113. Was Plato und Aristoteles über den Traum denken

Plato und Aristoteles, des Letztern Abhandlung über den Traum.



Die richtigste anthropologische Ansicht von dem Wahrsagen hatten Platon und Aristoteles. Wir haben schon (§.65.) gesehen, daß Platon dem Menschen das lichtartige Organ zuteilt, durch dessen innere Bewegungen die Bilder der Phantasie erscheinen. Denn „das Organ des Feuers, das nicht brennt, sondern ein mildes Licht giert, hätten die Götter bei der Bildung der Augen zur Absicht. Wenn das Tageslicht um den Ausfluss des Gesichtes ist und Gleiches zu Gleichen ausströmend sich vereint, so entwirft sich in der Richtung der Augen ein Körper, wo immer das aus den klugen strömende Licht mit- dem äußern zusammentrifft. Wenn aber das verwandte Feuer des Auges in die Nacht vergeht, so ist auch das innere Licht verhalten, und so ist auch das innere Licht zurückgehalten, wenn die Augen geschlossen sind, und so besänftigen und ebnen sich alle inneren Bewegungen. Sind aber einige hervorstechende Bewegungen noch zurückgeblieben, so werden, welcherlei Bewegungen und an welchen Punkten sie zurückgelassen worden, eben solche und so vielerlei Bilder der Phantasie erscheinen.“ Von den Vorteilen, welche das Weissagen den Menschen und Griechenland insbesondere gebracht habe, haben wir gleichfalls Platon oben schon gehört.


Aristoteles, welcher eine eigene Abhandlung über das Traumen hinterlassen hat, spricht sich darüber noch bestimmter aus, daß die Sinnesorgane im Traum das Tätige seien. Es ist daran gelegen, den wesentlichen Inhalt seiner Schrift näher kennen zu lernen, weil sie die umfassendste und richtigste Ansicht über den Traum enthält, aber weit jedoch entfernt ist über die höheren Erscheinungen des Hellsehens und Wahrsagens genügende psychologische Aufschlüsse zu erteilen.

„Wenn die Träume, beginnt er, welche die Zukunft enthüllen, von einer Gottheit kämen, warum würden sie nicht auch den Weisen oder sonst Tugendhaften zu Teil, und warum ist es ein Gemeingut für Alle, und warum so oft gerade bei Menschen von der niedrigsten Klasse?“Zuweilen träumt man wohl auch Dinge, die eines Gottes unwürdig sind, und Scaliger bemerkt hierzu: Aristoteles habe eigentlich nicht sagen wollen, daß die Seele des Dummen nur äußerlich dumm sei, innerlich aber wisse sie Alles. — Besser gibt Aristoteles später selbst seine physiologische Erklärung hierüber. — „Die gemeinen Leute, sagt er, haben ihren Kopf von Geschäften und Sorgen weniger voll und ihre Seele wird weniger mit dem Spiel der Gedanken geplagt, sie bleibt aber dessen ungeachtet für die Eindrücke empfänglich und folgt gelehrig der Richtung, wohin sie bewegt wird, und so sind auch die Dümmsten fähig in die Zukunft zu sehen. Aber auch bei jenen Gesichten, welche man im Schlafe hat, ist ihre eigene Tätigkeit oft die Ursache; oft der Zufall aber; oft die Tagesgeschäfte und endlich oft die inneren Zustände des Körpers selbst. Die äußeren Eindrücke wirken im Schlafe, wo die äußeren Sinne ruhen, viel heftiger ein, als im Wachen, z. B. ein kleines Geräusch hält man schon für den Donner, und aus dem Gefühl der Wärme an irgend einem Teil des Körpers glaubt man auf glühenden Kohlen zu gehen. Dieses hängt von zwei Ursachen ab. Die eine von der äußern Einwirkung, die andere vom Schlafe selbst. Bei der Nacht ist im Allgemeinen die Luft ruhiger und läßt daher auch den leisesten Schall vernehmen, und zweitens lebt im Schlafe, wo die äußern Sinne ruhen, die Seele mit stärkerer Kraft und Tätigkeit auf und geringe Eindrücke scheinen heftig zu wirken.“

Aristoteles glaubt ferner: die Eindrücke kommen von den äußeren Gegenständen durch eine eigentümliche Bewegung, und verwirft daher jene Idole des Demokritos, welche in der Luft umher enthalten sein und von da aus die Einbildung anregen sollen. „Es gibt übrigens sehr bestimmte Träume und Vorhersagungen, besonders unter Freunden und Bekannten, so daß sich dieselben oft aus weiter Ferne erkennen und fühlen. Es gibt auch Einige, welche in Ekstasen, wo alle äußere Sinnlichkeit völlig schweigt, Künftiges vorhersehen. Bei Melancholischen hängt dieses von der Heftigkeit ihres Gemütes ab. Übrigens ist es nicht zu verwundern, wenn nicht Alles eintrifft; denn auch jene Zeichen, die man an den Körpern, am Himmel u. sieht, treffen nicht allemal ein, es können Umstände den natürlichen Gang stören, wodurch nicht allemal geschieht, was geschehen sollte.“

In seiner weiteren philosophischen Deduktion sagt Aristoteles auf eine höchst lehrreiche Weise: es sei zunächst zu untersuchen, in welchem Teile der Seele der Traum erscheine, und ob er eine Affektion des denkenden Wesens oder des Sinnenwesens sei, denn durch diese nur wisse man, was in uns vorgeht. „Wenn nun die Funktionen der Sinne sind zu sehen, zu hören, zu riechen u. und jene des allgemeinen Sinnes zu empfinden überhaupt und wenn das Gemeinsame der Empfindungen sind die Gestaltungen, die Größe, die Bewegungen u.; das Eigentümliche der einzelnen Sinne aber die Farbe, der Ton und Geschmack, und wenn man endlich einmal mit geschlossenen Augen und schlafend nicht sehen kann, — so kann man auch offenbar im Schlafe durch die äußeren Sinne nicht sinnlich affiziert sein. Im Traume nehmen wir also nicht vermöge der äußern Sinnesempfindung wahr, aber ebenso wenig durch die Vorstellung; denn wir sagen von dem uns Begegnenden nicht schlechthin nur, daß es z. B. ein Mensch, ein Pferd u., sondern auch, daß es weiß, schön u. sei, welcherlei die Vorstellung ohne Sinneswahrnehmung niemals weder wahr noch falsch aussagen möchte. Im Traume tut die Seele ganz dasselbe, man glaubt zu sehen, daß der uns Begegnende ein Mensch, daß er weiß u. sei.“

„Man wird sich im Traume auch eines Andern bewußt, wie im Wachen, wenn man etwas sinnlich wahrnimmt, was offenbar wird, wenn man beim Aufstehen auf die Träume achtet und sich ihrer erinnert. So haben Manche solche Träume erfahren, wie die, welche nach den Regeln der Mnemonik das Vorgekommene topisch zu ordnen glaubten. Denn oft geschah diesen, daß sie außer dem Traum auch noch ein anderes Phantasiebild vor den Augen hatten.“

„Übrigens mag die Einbildungskraft und das Sinneswesen der Seele eins oder dasselbe sein, auf keinen Fall ist jene ganz ohne Sehen und Empfinden. Denn falsch hören und falsch sehen ist dessen Sache, der wirklich etwas hört und sieht, nicht aber das, was er glaubt. Im Schlafe soll aber nach der Voraussetzung (das Äußere) weder gehört noch gesehen, noch irgend etwas gefühlt werden. Also daß wir nichts bestimmtes Äußeres sehen, wäre wahr, und doch wäre unwahr, daß der Sinn auf keine Weise affiziert sein könne? Denn jeder Sinn wirkt so gut wie im Wachen, wenn auch nicht in der Art der Empfindung wie im Wachen. Manchmal scheint es in der Vorstellung falsch, wie im Wachen, manchmal aber wird sie befangen und folgt dem Phantasma. Es ist also zu sehen: daß der Traum eine Affektion des Sinneswesens sei; denn auch dem Tiere kommt beides zu. Da nun die Einbildungskraft (wie wir in den Büchern über die Seele geredet) und das Sinneswesen mit dem Organ der Phantasie in der Zahl eins ist, wenn auch im Wesen verschieden; wenn ferner die Einbildung eine durch die Sinnesenergie entstandene Bewegung, der Traum ein Phantasiebild zu sein scheint, (denn das Phantasiebild des Schlafes nennen wir Traum), so ist offenbar, daß das Träumen Sache des Sinneswesens ist, insofern als auch das Organ der Einbildung an dem Sinneswesen Gemeinschaft hat.“

Vortrefflich sind des Aristoteles Ansichten über die Ursachen des Traumes, wobei er auf die inneren Vorgänge selbst zu achten rät. „Das Empfindbare erregt uns nach jedem Sinnesorgane und die daraus entstehende Affektion ist nicht allein in den Sinnesorganen, so lange die Empfindung tätig ist, sondern auch, wenn sie aufhört, wie es auch mit der Bewegung zu geschehen scheint; denn es kann etwas bewegt sein, wenn es auch nicht mehr mit dem Bewegenden in Berührung ist. Das Sinnesorgan ist nämlich wie die fortwirkende Bewegung der Luft, der Wärme durch andere Dinge, weil die Empfindung eine Energie ist der Veränderung. Deshalb ist die Affektion nicht allein in den tätigen, sondern auch in den ruhenden Sinnen sowohl in der Tiefe als auf der Oberfläche, wie es offenbar ist, wenn wir etwas anhaltend empfinden, und den Sinn abwenden von einem zum anderen, wie von der Sonne zum Dunkeln, so begleitet ihn die Affektion, denn nichts sehen wir dann wegen der in den Augen dauernden Erregung durch das Licht. Ebenso wenn wir eine Farbe, weiß oder grün, lange betrachten, so erscheint Alles in diesen Farben, wohin man blickt — so wird man von starkem Schall schwer? hörig und riecht schlecht nach scharfen Gerüchen. Daher ist bei allen Sinnen ein Leiden, wie ein Tätigsein. — Wenn also auch oft das Empfindbare abgeht, so bleibt doch das Empfundene zurück. Daß wir aber in den Affektionen (Leidenschaften), in den Empfindungen irren, und Andere in Anderm, wie der Furchtsame m der Furcht, der Liebhaber in der Liebe, so daß der eine den Feind, der andere das Geliebte zu sehen glaubt, dieses tritt ein bei der geringsten Ähnlichkeit, je leidenschaftlicher (erregbarer) einer ist. Deshalb erscheinen dem Fieberkranken zuweilen Tiere auf den Wänden wegen der gelingen Ähnlichkeit der miteinander verbundenen Lineamente, was zuweilen so mit der Krankheit zusammentrifft, daß sie, wenn sie nicht sehr starkes Fieber haben, den Irrtum erkennen, wenn stärkeres, sie sogar nach den Phantasiebildern bewegt werden. Die Ursache ist, daß das Herrschende, und das, worin sich auch die Phantasmen bilden, sich nicht mit derselben Kraft unterscheiden. So scheint bei übereinander geschlagenen Fingern ein Einfaches doppelt, aber gleichwohl sagen wir nicht, daß es doppelt sei, weil das Gesicht Höher steht als das Getast. Wäre das Getast allein, so würden wir das Eine für doppelt halten. Die Ursache des Irrtums ist, daß jegliches bewegt erscheint, ob das Empfindbare sich wirklich bewegt, oder ob die Sinnesenergie erregt wird, und zwar so, wie von dem Empfindbaren. So scheint den Schiffenden das Ufer bewegt, wenn das Gesicht von einem Andern bewegt wird.“

„Aus diesem erhellt, daß nicht allein im Wachen die objektiven Bewegungen entstehen, sondern auch in den Zuständen des Schlafes, welche letztere erlöschen, wenn am Tage die Sinne und der Verstand zugleich tätig sind, und sie verschwinden wie ein kleines Licht vor einem größeren. In der Ruhe, aber taucht auch das kleine auf, wenn bei der Untätigkeit der einzelnen Sinnesvermögen, da die Wärme von außen nach innen strömt, die Bewegungen nach dem Ursprünge der Sinne verpflanzt werden (also wenn der innere Sinn in Tätigkeit ist bei den ruhenden äußeren Organen). — Da alle Affektionen geistig sind, so bewirken sie viel Bewegung und auch Störungen, besonders bei Erhitzung und überfüllten Nahrungsstoffen, wozu viele oder verzogene und andere Bilder erscheinen und die Phantasmen von größeren Bewegungen vertrieben werden, daß verzerrte Gesichte und unangenehme Träume entstehen, wie bei dem Melancholischen, den Fiebernden und Trunkenen. Sobald aber das Blut in den Gefäßen ruhiger wird und sich verteilt, erhält sich die von der Sinnesenergie entstandene Bewegung des Wahrgenommenen und läßt etwas erscheinen, was den Sinnen vorliegt, sichtbar, was vor das Gesicht verpflanzt wird, hörbar, was vor das Gehör und Ähnliches. Denn dadurch, daß die Bewegung bis zum Ursprung der Empfindung gelangt, muß gesehen u. werden.“

„Wie man nun sagt: daß dieser durch diese Leidenschaft leicht hintergangen wird, jener durch andere, so wird es der Schlafende durch den Schlaf und durch die Bewegung der Sinnesorgane und Anderes, was durch die Sinnesenergien vorgeht, so daß ihm das wenig Ähnliche die Sache selbst scheint. Denn da im Schlafe das meiste Blut dem Ursprünge des Sinneswesens zufließt, so gehen auch die Bewegungen des Blutes dorthin, andere der Möglichkeit, andere der Wirklichkeit nach. Diese folgen dann so auf einander, wie die wiederbelebten Frösche, die in dem aufgetauten Wasser aufsteigen. Wie diese, sind sie der Möglichkeit nach schon da, und ist das Hindernis fort, dann treten sie wirklich auf. Da aber in dem wenigen Blute, das in den Sinnesorganen übrig ist, sie sich auflösen, so tragen sie den Schein der erregenden Reize; wie das in den Wolken, das bald den Menschen, bald den Zentauren gleicht, schnell sich verwandelt, so ist jedwedes ein Überbleibsel des Wahrgenommenen. Wenn das Objekt in Wahrheit fehlt, so sagt man richtig, es sei ein der Person Ähnliches, wenn auch nicht die Person selbst, oft aber scheint das Ähnliche die Person selbst.“

„Daß die phantastischen Bewegungen wirklich in den Sinnesorganen vorgehen, ist offenbar, wenn man sich nur erinnern will, was geschieht, wenn wir aus dem Schlafe erwachen; denn oft wird man beim Erwachen die einem im Schlafe erschienenen Bilder als Bewegungen in den Sinnesorganen ertappen. Manchen der Jüngern erscheinen selbst bei offenen Augen im Finstern vielerlei bewegliche Bilder, so daß sie sich oft aus Furcht verhüllen. Aus allen dem muß man schließen, daß der Traum irgend eine Sinneserscheinung im Schlafe sei, denn die eben erwähnten Bilder sind keine Träume mehr, so wenig als was sonst bei aufgeschlossenen Sinnen erscheint. Es geschieht nämlich Manchen, daß sie das Licht, den Schall, eine Berührung fühlen, zwar nur schwach und wie aus der Ferne. Die im Schlafe das Licht der Lampe schwach zu sehen glauben, erkennen bald erwachend, daß es das Licht der Lampe war. Auch die der Hahne und Hunde Geschrei leise hörten, erkennen es deutlich wieder beim Erwachen. Einige antworten sogar, wenn sie gefragt werden. Denn es kann geschehen, daß Wachsein und Schlafen unvollkommen vorhanden sind. Und das kann man alles nicht Traum nennen, auch das nicht, wenn außer den Phantasiebildern im Schlafe wahre Gedanken vorkommen. Vielmehr das Phantasma, welches durch die von dem Wahrgenommenen (Objekte) ausgegangene Erregung entsteht, ist dann ein Traum, wenn es dem Schlafenden als solches vorkommt. Mancher hat im Leben kein Traumbild gesehen, was zwar selten, Andern kommt der Traum mit zunehmendem Alter. Die Ursache muß man derjenigen ähnlich halten, warum man nach dem Essen schlafend und in der Kindheit nicht träumt. Denn deren Natur so bestellt ist, daß zu den oberen Teilen viel Verdunstung stattfindet, die zurückkehrend vielerlei Bewegung erregen kann, diesen erscheint wohl natürlich kein Traum. Durch Umwandlung im Alter oder durch irgend andere Affektionen muß eine Umkehrung dieser Dinge erfolgen.“ (S. auch Joh. Müller, über die phantastischen Gesichtserscheinungen, mit einer physiologischen Urkunde des Aristoteles über den Traum. Koblenz 1826).



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1