098. Geschichtliches aus dem Lebender heiligen Hildegardis

Geschichtliches aus dem Leben der heiligenHildegardis.



Von den vielen Beispielen, die hier nur ein untergeordnetes Interesse haben, möge zum Vergleiche mit den vorhin vorgetragenen Ansichten und Zuständen, statt vieler, noch Einiges aus dem Leben der heiligen Hildegardis hier stehen, um zu zeigen, wie Gott in dem Schwachen mächtig ist, indem diese vor allen geeignet scheint, Licht auch über das magnetische Hellsehen zu verbreiten. Hildegardis ist eine christliche Seherin, die zu ihrer Zeit einen großen Einfluß auf die kirchlichen Angelegenheiten ausübte und die Visionen in solcher Menge hatte, wie fast keine andere, und zwar meistens in Symbolen, die nur sie und sie selbst nicht immer ganz auszulegen verstand. So hatte sie z.B. Bilder eines großen eisenfarbigen Berges; von sehr vielen Lampen; von einem wunderbaren runden Instrumente; von einem unbeschreiblich hellen Glänze; von einem Weibe, das verschiedenartige Farben an sich hatte; von einem hellglänzenden und unauslöschlichen Feuer; von einem Bilde eines sehr geschwinden Weibes; von einem runden Turm so weiß wie der Schnee; von einem andern Turm von Eisenfarbe; von einem Kopfe mit wunderbarer Gestaltung; von fünf Tieren; von einer in der reinsten Luft ertönenden Harmonie der Musik usw.


Sie hatte schon von den ersten Jahren ihres Lebens an Gesichte; war beständig kränklich und hatte oft lange dauernde kataleptische Zustände. Sie hatte in einer Handschrift (die ich auf der Bibliothek zu Wiesbaden mit den schönen Abbildungen ihrer Gesichte fand) und in den Briefen, die ihr Biograph herausgab, größtenteils selbst ihr Leben beschrieben, woraus hier Einiges im Auszüge folgt. Auch Passavant hat in seiner zweiten Auflage einen Auszug geliefert, nach dem hier das Folgende.

In ihrem achten Jahre wurde Hildegardis zu einer frommen Frau getan, die ihr nichts als den Psalter lehrte und sie in großer Einfalt erzog. Die Kraft ihres Geistes entwickelte sich erst später. In ihrem Buche, erzählt sie: „als ich zweiundvierzig Jahre und sieben Monate alt war, durchströmte ein vom Himmel kommendes feuriges Licht mein ganzes Gehirn und entflammte mein Herz, wie ein Feuer, das nicht brennt, aber wärmt, der Sonne gleich, die mit ihren Strahlen die Gegenstände erwärmt, und plötzlich hatte ich das Verständnis der Schriftauslegung; nämlich des Psalters, des Evangeliums und anderer Bücher des alten und neuen Testaments.“

Sie war den größten Teil des Lebens krank, daß sie selten das Bett verlassen könnte; aber was dem äußern Menschen an Kräften fehlte, schreibt ihr Biograph, das erlangte sie am Innern durch den Geist der Wahrheit und Kraft, und während der Leib schwand, war die Glut der Seele um so mächtiger. Eine innere Stimme befahl ihr, ihre Gesichte mitzuteilen, was ihr viel Überwindung kostete. Nach dieser Mitteilung besserte sich ihre Gesundheit. Da Hildegardis so berühmt wurde, so schickte Papst Eugen III. auf Antrieb seines Lehrers, des Bernhards von Clairvaux, einige Männer zu ihr, um über die Seherin nähere Kunde zu sammeln. Ihre kataleptischen Krämpfe hatte sie vorzüglich, bevor sie in das Kloster zu Bingen kam, meistens sehr anhaltend, daß der sie besuchende Abt, da er Mit allen Kräften ihren Kopf nicht bewegen konnte, sie als eine göttliche Seherin erklärte (divina correptio). Nachdem sie bestimmt den Wohnort des heiligen Robert bei Bingen im Geiste angegeben hatte, wohin man sie ihrem Wunsche gemäß lange nicht bringen wollte, kam der Abt zu ihr und sagte: Im Namen Gottes solle sie aufstehen und selbst dahingehen. Hildegardis stand eilends auf, als wenn ihr nie etwas gefehlt hätte. In Hinsicht ihrer Gesichte schrieb sie an den Mönch Wibertus: „Gott wirkt, wo er will, zum Ruhme seines Namens und nicht des irdischen Menschen. Bei meiner beständigen Ängstlichkeit hebe ich die Hände zu Gott empor und wie eine von dem Winde getriebene Feder werde ich von ihm getragen und gehalten. Was ich sehe, weiß ich nicht sicher, so lange ich körperlich beschäftigt bin. Gesichte hatte ich aber von meiner Kindheit an, da ich noch sehr gebrechlich war, bis zu der gegenwärtigen Zeit, da ich über siebzig Jahr alt bin. Meine Seele erhebt sich, nachdem Gott will, in diesen Gesichten bis in die Höhe des Firmaments und nach allen Weltgegenden zu verschiedenen Völkern. Ich sehe diese Dinge aber nicht mit dem äußeren Augen und höre sie nicht mit den Ohren noch durch die anderen Sinne, sondern einzig in meiner Seele mit offenen Augen, ohne in Ekstase zu geraten; denn ich schaue sie wachend bei Tag und bei Nacht."

An einem andern Orte erzählt sie von sich:[i] „Im dritten Jahre meines Lebens schaute ich in ein solches Licht, daß meine Seele erbebte. Aber meiner Kindheit wegen konnte ich nichts davon mitteilen. In meinen, achten Jahre ward ich Gott zu einem geistigen Verkehr dargebracht, und bis zum fünfzehnten Jahre sah ich Vieles, wovon ich manches in Einfalt erzählte, so daß die es hörten, darüber erstaunt warm, überlegend, woher und von wem diese Gesichte kämen. Damals verwunderte ich mich selbst, daß, während ich innerlich im Geiste sah, ich auch das äußere Sehvermögen hatte, und da ich dies sonst von keinem Menschen hörte, so verbarg ich die Gesichte, welche ich in meiner Seele hatte, soviel ich konnte. Vieles Äußere blieb mir auch unbekannt wegen der beständigen Kränklichkeit, welche ich von der Muttermilch bis jetzt erduldet habe, die meinen Körper abmagerte und meine Kräfte verzehrte. So erschöpft, fragte ich einst meine Pflegerin, ob sie etwas außer den äußerlichen Dingen sehe? sie erwiderte nein, weil sie nichts sah. Da wurde ich von großer Furcht ergriffen und wagte nicht, dies Jemanden mitzuteilen; aber indem ich mancherlei sprach, pflegte ich auch von künftigen Dingen zu erzählen. Wenn ich von diesen Visionen mächtig ergriffen war, so sagte ich Dinge, welche den Hörenden ganz fremd waren. Wenn nun die Kraft der Vision etwas nachließ, worin ich mich mehr nach den Sitten eines Kindes, als nach den Jahren meines Alters betrug, so errötete ich sehr und sing an zu weinen; und häufig hätte ich lieber geschwiegen, wenn es mir vergönnt gewesen wäre. Aus Furcht aber vor den Menschen wagte ich Niemand zu sagen, wie ich sah. Aber eine Edelfrau, der ich zur Aufsicht übergeben war, bemerkte dies und teilte es einer ihr bekannten Nonne mit. Nach dem Tode dieser Frau blieb ich bis zum vierzigsten Jahre meines Lebens sehend. Damals wurde ich in einem Gesichte durch einen großen Drang genötigt, öffentlich zu sagen, was ich gesehen und gehört hatte. Ich teilte dies einem Mönch, meinem Beichtvater mit, einem Manne voll guten Willens. Ich war aber damals sehr kräftig. Er hörte diese wunderbaren Erscheinungen gern und riet mir, sie niederzuschreiben und geheim zu halten, bis er sehe, wie und woher sie wären. Nachdem er erkannte, daß sie von Gott waren, teilte er sie einem Abt mit und arbeitete eifrig mit mir in diesen Dingen. — In diesen Visionen verstand ich die Schriften der Propheten, der Evangelisten und einiger heiligen Philosophen ohne allen menschlichen Unterricht. Einiges aus diesen Büchern erklärte ich, da ich doch kaum die Buchstaben kannte, so viel mich die ungelehrte Frau gelehrt hatte. Ich sang auch ein Lied zur Ehre Gottes und der Heiligen, ohne von einem Menschen darüber belehrt worden zu sein; denn ich hatte nie irgend einen Gesang gelernt. Da diese Dinge der Mainzer Kirche bekannt wurden, so sagten sie, es komme Alles von Gott und durch die Prophetengabe. Hierauf wurden meine Schriften dem Papst Eugen, als er zu Trier war, gebracht, welcher sie vor Vielen vorlesen ließ, er schickte mir einen Brief und hieß mich meine Gesichte genauer ausschreiben.“


Dieses Rufes wegen zogen aus allen Gegenden Deutschlands und Frankreichs Leute zu ihr, um sich Rat zu erholen. Ihr Biograph erzählt: „Sie legte ihnen Stellen aus der Schrift vor und löste sie ihnen. Viele bekamen auch Rat wegen körperlicher Übel; Mehrere wurden durch ihre Segnungen von Krankheiten erleichtert. Sie kannte durch ihren prophetischen Geist die Gedanken und Neigungen der Menschen und strafte Einige, die nur aus Neugierde und mit frivoler Verkehrtheit zu ihr kamen. Da diese dem Geiste, der aus ihr sprach, nicht zu widerstehen vermochten, so wurden sie oft ergriffen und gebessert. Die Juden, welche sich mit ihr in ein Gespräch einließen, suchte sie durch Worte frommer Ermahnungen zum Glauben an Christus zu weisen. Zu allen sprach sie mit Sanftmut und Milde. Die Nonnen ermahnte und bestrafte sie mit mütterlicher Liebe, so oft Zwistigkeiten oder Verlangen nach der Welt oder Nachlässigkeit sich bei ihnen zeigte. Ihren Willen, ihr Vorhaben und ihre Gedanken durchschaute sie sosehr, daß sie jeder auch beim Gottesdienst nach einer Jeglichen Herzensbeschaffenheit einen besondern Segen gab, denn sie sah im Geiste das Leben der Menschen voraus, von einigen sogar das Ende ihres gegenwärtigen Lebens und nach dem Zustand ihres Innern den Lohn oder die Strafe ihrer Seelen. Doch diese hohen Geheimnisse vertraute sie Niemand, als jenem Manne, welchem sie auch das Verborgenste mitteilte. Bei allem diesem hielt sie fest an der höchsten aller Tugenden, an der Demut.“

Wie ihr Schauen, so waren auch ihre Handlungen wunderkräftig auf Personen und Sachen und ihre Zeit schrieb ihr allgemein die Kraft Wunder zu wirken zu.

„Die Gnade, Krankheiten zu heilen, schreibt ihr Biograph, bewies sich so mächtig, daß sich fast kein Kranker an sie wandte, ohne von ihr die Gesundheit wieder zu erlangen. Ein Madchen z. B. Hildegardis litt an Tertianfieber, wovon sie kein Arzneimittel befreien konnte. Sie flehte daher die Hilfe der heiligen Jungfrau an. Diese legte ihr nach dem Worte des Herrn: sie werden den Kranken die Hände auflegen und es wird mit ihnen besser werden, die ihrigen mit Segen und Gebet auf und heilte sie dadurch. Ein Laienbruder, Namens Noricus, welcher in einem Kloster lebte, litt ebenfalls stark an Wechselfieber. Da er das an jenem Mädchen vollbrachte Wunder vernahm, ging er in Demut zur Jungfrau und empfing den Segen und wurde geheilt. Eine Magd, Bertha, litt an einer Geschwulst des Halses und der Brust, und konnte weder Speise noch Getränk zu sich nehmen. Hildegardis bezeichnete die schmerzenden Stellen mit dem Kreuze, und gab ihr die Gesundheit wieder. Aus Schwaben kam ein Mann zu ihr, welcher am ganzen Körper geschwollen war. Diesen ließ sie mehrere Tage bei ihr bleiben und den Kranken mit ihren Händen berührend und segnend, stellte sie durch Gottes Gnade sein voriges Wohlbefinden wieder her. Ein siebenmonatliches Kind litt an Konvulsionen, und wurde ebenso von ihr geheilt. Allein nicht nur denen, die in ihrer Nähe waren, sondern auch weit Entfernten, war sie auf diese Art hilfreich. Arnold von Wackerheim, welcher sie früher kannte, hatte einen so heftigen Halsschmerz, daß er seinen Aufenthalt nicht leicht ändern konnte. Er erwartete gläubig die Hilfe ihres Gebetes. Hildegardis vertrauend auf Gottes Barmherzigkeit, weihte Wasser, schickte es dem Freunde zu trinken und dieser verlor seinen Schmerz. Die Tochter einer Frau aus Bingen konnte drei Tage nicht sprechen. Die Mutter läuft zur heiligen Jungfrau um Hilfe. Diese gibt ihr nichts als Wasser, das sie selbst geweiht hatte. Als die Tochter dasselbe getrunken hatte, erhielt sie die Stimme und Kräfte wieder. Dieselbe Frau gab einem kranken Jüngling, welchen man schon dem Tode nahe glaubte, das ihr noch übrige gesegnete Wasser zum Getränk und wusch ihm damit das Gesicht, wodurch er genas. — Im Trierschen lebte ein Mädchen, welches aus leidenschaftlicher Liebe zu einem Manne ihrem Untergänge entgegenging. Die Eltern der Unglücklichen schickten deshalb an Hildegardis. Diese, nachdem sie zu Gott gebetet, segnete an ihren, Tische Brot mit vielen Tränen, die über dasselbe herabflossen und schickte es dem Mädchen zu essen. Durch den Genuß desselben kühlte sich die heftige Leidenschaft.“

Hildegardis scheint auch die Eigenschaft gehabt zu haben entfernten Personen zu erscheinen, wie es bei neueren Ekstatischen beobachtet wurde. „Was sollen wir aber sagen, erzählt ihr Geschichteschreiber, daß die Jungfrau auch durch das Gesicht solche Personen in großen Nöten warnte, welche sie in ihrem Gebete gegenwärtig hatten. Ein junger Mann, Ederich Rudolph, übernachtete einst in einem kleinen Dorfe, und da er zu Bett ging, bat er um das Mitgebet der heiligen Jungfrau. Da erschien ihm diese in derselben Kleidung, wie sie in der Wirklichkeit war, in einem Gesichte und eröffnete ihm, daß wenn er sich nicht schnell entfernte, sein Leben durch die ihm nachstellenden Feinde in Gefahr kommen würde. Auf der Stelle verließ er mit einigen seiner Gefährten den Ort. Die Zurückgebliebenen wurden überwältigt.“ Es werden noch mehrere ähnliche Fälle erzählt.

Die Visionen der Hildegardis bezogen sich aber nicht blos auf einzelne Personen, sondern mehr auf allgemeine Begebenheiten, namentlich auf die großen Erschütterungen, welche nach ihr die Kirche erleiden würde. Sic war daher eine lange Reihe von Jahren das Orakel der Fürsten und Bischöfe. Sie war 1098 geboren und starb 1179 den 17. September, wie sie es ihren Schwestern lange vorhergesagt hatte. Bis ans Ende war sie fast unausgesetzt leidend. Wie sie ihre Leiden trug, beweist ihr noch vor Kurzem in Eibingen aufbewahrter Ring, auf welchem die Worte stehen: „ich leide gern.“

Ich habe in meinem Werke: der Magnetismus im Verhältnisse zur Natur und Religion, aus der Geschichte der Giovanna della Eroce in Roveredo, deren Leben und Selbstbekenntnisse Beda Weber in der Schrift: Tirol und die Reformation in historischen Bildern und Fragmenten, Innsbruck 1841, aus Handschriften bekannt machte, Einiges mitgeteilt, was mit dem eben Erzählten sehr genau in vielen Stücken übereinstimmt. Auch diese genoss durch ihre Weissagungen und durch ihren weitverbreiteten Rat, den sie einzelnen Personen und öffentlichen Angelegenheiten gab, einen solchen Ruf, daß sie während des dreißigjährigen Krieges die meisten fürstlichen Häupter und Kriegshelden, selbst protestantische, aufsuchten und sich mit ihr in Korrespondenz setzten. Sie war ebenso kränklich, überaus fromm, sah die Gedanken Anderer und kannte ihre Gesinnungen; verwies ihnen ihr verkehrtes Herz, selbst ihrem eigenen Beichtvater, und verbreitete weit herum Segen und Gesundheit.— Ebendaselbst habe ich auch die Geschichte der Jungfrau von Orleans etwas ausführlicher, über ihr Leben, ihre Gesichte und Heldentaten bei ihrem frommen Wandel nach Görres (Die Jungfrau von Orleans nach den Prozessakten und gleichzeitigen Chroniken, Regensburg 1834), und nach Charmettes (Histiore de Jeanne d'Arc, surnommée la pucelle d'Orleans. Paris 1817) mitgeteilt, worauf ich den Leser verweise, wenn er Luft hat, mehrere ähnliche Hochbegeisterte kennen zu lernen, wozu ihm übrigens vorzüglich auch Görres' Mystik dienen wird.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1