Drittes Kapitel



Die Römer erheben sich, Paschalis zu befreien. Überfall und Schlacht in der Leonina. Heinrich V. zieht mit den Gefangenen ab. Er lagert bei Tivoli. Er erzwingt vom Papst das Privilegium der Investitur. Kaiserkrönung. Heinrich V. zieht von Rom ab. Schreckliches Erwachen Paschalis' II. im Lateran.


Zwei Kardinalbischöfe, Johann von Tusculum und Leo von Ostia (der Geschichtschreiber Monte Cassinos), waren verkleidet über die Engelsbrücke entronnen. Sie versammelten das Volk. Man läutete Sturm von allen Türmen; die wütendste Aufregung durchtobte Rom. So viel Deutsche ahnungslos in die Stadt gekommen waren, wurden niedergemacht. Und das war die Szene, in welche sich wiederum ein römisches Krönungsfest verwandelte. Seitdem ein byzantinischer Statthalter den Papst Martin ins Exil geschleppt, hatte das Papsttum keinen gleich großen Gewaltstreich durch die oberste Staatsmacht erlitten. Die Römer vergaßen jetzt ihrer Feindschaft gegen die Päpste, sie einigten sich in dem gemeinsamen Gefühl des Hasses gegen die fremde Kaisergewalt. Mit Tagesanbruch brachen sie in die Leostadt, den Papst zu befreien. Hochmütige Verachtung hatte den König sorglos gemacht, so daß dieser Überfall ihm beinahe Leben und Reich kostete. Noch unangekleidet, mit nackten Füßen, sprang er im Atrium der Basilika aufs Pferd, sprengte die Marmorstufen hinunter und stürzte sich ins Kampfgewühl; fünf Römer sanken von seiner Lanze, aber er selbst fiel verwundet vom Pferde. Der Vizegraf Otto von Mailand bot ihm das seinige und sein Leben, und der großmütige Retter wurde hinweggeschleppt und in der Stadt in Stücke zerrissen. Die Wut der Römer war grenzenlos; ihr Überfall wurde zur Schlacht; die Scharen Heinrichs, schon aus dem Porticus herausgeschlagen, drohten zu erliegen. Die Tapferkeit der Römer, nie vorher so glänzend bewiesen, hätte in der Befreiung vom Kaisertum ihren Lohn verdient; aber ihre Plünderungsgier entriß ihnen den Sieg früher, als es die Anstrengung der Deutschen würde getan haben; sie wurden endlich unter großem Gemetzel über die Brücke zurückgedrängt oder in den Fluß gestürzt, und nur die Engelsburg deckte durch Ausfälle ihre Flucht.

Der Verlust der Kaiserlichen war groß; es zeigte sich, daß eine empörte Stadt selbst geordneten Heeren furchtbar sei; Heinrich verließ deshalb nachts die Leonina. Zwei Tage lang blieb er im Lager unter Waffen, während die Römer, erschöpft und rachedürstend, sich von neuem sammelten. Der Kardinal von Tusculum, jetzt Vikar des Papstes, beschwor sie nochmals, die Waffen zu ergreifen: „Römer, es gilt den Kampf für eure Freiheit, euer Leben und euern Ruhm und die Verteidigung der Kirche. Der heilige Vater, die Kardinäle, eure Brüder und Söhne schmachten in den Ketten des treulosen Feindes; tausend edle Bürger liegen tot hingestreckt im Porticus; die Basilika des Apostels, der ehrwürdige Dom der Christenheit starrt von Leichen und Blut; die geschändete Kirche liegt weinend vor euern Füßen und fleht mit aufgehobenen Armen zu ihrem einzigen Retter, dem römischen Volk, um Erbarmen und Schutz.“ Ganz Rom schwor Kampf auf Leben und Tod. Aber in der Nacht vom 15. zum 16. Februar ließ Heinrich die Zelte abbrechen und zog wie ein geschlagener Mann fort ins Sabinische. Während er den Papst und sechzehn Kardinäle gefangen mit sich führte, schleppten seine Soldaten römische Konsuln und Priester an Stricken hinter sich her, mit ihren Lanzenschäften vom Roß herunter sie im tiefen Kot der Straßen zum Fortmarsch treibend, ein Schauspiel, welches an die Zeit der Vandalen erinnern konnte. Bei Fiano setzte das Heer über den Tiber und lagerte endlich an der Lukanischen Brücke unter Tivoli. Es war Heinrichs Absicht, mit den tuskulanischen Grafen sich zu vereinigen und den Entsatz der Normannen abzuschneiden, welche der Kardinal Johann dringend herbeigerufen hatte. Er ließ den Papst mit einigen Kardinälen im Kastell Trebicum, die übrigen Gefangenen zu Corcodilum im engsten Gewahrsam.

So war vom Sohne Heinrichs IV. derselben Kirche, die ihn einst in seiner gottlosen Empörung bestärkt hatte, eine Schmach angetan, wie sie der vierte Heinrich nie verübt hatte. Wie man auch seinen kühnen Staatsstreich betrachten mag, die Nemesis, die sich hier vollzog, war gerecht. Das Unmaß von Canossa fand sein Widerspiel in Rom. Das letzte Anathem hätte den König treffen müssen, welcher den Stellvertreter Christi, ja die römische Kirche selbst, wie ein Salmanassar gefangen hinwegführte; doch Paschalis seufzte und schwieg. Wir haben Kunde von der Bewegung, welche die kirchliche, doch nicht von jener, welche die politische Welt ergriff, als sie die Gefangenschaft des Papstes vernahm; sie regte sich zu seiner Rettung so wenig, als sie es 700 Jahre später tat, nachdem Napoleon das Beispiel Heinrichs V. nachgeahmt hatte. Die Gräfin Mathilde mußte ein solches Ereignis als ihre schwerste Niederlage empfinden, doch sie bewegte sich nicht. Boten um Boten waren nach Apulien geeilt, doch kein Guiscard erschien. Nur Robert von Capua schickte dreihundert Reiter ins Römische, aber sie kehrten schon in Ferentino um, weil sie Latium kaiserlich gesinnt und Heinrichs Heer zwischen sich und Rom fanden. Der plötzliche Tod Rogers und seines Bruders Boëmund verwirrte die normannischen Staaten; ein Aufstand des langobardischen Volks und der Einmarsch Heinrichs war zu fürchten, und so sahen sich jene Fürsten gezwungen, dem Könige durch Gesandte eilig zu huldigen.

Einundsechzig Tage lang hielt Heinrich Kardinäle und Papst in drückendster Gefangenschaft, erst in jenen Burgen, dann in seinem Lager. Zugleich bedrohte er täglich die Stadt; durch Hunger, Verwüstung der Felder, harte Behandlung der Gefangenen wollte er alle zu seinem Willen zwingen. Doch die Römer widerstanden diesmal selbst dem Golde; nur dann wollten sie die Tore öffnen, wenn die Gefangenen in Freiheit gesetzt seien, und Heinrich verlangte dafür vom Papst die Krönung wie die unumwundene Anerkennung des Kronrechts der Investitur. Dem sich Weigernden drohte er, alle Gefangene umbringen zu lassen, wenn er sich nicht fügte. Die Großen des Königs, die Gefangenen, die Römer aus der Stadt, die abgehärmten Kardinäle warfen sich zu Füßen des Papsts und flehten ihn an, im Angesicht des Elends aller, der bedrängten Stadt, der verödeten Kirche, des drohenden Schisma nachzugeben. Es ist anregend, sich statt Paschalis' II. Gregor VII. gefangen zu denken und sich zu fragen, ob jener heldenhafte Mann, welcher in der Engelsburg den ihn kniend Bestürmenden ein ruhiges Nein! entgegenstellte, auch hier nicht würde nachgegeben haben. „Wohlan“, rief der unglückliche Paschalis seufzend, „man zwingt mich um der Befreiung der Kirche willen zuzugeben, was man mir sonst nicht mit dem Leben entrissen hätte.“ Man entwarf neue Verträge. Aber keine schriftliche Bedingung wollte der Graf Albert von Blandrate an die Erfüllung des Schwurs von seiten des Papsts geknüpft wissen, und dieser sagte sich zum Könige wendend mit vorwurfsvoller Milde oder mit bitterm Lächeln: „Ich leiste diesen Schwur, damit Ihr den eurigen haltet“. Das deutsche Lager befand sich jenseits des Anio auf dem „Felde der sieben Brüder“, während diesseits des Ponte Mammolo die Römer standen. Hier schworen im Namen des Papsts sechzehn Kardinäle, das Vorgefallene zu vergessen, den König nie zu bannen, ihn zum Kaiser zu krönen, ihn im Reich und Patriziat zu unterstützen; endlich sein Investiturrecht nicht anzutasten. Für Heinrich schworen vierzehn seiner Großen, den Papst, alle Gefangene und Geiseln zu bestimmter Zeit frei nach Trastevere zu geleiten; die päpstlich Gesinnten nicht zu schädigen, der Stadt Rom, Trastevere und der Tiberinsel Sicherheit zu geben; der Kirche ihre Güter herzustellen.

Der König bestand auf der Ausfertigung des Privilegium der Investitur, ehe man die Stadt erreichte. Es wurde in Eile von einem aus Rom geholten Notar niedergeschrieben. Folgenden Tages brach das Heer auf, setzte, weil die Milvische Brücke damals zerstört war, nicht weit von der Aniomündung über den Tiber und lagerte an der Flaminischen Straße. Hier wurde die merkwürdige Urkunde ausgefertigt und vom unglücklichen Papst mit schweren Seufzern unterzeichnet.

„Gottes Ratschluß hat bestimmt, daß Dein Reich im besondern mit der Kirche verbunden sei, und Deine Vorgänger haben durch Kraft und Weisheit die Krone der römischen Stadt und das Kaiserreich erlangt. Zu dieser Kronen– und Reiches–Würde hat Gottes Majestät auch Deine Person, geliebtester Sohn Heinrich, durch unser priesterliches Amt erhöht. Daher gestehen wir die Vorrechte des Reichs, welche unsere Vorgänger Deinen Vorgängern, den katholischen Kaisern zugestanden, auch Deiner Liebden zu und bestätigen durch gegenwärtiges Privileg wie folgt: daß Du den Bischöfen und Äbten Deines Reichs, die da frei sonder Gewalt und Simonie erwählt sind, die Investitur mit Ring und Stab erteilest; nach ihrer kanonischen Einsetzung sollen sie sodann die Weihe vom Bischof erhalten, dem sie zusteht. Wer aber von Klerus und Volk ohne Deine Zustimmung erwählt ward, soll von niemand geweiht werden, ehe er nicht von Dir die Investitur erhielt. Bischöfen und Erzbischöfen soll es erlaubt sein, von Dir investierte Bischöfe und Äbte kanonisch zu weihen. Denn Deine Vorgänger haben die Kirchen des Reichs mit so viel Benefizien ihrer Kronrechte gemehrt, daß es nötig ist, das Reich selbst zumal durch den Beistand der Bischöfe und Äbte zu befestigen und Wahlstreitigkeiten im Volk durch die königliche Majestät zu schlichten. Deshalb muß Deine Klugheit und Macht dafür sorgen, daß die Größe der römischen und das Heil aller Kirchen mit Gottes Schutz durch königliche Lehen und Gnaden erhalten werde. Sollte aber irgendeine geistliche oder weltliche Gewalt oder Person dies unser Privilegium zu mißachten und umzustoßen wagen, so sei dieselbe mit der Fessel des Anathems umstrickt und ihrer Ehren beraubt. Die es nachachten, schütze die göttliche Barmherzigkeit, welche Deiner Majestät ein glücklich Reich verleihen möge.“

Als Heinrich eine Bulle in Händen hielt, die alle Investiturverbote Gregors VII. und seiner Nachfolger umstieß, mußte ihm sein Sieg kaum glaublich scheinen; er entließ sofort den Papst, der ihm die Benediktion gab, und ein witziger deutscher Chronist konnte den kraftvollen Fürsten mit dem Patriarchen Jakob vergleichen, welcher den Engel, mit dem er rang, nicht eher losließ, bis er ihm den Segen erteilt hatte. Am 13. April hielt Heinrich nochmals seinen Einzug in die Leonina, aber die hastige Krönung entbehrte jedes Akzents der Freude. Alle Tore Roms blieben gesperrt, so daß die Römer in Masse an der Handlung keinen Anteil nahmen. Indes ihre Abgeordneten hatten sich eingefunden, und wie sein Großvater wurde auch Heinrich V. mit den Insignien des Patriziats bekleidet. Der Kaiser nötigte den Papst, das Privilegium aus seiner Hand zurückzunehmen und dann öffentlich ihm wieder zu überreichen, zum Beweise, daß es nicht ein erzwungener, sondern freier Akt seines Willens gewesen sei, und dieser Hohn verwundete den Klerus tief. Der Papst wollte indes aufrichtig Frieden halten; er brach die Hostie für sich und Heinrich, und während beide sie genossen, sagte er mit dem Tone innerer Wahrheit: „So sei vom Reiche Gottes getrennt, wer diesen Vertrag zu brechen versucht“.

Heinrich V. war der erste aller römischen Kaiser, der die Krone in Rom erhielt, ohne die Stadt selbst betreten zu haben. Hinter ihren Mauern begleiteten die Römer seine Krönung mit rachsüchtigen Flüchen; sie konnten ihn einem Räuber vergleichen, der in den St. Peter eingedrungen war, dem Papst das Schwert auf die Brust gesetzt hatte und mit der abgezwungenen Krone von dannen sprengte. Kaum gekrönt, nahm er mißtrauisch Geiseln, brach die Zelte ab und eilte auf derselben Straße, die einst sein Vater und sein Großvater gezogen waren, nach Tuszien fort, hinter sich das nicht eroberte und doch bezwungene Rom, den geschändeten und bestürzten Klerus und mit sich nehmend die Beute seines Raubes, das päpstliche Pergament der bestätigten Investitur. Die Kühnheit seines Staatsstreichs tritt auf dem dunklen Hintergrunde der Geschichte seines Vaters glänzend hervor, aber sie reinigt ihn vom Meineide nicht. Er kehrte rasch die Handlung Heinrichs IV. und Gregors VII. um: der Sohn dessen, der sich vor einem Priester kleinmütig in den Staub geworfen hatte, faßte den Papst mit gewaffneter Hand, beugte ihn unter die königliche Majestät und errang in einem Augenblick, was Heinrich IV. nicht in sechzig Schlachten gewinnen konnte. So zufällig seine gewaltsame Tat erscheint, so war sie doch ein logischer Schluß geschichtlicher Ursachen, aber Erfolge so jäher Art konnten nicht dauern, und die Demütigung, welche Paschalis erlitt, war nicht wie jene Heinrichs IV. moralischer Natur.

Als der Papst elend und betäubt in die Stadt zurückkehrte, begrüßte ihn der fanatische Jubel des Volks; sein Haupt umgab der Nimbus eines nationalen Märtyrertums. So begrüßten auch die Römer 700 Jahre später ihren Papst, als er aus der Gefangenschaft eines fremden Eroberers heimkehrte. Das Gedränge in allen Straßen war so dicht, daß Paschalis kaum gegen die Abendstunde den Lateran erreichte. Ein trügerischer Schein der Versöhnung der Römer mit dem päpstlichen Regiment konnte den Unglücklichen trösten; aber als er sich aus der Betäubung wieder auf sich selbst besann, las er in den bestürzten oder finstern Gesichtern derer, die ihn umgaben, den schrecklichen Kampf, welchem er jetzt in der Kirche selbst entgegenging.