Erstes Kapitel



Das Deutsche Reich. Manfred König von Sizilien. Seine Stellung zum Papst, zu Italien. Großer Sieg der Ghibellinen bei Montaperti. Florenz und andere Städte huldigen Manfred. Die Guelfen wenden sich an Konradin in Deutschland. Tod Alexanders IV. 1261. Urban IV. Papst.


Durch die italienischen Kriege erschöpft, war Deutschland in innere Auflösung und Ohnmacht gesunken, aus welcher das alte Reich nie mehr auferstand. Die Krone der Deutschen wurde nach dem Falle Wilhelms von Holland im Friesenkrieg (am 28. Januar 1256) von den uneinigen Fürsten verschmäht und an den Meistbietenden verkauft; das abgeschwächte Nationalgefühl ertrug die Erhebung zweier fremder Herren, Richards von Cornwall und Alfons' von Kastilien, auf den Thron großer Kaiser, aber so allgemein war die Erschöpfung, daß die Doppelwahl, welche die Päpste wiederum zu Schiedsrichtern in Deutschland machte, keine Kämpfe mehr nach sich zog. Diese ausländischen Könige anerkannten ohne Sträuben die richterliche Gewalt des Papsts über das Reich, und sie stellten auf dessen Trümmern nur als Schattenbilder seinen tiefen Verfall dar.

Glücklicher war Manfred in Sizilien, auf dessen Boden kein päpstlicher Söldner mehr stand. Er strebte nach der Krone und erlangte sie. Auf ein wahrscheinlich mit Absicht verbreitetes und geschickt benutztes Gerücht vom Tode Konradins ließ er sich am 10. August 1258 in Palermo zum Könige krönen. Wenn dies eine offenbare Anmaßung der Rechte jenes Erben war, so wurde sie doch von der Stimme des Landes gefordert, von den Verhältnissen geboten und entschuldigt: sie fand ihr Vorbild an Philipp von Schwaben, welcher gleichfalls aus dem Vormunde seines Neffen der Usurpator von dessen Krone geworden war. Den protestierenden Gesandten Konradins erklärte Manfred mit gutem Grund, daß die Herrschaft eines im fernen Deutschland lebenden Kindes über Sizilien unmöglich sei, daß dieses Land nur einem einheimischen Fürsten gehorchen werde, daß er selbst durch Geburt und Sitte Italiener sei; das Königreich, welches er mit seinem Schwert zwei Päpsten abgekämpft habe, wolle er als rechtmäßiger Monarch beherrschen; nach seinem Tode möge Konradin sein Nachfolger werden. Die Krönung Manfreds war ein Akt, der ihn für immer zum Feinde der legitimen hohenstaufischen Ansprüche auf Sizilien machte, ihn zwang, diese von den italienischen Grenzen abzuwehren und das Nationalprinzip Italiens zu vertreten. Die politische Verbindung dieses Landes mit Deutschland wurde dadurch aufgehoben und ein Zustand geschaffen, wie ihn die Guelfen erstrebt hatten.

Als sich nun Manfred aus einem Stellvertreter Konradins in dessen Feind und aus einem Vikar Deutschlands in einen nationalitalienischen Herrscher verwandelt hatte, mochte vielleicht die Klugheit Alexander IV. raten, ihn unter günstigen Bedingungen als Lehnskönig der Kirche anzuerkennen, wie einst ein Papst Ähnliches getan hatte, nachdem der Normanne Roger zum Könige Siziliens erhoben war. Aber Manfred wollte kein Lehnsfürst, sondern ein selbständiger Monarch sein, und die Folgen seiner Krönung waren deren Nichtigkeitserklärung durch den Papst, eine neue Exkommunikation und das über alle Bischöfe und Städte, welche ihn anerkannten, verhängte Interdikt. Der Haß der päpstlichen Kurie gegen das Geschlecht Friedrichs blieb unversöhnbar; ihr begründeter Argwohn stellte sich vor, daß Manfred immerdar der Feind der Ansprüche des Papsts bleiben und nicht ruhen werde, bis er das Königtum Italiens errungen und die Kaiserkrone sich aufgesetzt habe.

Die mehrmals versuchte Aussöhnung scheiterte auch an der Forderung des Papsts, die Sarazenen aus Italien zu entfernen. Die Fortdauer dieser Kolonie von Mohammedanern in Apulien ruft die Geschichte jener Zeiten zurück, wo die Araber aus ihren Raubburgen am Garigliano Italien geschreckt hatten. Friedrich II. hatte ihre sizilischen Stammgenossen als ein immer kampffertiges Lager ausgezeichneter Bogenschützen nach Lucera verpflanzt. Die Predigermönche, welche ihnen Gregor IX. wiederholt sendete, bekehrten diese Ungläubigen nicht; der Name Allahs wurde nach wie vor von den Türmen ausgerufen und der Koran von den Schriftkundigen in den Moscheen erklärt. Seine Garde hatte Friedrich aus Sarazenen gewählt und manchen Moslem vorurteilslos zu hohen Ämtern erhoben. Diese Mohammedaner lebten durch die Duldung der Hohenstaufen und blieben ihnen treu. Wenn die Angabe des englischen Chronisten, daß sie 60 000 streitbare Männer zählten, auch übertrieben ist, so waren sie doch zahlreich genug, den Papst zu ängstigen. In den Kriegen der Hohenstaufen wider die Kirche waren sie das einzige stehende Heer, die eifrigsten Kämpfer und die schonungslosesten Verderber ihrer Feinde. Unverwundbar für Bannstrahlen, erwürgten sie Priester und Bettelmönche, verbrannten sie ohne Gewissensbisse Kirchen und Klöster und zerstörten sie eroberte Städte, wie Albano und Sora unter Friedrich II., wie Ariano unter Manfred. Den Päpsten blieb ihre Kolonie in Süditalien ein Stachel im Herzen. Alexander IV. forderte ihre Entfernung, doch Manfred hatte seine Rettung nur ihrer Treue und seine ersten Erfolge ihren Bogen und Pfeilen verdankt; er schützte sie und rief wie sein Vater immer neue Scharen von Arabern herbei, welche von den Küsten Afrikas kamen, unter seinen Fahnen Sold zu nehmen. Die Päpste stellten ihn als den Sultan und Verbündeten der Heiden dar, und ihre Kreuzpredigten waren stets gegen Manfred und die Sarazenen Luceras zugleich gerichtet.

Nach seiner Krönung trat er in eine neue Epoche seiner Laufbahn. Er gewann schnell Einfluß in Mittel- und Norditalien; seine Macht nahm größere Verhältnisse an. Der Gedanke, Italien als nationaler König unter seinem Zepter zu vereinigen, beschäftigte ihn, obwohl dessen Ausführung unabsehbare Schwierigkeiten bot. Sein Bruch mit Konradin und Deutschland näherte ihn den Guelfen: er hatte sich in den Bund aufnehmen lassen, der zum Sturze Ezzelins entstanden war; er schloß Verträge mit Genua und mit Venedig. Aber es zeigte sich bald, daß die guelfische Partei nicht mehr die wahrhaft nationale war; denn sie stand im Bunde mit demselben Papsttum, welches Italien an fremde Fürsten verhandelte. Der Landesverrat der Päpste steigerte das Nationalgefühl aller patriotisch fühlenden Italiener, und Manfred war eine Zeitlang der erhoffte Mann Italiens. Selbst nach der Kaiserkrone durfte er streben, seinem höchsten Ziel. Wie er einsah, daß die Aussöhnung mit dem Papste unmöglich sei, nahm er die Überlieferungen seines Hauses wieder auf und bekämpfte mit den Ghibellinen den Kirchenstaat. Er ernannte Uberto Pallavicini, ihr Haupt in Norditalien, zu seinem Kapitän in der Lombardei, den Genuesen Percival Doria zu seinem Vikar in Spoleto und den Marken und Jordan von Anglano, Graf von S. Severino, seinen Blutsverwandten, zum Vikar in Toskana. Dies Land, wo Siena der Mittelpunkt der Ghibellinen war, huldigte Manfred als Oberherrn und Protektor seit dem berühmten Tag von Montaperti. Die Sienesen, vereinigt mit den vertriebenen Florentiner Ghibellinen unter deren großem Haupte Farinata degli Uberti und unterstützt durch deutsches Volk unter Jordan von Anglano, vernichteten dort an den Ufern der Arbia am 4. September 1260 die konföderierten Guelfen. Das mächtige Florenz öffnete den Ghibellinen die Tore und huldigte dem Grafen Jordan für Manfred: ein folgenschweres Ereignis! Es minderte die Macht des Papsts; es zersprengte die guelfische Partei, aber es machte sie für immer zum unversöhnlichen Feinde jenes Königs; es kettete diesen ganz an die Ghibellinen, in deren Arme er sich jetzt warf. Es zerstörte für ihn die Möglichkeit des Friedens mit der Kirche, welche in ihrer Not einen fremden Despoten zur Hilfe herbeizog, aber es schuf für Manfred augenblicklich eine neue Grundlage in Mittelitalien, von wo aus er den Papst bedrängen und den Kirchenstaat bis vor die Tore Roms in Aufruhr halten konnte.

Die Guelfen von Florenz und anderen Städten warfen sich ratlos nach Lucca, ihrer letzten Schanze. Sie wendeten sich (so seltsam war die Wandlung der Parteien!) sogar nach Deutschland, und sie forderten Konradin auf, herabzukommen, dem Usurpator die Krone zu entreißen und die Rechte des Reichs wiederherzustellen. Der letzte Enkel Friedrichs II., ein achtjähriges Kind, antwortete ihnen durch seinen Oheim Ludwig von Bayern; er nahm Florenz und den Guelfenbund in seinen ohnmächtigen Schutz, erklärte Manfred und die Ghibellinen für seine Feinde und versprach, bald in Person nach Italien zu kommen oder seinen Legaten dorthin zu schicken, wenn es die deutschen Fürsten gestatten würden. Unterdes bannte Alexander IV., tief bestürzt über den Fall von Florenz, Siena und die Ghibellinen, lud sie vor sein Tribunal und beschwor Pisa, vom Bunde mit Manfred abzustehen. Aber das jetzt ghibellinische Florenz, Pisa, Siena und viele andere Städte schlossen unter dessen Autorität ein Schutz- und Trutzbündnis wider alle Guelfen und deren Anhänger am 28. März 1261. So kam die alte tuszische Eidgenossenschaft in die Gewalt Manfreds. Nur der umbrische Bund, dessen Haupt das guelfische Perugia war, hielt noch seine Fortschritte auf und blieb der Kirche getreu.

Bald darauf starb der schwache Alexander IV., von Kummer niedergebeugt, am 25. Mai 1261 in Viterbo, wohin er sich nach einem langen Aufenthalt in Anagni und einem flüchtigen im unruhigen Rom kurz zuvor begeben hatte.

Die acht Kardinäle (nur so viele bildeten damals das heilige Kollegium) schritten zur Neuwahl in Viterbo. Ihre Stimmen schwankten monatelang, bis am 29. August der zufällig dort anwesende Patriarch von Jerusalem zum Papst gewählt wurde. Jakob Pantaleon, Sohn eines Schuhmachers aus Troyes, war ein durch Talente und Glück in der Kirche emporgekommener Prälat. Die Tatsache, daß ein Franzose den Heiligen Stuhl bestieg, kündigte neue politische Beziehungen an, wodurch das Papsttum zu seinem Unglück die nationale Bahn verließ und sich der französischen Monarchie in die Arme warf. Das Ziel der Päpste, die letzten Hohenstaufen in Italien zu stürzen, war der Grund jener engen Verbindung mit Frankreich; und dies Ziel wurde um einen unermeßlich hohen Preis erreicht.

Pantaleon, als Urban IV. am 4. September 1261 in Viterbo gekrönt, übernahm den von seinen Vorgängern ererbten Haß gegen die „Vipernbrut“ Friedrichs II. mit der Leidenschaft eines persönlichen Feindes. Nach Rom ging er nicht; er hat nie den Lateran betreten.