114. Ciceros Abhandlung von der Divination

Averchoes, und weiterer Auszug aus Ciceros Abhandlung von der Divination.



Bis auf die Zeiten des Mittelalters, vorzüglich bis Paracelsus, findet man keine so richtige physiologische Ansichten über die Bildungstätigkeit der Einbildung, wie jene des Aristoteles ist. Nur der Araber Averrhoes (in Collectaneis) scheint ein richtigeres Verständnis gehabt zu haben, welches mit jenem des Aristoteles sehr übereinstimmt; jedoch betrachtet auch er den Prozess mehr von der natürlichen Seite aus, gleichsam von unten hinauf, sowie später Paracelsus das Wesen und die Geschäftigkeit der Phantasie mehr von der psychologischen Seite aus, von oben herab beschaute. Averrhoes sagt nämlich: daß die Phantasie die Gestalten ihrer Bildungen durch irgend einen Sinn unterscheide, z. B. von einem Toten oder Dämon, auf eine ganz jener Tätigkeit der betreffenden Sinnesaktionen entsprechende Weise.


Was jedoch über die höheren Beziehungen der Magie von den Alten, besonders von den Griechen und Römern ausgesagt wurde, scheint jene umfassende Tiefe des Orientalen nirgends zu erreichen, und so ziemlich Alles in Ciceros Schriften enthalten zu sein, welcher jedoch am breitesten sich über die Naturgeschichte des Traumes vernehmen läßt, worüber man die angeführten Schriften ausführlicher nachsehen kann. Was Cicero über das magische Wahrsagen speziell enthält, besteht außer dem, was wir schon gesehen haben, ungefähr in Folgendem.

„Da die Seele auf zweierlei Weise, ohne Überlegung und Wissenschaft, durch eigene und freie Bewegung getrieben wird eine ekstatische und eine träumende, so haben die Alten in der Meinung, daß die ekstatische (rasende) Weissagung vorzüglich in den Sibyllenversen enthalten sei, zehn Ausleger derselben erwählt, und auch in dieser Art öfters der Seher und Propheten ekstatische Wahrsagungen, wie im oktavianischen Kriege des Cornelius Culleolus, zu hören für nützlich erachtet. — Nun haben, meiner Meinung nach, die Alten mehr als durch Gründe belehrt, durch Begebenheiten bewogen, diese Dinge angenommen. Von Philosophen hat man aber gewisse auserlesene Beweise, warum die Weissagung wahr sei, gesammelt, unter welchen, daß ich von den ältesten rede, der kolophonische Xenophanes, einer der die Götter annahm, die Weissagung von Grund aus geleugnet hat. Die übrigen aber, außer Epikur, der Faseler über die Natur der Götter, haben eine Weissagung angenommen, doch nicht auf gleiche Art. Denn indem Sokrates und alle Sokratiker, dann Zeno und die von ihm ausgingen, die Meinung der alten Philosophen beibehielten, mit Beistimmung der altern Akademie und der Peripatetiker; und indem schon vorhin Pythagoras dieser Sache ein großes Gewicht gegeben, der auch selbst ein Augur sein wollte, und mit vielen, Beweisen der bedeutende Stimmführer Demokritus die Vorempfindung der Zukunft unterstützte; so hat Dikäarchus die übrigen Arten der Weissagung geleugnet, die der Träume und Ekstase beibehalten, und unser Freund Kratippus, den ich den ersten Peripatetikern gleichachte, eben diesen Dingen Glauben beigemessen, die anderen Arten aber verworfen.“

In der Folge des Gesprächs führt Quintus an, daß die Schwierigkeit, das Wahrsagen zu erklären, nichts beweise, und er spricht sich heftig gegen die aus, die alles vom Zufall ableiten. „Du fragst, woher die Divination komme, und durch welche Kunst sie erkennbar sei? Ich gestehe meine Unwissenheit, aber behaupte, daß es geschieht. Es ist Zufall, sprichst du! Kann etwas durch Zufall geschehen, was alle Merkmale der Wahrheit in sich vereinigt? Vier hingerollte Würfel bilden durch Zufall den Venuswurf. Meinst du auch, es werden hundert Würfe zufällig entstehen, wenn du mit vierhundert Würfeln wirfst? Spritze blindlings Farben an eine Tafel, sie können die Züge eines Gesichts bilden. Meinst du auch, es könne die Schönheit einer kölschen Venus durch ein Anspritzen gerade wohl gebildet werden? Wenn ein Schwein mit dem Rüssel den Buchstaben A in die Erde gräbt, wirst du deswegen mutmaßen, es könne die Andromache des Ennius abschreiben?“

„Ich stimme denen bei, fährt Quintus fort, die zwei Gattungen der Wahrsagung annehmen, eine künstliche und eine kunstlose. Die Kunst wenden die an, welche Neues durch Schlüsse verfolgen, nachdem sie Alles durch Beobachtung erfahren haben. Kunstlos sind die, welche nicht mit Regel und Schluß und nach beobachteten und bemerkten Zeichen, sondern durch eine Erschütterung der Seele, oder freie, fessellose Bewegung die Zukunft vorher empfinden, was Träumenden oft, begeisterten Sehern zuweilen begegnet, dergleichen Bakis, der Böotier, Epimenides, der Kreter, und die erythräische Sibylla. Zu dieser Gattung gehören auch die Orakel, nicht die, so mit gemischten Losen gezogen, sondern die durch göttlichen Trieb und Hauch ausgeströmt werden.“

Ouintus gibt dann zu, wie Vieles falsch sein kann, was die Haruspices, jene Zeichendeuter vom Kaukasus, was selbst Orakel gesprochen u. (wie wir gleichfalls oben schon sahen), und handelt dann weitläufiger von den Träumen, von denen er mehrere prophetische erzählt, z. B. den Traum der Mutter des Phalaris; des Königs Cyrus; den symbolischen Traum Hannibals, in welchem ihn Jupiter in die Versammlung der Götter rief und Italien zu bekriegen befahl; mehrere Träume der Philosophen, wie jenen des Sokrates, in welchem ihm ein schönes Weib den homerischen Vers ausgesprochen: „nach drei Tagen wohl magst du zur schattigen Phthia gelangen,“ — also in seine Heimat, und so soll es erfolgt sein. Doch von allen Träumen ist Vieles“ falsch, oder vielleicht nur dunkel für uns; sei Manches falsch, was wollen wir gegen das Wahre sagen, wenn wir uns in reinem Zustande zur Ruhe legen? — Es gibt also, fährt er fort, eine von außen und von den Göttern erteilte Gabe des Vorausahnens, und wenn dieses heftiger entbrennt, so heißt es Raserei — Ekstase — indem die Seele vom Körper abgezogen durch göttlichen Antrieb in Wut gerät. — Die beiden Gattungen der Orakel und Träume haben einen gemeinschaftlichen Grund, den unser Kratippus anzugeben pflegt: daß nämlich der Mensch die Seele irgend woher von außen empfangen habe. Woraus zu erkennen, daß außerhalb eine göttliche Seele sei, aus der die menschliche genommen werde; der Teil der menschlichen Seele aber, welcher Empfindung, Bewegung und Begierde habe, sei von der Tätigkeit des Körpers nicht geschieden; der aber, so der Vernunft und des Verstandes teilhaftig, sei dann am kräftigsten, wenn er am meisten vom Körper getrennt sei. Doch pflegt, nach Aufstellung verschiedener Beispiele wahrhafter Weissagungen und Träume, Kratippus also zu schließen: Wenn ohne Augen das Geschäft und Amt der Augen nicht vorhanden sein kann, die Augen aber wohl zuweilen nicht ihr Amt verwalten können, so hat der, welcher auch nur einmal den Vorteil von den Augen gehabt hat, daß er die Wahrheit gesehen, Augenwerkzeuge, welche die Wahrheit sehen. Gleicherweise also, wenn ohne Weissagungsgabe das Geschäft und Amt der Weissagung nicht vorhanden sein kann; es kann aber Jemand, indem er die Weissagungsgabe hat, zuweilen wohl irren und die Wahrheit nicht sehen: so ist es hinlänglich zur Bestätigung der Weissagung, daß er einmal so geweissagt, daß durchaus keine Zufälligkeit dabei erscheint. Dieser Art Beispiele aber gibt es unzählige, folglich ist das Dasein der Weissagung anzunehmen. Woher das Alles, fragst du? Sehr wohl, aber davon ist jetzt nicht die Rede. Ob es geschieht oder nicht, das ist die Frage. Wie wenn ich sagte, es gibt einen Magnetstein, der das Eisen anzieht, aber den Grund, warum er dies tut, nicht angeben könnte, würdest du die ganze Wahrheit leugnen? Die sehen wir und hören sie, und lesen sie und haben sie von den Vätern geerbt; vor dem Beginn der Philosophie, die nicht so lange erfunden ist, hat man im gemeinen Leben nicht daran gezweifelt, und nachdem die Philosophie erschienen ist, hat kein Philosoph anders gedacht, wenigstens der Achtung verdiente. Ich habe von Pythagoras geredet, von Demokrit, von Sokrates; ich habe von den Alten, außer Xenophanes, keinen ausgenommen u. — der einzige Epikur stimmt anders. Wie aber, ist dieses etwa schändlicher, als wenn ebenderselbe leine uneigennützige Tugend anerkennt? Wen sollte es nicht bewegen das durch die glänzendsten Denkmäler beurkundete und besungene Altertum? Den Kalchas nennt uns Homer als den herrlichsten Wahrsager und Führer der Flotte

„Der auch her von Troja der Danaer Schiffe geleitet
durch weissagenden Geist.“


Ohne Zweifel dies wegen Kenntniß der Aufpizien, nicht der Geographie. Amphilochus und Mopsus waren Könige der Argiver und zugleich Wahrsager, und sie haben griechische Städte an der Seeküste Siziliens erbaut. Schon vor ihnen lebten Amphiaraus und Tiresias, nicht geringe, unansehnliche Menschen, noch denen gleich, wie es bei Ennius hieß:

Die ihres Nutzen willen Lügensprüche um sich streun;

sondern edle, treffliche Männer, die durch Vögel und Zeichen belehrt, die Zukunft voraussagen. Den Amphiaraus aber hat der Ruf Griechenlands so geehrt, daß er für einen Gott gehalten wurde, und an der Stelle, wo er begraben, Orakel geholt wurden. Hatte nicht Priamus weissagende Kinder, Helenus und Kassandra, jenen durch Augurien, diese durch göttlichen Trieb und Begeisterung? Wie erzählt nicht Homer, daß Polyidos, der Korinther, sowohl Andern vieles, als auch seinem Sohne, da solcher nach Troja fuhr, den Tod geweissagt habe? Überhaupt waren bei den Alten die Regenten auch im Besitz der Augurien. Denn wie sie es für königlich hielten weise zu sein, so auch zu weissagen. Und dieser Gebrauch zu weissagen wird auch von barbarischen Völkern nicht versäumt. So sind in Gallien die Druiden, — und bei den Persern weissagen die Magier, welche sich im Heiligtume versammeln, um zu überlegen. Und so kann keiner König in Persien werden, der nicht vorher der Magie Lehre und Wissenschaft erlernt hat.

Nachdem Quintus die künstliche Divination zu erweisen gesucht, so sagt er von der zweiten, der natürlichen: sie muß auf die Natur der Götter bezogen werden, von welcher, wie die Gelehrtesten und Weisesten wollen, wir unsere geschöpft haben. Und da Alles durchaus mit einem eigenen Sinn erfüllt ist und mit göttlichem Geiste, so müssen notwendig durch den Zusammenhang mit den göttlichen Seelen, die Menschenseelen angeregt weiden. Allein wachend stehen die Seelen im Dienste des Lebensbedarfs, und sind geschieden von dem göttlichen Umgang, durch die Bande des Leibes gefesselt. Selten ist eine gewisse Gattung Solcher, die sich vom Leibe zurückziehen und zur Erkenntnis der göttlichen Dinge mit aller Mühe und Eifer erheben. —. Wie kommt die Seele des Menschen zu natürlicher Weissagung, wo sie nicht so fessellos und frei ist, daß sie gar keine Gemeinschaft mit dem Körper hat, welches teils bei begeisterten Propheten der Fall ist, teils im Schlafe. Daher werden diese beiden Arten von Dikäarchus genehmigt und wie gemeldet von unserm Kratippus. — Erstlich also die Seelen derer, die den Körper verschmähend sich aufschwingen und ins Freie eilen, durch eine gewisse Glut entzündet, erblicken in der Tat dasjenige, was sie weissagend vorausverkündigen. Und es werden durch mancherlei Anlaß dergleichen Seelen entzündet, die nicht am Leibe kleben, als da sind, die durch gewisse Töne und die phrygische Musik begeistert werden. Viele werden durch Haine und Wälder, Viele durch Flüsse und Meere in Wut gesetzt, deren erschütterter Geist lange voraussieht, was geschehen wird. Ich glaube auch, daß es gewisse Ausdünstungen der Erde gegeben, durch deren Hauch der Geist Orakel gab. — Dies ist das Verhältnis bei den Sehern und in der Tat sehr ähnlich ist das der Träume. Denn was dem Seher im Wachen geschieht, das begegnet uns im Schlafe. Die Seele ist tätig im Schlafe, frei von den Sinnen und aller Hindernis der Sorgen, indem ihr Körper beinahe tot liegt. Und weil sie von Ewigkeit her gelebt hat und mit unzähligen Geistern umgegangen ist, so sieht sie den ganzen Inbegriff der Natur, wofern sie nur mittelst wohlgeordneten Essens und mäßigen Tranks in solcher Verfassung ist, daß sie beim Schlummer des Leibes selber wacht. Daher befiehlt Platon, so sich zum Schlaf zu begeben, daß nichts der Seele eine Verirrung verursache. Weshalb den Pythageräern es auch verboten war, Bohnen zu essen, weil sie eine blähende Speise und der die Wahrheit suchenden Gemütsruhe zuwider sind. Es liegt nämlich der Körper wie der eines Toten, aber der Geist lebt und wird um so mehr leben, wenn er einmal den Körper ganz wird verlassen haben.

Nachdem Cicero im zweiten Buche seine Gegengründe gegen die Augurien, die Vorbedeutungen u. angeführt hat, bemerkt er noch, daß er dem, was bisher gesprochen, völlig beistimme, und die Wahrheit zu sagen, so halte er selbst schon die Meinung der Stoiker von der Weissagung für allzu abergläubisch (die auch an die künstliche glaubten). „Mich sprach mehr die Ansicht der Peripatetiker an, sagt er, sowohl des alten Dikaarchus, als des jetzt blühenden Kratippus, welche glauben: daß im Geiste des Menschen eine Art von Orakel wohne, wodurch man die Zukunft vorempfinde, wenn das Gemüt entweder durch göttliche Begeisterung getrieben, oder durch dm Schlaf entbunden sich fessellos und frei bewege.“ Die Gründe, welche im Verfolge des Werkes gegen diese Art der Divination angegeben werden, sind meist nur gegen die damals herrschenden Erklärungsweisen der Sehergabe, nicht gegen diese selbst gerichtet, was nicht weiter hierher gehört, da ich die beiden wichtigsten Schriften des Aristoteles und Cicero nur im Allgemeinen anführen und später auf die Ansichten anderer Philosophen und der Neuplatoniker noch insbesondere zurückkommen will. Bevor wir aber zu der speziellen Geschichte der verschiedenen Völker übergehen, scheint es nicht unzweckmäßig, auch die ersten Lehrbegriffe der Philosophie überhaupt zu berücksichtigen, indem auch die Erklärungsversuche der Magie dann von diesen abgeleitet wurden.





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1