099. Ekstasen von Maria von Mörl mit ihrer blutenden Wunde

Wie man häufig die genannten Erscheinungen zu gering, so schlägt man andre, in neuerer Zeit bekannt gewordene ähnliche Erscheinungen zu hoch an; nämlich jene Ekstasen einer religiösen Kontemplation der A. K. Emmerich, der Maria von Mörl usw. mit blutenden Wundmalen.

Man hat in der neueren Zeit den Wert der vorgenannten Beispiele angefangen zu gering zu schätzen und herabzusehen, während man andere damit in mancher Hinsicht übereinstimmende Erscheinungen zu hoch anschlägt und sie sicher überschätzt. Es sind nämlich in der neuesten Zeit bei sehr frommen Personen des weiblichen Geschlechts sehr auffallende Erscheinungen beobachtet norden, welche man nur von dem theologischen Standpunkte aus gewürdigt und sie entweder zu den übernatürlichen Wundern gezählt, oder ans der andern Seite der Schwärmerei, Verstellung oder gar dem absichtlichen Betrug zugeteilt hat. Es sind jene seltenen Zustände, in denen Personen in religiösen Kontemplationen und Verzückungen versunken, innere Anschauungen, vorzüglich des Heilands haben, wobei zugleich an dem sehr schwachen und kranken Leibe gewisse Zeichen, als Kreuze und Wundmale, und zwar meist mit Blutungen aus der Stirn und den Händen und Füßen, und an der Seite sich einstellen. Visionen und Prophezeiungen fehlen auch nicht, welche jedoch die näher und fast ausschließlich mit ihnen umgehenden Geistlichen nicht zur Hauptsache machen. Dabei pflegen solche Personen äußerst wenig zu essen und es sind wohl noch einige andere Erscheinungen damit verbunden, die sehr von den gewöhnlichen abweichen, weshalb es nötig sein wird, sie hier in Zusammenhang mitzuteilen, weil sie in der Tat etwas Magisches (nicht Magnetisches, wie man hin und wieder hört) haben, und weil diese Erscheinungen besonders in unseren Gegenden zu einer gewissen Berühmtheit gekommen sind. Ich habe die bisher bekannt gewordenen Erscheinungen in meiner öfter genannten Schrift gesammelt und sie dort einer wissenschaftlich physiologischen Untersuchung unterworfen; indem ich alles Wunderbare und vermeintlich Übernatürliche derselben aus bekannten Naturgesetzen abzuleiten versuchte und sie auf solche Weise von dem theologischen mehr auf das ärztliche Gebiet herüberzog. Ich habe dort alle, auch die schon in früheren Jahrhunderten bekannt gewordenen ähnlichen Erscheinungen ausführlicher erzählt und muß den Leser dahin verweisen, wenn es ihn interessieren sollte, dieselben näher kennen zu lernen. Ich habe nämlich dort angeführt: I) die AK. Emmerich, eine Nonne zu Dülmen, 2) die noch lebende Maria v. Mörl zu Kaltern, 3) die Müllerstochter Domenica Lazari zu Capriana in Tirol, die ebenfalls noch lebt, und 4) mehrere ältere geschichtliche Beispiele. — Der Gegenstand ist jedenfalls interessant, und um den hierüber nicht unterrichteten Leser in den Stand zu setzen, selbst sich ein Urteil zu bilden, will ich hier die Geschichte der Ersten mitteilen, wie ich sie a. a. D. im Auszug aus biographischen Schriften erzählt habe; die übrigen Fälle sind diesem im Wesentlichen ähnlich und nur in einigen physiologischen Zuständen verschieden. — Daß aber alle diese seltenen Erscheinungen natürlich geschehen, und daß die Personen, an denen sie sich offenbaren, nicht zu der hohen Kategorie der Heiligen gehören, wie wir sie im Vorhergehenden sahen, habe ich dadurch zu zeigen gesucht, daß bei allen, außer dem frommen Sinne, nichts vorkommt, was zu dem Wesen der Heiligkeit gehört. Denn alle sind schwach« mit Krankheiten behaftete und meist mit dm heftigsten Krämpfen geplagte Personen, ohne alle aktive Selbsttätigkeit, wohltätig nach Außen zu wirken und in die Begebenheiten der Zeit und Menschheit einzugreifen. Die hin und wieder vorkommenden, mit Krämpfen meist verbundenen Visionen sind nichts Ungewöhnliches, und die Erscheinung der blutenden Wundmale an ihrem Leibe sind rein psychologisch zu erklären, da die bei Allen sehr lebhafte Phantasie allein die volle Kraft behält und die Visionsbilder einer beständigen Kontemplation zu bleibenden Gestalten bildet, die sogar in dem Leibe eine plastische Festigkeit bekommen, wie ähnliche Erscheinungen auch sonst in der Natur und in pathologischen Zuständen beobachtet worden, so daß man sie ebenso wenig zu künstlich erzeugten Täuschungen zu zählen berechtigt ist, wenn nicht (sit venia verbis) wirklich absichtliche Täuschungen auch vorgefallen wären. Denn die Seele ist das subjektiv Zeugende, der Leib das objektiv Gestaltete, und zwar vorzüglich nach demjenigen Bilde, welches ihm ursprünglich vorgezeichnet ist. Die Phantasie ist aber insbesondere das ideell zeugende und bildende Vermögen der Seele, welche äußerlich darzustellen trachtet, was sie innerlich schauet; was ihr um so leichter gelingt, wenn bei einem sehr passiven Zustande des Leibes und bei der Untätigkeit der äußern Sinne in den Schlafzuständen der innere Sinn vorherrscht. Sogar die Tierseele bildet durch längeres Vorhalten gewisser farbiger Bilder, wie bei Pferden und Tauben, ähnliche Junge, und der Schreck oder eine durch ein aufgeregtes Gemüt erzeugte Vorstellung; die Angst des Alpes; die Furcht vor einer unausweichlichen Gefahr usw., hat bleibende Zeichen auf dem Leibe hinterlassen. — Gleichwie aber die menschliche Phantasie allein Ideen besitzt, so kann auch sie allein ideelle Zeichen, wie die Wundmale des Erlösers, an dem eigenen Leibe einbilden.





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1