108. Das Gebet und die bedingte Wirkung

Das Gebet und die durch den göttlichen Geist bedingte Wirkung.



Wie das lebendige Wort, welches durch Christus den Menschen erleuchtet, auch in Krankheiten seine göttliche Kraft bewies, so hat man sonst nirgends die Kraft der Worte erfahren, und in der Tat, die wahren Nachfolger Christi wirken durch seinen Geist und sein Wort fort ihre Wunderkuren. — der Meister und Herr sagte zu dem Kranken: stehe auf und wandle, und er stand auf und ging von dannen; tue deine Augen auf und er ward sehend; stehe auf, nimm dein Bett und gehe heim, und er stand auf usw. Komm heraus, Lazarus, und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit den Grabtüchern verhüllt mit einem Schweißtuch usw. Was ist aber dieses Wort, das „so lebendig und kräftig und schärfer, denn kein zweischneidig Schwert, das durchdringet, bis es scheidet See und Geist, auch Mark und Bein?“ Es ist der göttliche Geist, „der Alles in Allem wirket.“ „Es ist der geistkräftige Wille; es ist die in dem Menschen wirkende Gotteskraft. In allen Zeiten und bei allen Völkern hat es solche geistigwirkende Menschen gegeben, es waren aber religiös begeisterte, im Gebet zu Gott gekehrte und mit Gott vereinigte Menschen. Es ist daher auch die Bedeutung des Gebetes, zu allen Zeiten geübt, mit der Bedeutung des Wortes von einerlei Wesenheit, und man muß nicht glauben, daß vor Christus das Gebet ohne Wirkung und unerkannt gewesen wäre.“ Der Allwissende sieht das Herz der Betenden und nicht ihre Worte, er sieht den Willen und Glauben und nicht den Stand und die Bildung an. „Gott ist zufrieden, wenn der Beter sein Vertrauen auf ihn setzet und ein herzlicher Seufzer rühret sein Innerstes. Im Gebet reden wir mit Gott, mit dem König aller Könige, und es wird dein Handeln geheiligt durch das verheißene Wort Gottes durch dein Gebet.“ Timoth. 4, 5. Auch die frommen Heiden beteten zu dem höchsten Wesen, und ihr eigentlicher Gottesdienst, in der bildlichen Verfassung, unterhielt ihren Zusammenhang und führte eine immer innigere Gemeinschaft, wenigstens zwischen Einzelnen und Gott herbei, die über den Abgrund der Finsternis und des Übels denselben besser erkannten. Auch der fromme Heide war mit den tiefsten Gefühlen darauf gerichtet, in ein recht inniges Verhältnis mit Gott zu kommen und ihm einverleibt zu werden, deshalb lag auch in den Mitteln, welche sie zu diesem Behufe anzuwenden sich getrieben fühlten, eine große Wirksamkeit, und sollte dazu das Gebet nicht das erste und mächtigste sein? und sollte der liebevolle Gott den ihn Suchenden nicht ganz ohne Hilfe lassen? — Der wahre in dem heiligen Geiste begriffene Glaube wirkt aber nur in dem Worte, in der Lehre, in dem Leben und Wirken des Menschgewordenen Christus; „im Namen Christi muß es geschehen.“ Joh. 16, 24. — wenn es das Herz Gottes recht rühren; in Demut des sündigen Zöllners, wenn es die rechte Kraft Gottes anziehen soll, und nicht in der selbstgerechten Einbildung und im pharisäischen Kopfhängen; ohne Unterlass und „in der göttlichen Unterwerfung“ muß es geschehen. Thess. 5, 16. Im Wachen und mit beständiger Danksagung. Coloss. 4, 2.


Es wäre überflüssig, über die Wirkungen des Gebetes weitläufige Beispiele hier anzuführen von frommen, gotterleuchteten und gläubigen Menschen, von denen es in aller Zeit und bei allen Völkern sehr auffallende gab. Aus der neuesten Zeit sind ohnehin mehrere bekannt. Ich führe indessen doch eins an, welches wohl zu den unverdächtigsten zu zählen sein dürfte. „Ich kenne einen Seher (sagt Kieser, Tellur. 2. Th. S. 48), der sich seine weissagenden Gesichte durch andächtiges Gebet zur Nachtzeit, häufig auf einem Berge, auf welchem er sich auf den Bauch hinlegt, erzeugt und diese Gabe auf die anspruchsloseste Weise zur Heilung von Krankheiten anwendet. Die Gesichte sind teils prosaisch, teils poetisch, teils plastisch und außer Krankheiten betreffen sie auch andere wichtige, selbst politische Ereignisse des Lebens, so daß er ganz den Propheten des alten Testaments gleicht.“ Für diejenigen, welchen der Weltorganismus ein aufgezogenes Uhrwerk ist, das als ein Perpetuum Mobile unaufhörlich von selbst fortgeht; welchen das Leben keinen Geist hat und der Mensch ohne Gott ist; welchen die ewige Macht und Weisheit und Liebe über der Zeit und Natur ein Unding ist, muß das Gebet und die Worte für abgeschmackt gelten, aber sie werden auch nie vermögen die Werke des Geistes zu wirken. Diesen sind die magischen Wirkungen allerdings ebenso unerklärlich (und deswegen unwahr!) wie die magischen Erscheinungen unbekannt. Aber es ist ihnen doch auch bei all ihrer Weisheit die ganze Natur nichts als ein unbekanntes X.

Es ist hier der Ort nicht, in diese Materie tiefer einzugehen, aber die Erinnerung ist nicht überflüssig, daß in jedem Worte überhaupt schon etwas Zauberhaftes liegt, und das gesprochene Wort ist ja doch nur der Hauch des inwendig selbst bewegenden Geistes. Ein Wort der Liebe, des Trostes, des Versprechens vermag den Furchtsamen, Verzagten, Schwachen, den physisch Kranken aufzurichten; hingegen Worte des Drohens, des Hasses, des Tadels, der Feindschaft, wie senken sich dabei die Wetterfahnen des Mutes, des Selbstvertrauens und der blos eigenen Zuversicht; wie leicht zagt der im Glücke immer jubelnde Weltmensch zur Stunde der Not, und die Verzweiflung kehrt nur da ein, wo die Religion nicht zu Hause ist, wo das Gemüt keinen unmittelbar göttlichen Trost in seinem Innern fühlt. Es gibt wohl überhaupt Niemand, der gegen Fluch und Segen gleichgültig ist.

Wie übrigens der physische Leib und die in ihm wirkenden Kräfte nur die Hebel sind, durch die der positive Geist nach Außen wirkt; was die Macht des menschlichen Willens vermittelt der Phantasie auf den eigenen Leib, und was der durch die göttliche Kraft verstärkte Wille vermag, dieses habe ich in meinem Buche „Der Magnetismus im Verhältnis zur Natur und Religion“ (S. 404—415, und 444 ff.) weitläufiger dargetan.





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1