Abschnitt 3. Verschwinden der antiken bürgerlichen Einrichtungen. Erlöschen der heidnischen Universität zur Zeit Justinians. Die antiken Monumente.

2. Kapitel


Auch den letzten öffentlichen Raub einiger, doch keineswegs bedeutender Altertümer der Stadt Athen, von dem wir Kunde haben, hat der Kaiser Justinian verübt. Als er für den Prachtbau der neuen Sophienkirche in Konstantinopel Monumente griechischer Städte in Asien und Europa plündern ließ, mußte auch Athen Säulen und Marmorsteine hergeben.


in Byzanz gab es übrigens eine Sage, welche die Athener noch jener Zeit, wo sie sich keines Mnesikles und Iktinos mehr rühmen konnten, zu ehren scheint. Justinian war zweifelhaft, ob er die Marmorwände und die Fußböden der Sophienkirche ganz mit Gold überziehen sollte; er fragte deshalb zwei athenische Philosophen und Astronomen, Maximianos und Hierotheios, um Rat, und diese Männer waren verständig genug, so zu urteilen: Es werden in einem entfernten Zeitalter arme Könige kommen und den Sophiendom zerstören, wenn er mit Gold überzogen sein sollte; wenn er aber aus Stein ist, so wird er bis ans Ende der Welt fortdauern. Diesem Rate sei dann der Kaiser gefolgt.

So weissagten die scharfsinnigen Philosophen aus Athen die Zeit, wo die lateinischen Kreuzfahrer und später die Türken die Hagia Sophia plünderten und entstellten.
Was die Schicksale der athenischen Denkmäler überhaupt betrifft, so sind diese im großen und ganzen unbekannt geblieben. Der Römer Fea konnte den Versuch einer Geschichte der Ruinen Roms machen, aber so etwas für Athen zu unternehmen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Kirche, Adel und Bürgerschaft haben nach und nach der Stadt Rom neue monumentale Gesichtszüge auf geprägt, doch solche sind in Athen nicht kenntlich. Das geringe Leben dieser Stadt konnte die Fülle der Denkmäler des Altertums weder in sich aufnehmen noch verbrauchen. Während die Römer seit dem Falle ihrer antiken Welt deren Monumente vielfach zu Burgen, Klöstern und Kirchen und zu Wohnungen des Volks umgestalteten und ihre Stadt immerfort aus dem alten Material erneuerten, saßen die Athener Jahrhunderte lang geschichtslos im Schatten der Ruinen ihrer großen Vergangenheit. Gerade der Umstand, daß in dem kleinen Athen jene wirksamen Kräfte gefehlt haben, welche Rom von Zeit zu Zeit verwandelten, spricht dafür, daß sich die antike Gestalt der Stadt des Theseus und Hadrian noch lange erhalten hat. Das Christentum selbst trat hier vielleicht schonender auf als anderswo in den Städten des Römerreichs. Einige Zerstörungen von Kunstwerken und Kultusstätten abgerechnet, an denen sich der heidnische Glaube am festesten angeklammert hielt, scheint die siegende Religion friedlich von Athen Besitz genommen zu haben. Die christliche Gemeinde war dort nicht besonders schweren Verfolgungen ausgesetzt gewesen, noch hatte sich der werdende Kultus der Kirche, wie in Rom, zu den Gräbern der Märtyrer in unterirdische Katakomben zu flüchten nötig gehabt. Das Bedürfnis der Kirchen und Klöster endlich konnte hier nicht die massenhaften Ansprüche machen wie in Rom, dem Mittelpunkte der abendländischen Christenheit. Die antiken, in Kirchen verwandelten Tempel Athens, darunter gerade die herrlichsten, zeigen noch heute, wie sehr man ihrer bei der kirchlichen Einrichtung geschont hat. Wenn man das eine Pantheon des Agrippa und ein paar kleinere Heiligtümer ausnimmt, so ist in Rom kein antikes Bauwerk mit solcher Achtung behandelt worden wie die Propyläen, die Tempel der Stadtburg und jener sogenannte des Theseus. Man darf auch glauben, daß die Athener die öffentlichen Zierden ihrer Stadt mit lebhafterem Kunstgefühl und längere Zeit hindurch gehütet haben als die Römer die ihrigen, gegen deren rücksichtslosen Vandalismus schon im 5. Jahrhundert der edle Kaiser Majorianus seine Gesetze und später der Gotenkönig Theoderich seine Reskripte aus der Feder des Cassiodorus zu richten genötigt waren.
Einige schöne alte Bauwerke reizten die Christen auch in Athen, sie zu Kirchen einzurichten. Wann dies zuerst geschehen, wann der erste antike Tempel dort christlich geworden ist, wissen wir nicht. Die Geschichte der athenischen Kirchen überhaupt ist ganz dunkel, während der ›Liber Pontificalis‹ uns jene Roms mit Sorgfalt aufbewahrt hat. In seinen letzten Regierungsjahren hatte schon Konstantin viele angesehene Tempel zerstören und Kirchen erbauen lassen.

Allein die Chronisten schweigen, soweit dies Athen betrifft. Zur Zeit Theodosios' des Großen wird solche Verwandlung nicht zu schwierig gewesen sein. Selbst schon der Philosophentochter Athenais will man den Bau von zwölf Kirchen in Athen zuschreiben, unter denen gerade eine der schönsten der Stadt, die seit 1853 von den Russen erneuerte des heiligen Nikodemos im Bezirk des alten Lykeion, für ihre Anlage gehalten wird. Doch gibt es keine Beweise dafür.

Christliche Inschriften, die man im Theseustempel gefunden hat, haben sogar die Ansicht veranlaßt, daß dieser schöne Bau schon im 4. Jahrhundert zu einer Kirche, sei es des heiligen Georg oder des Soter, gemacht worden sei.

Manche Tempel in der klassischen Welt haben der Benützung zu christlichen Kultuszwecken ihre Erhaltung zu verdanken gehabt. Athen war hierin sogar glücklicher als Rom, denn die christliche Religion erhielt das große Heiligtum der antiken Stadtgöttin auf der Akropolis fast unversehrt, während der Jupitertempel auf dem Kapitol spurlos verschwand, weil er nicht zu einer Kirche gebraucht worden war.
In der ganzen Geschichte der Transformation antiker Kultusbegriffe und Heiligtümer in christliche gibt es kein Beispiel einer so leichten und vollkommenen Vertauschung als die der Pallas Athene mit der Jungfrau Maria. Wenn Heiden in Arabien, Syrien und Mesopotamien dadurch bekehrt wurden, daß sie in der Gottesgebärerin Maria die Göttermutter Kybele wiederzuerkennen glaubten, so brauchte das Volk der Athener nicht einmal den Namen seiner jungfräulichen Schutzgöttin aufzugeben, denn auch als christliche Gottheit blieb sie die Parthenos.

Daß schon einer der letzten Philosophen der platonischen Akademie der verzweifelte Zeuge des Einzuges der vergötterten Mutter Jesu in das alte Heiligtum der Pallas gewesen sei, kann nicht erwiesen werden. Eine günstige Zeit für diese große Revolution im Leben der Stadt Athen bot sich freilich schon im 5. Jahrhundert dar, nachdem infolge der Verdammung der nestorianischen Lehre Maria als Gottesgebärerin ihre höchste Stelle unter den Heiligen des Himmels erhalten hatte. Es würde endlich nicht gewagt sein zu behaupten, Justinian habe seine Unterdrückung der athenischen Akademie dadurch besiegelt, daß er den Parthenon in eine Kirche verwandeln ließ. Prokopios sagt ausdrücklich von diesem Kaiser, er habe im ganzen römischen Reich der Theotokos so viele und prachtvolle Kirchen errichten lassen, daß man glauben konnte, er sei mit nichts anderem beschäftigt gewesen.

Den Christen Athens mußte alles daran liegen, gerade von der alten Götterburg Besitz zu nehmen. Ehe sie es wagten, die geschlossenen Tempel dort, vor allem den Parthenon und das Erechtheion, in Kirchen zu verwandeln, konnten sie doch zunächst die Altäre und die Götterstatuen, namentlich die der Athene, entfernen. Die letzten Schicksale des Erzkolosses des Phidias und anderer Gebilde desselben Meisters, wie der Pallas im Parthenon selbst, bedeckt dasselbe Dunkel, welches die Hera des Polyklet in Argos und den hadrianischen Zeus im Olympieion Athens den Blicken der Welt entzogen hat.

Auch vom Kapitole Roms verlor sich unbemerkt die Bildsäule des Jupiter, und nur die Legende erzählt, daß sie der große Papst Leo, zum Dank für die Bewahrung der Stadt vor Attila, in die Figur des heiligen Petrus umgewandelt habe. Selbst der Koloß des Nero in Rom fand einen unbemerkten Untergang. Nur das Schicksal des Sonnengottes in Rhodos, des Werkes des Chares von Lindos, welches mehr als ein Jahrhundert jünger war als die Promachos Athens, ist bekannt. Nachdem er schon 60 Jahre nach seiner Aufrichtung durch ein Erdbeben umgestürzt worden war, blieben seine Trümmer bis zum Jahre 653 liegen, wo sie Moawija, der Eroberer von Rhodos, an einen jüdischen Handelsmann verkaufte. Von allen antiken Kolossen aus Marmor hat sich bekanntlich nur der farnesische Herkules erhalten.
Da der Gott Asklepios in der Zeit des untergehenden Heidentums das höchste Ansehen eines Heilandes genoß, so wurde gerade sein berühmtes Heiligtum am Abhange der Akropolis von den Christen zerstört.

Wahrscheinlich baute man, noch ehe der Parthenon zu einer Kirche benützt wurde, eine solche auf den Trümmern jenes Tempels. Im April 1876 wurden daselbst Fundamente einer Gruppe von Kirchen mit drei nach Osten gerichteten Apsiden entdeckt. Zu ihrem Material aber hatten zerbrochene Bildwerke gedient, die ihre ursprüngliche asklepische Bestimmung erkennen ließen. Zugleich zeigten sich sehr alte christliche Gräber.

Wenn demnach angenommen werden muß, daß die Heiligtümer des Asklepios, vielleicht auch der Dionysostempel am Theater, infolge der Edikte Theodosios' II. dem Fanatismus der Christen zum Opfer fielen, so kann doch der Untergang des Tempels des olympischen Zeus nicht dem Vandalismus eines byzantinischen Prokonsuls oder dem frommen Eifer eines Bischofs zugeschrieben werden; denn der gebildete Sinn auch der christlichen Athener würde die Zerstörung einer der schönsten Zierden ihrer Stadt ebensowenig geduldet haben als diejenige der Tempel auf der Akropolis. Der riesige Bau des Olympieion aus der Zeit Hadrians, mit seinem Peristyl von 132 Marmorsäulen von 60 Fuß Höhe, kann nur von Naturgewalten zertrümmert worden sein. Manche Tempel gingen durch Erdbeben und erst spät zugrunde wie der berühmte zu Kyzikos nach der Mitte des 11. Jahrhunderts.

Aber auch jenes angenommen, ist das fast spurlose Verschwinden der Reste des Olympium ganz rätselhaft. Der gigantische Tempel konnte wegen seines Umfanges nicht gut zu einer Kirche benutzt werden; nur an einer Stelle der Säulenhalle wurde, ungewiß in welcher Zeit, eine Kapelle des heiligen Johannes gebaut, zu deren Material Säulenstümpfe dienten.

Im Mittelalter hausten Einsiedler auf einer der Säulen gleich den Störchen, die im Orient mit Vorliebe auf antiken Trümmern zu nisten pflegen. Da die Säulenheiligen schon dem 5. Jahrhundert angehören, konnte auch in Athen bald nach dem entschiedenen Siege des Christentums ein solcher auf einer Zinne des Zeustempels seine luftige Wohnung nehmen und heidnischen Athenern, die ihn darob verhöhnten, bemerken, daß die Tonne des Diogenes nur ihren Standort verändert habe.
Auch die schönen choregischen Denkmäler in der Straße der Dreifüße luden zur Anlage christlicher Kapellen ein. Nachweislich ist eine solche der Panagia Kandeli in der Nähe des Monuments des Lysikrates.
So ist auch die Kirche des Johannes Prodromos am Eingange der Tripodenstraße und jene der Panagia Gorgopiko (alte Metropolis) aus einem Tempel errichtet worden. Selbst der kleine Niketempel auf der südlichen Brustwehr der Propyläen mußte zu einer Kapelle dienen.

In der östlichen Halle der Propyläen wurde über dem Haupteingange ein christliches Heiligtum angelegt. Wenn dasselbe schon in früher Zeit entstand, so wollte sich vielleicht die Geistlichkeit Athens gerade des Ortes bemächtigen, durch welchen die Festprozessionen der Heiden ihren Durchgang nach dem Parthenon genommen hatten. Aus Gemälden der Erzengel Michael und Gabriel, die daselbst im Jahre 1836 entdeckt wurden, hat man geschlossen, daß jene Kapelle den Taxiarchen als neuen Wächtern der Stadtburg geweiht war.
Auch in der Grotte über dem Dionysostheater, wo sich das choregische Denkmal des Thrasyllos lange Zeit erhielt, richtete man eine Kapelle der Panagia Chrysospeliotissa ein, und wahrscheinlich wurde auch die Höhle des Apollo und Pan auf der Nordseite der Burg durch kirchliche Heiligtümer geweiht.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Stadt Athen im Mittelalter