096. Die Ekstase der Heiligen und Propheten

Die Ekstase der Heiligen und Propheten mit ihren charakteristischen Merkmalen.



Zu den verschiedenen Formen des Hellsehens in der Verzückung gehört auch jenes der Heiligen und der Propheten. Allein das Entrücktsein der wahrhaft Gottbegeisterten ist mit jener wahrsagenden Ekstase der krampfhaften Seher, oder jener büßenden Jongleurs und jener mit Wahnsinn wechselnden religiösen Verzückung nicht zu verwechseln. Die Veranlassung, wie die Erscheinung und der Endzweck ist hier ein ganz verschiedener. Bei allen vorhin genannten findet man die Ekstase in zuckweisenden Ausbrüchen durch das mehr oder weniger trübe Gewölk; es ist ein Steigen und Fallen, eine Fluch und Ebbe nach der Stimmung des Herzens und der Bewegung des Blutes. Ein Wind, von dem man nicht weiß, woher er bläst, facht unversehens jenes Feuer der Verzückten an, das auch eben so unerwartet wieder erlöscht; es hat keine bestimmte Dauer und keinen gewissen Zweck und Bedeutung. Das Leben verschmachtet in der Einsamkeit, und wie der Leib durch eine widernatürliche Pflege vertrocknet und ein unbrauchbares Werkzeug wird, so verliert der Geist allen Sinn an der Schönheit und Harmonie der Natur; an der Kraft des Denkens, nützliche Erfahrungen und Wahrheiten zu machen und zu finden; an der Liebe, für den Nächsten mehr als für sich selbst zu sorgen; an dem Willen und Charakter Kräfte und Handlungen zu entwickeln, welche außerhalb des Kreises der eigenen Abgeschlossenheit in die Ferne und Zukunft wirken. Nicht ganz mit Unrecht hat man schon von jeher jene rätselhaften Erscheinungen, deren Wirkungen aus gutem oder bösem Grunde zu gutem oder schlechtem Endzweck etwas Unheimliches haben, einem inneren versteckten Dämon zugeschrieben, welcher bald als ein magischer Wahrsager, bald als ein neckender Spukgeist, bald als ein höllischer Plagteufel und dann wieder als ein göttlicher Prophet zum Vorschein kommt. Prophet ist jener Dämon immer, auch der böse und falsche, welcher zuweilen auch den guten Menschen zu bösen Neigungen und Taten weckt, anfangs leiser, aber mit steigender Gewalt, sobald er Gehör bekommt. In der Lebensgeschichte aller der genannten Verzückten, so wie großer und kleiner Verbrecher verkündet der böse Engel dem sehnsüchtig Schmachtenden allerlei Unheil, wie dem verzweifelnden Verbrecher seinen bevorstehenden Tod. Ja das Dämonische, so scheint es, sucht zunächst und am meisten das Innere durch und weckt das im Reste schlummernde Böse, den versuchten Widerstand zu höhnen, den Verzagten anzuklagen, den Sanftmütigen zu erbittern, den Hoffenden zu verdammen und die Wege der Besserung Allen abzuschneiden. „Es gibt auch ein Dämonisches, welches das Böse als etwas Gutes rühmt, sagt Schubert, welches deshalb auch auf viel gefährlichere Weise die Wahrheit zur lüge verkehrt; es gibt auch ein Dämonisches, welches das Gute lebt, um es verdächtig zu machen.“


Die Ekstase der wahren Heiligen gibt hingegen Zeugnis von einer höheren unsichtbaren Ordnung der Dinge, die herüberwirken in die natürliche Welt des Menschen, und die in ihm ein ruhiges und tieferes Ergriffensein und ein mildes Selbstzuchten, das erquicket, hervorbringen. Bon den natürlichen Hemmungen läßt sich der von dem göttlichen Hauche angewehte Geist in seinem schauen und Handeln nicht mehr aufhalten; denn seine Gesichte sind kein Geistersehen mehr und keine Spukerei entsteigt den, schwärmerischen, von Angst, Unfrieden und Furcht gequälten Gemüte; der Leib ist nicht mehr eine durch jene Zuckungen oder Lähmung unbrauchbar gewordene Last; oder durch Trägheit ein geschwundenes Gefäß und ein vertrocknetes Rohr; er wird auch in seiner Schwäche ein rüstiges Werkzeug zur Arbeit und zu Handlungen, die Segen spenden für die Mit- und Nachwelt.

Fassen wir diese entgegengesetzte Beschaffenheit besser ins Auge: so ist es nicht mehr schwer den charakteristischen Unterschied ter magischen niederen Ekstase und der Inspiration der heiligen Seher und Propheten festzusetzen.. Die Motive, wie die Wirkungen sind bei beiden Arten wesentlich verschieden. Bei der magischen Ekstase der brahmanischen Initiation; bei der religiösen Schwärmerei der Einsiedler in der thebaischen Wüste, wie der Selbstpeiniger, geschieht das Schauen und die vermeinte Gottesvereinigung zufällig oder durch selbst gesuchte Mittel; bei dem echten Propheten und wahren Heiligen kommt der göttliche Ruf unversehens von oben. Ein Besserdünken, Vorzug und Eigenmacht sind dort die Triebfedern; eine Abgeschiedenheit und Absonderung in Finsternis und Einöden; eine Entsagung von aller Gesellschaft des Lebens, von aller Geistesbildung ist dort das absichtliche Streben. Hier herrscht Demut, Freude im Lichte und in der Mitte des Lebens, mit dem Triebe offen und tatkräftig zu wirken. Keine Absonderung und keine Sonderung der Stände findet statt, sondern der Gemeinschaft zu einer organischen Harmonie werden alle Kräfte geweiht; der Prophet verkündigt die Worte Gottes zu dem Glauben an seine Weltregierung; zu der Belohnung und Strafe für gute und böse Handlungen; die Liebe Gottes und des Nächsten ist die offene Verkündigung. Herrscht dort der Stolz des Selbstes und die Verachtung oder wenigstens Geringschätzung der Welt bei der Sucht zur Vertiefung in eine leidenschaftliche Gemütsapathie: so ist hier ein weiser Gebrauch des Lebens, ein freudiger Friede im gehorsamen Dienste Gottes mit der steten Erinnerung seiner sündhaften Schwäche, mit der steten Bitte um den göttlichen Beistand zu der wahren Erleuchtung und Erkenntnis aller Wahrheit, zu der rechten Folgsamkeit und Ergebung in den Willen Gottes. Ein Kind an Demut, ein Jüngling an Tat, ein Mann an Rath ist der echte Prophet. Häufig ist die Welt dem magisch Verzückten eine Hölle, dem Heiligen ist sie eine Schule, die Pflichten zu lernen und ein dienstfertiges Glied zu den Naturbestimmungen zu werden. Dort werden Gebote gegeben von dem Seher; hier verkündigt sie der Prophet als Offenbarungen Gottes. Dort sind die Mittel in Verzückung zu geraten: Verachtung, Entsagung der Welt und unnatürliche Kasteiungen des Leibes. Hier ist die Welt zu einem zweckmäßigen Gebrauch des Lebens eingerichtet, und Mittel in Ekstase zu geraten braucht der echte Prophet gar keine, er spricht das unmittelbar empfangene Wort Gottes ohne Vorbereitung und ohne Abtötung des Leibes aus; teilt es mit; lebt mit und unter seinesgleichen. Der Inhalt des Sehens ist selbst in der höchsten Verzückung des Magiers eine Art Lichtglanz, in welchen versunken ihm die Welt mit ihren Signaturen und vielleicht auch die innere Beschaffenheit oft zur Anschauung kommen mag; aber der Mund schweigt in der Lust der Verzückung und im blendenden Glänze eines pathologischen Selbstleuchtens; daher die vielen Zerrbilder von Wahrheit und Täuschung; der Wechsel von Gefühlsempfindungen und Phantasiebildern in abgebrochenen Reihen und unharmonischen Formen; von Zuckungen und Verrückungen des Leibes und der Seele. Ihre Gesichte sind auch nicht immer zuverlässig und wurden auch nicht immer verstanden. Bei den Propheten sind die Gesichte der Form nach Erleuchtungen und Beleuchtungen eines milden göttlichen Lichtes auf dem Spiegel des reinen Gemütes, welches seine ganze Persönlichkeit behält und in selbstbewusster Abhängigkeit und Beziehung zu Gott und der Außenwelt bleibt. Der Inhalt der Gesichte sind allgemeine Angelegenheiten des Lebens in religiöser wie bürgerlicher Hinsicht, die Worte sind Lehren der Wahrheit in Klarheit für alle Menschen und Zelten, jedem verständlich. Der Prophet sucht und hat seine Seligkeit nicht in der Verzückung selbst, sondern in der Freudigkeit seines Berufs, das Wort Gottes zu verbreiten; nicht in der abgeschlossenen Verachtung, sondern in der Mitteilung und selbsttätigen Mitwirkung im Kreise seiner Brüder. Der echte Prophet geht also nicht in seiner inneren Anschauung unter, und vergißt sich nicht selbst in der Welt, sondern bleibt in lebendiger Beziehung mit Gott und seinem Nächsten in Wort und Tat. Wie bei der hohem Inspiration die Motive und der Hergang wesentlich verschieden sind: so das Ziel und der Erfolg. Die brahmanischen Seher klagen z. B. über das stufenweise Herabsinken des Geistes von seinen, ursprünglichen Glanze nach den auf einander folgenden Weltperioden in die vergängliche Natur und in das Reich des Todes, und betrauern das damit verbundene Elend, den Unfrieden, die Verwilderung und Zerrissenheit des Geistes, wie wir dies Alles bei den an Leib und Seele verkommenen Heidenvölkern Indiens sehen. Dagegen wie hat nicht die Verklärung des Geistes durch die Propheten der Juden in Hinsicht auf Religion, auf bürgerliche Sitte stufenweise in der Geschichte zugenommen? Der Geist des Christentums endlich, der über das Abendland weht, breitet seinen Frieden immer weiter aus und während im unfruchtbaren magischen Schauen überall anderswo Alles in Ohnmacht und Nacht versinkt, werden hier durch tätige Glaubenskräfte Berge versetzt und von echt christlicher Liebe in gegenseitiger Hilfe durch Rat und Tat Bäume gepflanzt, deren Flüchte auch den noch blinden Heiden zu gute kommen werden, deren wahrer Genuß aber erst in einer andern Welt ausreifen wird, wohin wir unser Auge und Streben richten sollen! Ist das Ziel des magischen Sehers die Wonnelust des eigenen Schemens, so lebt der echte Prophet im Glauben und nicht im Schauen, — Taten, nicht Visionen, sind Zeichen der Heiligkeit. Fassen wir dieses Alles nach den Ursachen, nach dem Inhalt und Endzweck näher zusammen, so ergibt sich folgendes Resultats.

Nach der Ursache des Entstehens ist das magische Schauen Menschenwerk auf einem kranken Boden gepflanzt, gleichviel ob es von selbst in ihm entsteht, oder durch gewählte Mittel; oder durch die Kunst des Arztes. Ein abnormer Zustand der Gesundheit geht immer voraus; Schlaf und eine äußerlich aufgehobene Sinnlichkeit. Die Disposition zu der visionären Ekstase hat ihren Grund vorzüglich im Leibe, und wie immer dieselbe entsteht, die Natur hält den Seher immer mit starken Banden fest, wenn er auch die höheren Stufen erreicht.

Die prophetische Begeisterung ist Wirkung des heiligen Geistes und eines göttlichen Ratschlusses. Der göttliche Ruf trifft unversehens, und der physische Zustand kommt dabei gar nicht in Anschlag. Die physischen Kräfte werden ganz abhängig von dem Geiste, der sie als Mittel zu höhern rein geistigen Zwecken gebraucht. Ein Schlafleben mit abgeänderten Sinnesfunktionen findet hier gar nicht notwendig statt.

Der Form nach richtet der magnetisch Entzückte seine Aufmerksamkeit auf selbstgefällige oder gesuchte Objekte, die Gesundheit und das irdische Menschenleben sind meist der Kreis der Visionen, wenn es nicht ganz ins Bizarre geht. Er läßt sich passiv von außen bestimmen ohne Charakter und wahre aktive Selbsttätigkeit und ohne gemeinnützliche Anstrengung. Die rein menschliche Natur, die Neigungen des Temperaments fehlen nie ganz in dem magnetischen Kreise der Seher, daher auch ihre Wirkungen nur selten eine höhere, weiter greifende Kraft zeigen.

Der wahre Prophet zeigt keine Veränderlichkeit in den Erscheinungen, und er verkündigt nichts Geschautes aus dem Zauberkreis, sondern den Willen dessen, der von Anfang war und das Ende ist. Der göttliche Unterricht seines Nächsten, das Wort Gottes zur Erkenntnis der Wahrheit und Nächstenliebe bleibt seine einzige Beschäftigung, er ist darum ein so rüstiger Streiter gegen Lüge und Bosheit. Alles Weltliche, Eigennutz, Neigung und Sinneslust, Gesundheit und Ehre beim Menschen sucht er nie. Die, zukünftige, nicht gegenwärtige Seligkeit für Alle predigte er, durch die Eingebung Gottes, und wandelt als ein williges Gefäß mit hoher Erleuchtung Allen ein Vorbild und Mittler zwischen Gott und Welt durch Wort und Tat. Er sondert sich nicht ab, vertieft sich nicht in Visionen und Gefühlen, prophezeit nichts Persönliches, sondern Allgemeines für die Schicksale der Völker und Zeiten. So mit der Kraft Gottes gerüstet vermögen sie Übernatürliches zu wirken, sowohl über ihren eigenen Leib als auch über andere. Trost, Seelenfrieden in Kreuz und Leiden, Warnung gegen drohende Gefahren; Heilungen schwerer Krankheiten, Hilfe in der Not und Bedrängnis sind ihre göttlichen Werke. Mit der Ausbreitung des Reiches Gottes ist die Veredelung des Menschengeschlechtes ihr Endzweck. Der eigene Vorteil, alles zeitliche Wohl kommt bei den Männern Gottes gar nicht in Anschlag! Der Glaube an die Kraft Gottes ist der Grund ihres Wirkens und die Stimme aller Gebote erfüllen sie durch die Lieb, welche die größte aller Tugenden ist.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1