Stellung der Rostocker Landesfürsten gegenüber der Entwicklung der städtischen Freiheit und Selbstständigkeit

Wir machen besonders unter diesem letzten Fürsten Waldemar die Beobachtung, dass die käuflichen Erwerbungen der Stadt aus fürstlichem Eigentum immer zahlreicher werden. So hatte Waldemar im Jahr 1275 auch das Dorf Nemezow mit Lipe und Zubehör den Rostockern zu Stadtrecht verkauft. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in manchen Fällen Geldmangel die Fürsten veranlasste, der Stadt wichtige Zugeständnisse zu machen und ihr reiche Besitztümer abzutreten. Dass z. B. Waldemar sich in solchen finanziellen Bedrängnissen befunden hat, zeigt außer vielen anderen Verpfändungen die Urkunde vom 3. Juli 1282, in welcher er kurz vor seinem Tode an einen Rostocker Bürger gegen ein Darlehn von 300 Mark eine Anweisung auf eine jährliche Hebung von 40 Mark aus der Rostocker Bede gibt, also Kapitalien zu einem enormen Zinsenfuße (über 12 Prozent) aufnimmt, ferner die Urkunde vom 27. Febr. 1286, in welcher sein Sohn Nicolaus zur Deckung der Schulden seines Vaters der Stadt verschiedene Gebietsteile, das Dorf Wendisch-Wik, den Burgwall bei der Stadt, die Pferdewiese zu Warnemünde und die Mühle beim Judenkirchhof vor Rostock, abtreten muss. Diese Erwerbungen sind für die Entwicklung der Kommune, wie für das Wachstum ihrer Selbstständigkeit gegenüber der fürstlichen Machtstellung nicht hoch genug anzuschlagen; wir bewegen uns in einem Zeiträume, wo sich mit der Gründung und allmählichen Ausbildung der städtischen, freiheitlichen Verfassung die ersten Keime und Ansätze bilden zu den unheilvollen und hartnäckigen Differenzen, die zwischen Fürst und Stadt in den folgenden Jahrhunderten zum Ausbruch kommen. In dieser Zeit, der letzten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts, entsteht die Grundlage zu jenem so starken, nur zu oft sich überhebenden Bürgertum und Bürgerstolze, der durch den selbstständigen Geist des Hansetums gehoben, trotzend auf die Machtfülle und den Einfluss der eigenen Stadt oft herausfordernd gegen die traditionelle Autorität der Landesfürsten auftrat. Diese ahnten natürlich nicht, dass sie durch jene reichen Zugeständnisse und Privilegien, die alle, von Borwin I. an, der Stadt verliehen hatten, für ihre Nachfolger einen gewaltigen und oft siegreichen Gegner in die Schranken riefen. An Steuer- und Abgabenerhebungen standen den Fürsten von vornherein seit dem Jahre 1218 keine ausgedehnten Gerechtsame zu Gebote; zwar war die Besteuerung des Importhandels von Seiten anderer Staaten und Städte vorbehalten, aber auch hier bildeten die Beziehungen, in die Rostock zu Lübeck, Wismar und anderen Zentralpunkten des Handels getreten war, für den materiellen Vorteil der Fürsten, für die Einziehung ihrer Emolumente bald ein großes Hemmnis, indem sie sich genötigt sahen, nachdem die Lübecker den Rostockern Zollfreiheit gewährt hatten, auch ihrerseits den Lübeckern dieselbe Freiheit zu gewähren. Von der Zollfreiheit in Lübeck hatten die handeltreibenden Bürger Nutzen, die Fürsten keinen wesentlichen Vorteil, von der Zollfreiheit, welche die Lübecker in Rostock genossen, hatten sie entschiedenen Nachteil. Aus der Stadt Rostock selbst bezogen sie außer dm Einkünften aus ihren liegenden Gründen, Pachthöfen, dem Fürstenhofe, Ziegelhöfen, Mühlen*), keine anderen ordnungs- und gesetzmäßigen Steuern, als die jährlich vom Rate der Stadt zu zahlende Bede (petitio, precaria), die zuerst im Jahre 1260 erwähnt wird, wo die Rostocker zu Michaelis eine Abschlagssumme von 40 Mark zahlen. Im Jahre 1262 wird der Betrag dieser Bede auf 250 Mark festgesetzt, die jährlich in bestimmten Terminen nach Rostocker Währung aus der Münze**) der Stadt zu zahlen sind.

*) Die fürstlichen Besitzungen an Mühlen in Rostock waren besonders zahlreich und ausgedehnt (vgl. Urkk. 1514. 1723); in vielen Mühlen besaßen die Fürsten Hebungen an Korn und Malz. Dieser später großherzogliche Anteil an den Mühlen in Rostock ist erst im Jahre 1827 vom Rostocker Magistrate abgelöst worden.


**) Ein Münzer zu Rostock wird urkundlich allerdings erst im Jahre 1260 erwähnt, vielleicht derselbe Albertus monetarius, der in den Jahren 1262 und 1268 genannt wird (Urk. 2683 Note). Unzweifelhaft hat aber die Stadt Rostock das Recht, eigene Münze zu schlagen, von dem 24. Juni 1218 ab besessen, da sie mit dem Recht der Stadt Lübeck bewidmet wurde. Als Borwin der Stadt Gadebusch im Jahr 1225 mehrere Freiheiten der Stadt Lübeck verlieh, wurde besonders hervorgehoben: Argentumin eadem civitate cambiat quicunque velit (Urk. 315), dagegen fasste er die Verleihungen für Rostock in dem allgemeinen Ausdruck zusammen Lubicensis ciuitatis iuris beneficio habito nunc et habendo (Urk. 244), die sein Enkel im Jahre 1252 mit der ausdrücklichen Erklärung bestätigte: omnem iustitiam et integram iuris conservantiam Lubicensis, quam a nostris progenitoribus hactenus tenuerunt (Urk. 686). Wäre es anders, so würde sich in den Rostocker Urkunden, bei Angabe von Geldleistungen die Bestimmung finden, ob sie in kubischer oder Wendischer Münze erfolgen sollten. Der ausdrückliche Zusatz „Rostocker Münze“ findet sich zuerst in einer Urk. des Jahres 1260 (Urk. 851). Da von einer besonderen Verleihung der Münzgerechtigkeit an die Stadt seit dem Jahr 1252 nicht die Rede ist, wird die in diesem Jahr erfolgte Zahlung von 450 Mark Pfennige für die Rostocker Haide in Rostocker Münze erfolgt sein. Vgl. über die Münzgerechtigkeit (Nettelbladt): Von dem Ursprung der Stadt Rostock Gerechtsame, S. 113 fg. — In Urk. 315 kommt der technische Ausdruck vor: argentum cambire — Geld münzen, schlagen. Ein Blick auf den Zusammenhang in derselben zeigt zweifellos, dass die Form „cambiat“ hier der Conj. Präs. von dem Verbum cambire ist. Dennoch ist im Sachregister das Wort „cambiare“ aufgeführt; freilich kommt auch die Form cambiare vor, aber nicht in den mecklenburgischen Urkunden bis 1300. Du Cange sagt über diesen Gebrauch: „Italis cambiare, Latinis cambire dicitur.“


Aus dem Jahre 1263 finden sich die ersten Quittungen über die dem Fürsten geleisteten Bedezahlungen. Bemerkenswert und die Natur dieser Bedesteuer erklärend sind die einzelnen Notizen, dass z. B. die dem Fürsten in pleno zu zahlende Weinsteuer 32 Mark, die Heringssteuer 21 Mark betragen habe. Wir sehen daraus, dass mit dem Auftreten der Bedesteuer jede Berechtigung von Seiten der Fürsten, der Stadt einzelne Steuern aufzulegen, besonders einzelne Zweige des Handels und der Industrie, des Gewerbebetriebes zu besteuern, aufgehört hat, dass die Steuerverwaltung ganz in die Hände des Stadtregimentes des Rates übergegangen ist, dass es fortan beim Rostocker Rat steht, einzelne Handels - Marktartikel und Produkte zu besteuern, wie im Jahr 1275 die Hopfen-Akzise eingeführt, ferner Butter und dergl. besteuert wird. Aus dieser städtischen Steuerkasse war die jährliche Bede von 250 Mark zu entrichten, die allmählich die Form eines Krondeputates annahm. Die Bedezahlungen werden entweder an den in Rostock selbst anwesenden Fürsten oder an die seine Stelle vertretenden Söhne entrichtet. Von fürstlichen Beamten sind außer denen, welche militärische Chargen bekleiden, noch die scriptores, die Sekretäre in großer Anzahl vertreten, ferner der Truchsess (dapifer); die wichtigsten sind indes die advocati, die fürstlichen Vögte und Richter in der Stadt, welche zunächst im Rostocker Rate und Gerichte des Fürsten entsprechende richterliche Stellung repräsentierten, später dann überhaupt die Stellung und die Rechte besonders der abwesenden Fürsten vertraten, obwohl letztere in den meisten Fällen ihren Wohnsitz in Rostock aufschlugen oder ihre regierungsfähigen Söhne zurückließen. Ob der sog. advocatus Slavorum in Rozstoc, der Wendenvogt, welcher zuerst im Jahr 1267, dann im Jahr 1281 vorkommt, ein fürstlicher oder städtischer Beamter war, dafür liegen keine Anhaltepunkte vor. Nun standen außerdem noch eine ganze Reihe von advocati, Vögten, im Dienste der Fürsten, und zwar erstreckt sich deren Amtstätigkeit auf die außerhalb Rostocks gelegenen fürstlichen Territorien und Domainen. So kommt Urk. 1233 ein Vogt, Namens Volquinus vor, den der Fürst Waldemar zur Aufrechthaltung und Wahrung seiner Rechte, sowie zur Vollziehung der höheren Gerichtsbarkeit im Kloster Dargun eingesetzt hatte. Dieselben Funktionen haben die Vögte, welche von den Fürsten zu Werle in den dem Rostocker Kloster zum heiligen Kreuz verliehenen und verkauften Territorien, in dem Dorfe Bandow, zu Hohen-Sprenz, eingesetzt wurden; ihre Befugnisse bestehen in der Vollziehung der höheren Gerichtsbarkeit (judicium majus) und in der Einziehung der Beden: petitiones vel alias quascunque angarias facere, pignora accipere etc. Nun gibt es endlich noch eine dritte Art von Vögten, advocati de Rozstoc, städtische und von Stadt wegen angestellte und besoldete Beamte. Diese treten seit der Zeit auf, da Rostock durch Ausdehnung und Verzweigung seines Handels teils mit anderen Städten, Lübeck, Wismar, teils mit den nordischen Mächten Dänemark, Schweden und Norwegen in nähere Berührung und Verbindung gekommen war, als die gegenseitigen Handelsinteressen sich zu kreuzen begannen; diese advocati de Rozstoc nahmen die Stellung der jetzigen Consuln, Gesandten und Geschäftsträger ein, sie hatten die Interessen ihrer Stadt zu vertreten, Rostocker Bürger im Auslande gegen Willkür und Vergewaltigungen zu schützen, auch fungieren sie bei Abschließung von Verträgen, Bündnissen und diplomatischen Verhandlungen als Bevollmächtigte. Einen solchem Rostocker Consul finden wir im Jahre 1275 am Hofe des Fürsten Witzlav von Rügen, es war ein gewisser, dem Ritterstande angehörender Reddag; einem andern begegnen wir im Jahre 1283 zu Schanör in Dänemark*), endlich finden wir Rostocker advocati im Jahr 1288 zu Nyköping in Schweden.

*) Urk. 1705; sie enthält die Quittung über das diesem Gesandten gezahlte Gehalt von 13 Mark und 4 Schilling.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Stadt Rostock bis zum Jahre 1300