Erstes Kapitel



Die Renaissance. Martin V., Rom und der Kirchenstaat. Colonna und Orsini. Verhältnisse Neapels. Johanna II. adoptiert Alfonso von Aragon. Dessen Kampf mit Anjou. Krieg um Aquila. Fall der großen Condottieri Braccio und Sforza 1424. Martin gewinnt viele Provinzen der Kirche wieder. Er weicht erst dem Konzil aus und beruft es dann nach Basel. Sein Tod im Jahre 1431.


Der Untergang der politischen Selbständigkeit der römischen Kommune, zur Zeit als Martin V. von Konstanz zurückkehrte, beschloß eigentlich das Mittelalter der Stadt, und so könnten wir auch unsere Aufgabe für beendigt ansehen. Aber die universale Natur Roms fordert die Fortsetzung dieser Geschichten noch durch die folgende Übergangsepoche bis zu der Zeit, wo das römisch–kirchliche Ideal des Mittelalters durch die deutsche Reformation zerstört ward.

In diesen hundert Jahren vollzog sich jene große Umbildung Europas, welche man die Renaissance nennt. Nur einseitig war sie die Wiederbelebung des Altertums, im allgemeinen die gesamte Bildungsreform der abendländischen Menschheit.

In der lateinischen Welt trat sie als Wiedergeburt des klassischen Heidentums auf: in der germanischen wurde sie zur Renaissance des evangelischen Christentums. Es war die vereinigte Wirkung dieser beiden Hälften des europäischen Geistes, welche die moderne Kultur erschuf.

Die veredelte Menschlichkeit der Kirche und des Staats, der Völker und der Bürger kann sich aus diesem Prozeß nur durch die Arbeit der Jahrhunderte gestalten, aber sie ist doch schon im XV. Säkulum als der aufgehende Keim des neuen Kulturideals sichtbar, welches an die Stelle des katholischen Ideals des Mittelalters trat, wie es in der Kirche und dem Reich, den universalen Formen des Abendlandes, bisher ausgedrückt gewesen war.

Seit dem Konzil zu Konstanz erfuhr die Menschheit eine tatsächliche Verwandlung. Sie trat aus der Phantasiewelt des Mittelalters in einen praktischen Zustand über. Den Zauberbann dogmatischer Übersinnlichkeit, worin sie die Kirche gefesselt hielt, lösten das Wissen und die erfinderische Arbeit allmählich auf.

Große Tatsachen eröffneten dem Menschen des XV. Jahrhunderts einen weiteren Horizont, und sie schufen eine unermeßliche Fülle von Lebensstoff. Lateiner und Germanen teilten sich in die Erzeugung dieser Tatsachen mit gleich bewundernswürdigem Genie. Jene weckten die Götter, Weisen und Dichter des klassischen Altertums wieder auf, erleuchteten mit der Fackel antiker Wissenschaft das kritiklose Dunkel, worin die scholastische Theologie und der Aberglaube ihre Herrschaft gehabt hatten, und verschönerten das Leben durch den Reiz der Kunst. Aber zu gleicher Zeit durchbrachen sie die geographische Grenze der alten Welt: sie schifften kühn durch die Säulen des Herkules, fanden die Seewege nach Indien und endlich eine neue Welt, Amerika.

Die Germanen empfingen von den Lateinern wie einst die Lehren des Christentums, so jetzt die Schätze der antiken Kultur, deren sie sich so schnell und gründlich bemeisterten, daß sie ihre einstige Macht auch im Reiche des Wissens schon ahnen ließen. Aber sie selbst erfanden die praktische Buchdruckerkunst, welche dem Gedanken Flügel der Verbreitung und ewige Dauer gab. Ihr philosophischer Geist reformierte bald auch zwei veraltete Weltsysteme, das ptolemäische des astronomischen Himmels und das gregorianische des alleinherrschenden Papsttums.

War es nur Zufall, daß in jene Epoche der Untergang des oströmischen Kaiserreiches fiel? Die furchtbare Türkenmacht ließ sich als mohammedanisches Cäsarentum in der Stadt Constantins nieder, bedrohte Europa mit asiatischer Barbarei und zwang dessen Staaten zu politischen Verbindungen und zu lebhafterem Verkehr. Die Päpste faßten den Gedanken der Renaissance der Kreuzzüge, doch die mittelalterlichen Ideen erwiesen sich als tot, denn der kirchliche Glaube begeisterte die praktisch gewordene Welt nicht mehr, die nur noch von politischen Trieben bewegt wurde. An die Stelle des theokratischen Prinzips trat die Politik selbständiger Staaten. Nationale Ländermassen oder monarchische Erbreiche bildeten sich wie Spanien, Frankreich, England und Österreich. Sie rangen nach der europäischen Hegemonie. Kongresse der Mächte traten an die Stelle der Konzile, das politische Gleichgewicht an die Stelle der internationalen Autorität des Kaisers und Papsts.

Das Papsttum selbst, tief erschüttert und alt geworden, fand sich nach Überwindung des großen Schisma in einer neuen Zeit im veralteten Rom wieder, doch nicht mehr als die weltbewegende Universalgewalt des Abendlandes. Wenn es auch, noch stark durch sein Verwaltungssystem, sein dogmatisches und hierarchisches Ansehen wiederherzustellen vermochte, so war doch seine große Idealmacht schon untergegangen. Die Epoche der Renaissance Europas wurde die Zeit seiner eigenen profansten Verweltlichung auf den Grundlagen eines kleinen monarchisch werdenden Fürstentums. Diese zeitgemäß praktische, aber der Kirche selbst nachteilige Verwandlung erklärt sich aus dem Selbständigwerden der Staaten und Volksgeister, aus dem Verlust der großen geistlichen Aufgaben des Mittelalters, aus dem Aufhören des weltgeschichtlichen Kampfs mit der Reichsgewalt und endlich aus dem Fall der städtischen Freiheit Roms.

Der Fortbestand der kapitolischen Republik würde die Päpste des XV. Jahrhunderts ohne Frage genötigt haben, ihre Tätigkeit hauptsächlich auf die geistliche Sphäre zu wenden: unumschränkte Herren Roms geworden, verließen sie ihre höchsten Aufgaben als Oberpriester der Christenheit, um sich als weltliche Fürsten ihren Tempelstaat einzurichten. Sie versenkten sich aus Herrschbegier und Familientrieb in die politischen Händel der italienischen Staaten, und doch besaßen sie nicht Stärke genug, um die wirkliche Herrschaft über Italien zu erlangen. Dieses Land wurde nicht minder durch die Nepotenpolitik seiner Päpste als durch die dynastische Eifersucht seiner Fürsten endlich die Beute fremder Eroberer.

Das Papsttum der Renaissance, entstanden aus den es umformenden Trieben der Zeit, bietet meist nur ein abschreckendes Schauspiel dar, und die hohen Verdienste einiger Päpste um die Kultur der Wissenschaft und Kunst ersetzten nicht den unermeßlichen Verlust, den die allgemeine Kirche durch die Ausartung der schrankenlos gewordenen Papstgewalt erlitt. Die Natur dieser Übel zu verschleiern oder ihre wahren Ursachen zu fälschen, ist heute ein vergebliches Bemühen. Wenn die Päpste der Renaissance die von ganz Europa begehrte Reform nicht verweigert, wenn sie die Vorteile des Papsttums nicht an die Stelle der Kirche gesetzt hätten, so würde die große Kirchentrennung schwerlich erfolgt sein. Europa sah sich mit einer neuen römischen Absolutie bedroht, die um so unerträglicher war, weil ihr keine erhebende religiöse oder soziale Idee zugrunde lag. Gemeine weltliche Triebe der Herrschsucht und Habsucht beherrschten das Papsttum in einer Zeit schrankenloser Sittenverderbnis. Die murrenden Völker duldeten die tiefste, heute kaum glaublich scheinende Entheiligung des Christentums und die fortgesetzten Eingriffe der alles verschlingenden Kurie in ihre Staaten und Bistümer, in ihr Gewissen und ihr Vermögen, bis zum Beginne des XVI. Jahrhunderts das Maß voll ward. Deutschland, durch die Reichsidee seit langen Jahrhunderten an Rom gekettet, riß sich vom Papsttum durch seine nationale Reform los, und das Resultat der unerträglichen Mißhandlung edler Völker war die Selbständigkeit der germanischen Welt und durch sie eine neue Kultur, deren Mittelpunkt nicht mehr die Kirche ist. In der Befreiung der Völker und Staaten von der Führung Roms durch die deutsche Reformation endete demnach die zweite römische Weltherrschaft und das Mittelalter überhaupt.

Die beiden letzten Bände dieses Werks entwickeln die Geschichte jener Epoche im Rahmen Roms. Die Gärung der europäischen Geister in diesem denkwürdigen Umwandlungsprozeß erzeugte gewaltige politische Erschütterungen und dämonische Leidenschaften, während das Licht der Wissenschaft und die Blüte der Schönheit über der Welt aufgingen, um in ewigen Denkmälern fortzudauern.

Nach seiner Rückkehr beschäftigte Martin V. die schwere Aufgabe, den Kirchenstaat herzustellen, die Stadt aus ihrem Verfall zu erheben. Sie gelang ihm so weit, daß er die Fundamente legen konnte, auf denen seine Nachfolger ihr Papstkönigtum aufgebaut haben. Das erschöpfte römische Volk widerstand ihm nicht: es begrüßte vielmehr in seinem erlauchten Mitbürger den Befreier von Tyrannen und Friedensstifter. Zwar lebten noch die republikanischen Grundsätze, aber nur in einzelnen Geistern. Es gab noch Römer, welche in ihrer Kindheit den großen Volkstribun und in ihrer Jugend die Bannerherren gesehen hatten. Diese Zeiten waren für immer dahin; Rom konnte von der alten Freiheit nichts mehr bewahren als die Selbstregierung der Gemeinde, ein Gut, welches freilich noch unschätzbar war. Martin hielt diese kommunale Verfassung stets in Ehren. Auf seinen Befehl trug Nicolò Signorili, der Schreiber des Senats, die Rechte der Stadt in ein Buch zusammen. In hergebrachten Formen dauerte der kapitolische Magistrat mit dem fremden Senator, seinem Collateralis und seiner Richterkurie, mit den drei Konservatoren und allen übrigen Beamten der Republik. Doch diese Körperschaft besaß nur noch kommunale, polizeiliche und richterliche Befugnisse.

Die Verwilderung der Stadt war übrigens so groß, daß es dem Papst nur mit Mühe gelang, die Ordnung zurückzuführen. Das Rom Martins V. war noch die Stadt des XIV. Jahrhunderts, ein von Türmen überragtes Labyrinth schmutziger Gassen, worin das Volk in Armut und Trägheit freudelose Tage hinbrachte. Blutrache hielt die Geschlechter entzweit: Bürger lagen mit Baronen und diese miteinander in Kampf. Im Jahre 1424 erschien ein damals berühmter Heiliger in Rom, Buße zu predigen, der Minorit Bernardino von Siena. Der Scheiterhaufen, welchen er am 25. Juni mit Symbolen des Luxus und der Zauberei auf dem Kapitol anzündete, und die Hexe Finicella, die drei Tage später verbrannt wurde, waren Schauspiele, welche Martin an die Tage von Konstanz erinnern mußten, wenn dies nicht ohnehin der wilde Hussitenkrieg getan hätte.

Auch in der Campagna lag alles in Anarchie. Städte standen dort gegen Städte, Barone gegeneinander und die Gemeinden in Waffen. Räuberschwärme machten die Landschaft unsicher. Martin stellte deshalb die Maritima unter das Tribunal des päpstlichen Rectors, indem er alle Exemtionen aufhob, welche Päpste dort erteilt hatten. Ein Räubernest Montelupo ließ er zerstören, einige Bandenhäupter hinrichten, und die Sicherheit kehrte zurück. In Tuszien war der Stadtpräfekt Johann von Vico emporgekommen und so kriegstüchtig, daß Martin ihm Amnestie geben mußte. Dagegen waren die meisten römischen Baronalgeschlechter verschuldet und verarmt. Die Annibaldi saßen machtlos auf ihren lateinischen Erbgütern, nicht minder die Conti, die Gaëtani und Savelli. Nur Orsini und Colonna waren noch stark genug, um in Rom Bedeutung zu haben. Beide Geschlechter besaßen außer ihren Landgütern auf beiden Seiten des Tiber auch große Lehen im Königreich Neapel, und sie hatten in den letzten Zeiten des Schisma durch den Kriegsruhm einiger ihrer Mitglieder Ansehen erlangt. Ihre ererbte Feindschaft fand jetzt neue Nahrung, seitdem ein Colonna Papst geworden war. Liebe zu seinem Hause, wie das Bedürfnis eigener Sicherheit trieben gerade Martin V. zu einem maßlosen Nepotismus, und mit ihm begann das Bestreben der Päpste, ihre Familien auf Kosten bald Neapels, bald des Kirchenstaats groß zu machen. Seine beiden Brüder hatte er durch die Königin Johanna mit herrlichen Lehen ausstatten lassen, denn Giordano war Herzog zu Amalfi und Venosa, Fürst von Salerno und Graf von Celano; Lorenzo erhielt die Marsengrafschaft Alba. Der Papst selbst mehrte die Erbgüter des Hauses durch viele Kastelle im römischen Gebiet, welche er von Abgaben befreite. Die Colonna erhielten nach und nach Marino, Ardea, Frascati, Rocca di Papa, Petra Porzia, Soriano, Nettuno, Astura, Palliano und Serrone, und sie wurden so die Gebieter des größten Teils von Latium. Selbst in fernen Burgen Umbriens und der Romagna gab der Papst seinen Nepoten das Besatzungsrecht. Aber die Vermehrung der Hausmacht Colonna mußte neue Fehden mit ihren Erbfeinden herbeiziehen. Während der Kern der Besitzungen jener in Latium lag, herrschten die Orsini in Tuszien und der Sabina. Dort hatten sie schon im XIV. Jahrhundert große Landschaften am See von Bracciano erworben, während sie seit uralten Zeiten Monterotondo und Nomentum, wie das umliegende sabinische Land bis zu den Grenzen der Abruzzen besaßen. Denn hier hatten sie längst Tagliacozzo an sich gebracht. Um den Besitz gerade des Marsenlandes, in welches sich jetzt die Colonna eindrängten, entspann sich der Streit der beiden Familien. Martin verfuhr zwar mit den Orsini vorsichtig, die er schon in den ersten Jahren seines Pontifikats zu gewinnen suchte, zumal der hochgebildete Kardinal Giordano einer seiner Beförderer zum Papsttum gewesen war; doch konnte der Kampf beider Häuser nicht lange auf sich warten lassen.

Der Papst sah übrigens seine Brüder schnell dahinsterben: Lorenzo kam schon im Jahre 1423 in einem brennenden Turme der Abruzzen um, und Giordano starb kinderlos zu Marino am 16. Juni 1424. Antonio, Prospero und Odoardo, die Söhne Lorenzos, setzten den Stamm fort. Den jungen Antonio, Fürsten von Salerno, hoffte Martin sogar auf den Thron Neapels zu erheben; Prospero ernannte er am 24. Mai 1426 zum Kardinal von St. Georg in Velabro, proklamierte ihn aber seiner Jugend wegen erst im Jahre 1430. Martins Schwester Paola war die Gemahlin Gherardo Appianis, des Herrn von Piombino, und ihr hatte er Frascati verliehen. Caterina, eine Tochter Lorenzos, hatte er am 23. Januar 1424 mit Guidantonio Montefeltre, dem Grafen von Urbino, vermählt. Diese in Rom feierlich abgeschlossene Verbindung eröffnete die lange Reihe von Nepotenvermählungen des XV. Jahrhunderts. So ganz lebte Martin in den Erinnerungen seines Hauses, daß er sogar im Palast der Colonna bei den Santi Apostoli seit 1424 seinen Sitz nahm, um furchtlos unter den Römern und auf der Stätte seiner Ahnen zu wohnen. Er hatte jenen Palast neu ausgebaut. Er baute auf der Campagna auch das Schloß Genazzano; hier war er selbst geboren, und er hielt sich in ihm bisweilen auf, wenn ihn Hitze oder Pest aus Rom vertrieben.

Mit Kraft und Klugheit in der Stadt herrschend, wo ihm der Magistrat, die Barone, die Kardinäle gehorsamten, wurde Martin V. auch in den Provinzen des Kirchenstaats vom Glück begünstigt. Ein nur loser Verband mit der päpstlichen Autorität gab jenen Ländern kaum noch den Begriff eines Staats. Die Städte in Umbrien, der Romagna und den Marken waren entweder frei oder in der Gewalt von Tyrannen, welche die Hoheit der Kirche hier gar nicht, dort nur als Vikare anerkannten. Unter diesen Vasallen war Braccio von Montone der mächtigste. Martin hatte seine eigene Rückkehr nach Rom nur durch den Vertrag mit diesem Condottiere möglich gemacht und sich hierauf seiner Waffen bedient, um Bologna zum Gehorsam zurückzuführen. Aber er hatte ihm Perugia, Assisi, Todi und andere Orte als Vikariate überlassen müssen. Der furchtbare Tyrann Umbriens wartete nur auf die Gelegenheit, sich aus Ländern der Kirche ein Fürstentum zu gründen. Er wurde indes in die Verwirrungen des Königreichs Neapel hineingezogen, wo er sein Ende fand.

Dieses alte Lehen des Heiligen Stuhls nahm in der weltlichen Politik Martins die erste Stelle ein. Schon manche Päpste hatten es an ihre Nepoten zu bringen gesucht, und auch er hoffte darauf; denn die letzte Erbin des Hauses Anjou–Durazzo war ein charakterloses Weib, ein Spielball der Hofkabalen und dem Willen ihres Günstlings, des Groß–Seneschall Ser Gianni Caracciolo untertan. Vor seiner Rückkehr nach Rom hatte Martin diese Königin Johanna II. anerkannt und durch seinen Legaten krönen lassen; aber schon in Florenz geriet er in Streit mit ihr, wozu die Rückstände des Tributs die nicht unwillkommene Veranlassung boten. Noch mehr erzürnte es ihn, daß die Königin Sforza nicht unterstützte, nachdem sie diesen General ausgeschickt hatte, Braccio aus dem Kirchenstaat zu vertreiben. Der beleidigte Sforza forderte Ludwig von Anjou zur Eroberung des Königreichs auf, und diesem Plane gab auch Martin noch in Florenz seine Zustimmung. Als nun jener Condottiere die Fahne Anjou in Neapel wieder erhob, trieb dies die haltlose Königin zu dem folgenschweren Entschluß, den König von Aragon in ihr Land zu ziehen.

Der kühne Alfonso belagerte eben Bonifazio in Korsika, als ihm neapolitanische Boten die Aussicht auf die Krone des herrlichsten Reiches eröffneten und ihn aufforderten, Johanna von ihren Bedrängern, Sforza und Anjou, zu befreien. Er schickte eine Flotte ab, welche Neapel entsetzte, dann traf er selbst dort im Juli 1421 ein, worauf ihn die Königin als Nachfolger adoptierte. Dies brachte den Papst auf; denn wie durfte er den Thron Neapels von einem Monarchen einnehmen lassen, welcher bereits Aragon, Sizilien und Sardinien besaß? Fortan stritten beide Prätendenten um die neapolitanische Krone: auf der Seite Aragons kämpfte Braccio, welchen Johanna herbeigerufen, zum Reichs–Connetable ernannt und mit Capua und Aquila beliehen hatte: auf der Seite Anjous standen Braccios Todfeinde, Sforza und der Papst. Diesen selbst schreckte Alfonso mit dem Gegenpapste Benedikt XIII., welcher damals noch auf dem Kastell Peniscola saß. Anjou war unglücklich; bald kam er hilfeflehend nach Rom; und Martin suchte jetzt, was ihm die Waffen versagt hatten, mit diplomatischen Künsten zu erreichen. Die wankelmütige Johanna entzweite sich in der Tat mit Alfonso; sie widerrief am 1. Juli 1423 dessen Adoption und übertrug diese zur großen Freude des Papstes auf Ludwig von Anjou. Martin, der jetzt alles aufbot, diesen zur Anerkennung zu bringen, lud den Herzog von Mailand ein, mit ihm gemeinsam Aragon von Italien fernzuhalten, und wirklich unterstützte ihn Filippo Visconti durch eine genuesische Flotte. Braccio unterdes, schon Herr Capuas und Parteigänger Alfonsos, war gegen Aquila gerückt, welches sich noch für Johanna behauptete. Wenn er diese Stadt mit seinen Besitzungen vereinigte, so würde der große Condottiere von dort, wie von Perugia aus einen eisernen Ring um Rom gelegt haben.

Der Papst erkannte die Wichtigkeit Aquilas; er schickte Truppen dem Sforza zu Hilfe, welchen die Königin im Dezember 1423 zum Entsatz jener Stadt hatte ausrücken lassen. Aber dieser berühmte Kriegsmann versank vor den Augen seines Heeres in den Wellen des Flusses Pescara, als er ihn gepanzert durchreiten wollte, wie einst Percival Doria, der Freund Manfreds, in der Nera versunken war. Sforza, der sich von der Ackerscholle zu den höchsten Ehren emporgeschwungen und Italien mit seinem Ruhm erfüllt hatte, vererbte seinen Namen, seine Güter, seinen Ehrgeiz und ein größeres Glück einem seiner Bastarde, dem bald weltberühmten Francesco, welcher seine Laufbahn unter den Fahnen des Vaters begonnen hatte, sie im Dienst der Königin von Neapel und anderer Herren fortsetzte und auf dem Herzogsthron Mailands glorreich beschloß. Der Untergang seines einzigen ebenbürtigen Gegners eröffnete jetzt Braccio unermeßliche Aussichten auf Erfolg. Dem Papst ließ er sagen, er wolle ihn bald soweit bringen, daß er für einen Denar hundert Messen lesen werde. Er verdoppelte seine Anstrengungen, Aquila zu erobern, aber diese einst vom Hohenstaufen Konrad gegründete Stadt glänzte durch den Heldenmut ihrer Bürger, die den Feind vor den Mauern und den Hunger in denselben dreizehn Monate hindurch siegreich bekämpften. Zu ihrem Entsatz schickten Martin und Johanna Truppen unter Lodovico Colonna, Jacopo Caldora, Francesco Sforza, so daß sich in beiden Lagern die ersten Kriegskapitäne der Zeit versammelten. Endlich entschied am 2. Juni 1424 eine Schlacht das Schicksal Süditaliens und auch des Kirchenstaats; Braccio fiel verwundet in die Hände des Feindes. Ein wütender Ausfall der Bürger gewann den Sieg, und die Befreier zogen in die jubelnde Stadt ein. Den sterbenden Condottiere trug man auf einem Schilde aus der Schlacht; er sprach kein Wort mehr; er verschied am folgenden Tage. Fast gleichzeitig mit Sforza geboren, starb er auch in demselben Jahre wie dieser. Die Namen dieser großen Kapitäne dauerten in jenen militärischen Schulen fort, welche sie gestiftet hatten; denn die Sforzeschi und die Bracceschi wurden zu Faktionen mit politischer Färbung, wie einst Guelfen und Ghibellinen im Mittelalter.

Lodovico Colonna brachte die Leiche des Feindes, der im Bann der Kirche gestorben war, nach Rom. Der tote Held, einst der Schrecken von Päpsten, Fürsten und Städten, wurde wie ein wildes Tier vor das Tor S. Lorenzo hingeworfen, wo er tagelang liegenblieb, bis man ihn verscharrte. Die Römer feierten Freudenfeste; mit einem Fackelzuge geleitete der Adel Jordan, den Bruder des Papsts, nach dem Vatikan, und in Wahrheit konnte Martin froh sein, denn nun war der Mann tot, welcher ihn bisher an der Herstellung des Kirchenstaats gehindert hatte. Alle von Braccio besetzten Städte, Perugia, Todi, Assisi, ergaben sich der Kirche alsbald oder in wenigen Jahren; denn seine Witwe, Niccolina Varano, vermochte sie nicht zu halten, zumal nachdem ihr Sohn Oddo im Krieg gefallen war. Die Macht des Papsts schreckte jetzt auch die kleinen Dynasten in den Marken; der junge Sforza zog in seinem Dienst gegen Foligno, wo er Corrado Trinci zur Unterwerfung zwang. Bald huldigten auch Forli, Fermo, Imola, Ascoli, Sinigaglia dem Heiligen Stuhle wieder, dem sie sich unter ihren Signoren während des Schisma entzogen hatten.

Wie unbeständig indes die Treue seiner Untertanen war, mußte auch Martin V. erfahren; denn Bologna vertrieb im Jahre 1428 seinen Kardinallegaten, den Erzbischof von Arles, und erst nach heftigen Kämpfen und glücklicheren Unterhandlungen gelang es dem Papst im September 1429, diese mächtige Stadt wieder zur Aufnahme eines Legaten, des Dominicus von Capranica, zu bewegen. Sie unterwarf sich der Kirche, aber sie blieb eine sich selbst regierende Republik, welche noch hundert Jahre lang den Päpsten trotzte.

Die italienische Verwirrungen zur Zeit Martins V. bieten nur ein Chaos kleiner Kriege dar, in welchen, außer dem einen Alfonso, nirgends das Genie eines Staatsmannes, sondern nur das Talent von Kapitänen aus der Schule Sforzas und Braccios bemerklich wird, wie Carmagnola, Niccolò Piccinino, Francesco Sforza, Niccolò Fortebraccio, Jacopo Caldora, Niccolò da Tolentino und andere. Aber in dieser innern Gärung einer Zeit, wo Italien vom Dogma des Reichs fast schon frei geworden war, suchen sich doch einige Nationalmächte zu befestigen und einander das Gleichgewicht zu halten: nämlich Mailand, Venedig, Florenz, der Kirchenstaat und Neapel.

Filippo Maria Visconti versuchte, auf den Spuren seines Vaters Gian Galeazzo ein lombardisches Königreich zu gründen; doch das Talent dieses launenhaften Tyrannen von riesigem und häßlichem Körperbau war dem nicht gewachsen. Ihn bekämpften Florenz und Venedig, welche der gemeinsame Feind zu Verbündeten machte, und nur die Vermittlung des Papsts rettete ihn. Denn Martin konnte die zu große Schwächung Mailands nicht dulden, weil sie Venedig zu sehr verstärkt hätte, und diese Republik trachtete unablässig nach Ravenna und den Marken. Sie ging aus dem Kriege mit Visconti mit dem Erwerb Bergamos hervor. Auch die letzte der Guelfenrepubliken, Florenz, bildete noch einen kraftvollen Volksstaat. Sie besaß Pisa und strebte nach Lucca und Siena, ihr Gebiet in Toskana abzurunden. Sie fiel schwer ins Gewicht für diejenige Macht, welcher sie sich zuneigte, und sie war stark genug, das Gleichgewicht unter den italienischen Staaten zu erhalten, als deren Schwerpunkt sie sich bald unter den Medici betrachten konnte. Der Kirchenstaat wiederum bildete sich erst jetzt auf den Trümmern der römischen Gemeinde und anderer Städteverfassungen, noch schwach und unsicher, aber schon mit dem sichtbaren Prinzip des weltlichen Papst–Königtums. Indem die Päpste in die Reihe der italienischen Landesfürsten eintraten, hätten sie die Hegemonie Italiens zu erlangen vermocht, wenn sie das Vasallenland Neapel in ihr Ländergebiet aufnehmen durften. Aber das Erlöschen des Stammes Durazzo erzeugte dort eine dynastische Umwälzung, welche für das Schicksal der ganzen Halbinsel entscheidend wurde. Aragon, und durch dieses später Spanien, trat als Prätendent der Krone Neapels auf, während das Haus Anjou auf denselben Schauplatz Frankreich zog. Im Norden drohte wiederum Mailand, worauf die Orléans viscontische Erbansprüche geltend machten, der Gegenstand des Streites zwischen Frankreich und dem Reiche zu werden, welches seine Hoheitsrechte zu günstiger Zeit wieder aufnehmen konnte.

Die Regierung Martins war im ganzen eine glückliche Wiederherstellung des Papsttums. Im Jahre 1429 erlosch auch der letzte Rest des Schisma durch die Abdankung des Gegenpapstes Muñoz, wozu außer dem Kardinal Peter von Foix der Rat des aragonesischen Königs, Alfonso Borgia, viel beigetragen hatte. Er erhielt zum Lohn das Bistum Valencia, und so begann der Name Borgia bekannt zu werden.

Dagegen zogen sich aus dem Konzil in Konstanz noch tiefe Wirkungen in den Pontifikat Martins hinüber: die hussitische Ketzerei und die Verpflichtung, die Kirche zu reformieren. Hus lebte im Geiste seiner Freunde und Rächer fort; sein Martertod und seine Lehre entflammten das Böhmenvolk und erzeugten jenen schrecklichen Religionskrieg unter Ziska und Prokop, welcher den Albigenserkriegen an Wut gleichkam, sie an Ausdehnung überbot und das Deutsche Reich in tiefe Zerrüttung stürzte. Martin rief die Christenheit zu Kreuzzügen wider die Hussiten auf, doch die deutschen Heere erlagen fast überall. Diesen Brand hätte die Kirche nur durch ihre eigene Reformation zu stillen vermocht, aber der Forderung der Zeit hatte sich der Unionspapst schon in Konstanz entzogen. Er erneuerte die monarchische Autorität des Papsttums, unterwarf das Kardinalskollegium seinem Willen und legte den Grund zur Fürstenmacht des Heiligen Stuhls. Für die Reformation auch nur der eigenen Kurie tat er nichts. In Wirklichkeit entfernte er keinen der Mißbräuche in bezug auf Benefizien, Ämterhandel und Sportelwesen, wogegen das Konzil aufgetreten war, sondern er vermehrte noch diese Übel. Die Beschlüsse in Konstanz hatten ihm die Pflicht auferlegt, das Konzil nach fünf Jahren in Pavia zu erneuern; er berief es notgedrungen dorthin im Jahre 1423 und schickte seine Legaten, dasselbe zu eröffnen. Als die ausbrechende Pest ihm den gesuchten Vorwand gab, es nach Siena zu verlegen, erhob sich auch hier alsbald bedenklicher Streit wider die päpstliche Alleingewalt. Den europäischen Widerspruch gegen diese und gegen die Anmaßung der Rechte der allgemeinen Kirche durch die römische Kurie hatte Martin V. nur augenblicklich zurückgedrängt. Ihm selbst genügte der äußere Friede, in welchem sich die Kirche wieder als Einheit darstellte und das bisher mißachtete Papsttum nochmals zu Glanz und Macht gedieh. Er setzte dieses an die Stelle jener, ohne auf die Folgen zu blicken, welche die verweigerte Reform nach sich ziehen mußte. Weil nun sein einziges Prinzip die Papstmacht war, schreckte er vor dem Gedanken an die Erneuerung jenes furchtbaren Widerspruchs zurück, den jedes Konzil notwendig erheben mußte. Martin eilte auch, die Kirchenversammlung in Siena am 19. Februar 1424 aufzulösen: erst nach sieben Jahren, so gebot er, sollte sich dieselbe in Basel versammeln. Die Reformen an der Kurie beschränkten sich schließlich auf eine Konstitution, wodurch der Luxus der Kardinäle gemindert werden sollte, obwohl dies Gesetz vollkommen erfolglos blieb. Dagegen war es ein wirkliches Verdienst des Papsts, daß er in das Heilige Kollegium mehr Männer brachte, denen Tugenden oder Bildung bald ein hohes Ansehen gaben. Unter denen, die er am 24. Mai 1426 ernannte, befanden sich der reformeifrige Erzbischof von Arles, Louis d'Aleman, der fromme Albergati, der von seinen Zeitgenosssen bewunderte Julian Cesarini, ein Mann von vollendetem Adel des Geistes und der Natur, ferner der hochgebildete Domenico Capranica, und auch Martins Nepot Prospero Colonna sollte einst durch seine Pflege der Wissenschaften beweisen, daß er des Purpurs würdig war.

Die Zeit der Eröffnung des Konzils in Basel nahte heran. Martin hoffte wohl, auch diese Kirchenversammlung umgehen zu können, doch zwang ihn das heftige Drohen der deutschen Reichsfürsten, welche die Beilegung der Hussitenkriege durch jenes Konzil zu erreichen hofften, seine Legaten für dasselbe zu ernennen. Am 8. November 1430 fand man einen Anschlag am Vatikan, welcher Papst und Kardinäle als Ketzer mit Absetzung bedrohte, wenn sie die Kirchenversammlung versagten. Da starb der Papst, und wohl zu seinem Glück, plötzlich am Schlagfluß im Palast bei den Santi Apostoli am 20. Februar 1431. Die geschichtliche Größe Martins V. beruht nur darauf, daß er das Schisma abschloß und als Papst der Union den Heiligen Stuhl wieder in Rom bestieg. Er war ein kluger Mann voll scharfen Verstandes für alles Naheliegende und Praktische, mäßig und fest, von fürstlicher Willenskraft, mild von Sitten und von einnehmenden Formen: der Wiederhersteller des Papsttums und auch Roms. Man darf ihn rühmen, daß er aus Sparsamkeit Pomp und Glanz verschmähte. Der Renaissance, welche kaum zwanzig Jahre nach ihm das Papsttum mit theatralischer Pracht umgab, ging eben erst unter Martin, einem Sohne noch des rauhen XIV. Jahrhunderts, die ganz praktische Restauration voran. Er fand die Kassen der Kirche tief erschöpft. Dies war vielleicht der Grund nicht allein für seine Sparsamkeit, mit welcher er „elendiglich im Palast der Apostel Hof hielt“, sondern auch für seinen Geiz und seine Habsucht. Denn diese Fehler wie den Nepotismus haben die Zeitgenossen an ihm zu tadeln Grund gehabt. Er brachte die Güter der Kirche rücksichtslos an seine Verwandten, ohne des Widerspruchs der Kardinäle zu achten. Hundert Jahre später fällte der Kardinal Aegidius von Martin V. das Urteil, daß er den Grund zur Größe und zum Glanz der Kirche (das heißt des Papsttums) legte, welche zur Zeit Julius II. ihre höchste Höhe erreicht hätten; daß er der Kirche ein goldenes Zeitalter des Friedens zurückgab, aber daß in ihr über dem Gewinn von Reichtümern und Macht die Autorität der Tugend verlorenging.

Rom verschmerzte den Verlust der republikanischen Freiheit unter einem Papst, welcher dem Volk ein gerechtes Regiment und steigenden Wohlstand gab. Während seiner Regierung wurde kaum ein Waffenlärm gehört. Mit Gold auf der Hand, so sagt ein römischer Chronist, konnte man zur Zeit Martins V. viele Millien weit von Rom gefahrlos umhergehen. Auch für die Stadt selbst begann mit ihm eine neue Epoche. Sie erhob sich allmählich aus der Barbarei zu einer menschlicheren Gestalt. Auf dem bronzenen Grabmal Martins V. im Lateran schrieb sein dankbares Geschlecht den schönsten Ehrentitel, den man einem Fürsten geben kann: Temporum suorum felicitas. Und dies Lob war nicht ganz unbegründet, wenn man an die schrecklichen Leiden der Zeit des Schisma zurückdachte.