Geschichte der Münchner Oper

Autor: Zenger, Max (1837-1911) deutscher Komponist, Musikrezensent, Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1923
Themenbereiche
Enthaltene Themen: München, Geschichte der Oper, Kurfürsten, Hofmusiker, deutsche Oper, 17. Jahrhundert, 18. Jahrhundert
Nachgelassenes Werk. Herausgegeben von
Kroyer, Theodor (1873-1945) deutscher Musikwissenschaftler
Inhaltsverzeichnis
    Vorwort des Herausgebers.
    Erster Teil: Die Oper unter den Kurfürsten von 1653 — 1787
  1. Die Opera seria unter den Kurfürsten Ferdinand Maria, Max Emanuel und Karl Albert (1653— 1745).
Vorwort des Herausgebers.

Der Komponist des „Kain“ teilt das Los seiner altmünchner Kunstgenossen — „verkannt und vergessen!“ Im Leben fand er keine Gelegenheit, die Werke, an denen sein Herz hing, herauszugeben oder auch nur aufzuführen. Bei seinem Tode hinterließ er einen ungehobenen Schatz, den heute dank der Fürsorge seiner Erben die Münchner Staatsbibliothek verwahrt.

Nur wenige wissen, daß Max Zenger auch Schriftsteller war. Ja, er war Kritiker. Er schrieb erst für die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Münchner Neuesten Nachrichten“, später für die „Allgemeine Zeitung“ Musikberichte und für das „Musikalische Magazin“ Aufsätze über Schubert, Lachner, über Gesang und Instrumentalmusik; und in den letzten Jahren seines Lebens arbeitete er an einer „Geschichte der Münchner Oper“. Sein Nachlaß enthält außer ungedruckten Studien die umfangreiche Handschrift dieses Werkes, das ihn, freilich nicht ganz ohne seine Schuld, von dem Augenblick an, da er Mittel und Wege dafür suchte, manch' bittere Stunde kostete. Es ist leider unvollendet geblieben. Durch die Opferwilligkeit des Verlags tritt es nunmehr ans Licht. So wird denn der sehnlichste Wunsch des Verstorbenen erfüllt, wenn es auch sehr zweifelhaft ist, ob Zenger mit den notwendigen Kürzungen und Nachträgen des Bearbeiters einverstanden gewesen wäre. Er hatte den Kultusminister um einen Zuschuß gebeten. Aus dem Briefwechsel, der seine Bemühungen um die Drucklegung des Buches begleitete, geht hervor, daß ihn das auf Wunsch des Ministeriums von der bayerischen Akademie der Wissenschaften abgegebene Gutachten, das bei aller Anerkennung auch einige Verbesserungen forderte, nicht zu überzeugen vermochte. Er war auch in diesem Punkt ein Original. Damit hat es aber noch eine andere Bewandtnis.

Zenger betrachtete sich als Erben Rudharts.

An der Spitze seines Entwurfes schreibt er: „Nach einem ursprünglichen Plane sollte gegenwärtiges Geschichtswerk, welches als im unmittelbaren Anschlüsse an Fr. M. Rudharts „Geschichte der Oper am Hofe zu München“ gedacht ist, nur mit gelegentlichen, den Zusammenhang vermittelnden Hinweisungen auf diese, im übrigen aber selbständig der Öffentlichkeit übergeben werden. Je mehr indes die Arbeit ihrer Vollendung entgegenrückte, desto mehr kam ich zur Überzeugung, daß auf diese Weise dem Leser ein geschichtliches Ganzes, worauf er Anspruch hat, nicht geboten würde, und daß das Buch seinen schönsten Zweck, sich als vollgültiger Bestandteil in die allgemeine Geschichte der Münchner Oper einzustellen, nur durch Einbeziehung dieses älteren Abschnittes der Operngeschichte, wenigstens der Hauptsache nach, erreichen kann. Denn wenn auch die Kunstgattung, um deren Pflege es sich in dem ganzen genannten Zeitraum bis zu den letzten Dezennien ausschließlich handelt, nämlich die italienische „Opera seria“, eine verfehlte, irrtümliche war, so kommt ihr doch eine eminente kunstgeschichtliche Bedeutung dadurch zu, daß aus ihr unser musikalisches Drama, welches seine Kulmination durch Wagner erhalten, hervorgegangen ist.“

Zenger wollte im ersten Teil seines Buches die Ergebnisse Rudharts zusammenfassen. Zu dieser Aufgabe, wie überhaupt zur Fortsetzung der Rudhartschen Studien glaubte er sich nicht nur durch seine persönlichen Beziehungen zum Münchner Hoftheater und „sonstige Attribute“ berechtigt, sondern auch durch seinen verstorbenen Freund Rudhart selbst, mit dem ihn „eine große Übereinstimmung in musikalischen Anschauungen und Grundsätzen“ verband. „Was mich nun,“ fährt er fort, „für einen großen Teil meiner Arbeit, namentlich für die ersten zwei Kapitel wesentlich unterstützte, und wovon ich ausgiebigen Gebrauch machte, war eine Masse von teils urkundlichem teils anderweitigem Geschichtsmaterial, welches Rudhart zu seinem Zweck noch aufgestapelt hatte, insbesondere ein vollständiges Verzeichnis aller am Münchner Hoftheater bis 1864 italienisch und deutsch gesungenen Opern, ein Essai: „Ein Theaterintendant des vorigen Jahrhunderts (Seeau)“, ein gleicher über Peter Winter und vieles andere mehr.“ Diese Stoffüberfülle, meint er, war es wohl auch gewesen, die seinen Freund von der Vollendung des Werkes abgeschreckt habe.

Zenger bringt in der Tat für seine Aufgabe hervorragende Eigenschaften mit, als langjähriger Theaterkritiker, als dramatischer Komponist und Kapellmeister, der viele Werke aus der Partitur kannte, der an der Münchner Bühne selber, wenn auch nur kurze Zeit, tätig war, nicht zuletzt als Gesangsmeister und Lehrer. Gerade die Personalberichte seines Werkes bekunden ungewöhnliches Verständnis und bieten etwas Besonderes.

Aber nicht zu vergessen, er kam von der alten Schule her und war in erster Reihe schaffender Künstler. Das eine prägt sich in seiner Auffassung der Neuzeit, das andere in seinem Verhältnis zur historischen Pragmatik aus.

Mit dem raschen Tempo der modernen musikwissenschaftlichen Forschung, das namentlich der Operngeschichte zu Gute kam, kann seine ältere Darstellung nicht gleichen Schritt halten. Sie folgt in der Sache, wie in der Anschauung der Überlieferung. Die Geringachtung der Opera seria, die schon aus dem Vorbericht des Entwurfes hervorblitzt, die Verurteilung des Intendanten Seeau, die starke Voreingenommenheit gegen das Publikum, und ähnliche Stimmungsäußerungen übernimmt Zenger gutgläubig von seinem Vorgänger. In der Folge treten auch die unter Karl Theodor und späterhin ausgetragenen, für die nationale Kunst so wichtigen Kämpfe zwischen der italienischen und der deutschen Oper nicht scharf genug heraus. Hier mußte also der Bearbeiter nachhelfen, kürzen, ausfüllen. Die Auszüge aus Rudhart mußten vollständig umgearbeitet werden. Sie sind, wie alle späteren Zusätze durch Klammern gekennzeichnet.

Mit dem zweiten Teil beginnt die Fortsetzung des Rudhart'schen Buches, die äußerlich an Grandaurs „Chronik“ anschließt und bis zum Tode König Ludwigs II., ursprünglich wohl noch weiter in die Gegenwart führen sollte. Da die Handschrift mit dem Jahrgang 1870 abbricht, war der Schluß zu ergänzen. Im Übrigen verlangte der einheitliche Charakter der Zengerschen Darstellung gewisse Beschränkungen.

In diesem zweiten Teil liegt der Nachdruck nicht auf der älteren Zeit, so sehr sich auch der Verfasser bemüht, den chronikalischen Bericht ästhetisch zu durchleuchten und mit seiner Persönlichkeit zu durchwärmen.

Wenn Künstler Geschichte schreiben, wird gern ein Band Erinnerungen daraus. Was ist ihnen „Geschichte“? Doch nur die altersgraue Norne, die Muhme der Gegenwart, die ihnen mehr gilt. Sie fühlen sich immer als Zeitgenossen. Sie sehen die Vergangenheit im Widerschein ihres Jahrhunderts, unbeschwert von dem Ehrgeiz des Historikers, dem gerade die Überwindung subjektiver Meinungen das Höchste ist. So will auch Zengers Geschichte nicht als „Geschichte“ im strengen Sinn genommen sein. Sie ist Bekenntnis. So ehrlich seine wissenschaftlichen Absichten sein mögen, unwillkürlich schält sich aus dem Historiker der Künstler heraus, der schließlich die Wagnerzeit zum letzten Zweck seiner Darstellung erhöht; seine Geschichte schreibt; schildert, was er als Augen- und Ohrenzeuge erlebt und erlitten hat, das große Ereignis der Münchener Musik, das auch das seine war und geblieben ist. Wer will es ihm verdenken? Vor sich selbst bestehen, ins Reine kommen mit dem genialen Manne, den er freilich nach Jahren erst begreift, das ist sein Ziel. Damit verschiebt sich wohl der ethische Schwerpunkt seines Vortrags, er moduliert in die große Dominante, ohne die beruhigende Auflösung in den Grundton.

Aber diese persönliche Spannung gibt dem Buch einen eigenen Reiz. Seine Vorzüge weiß man zu würdigen, wenn man die nüchterne Berichterstattung der Grandaurschen Chronik dagegen hält. Zenger liebt es, frisch von der Leber weg zu reden. Als Künstler sieht er die Dinge farbig und plastisch, schärfer sogar, als man von seinem individuellen Standpunkt erwarten möchte. Vieles ist selbst dem genauen Kenner neu und die Fachwissenschaft findet in seiner Kritik der Oper Anregungen die Hülle und Fülle. Mit unbedingter Aufrichtigkeit, mit Humor oder Spott nimmt er die Legenden über Küstner und Dingelstedt, über Lachner, über Wagner und Ludwig II. unters Licht. Gewiß kostet es ihn Mühe, Wagners Eintritt in seinen Münchner Kreis und vor allem Wagners Beziehungen zum König gerecht zu beurteilen, den alten Groll über den Glücklichen und noch mehr über seinen Anhang zu verwinden. Aber er ist zu scharfhörig, um nicht in diesem politischen Kontrapunkt die unpolitischen Wiederschläge zu gewahren. Die beliebten Angriffe gegen das „wagnerfeindliche“ München weist er mit Gründen zurück. Er steht zu seiner Vaterstadt, würde ihr aber ebenso unbedenklich die Meinung gesagt haben, wenn sie es verdiente.

Den Leser mag an dem Buch in Form und Ausdruck einzelnes seltsam berühren. Zenger schreibt manchmal mehr für seine Zeitgenossen von Annodazumal als für uns Nachgeborne. Es liegt ein Hauch altmünchner Wesens über seiner Persönlichkeit ; es ist alles so merkwürdig anheimelnd, so lieb und treu: die Umständlichkeit, die kernhafte, bajuwarische Geradheit, die rüstige Gemächlichkeit und das Quentchen Hitze dabei — lauter Züge, die seiner Darstellung wie kostbare Patina anhaften. Sie galt es zu wahren. Eingriffe aber erforderte seine Unsicherheit über den Ausgang seines Werkes, wo er gelegentlich über Künstler und Künstlerinnen Ausführungen versprach, die er dann nicht mehr einlösen konnte, oder Tatsachen als bekannt voraussetzte, die dem gegenwärtigen Geschlecht entrückt sind. Auch seine Vorliebe für Auszüge aus Büchern und Zeitungen bedurfte der Einschränkung, wenn auch gerade die Wahl seiner Quellen oft bezeichnend ist. Wo er sich selbst zitiert — und das ist häufig der Fall — wurde nichts geändert; seine Meinung ist uns lieb und wert.

Nicht zuletzt ist Zengers Buch ein Zeichen seines Dankes und seiner Hingabe an die Heimat, die er treu geliebt hat. Vielleicht trägt es dazu bei, ihre Gegenliebe zu erwecken. Sie hat viel an ihm gut zu machen!

Mit der Herausgabe des Werkes erfülle ich die angenehme Pflicht, allen seinen Gönnern und Freunden zu danken, insbesondere dem bayerischen Unterrichtsministerium, dem Neffen des Meisters, Justizrat August Zenger in Augsburg und dem Direktor der Staatsbibliothek Dr. Georg Leidinger in München, die sich der Förderung der Ausgabe nachdrücklich angenommen haben, ferner dem verstorbenen Präsidenten der Akademie der Wissenschaften Dr. Carl von Heigel und den Universitäts-Professoren Carl von Amira, Sigmund von Riezler und Adolf Sandberger, deren Gutachten über das Werk den Zielen der Herausgabe zugrunde liegt. Manche Hilfe habe ich bei dem ausgezeichneten Kenner der Münchener Oper, Stabsrat in der Generalintendanz des Nationaltheaters Ludwig Malyoth gefunden, dem ich die Auswahl der Bilder verdanke. Das ausführliche Namen- und Sachverzeichnis bearbeitete Universitäts-Assistent Dr. Hermann Halbig in Heidelberg mit größter Sorgfalt.

Heidelberg, im Frühjahr 1923.

Theodor Kroyer

Abb. 00 Max Zenger (1837-1911) deutscher Komponist, Musikrezensent, Schriftsteller

Abb. 00 Max Zenger (1837-1911) deutscher Komponist, Musikrezensent, Schriftsteller

Abb. 01 Dekoration zur Oper „L’Erinto“ von Kerll. 1661

Abb. 01 Dekoration zur Oper „L’Erinto“ von Kerll. 1661

Abb. 02 Kurfürst Ferdinand Maria (1652-1679)

Abb. 02 Kurfürst Ferdinand Maria (1652-1679)

Abb. 04 Kapellmeister Ercole Bernabei (1674-1687)

Abb. 04 Kapellmeister Ercole Bernabei (1674-1687)

Abb. 03 Kurfürstin Adelaide von Savoyen (1652-1676)

Abb. 03 Kurfürstin Adelaide von Savoyen (1652-1676)