Einleitung.

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Einleitung.


Was Rudhardt in der Einleitung [zu seiner „Geschichte der Oper am Hofe zu München“] über das Wesen der „Opera seria“, ihre innere Unwahrheit und Hohlheit behauptet, wird in seiner nachfolgenden Darstellung an konkreten, zum Teil monströsen Beispielen gezeigt. Nur tritt hier ein neues, noch verschlimmerndes Moment in Erscheinung, von welchem die Oper in ihrem Mutterlande Italien weniger angekränkelt war. Nach der Meldung von der großen Menge der Opernhäuser in allen bedeutenden Städten, der zahlreichen Komponisten und ihrer außerordentlichen Fruchtbarkeit, die sich gelohnt haben muß, ist sicher anzunehmen, daß die Oper dort [nach den aristokratischen Anfängen] in erster Linie ein volkstümliches Institut, ein Lieblingsvergnügen aller Stände wurde, was sie vor Rücksichten auf etwaige Prätensionen der Höfe [im allgemeinen] sicher stellte. Nicht so verhielt es sich in Deutschland, wo die Oper ein importiertes Gewächs, ausschließlich Eigentum der Höfe war, an dem, wenigstens in den ersten Zeiten, niemand außer geladenen Gästen teilnehmen durfte. Auf fürstliche Wünsche allein, wirkliche oder vermeintliche, hatten die bezahlten Librettisten Rücksicht zu nehmen. Und diese Rücksicht setzte sich bei ihnen, [wie bei den Hofdichtern der italienischen Hellenistenoper] in abgeschmackte Wohldienerei um, ja der Byzantinismus ging so weit, das sie Tugenden des Herrscherhauses mit denen ihrer Götter und Heroen in innigste Beziehung brachten, mit den Helden der Vorzeit direkt auf das fürstliche Haus, als das herrlichste unter der Sonne hinwiesen. Auf diese Weise erhielt der mythologische und allegorische Unsinn, von dem diese Produkte strotzten, noch seine besonders charakteristische Spitze. Daß sie trotzdem nicht abgelehnt, sondern beifällig aufgenommen wurden, müssen wir eben als eins der vielen uns unverständlich gewordenen Merkmale der „guten alten Zeit“ hinnehmen. Was München betrifft, so hat erst unter der Regierung des Kurfürsten Max III. dieses Schmarotzertreiben sein Ende genommen.

[Gewiß gab es auch in Deutschland einsichtige Männer, die diesen Mißbrauch der Kunst verurteilten. Auch betrübte die Volksfreunde und Patrioten der verschwenderische Aufwand der deutschen Fürsten des 17. und 18. Jahrhunderts für „eine fremde und vielfach zweifelhafte Kunst“. *) Ärgerlicher noch war die Fremdherrschaft, die den deutschen Musikerstand schädigte und bedrückte und allen Versuchen, sich ihrer zu erwehren, trotzte. Sie war die Folge der Renaissance-Bewegung, der aus den humanistischen Kunstanschauungen, wie aus der Musica reservata und der Florentiner Reform hervorgegangenen Stilwandlung. Schon um 1550 kamen italienische Sänger und Geiger in größeren Verbänden an die deutschen Höfe und bewirkten die Umwandlung der alten Vokalkapellen in gemischte Chor- und Orchesterinstitute. Schon damals erlitt der deutsche Stamm empfindliche Einbuße. Gerade München wurde der Mittelpunkt einer internationalen Kunstpolitik, die dem musikalischen Internationalismus des 16. Jahrhunderts entsprach und dem Italienerkult vorausging. Deutschland stand bereits im Zeichen seines Niedergangs. Auch politische Schwächung tat seiner nationalen Kraft Eintrag. Als dann in der furchtbaren Bedrängnis des dreißigjährigen Krieges das Volk sich erschöpfte, war es dem übermächtigen Andrang der neuen Kunstströmung nicht mehr gewachsen. Mit der Oper war die Fremdherrschaft nicht ins Land gekommen, aber besiegelt.]

[*) Hermann Kretzschmar „Das erste Jahrhundert der deutschen Oper“. Sammelb. der Internationalen Musikgesellschaft. 3. Jahrg., Seite 293.]

[Trotzdem darf eine gewisse Notwendigkeit solcher Entwicklung für Deutschland, mag sie auch unser Volksempfinden verletzen, nicht verkannt werden. Kretzschmar nennt die Oper „einen Kultur-Aufwand, dessen Opfer unvermeidlich waren, wenn Deutschland in dem regen internationalen Kunstverkehr des 17. Jahrhunderts mit Schritt halten wollte“. Da die deutschen Dichter und Musiker sich mit dem neuen Musikdrama nicht abzufinden wußten, „so blieb nichts übrig, als nach den Originalen zu greifen und die italienische Invasion zu dulden“. Wie in Italien wirkte die Oper trotz ihren Sünden auch hier veredelnd, bildete den Geschmack, befruchtete die deutsche Musik, „verbreitete die Liebe und Lust dazu auf neuen Wegen und in neue Kreise“. Bis zu den Wiener Klassikern erstreckte sich dieser segensvolle Einfluß.*)]

[Münchens Eintritt in die Geschichte der Oper steht, wie gezeigt, im Zusammenhang mit seinen alten, engen Beziehungen zu Italien, und erfolgt auch nicht unvermittelt. Zwar fehlen hier die in anderen Städten nachgewiesenen Versuche, die neue dramatische Kunst mit dem heimischen Theater zu verbinden und so dem italienischen Musikdrama ein deutsches entgegenzustellen. „München allein hatte die ersten Stufen übersprungen und begann sofort italienisch.“**) Aber es läßt sich nicht leugnen, daß München an den Anfängen der neuen Kunst selbständigen Anteil hat, lange vor andern deutschen Städten. Wenn man in der Commedia dell' arte, in Villanella und Moresca die Keime der Opera buffa sehen darf, dann hat auch die Stegreifkomödie, die Lasso bei der berühmten Hochzeit Herzog Wilhelms V. aufführte, ihren festen Platz in der Vorgeschichte des italienischen Musikdramas. Dabei ist es nicht geblieben. Lasso hat in München immer wieder auf jene Lyrik zurückgegriffen, die er als junger Musiker zum erstenmal in Neapel in den Farcen und Bagatellistenkomödien des Volkes kennen lernte. In seinen Mohrenszenen, in der Szene zwischen Zanni und Pantalon, in seinen burlesken Chordialogen steckte in der Tat dramatisches Ethos, dessen Wurzeln tief ins alte Erdreich des italienischen Dramas hinabgreifen.***) Alle die dort geprägten Typen kehren in der komischen Oper des 17. Jahrhunderts wieder. In mehr äußerlichen Beziehungen stehen zur neuen Kunst die Jesuitenspiele, die in München wiederholt auch den bayerischen Hof unter ihren Zuschauern sahen. Rudhart nennt sie Vorläufer der späteren Hofprunkoper.****) Ihr geistiger Zusammenhang mit den unter der Regierung Ferdinand Marias beliebten Allegorien und ähnlichen Festgedichten liegt offen zutage. München war wie geschaffen für die Pflege des jungen Musikdramas. Als Adelaide von Savoyen, die kunstbegabte Gemahlin Ferdinand Marias, am 22.Juli 1652 ihren Einzug am bayerischen Hof hielt, zog auch die neue Kunst mit ein. Italienischer und französischer Geschmack wurden fortan tonangebend. Das Fürstenhaus huldigte ihm durch zwei Jahrhunderte mit leidenschaftlicher Hingabe. Damit begann eine neue Zeit. Mag auch das bayerische Kapitel der deutschen Operngeschichte, wenigstens in diesem ersten Abschnitt, vom vaterländischen Standpunkt aus nicht eben rühmlich sein, reich, groß, eigenartig ist es gewiß.]


[*) Kretzschmar, a. a. O. S. 293.]
[**) Ebenda. S. 271.]
[***) A. Sandberger, Roland Lassus' Beziehungen zur Italien. Literatur. Sammelb. V der Internat. Musikgesellschaft. S. 410 ff.]
[****) Geschichte der Oper. S. 9.]



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Münchner Oper