112. Die Pythagoräer über die mantische Kraft der Seele

Die Pythagoräer. Hippokrates, Galen, Aretäus. Plutarch über die mantische Kraft der Seele.



Merkwürdig ist, daß alle alte Philosophen, die nach Indien oder Ägypten gingen, der Magie auf eine vorzügliche Weise anhingen und sie in ihren Lehren auf eine mehr oder weniger offene Weise vortrugen. Obenan steht Pythagoras, dann alle seine Schüler, Empedokles, Demokrit, Platon und selbst unter den Römern standen die Pythagoräer noch im Rufe des Wahrsagens. So wurde Publius Nigidius mit dem Zunamen Figulus, ein Freund des Cicero, für einen Pythagoräer gehalten, weil man ihn für einen Meister in arithmetischen Künsten und astrologischem Wahrsagen hielt. Auch Sation und Moderatus aus Cadix waren eifrige Verteidiger der Pythagoräischen Schule. Aber unter allen war Apollonius von Tyana der berühmteste. Er wurde wegen seinen außerordentlichen Wunderkuren und Weissagungen von den Heiden, die ihm nach seinem Tode bei der Stadt Tyana einen Tempel erbauten, Jesu gegenüber gestellt, und der Kaiser Antonius Caracalla verehrte ihn als einen Gott und weihte ihm einen Tempel. Hierher gehörige Ansichten finden sich schon bei Hippokrates — de insomniis, und Scaliger hat einen guten Auszug davon geliefert, welcher mit anderen darauf Bezug habenden Schriftstellern in den Annales du Magnétisme animal, — troisième trimestre 1816. p. 257 abgedruckt ist. „Nachdem die Seele, sagt Hippokrates, durch den Schlaf nicht geradezu von dem Körper, aber doch von dem groben Dienst seiner verschiedenen Teile sich losgebunden, so zieht sie sich in sich selbst zurück, gleichsam wie in einen Hafen, um sich vor Ungewitter zu schützen. Sie sieht und erkennt dann Alles, was im Innern vorgeht und malt sich diesen Zustand gleichsam aus mit verschiedenen Figuren und Farben, und erklärt sich deutlich den Zustand des Körpers.“ In seinem dritten Buche de vita wiederholt Hippokrates dasselbe mit den Worten: Alles was im Körper vorgeht, sieht die Seele auch mit verschlossenen Augen. Diese Fähigkeit der Seele, seht Scaliger hinzu, haben nicht nur der göttliche Galen und andere Weise erkannt und abgehandelt, um davon in der Medizin Gebrauch zu machen, sondern sie haben darin auch etwas Göttliches erkannt. Galen bedient sich auch fast derselben Ausdrücke des Hippokrates, um das Wahrsagen der Träume zu erklären. Im Schlaf, sagt Galen, zieht sich die Seele in das Innerste ihres Körpers zurück, macht sich von allen äußern Verrichtungen frei und zeigt alles an, was den Körper betrifft, und was sie selbst angeht, sieht sie alles gleichsam in Gegenwart. Galen bezeugt auch, daß er einen Teil seiner Erfahrungen solchen nächtlichen Erscheinungen zu verdanken habe. Daß Galen überhaupt mehr als gewöhnliche ärztliche Kenntnisse gehabt, und daß sein innerer Sinn heller hervorgeleuchtet habe, geht schon aus seiner bewunderungswürdigen Gabe, künftige Ereignisse und Entwicklungen bei Kranken vorherzusagen, hervor. Zwar ist es bekannt, daß aufmerksame Ärzte oft auf lange Zeit voraus den Tang der Krankheit mit großer Genauigkeit anzeigen; denn die Potenz des Vorherwissens liegt in jedem Menschen mehr oder weniger durch Erfahrung und Übung entwickelt. Allein dieses Wahrsagen ist nicht göttlicher, sondern menschlicher Art, sagt Cicero, und mit Thales, Anaximander und Pherecydes zu vergleichen. Nun mag allerdings auch bei Galen diese Fähigkeit des Vorausbestimmens durch Übung und Erfahrung auf eine vorzügliche Weise ausgebildet gewesen sein; allein seine Vorhersagungen waren manchmal von einer solchen Genauigkeit, daß man auf ein freieres Hervortreten des inneren Sinnes bei ihm mit Recht schließen kann. So sagte er z. B. dem noch ganz gesunden Senator Sextus vorher: er werde am dritten Tage Fieber bekommen, den sechsten werde es nachlassen, den vierzehnten werde er es wieder bekommen und am siebzehnten werde er es durch einen allgemeinen Schweiß erst verlieren: dem Philosophen Eudemus sagte er die Art des Fiebers voraus. Einem jungen Römer, der am Fieber darniederlag, wollten alle Ärzte zur Ader lassen; Galen aber sagte, dies wäre nicht nötig, er würde von selbst durch das linke Nasenloch hinlänglich Blut verlieren und gesund werden, was auch geschah.


Xenophon sagte: Nichts gleicht dem Tode mehr als der Schlaf, aber im Schlaf verrät die menschliche Seele am meisten ihre göttliche Natur; sie sieht das Zukünftige, indem sie sich von den Banden des Körpers am meisten losmacht.

Aretäus äußert sich ebenso bestimmt über diesen Gegenstand. „Es ist erstaunungswürdig, sagt er, was Kranke zuweilen denken, sehen und vorbringen. Ihr ganzer Sinn ist sehr vollkommen und rein und ihre Seele zum Weissagen fähig. Zuerst fühlen die Kranken selbst oft ihren Tod vorher; dann sagen sie auch den gegenwärtigen künftige Dinge, die zu ihrer Bewunderung eintreffen, und indem sich die Seele vom Körper befreit, werden sie zuweilen die größten Wahrsager.“

Auch Plutarch hatte sehr treffende Gedanken über das Wesen der Divination, und er hat wohl seh, recht, wenn er sogt, daß es nicht wunderbarer sei, daß die mantische Kraft der Seele Dinge vorhersage, als daß die mnemonische vergangene wisse. Denn wenn die Seele das noch nicht Vorhandene vorausempfinde, so sei es nicht wunderbarer, als wenn sie das nicht vorhandene Vergangene nachempfinde. Der Mantik gerade entgegengesetzt, sagt er, ist die Erinnerung, jenes wunderbare Vermögen der Seele, wodurch sie das Vergangene bewahrt und gegenwärtig erhält. Denn das Geschehene ist nicht mehr, — Alles in der Welt, Handlungen, Worte, Effekte entstehen und vergehen, indem die Zeit gleich einem Strome Alles mit sich fortreißt; aber die Gedächtniskraft der Seele faßt, ich weiß nicht wie, das Alles wieder auf und gibt ihm, obgleich es nicht mehr gegenwärtig ist, das Ansehen und den Schein des Gegenwärtigen; so daß uns das Gedächtniß gleichsam ein Gehör für stumme (lautlose) und ein Gesicht für blinde (unsichtbare) Dinge ist. Daher ist es auch nicht zu verwundern, daß die Seele, die über das, was nicht mehr ist, so viel Gewalt hat, auch Manches, das noch nicht ist, mit dazu nimmt, zumal ihr letzteres auch weit angemessener und mit ihrer Neigung übereinstimmender ist. Denn alles Dichten und Trachten der Seele ist ja auf die Zukunft gerichtet, mit der Vergangenheit hat sie nichts weiter zu tun, als daß sie sich ihrer erinnert. So schwach und stumpf dieses den Seelen eingeborne Vermögen sein mag, so geschieht es doch zuweilen, daß eine Erinnerung gleichsam aufblüht, und daß sie davon in Träumen und bei Mysterien Gebrauch macht. Zwar sagt Euripides: wer gut raten kann, der ist der beste Wahrsager; aber er irrt sich, denn der ist blos ein gescheiter Mann; die prophetische Kraft dagegen erreicht das Zukünftige ohne Vernunftschlüsse, und dann vornehmlich, wenn sie aus der Gegenwart herausgesetzt wird. Ganz mit Recht wehrt hier Plutarch die Vorstellung ab, als beruhe das Wahrsagen auf einer Berechnung, oder auf schon gegebenen Anzeigen, durch den Verstand als Prognose. Es ist hier ein unmittelbares Erkennen, indem die Seele in die Prinzipien der Dinge verzückt wird, und an dein göttlichen Wissen Anteil nimmt, „der alle Dinge weiß vor aller Dinge Schöpfung.“





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1