Zweites Kapitel



Innocenz III. macht aus dem Stadtpräfekten einen päpstlichen Beamten. Verhältnisse der Stadtpräfektur. Die Präfekten vom Haus Vico. Verhältnisse des Senats. Scottus Paparone Senator. Innocenz III. erlangt das Recht auf die Senatswahl. Schwurformel des Senators. Die Stadtgemeinde Rom bleibt autonom. Erste römische Podestaten in auswärtigen Städten.


Von seinem Throne warf Innocenz III. einen Blick auf das, was er beherrschte, und er sah nur Trümmer; auf das, was er unternehmen sollte, und er sah die Welt in solcher Verfassung, daß sie sich einem kühnen Geiste zur Beherrschung darbot. Die weltliche Macht St. Peters war unter seinem schwachen Vorgänger völlig zerstört worden; denn die entfernteren Provinzen des alten Kirchenstaats befanden sich im Besitze deutscher Grafen, der damit belohnten Generale Heinrichs VI.; die Landschaften bei Rom in der Gewalt des Adels oder des Senats. Die erste Aufgabe für Innocenz war daher diese: die Herrschaft des Papsttums in den nächsten Kreisen wiederherzustellen. Wenn ihm dies und noch Größeres unerwartet schnell gelang, so verdankte er es der Bestürzung, in welche der Tod Heinrichs VI. und die plötzliche Verwaisung des Reichs die kaiserliche Partei versetzt hatten. Das Papsttum erhob sich am Sarge seines Bedrängers aus tiefer Schwäche plötzlich zur Nationalmacht Italiens.

Da die Republik auf dem Kapitol ihren Halt verloren hatte, gelang es Innocenz, das päpstliche Regiment in der Stadt mit einem ersten kühnen Anlaufe wieder aufzurichten. Hier standen der Herrschaft des Heiligen Stuhles noch zwei Magistrate im Wege, der Präfekt als Repräsentant der Rechte des Römischen Reichs und der Senator als Vertreter der Rechte des römischen Volks. Die Stadtpräfektur war durch Heinrich VI. wieder zur kaiserlichen Vogtei, der Stadtpräfekt Petrus zu seinem Lehnsmann gemacht worden. Jetzt sah sich dieser ohne Schutz und unterwarf sich um den Preis seiner Anerkennung dem Papste. Am 22. Februar 1198 leistete Petrus Innocenz III. den Vasalleneid und nahm aus seiner Hand als Belehnungszeichen den purpurnen Präfektenmantel. In der uns erhaltenen Schwurformel ist von den Befugnissen seines Amts nur undeutlich die Rede. Der Präfekt huldigt der Kirche als päpstlicher Dienstmann, der mit zeitweiser Prokuration eines Landes betraut ist; er schwört darin, die Rechte der Kirche aufrechtzuerhalten, die Straßen zu sichern, Justiz zu üben, die Festungen für den Papst gut zu verwahren, willkürlich keine neuen zu bauen; keine Vasallen im Patrimonium der Kirche zu seinen eigenen zu machen; seine Verwaltung niederzulegen, sobald es der Papst gebiete. Aber das dem Präfekten untergebene Land wird nicht bezeichnet. Im alten Rom hatte seine Gerichtsbarkeit hundert Meilensteine umfaßt, und daraus leiteten die Römer noch im Mittelalter ihr Recht her, den ganzen Stadtdistrikt durch Gemeinde–Richter zu regieren. Selbst noch im XV. Jahrhundert übergab ein Stadtsekretär Martin V. eine Schrift, worin er folgende Grundsätze aussprach: „Die Stadt Rom wurde nach der Übertragung des Imperium auf einen Fürsten in eine Präfektur verwandelt; sie hat stets eigene Präfektur–Gewalt gehabt; weil nun diese bis zum hundertsten Meilensteine reicht, so umfaßt auch das Stadtgebiet ebensoviel; alles, was darin liegt, ist der Jurisdiktion Roms unterworfen; die Stadt besitzt dort die Rechte der Republik: das merum und mixtum imperium, die Regale, Flüsse, Wege, Häfen, Zölle, Münze und dergleichen.“ Die römische Gemeinde beanspruchte die Verwaltung des ganzen Stadtdistrikts von Radicofani bis Ceprano, von den Bergen der Sabina bis ans Meer, allein von der dortigen Gerichtsbarkeit des Präfekten verlautete nichts. Die Macht dieses einst gefürchteten Blutrichters war durch die Demokratie auf dem Kapitol zerstört worden; der Senator hatte den Präfekten, das Haupt der Stadtgemeinde den kaiserlichen Vogt aus seiner Stellung verdrängt. Welcher Art diese am Anfang des XIII. Jahrhunderts nach dem Erlöschen aller kaiserlichen Fiskalrechte noch war, ist gänzlich dunkel. Ein polizeiliches Tribunal besaß er noch in der Stadt wie außerhalb. Aber sein Einfluß beruhte nicht mehr in seinem Amt, sondern in seinem Landbesitz. Der Stadtpräfekt war nämlich Herr von großen Gütern in Tuszien geworden, wo er manche mathildische Capitanien an sich gebracht hatte. Schon seit dem Ende des XII. Jahrhunderts erscheint als Lokal für seine ehrgeizigen Bestrebungen ein Landgebiet bei Viterbo, und die Präfektur selbst zeigt sich im XIII. Säkulum erblich im Dynasten–Geschlecht von Vico, einem jetzt verschwundenen Ort in jener Provinz, dessen Name noch ein kleiner See trägt. Sie muß überhaupt seit langem mit den Einkünften tuszischer Güter als förmlichem Präfekturlehen begabt gewesen sein; dies amtliche Lehen aber verwandelte sodann das Herrenhaus von Vico nebst der Präfektur selbst in seinen durch Kauf und Raub vielfach vergrößerten Erbbesitz. Innocenz III. suchte diese Erblichkeit vergebens zu hindern, indem er dem Präfekten Petrus, welcher jenem Geschlecht angehörte, nur die zeitweise Prokuration übergab.

Im Jahre 1198 erlosch der letzte nur noch scheinbare Rest der imperatorischen Gewalt in Rom, welche unter den Karolingern der Missus, später der Präfekt dargestellt hatte. Dies Amt überhaupt war so zusammengeschwunden, daß der Papst eigentlich nicht recht wußte, was er mit der veralteten Figur des Präfekten anfangen sollte. Als päpstlichem Missus gab ihm schon Innocenz III. im Jahre 1199 die Gewalt eines Friedensrichters in den Städten Tusziens, Umbriens wie in Spoleto; und dies blieb das Gebiet, wo die Herren von Vico später zu großer Macht kamen. Denn die Hauptsache war, daß der Stadtpräfekt fortan eine sehr hervortretende Dynasten–Stellung als Capitaneus in Tuszien gewann. Seine richterliche Befugnis dauerte übrigens in Rom und dem städtischen Gebiete fort. Man kann ihn als Governator der Stadt betrachten. Er ernannte fortdauernd Richter und Notare; er besaß die polizeiliche Gewalt; er sorgte für die Sicherheit der Straßen und beaufsichtigte die Kornpreise und den Markt. Der Papst, welcher ihn als die älteste Magistratur Roms ehrte, suchte durch ihn offenbar den Senator in Schatten zu stellen. Er gab ihm eine repräsentative Würde voll Pomp und Glanz; denn bei allen Krönungsprozessionen befand sich der praefectus urbis in der nächsten Nähe des Papsts. Am vierten Sonntag, der Quadragesima, wurde er regelmäßig mit der goldenen Rose beschenkt, die er dann in feierlichem Aufzuge zu Pferd durch die Stadt zu tragen pflegte.

Mit gleichem Glück erlangte Innocenz III. an demselben Tage auch die Oberherrlichkeit über die römische Stadtgemeinde. Der wieder aristokratisch gewordenen Republik auf dem Kapitol fehlten noch immer die Grundlagen einer auf der Volkskraft ruhenden Ordnung. Ihre exekutive Gewalt schwankte zwischen oligarchischer und monarchischer Form, zwischen zu vielen Regierern und einem einzigen Podestà. So hatte man im Jahre 1197 56 Senatoren gewählt, doch als Innocenz III. geweiht wurde, gab es nur einen Senator. Das munizipale Haupt Roms bestritt unablässig die Ansprüche St. Peters. Benedikt Carushomo und dessen Nachfolger hatten sich vom Heiligen Stuhle unabhängig gemacht, in den römischen Landstädten Rektoren eingesetzt und selbst in die Sabina und Maritima Kommunalrichter geschickt; denn diese Provinzen, so behaupteten die Römer, waren von Rechts wegen Domanialgüter der Stadt. Die Gemeinde forderte die Jurisdiktion des Stadtdistrikts, und unter ihm verstand sie den Umfang des ehemaligen römischen Dukats. Wie andere Städte Italiens die alten Comitate an sich gebracht hatten, so wollte auch Rom die Gebieterin ihres Dukates sein. Als Innocenz III. den Thron bestieg, war Senator Scottus Paparone, ein edler Römer aus altem, vielleicht dem Papste selbst durch dessen Mutter verwandtem Hause. Er bewog ihn abzutreten; das mit Geldspenden gewonnene Volk verzichtete sogar auf das wichtige Recht der freien Senatswahl, welches Innocenz für ein päpstliches Privilegium erklärte. Er ernannte jetzt einen Wahlherrn (Medianus) und dieser den neuen Senator, worauf die bisher vom Kapitol eingesetzten Justitiare überall im städtischen Gebiet durch päpstliche Richter ersetzt wurden. So kam im Jahre 1198 der Senat in die Gewalt des Papsts.

Wir besitzen noch die Formel des damals vom Senator geleisteten Eides: „Ich, Senator der Stadt, werde von jetzt ab und künftig dir, meinem Herrn, dem Papst Innocentius, treu sein. Weder tätlich noch rätlich will ich dazu beitragen, daß du Leben oder Leib verlierest oder hinterlistig gefangen werdest. Was du mir anvertrauest persönlich oder durch Briefe und Boten, will ich zu deinem Schaden niemand offenbaren. Ich will deinen Nachteil hindern, wenn ich darum weiß; vermag ich das nicht, so will ich persönlich oder durch Briefe und sichere Boten ihn dir kundtun. Nach Vermögen und Wissen will ich dir helfen zur Erhaltung des römischen Papsttums und der Regale St. Peters, welche du besitzest, oder zur Wiedererlangung derer, die du nicht besitzest, und ich will dir das Wiedererlangte gegen alle Welt verteidigen: St. Peter, die Stadt Rom, die Leonina, Trastevere, die Insel, das Kastell des Crescentius, St. Maria Rotunda, den Senat, die Münze, die Ehren und Würden der Stadt, den Hafen Ostia, die Domäne Tusculum und überhaupt alle Gerechtsame in und außer der Stadt. Den Kardinälen und ihrem wie deinem Hofe will ich, wenn sie zur Kirche kommen oder dort verweilen und davon zurückkehren, volle Sicherheit gewähren. Ich schwöre, alles Gesagte in guter Treue zu halten; so mir Gott helfe und diese heiligen Evangelien.“ Aus dieser Formel geht hervor, daß auch damals die Stadt Rom (urbs romana), welche aus zwölf Regionen bestand, nicht nur von der päpstlichen Leonina, sondern auch von Trastevere und der Insel geschieden war. Die Trasteveriner wurden durchaus wie Fremde angesehen, denn kein Mann aus Trastevere durfte zum römischen Senator gewählt werden.

Es wäre irrig zu glauben, daß der Papst fortan eine direkte und königliche Gewalt über Rom erhielt. Die monarchische Regierungsweise im Sinne unserer Zeit war dem Mittelalter so völlig fremd, daß es Innocenz III. nicht einmal beifiel, die Selbständigkeit der römischen Stadtgemeinde zu bezweifeln. Alle Päpste jener Epoche anerkannten die Stadt Rom nicht nur als bürgerliche, sondern auch als politische und autonome Macht. Sie suchten dieselbe zu beeinflussen; sie sicherten ihre Oberherrlichkeit im Prinzip, sie ernannten oft oder bestätigten doch die Senatoren, aber sie verfügten weder über den Willen noch über das Vermögen des Volks. Ihre Herrschaft war nur ein Titel der Autorität, nichts mehr. Denn die Römer fuhren fort, als ein freies Parlament auf dem Kapitol zu tagen, ihre eigenen Finanzen, ihr eigenes Heer zu haben und Beschlüsse über Krieg und Frieden zu fassen, ohne beim Papst deshalb anzufragen. Sie bekriegten Städte selbst des Kirchenstaats oder schlossen mit ihnen staatsrechtliche Verträge. Denn auch diese Städte waren meist freie Gemeinden, während andere Orte im römischen Distrikt vertragsmäßig Lehnszins an die kapitolische Kammer zahlten und vom Senator ihre Podestaten erhielten. Es spricht für das kräftige Wesen des damaligen römischen Adels und für das ehrenvolle Ansehen, welches die Stadtgemeinde genoß, wenn sich in der ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts sehr viele Römer als Podestaten fremder Städte finden. Diese, meist im Schutzverbande mit Rom, ersuchten oft durch feierliche Gesandtschaften das römische Volk, ihnen einen edlen Römer zum Regenten zu geben. Die Reihe solcher Podestaten, welche sich in allen Akten als Consules Romanorum bezeichneten, eröffneten schon im Jahr 1191 Stephan Carzullus, im Jahr 1199 Johann Capocci, beide in Perugia, und Petrus Parentius im Jahre 1199 als Podestà Orvietos, wo er von den ghibellinisch gesinnten Ketzern erschlagen wurde und noch heute im schönen Dom durch einen Altar geehrt wird.