürgerschaft mit ihren Interessen war nun nicht allein in dem aus ihrer Mitte gewählten Rat vertreten, der der Verwaltung der inneren Angelegenheiten, der Kämmerei und des Stadtgebietes vorstand, mit den Bundesstädten sowie mit auswärtigen Mächten die Unterhandlungen leitete, sondern sie hatte durch das Recht der Bürgersprachen, Bürgerversammlungen (civiloquia), auch die Macht in Händen, selbstständig in die Verwaltung, in die Entscheidung und den Gang wichtiger Dinge, namentlich in Betreff der städtischen Polizeigewalt einzugreifen. Das Bestehen dieser Bürgersprachen in Rostock im 13. Jahrhundert ist uns wenigstens durch eine Urkunde bezeugt: ein Bürger, Wulfard Scheel, da er in einem solchen civiloquium seine Schranken überschreitend, gegen einen Beschluss der ganzen Stadt Einspruch erhob und sich zu weiteren Exzessen fortreißen ließ, verwirkte den Hals und wurde nur durch besondere Nachsicht des Rates mit Verweisung aus der Stadt begnadigt. Es ist uns aus derselben Zeit auch ein Fall überliefert, wo ein Ratsmitglied wegen offenbarer Amtsvergehen zur Rechenschaft gezogen wird. Der Ratsherr Johannes Juttenkind hatte sich der gröbsten Verletzung des Amtsgeheimnisses schuldig gemacht, indem er einen dem Tode verfallenen Verbrecher von der im Rate beschlossenen Ergreifung in Kenntnis gesetzt und dessen Flucht bewerkstelligt hatte. Da er sich nun zunächst der vom Rate verhängten Buße nicht unterziehen will, droht dieser, die Sache in Lübeck anhängig zu machen. Darauf nimmt er die Buße von 60 Mark auf sich; als er jedoch bei Entrichtung derselben die Stadt um 7 Mark zu hintergehen sucht, wird er in eine Strafe von 100 Mark genommen und seiner bürgerlichen Ehren beraubt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Stadt Rostock bis zum Jahre 1300