095. Einteilung der Ekstase in zwei Arten

8b]Einteilung der Ekstase in zwei Arten, in eine niedere, mystische der Kontemplation und eine höhere Art der göttlichen Begeisterung der Heiligen und Propheten.[/b]



„Es bedarf nicht immer einer, vom wachen Leben durchaus verschiedenen Existenzform, sagt Passavant (zweite Aufl. S. 171), damit die Seele zu inneren Schauen gelange. Wenn dieselbe weniger nach Außen gerichtet ist und durch Sammlung, Betrachtung und Erhebung andauernd ein gesteigertes inneres Leben ruhet, können ekstatische Zustände entstehen.“


Wenn dem zu einer luxuriösen Phantasietätigkeit geneigten Geiste die äußere Beschäftigung fehlt, wenn das leicht empfängliche Gemüt mit religiösen Lehren übernährt wird, die es nach Älter oder Fassungskraft nicht verdaut, und wenn dazu noch ein schwächlicher, kranker Leib sich gesellt: so sind die Elemente gegeben zu einer ganz zentralen Sinnesbeschäftigung der Seele. Der Mensch scheidet dann gewissermaßen willkürlich von der ihn umgebenden äußern Welt und bildet sich eine innere, die freilich meist auch nur er allein versteht. Da nun der einmal lebendig gewordene Geist nie ruhen kann, und da sein Wesen ein Schaffen und Wirken mit Ideen und Idealen ist: so nimmt er es dann auch nicht mehr so genau, ob seine Vorstellungen blos subjektive Spiele der Phantasie, Träume und Visionen sind, oder ob er durch wirkliche objektive Einflüsse zu seinen Betrachtungen angeregt wird. Ein passives Hinbrüten und eine sich selbst verzehrende Sehnsucht kann sich aber ebenso bis zur Ekstase steigern, wie das aktive in heiterem Frieden aufleuchtende Schauen und die kräftig nach außen, vom göttlichen Hauche aufgeregte Selbsttätigkeit. Im ersten Falle entsteht jene in sich geschlossene kränkliche und mystische Kontemplation, im zweiten die höhere, — göttliche Begeisterung. Dorthin gehört jene stille Beschauung in völliger Abgezogenheit von der Gemeinschaft der Menschen, in Einöden; jenes Lossagen der religiösen Schwärmer von allem verständigen Denken; jene büßende Enthaltsamkeit von Nahrung und Schlaf und jenes absichtliche Kasteien des Leibes, seine natürlichen Bedürfnisse zum Schweigen zu bringen. Hierhin gehört der aus Menschenliebe für alles Gute offene Sinn und der zum Wohltun immer bereite Wille der Heiligen und Propheten. Man begreift daher leicht, wie bei den Einsiedlern der Thebais; in den Klöstern des Mittelalters; bei einsamen Hirten in abgelegenen Tälern und einförmigen Gegenden; wie bei frömmelnden, von der Außenwelt stiefmütterlich gepflegten Personen usw. ekstatische Zustände entstehen, in denen der Mensch sich sehr wohlbefindet, weil ihn keine Macht beschränkt und lein fremder Eingriff hindert, in den Sphären des Geistes umherzuschweifen, die eigentlich seine ursprüngliche Heimat sind. Auch ist es nicht zu verwundern, wenn solche Seher, auch der niederen Art, oft tiefe Blicke in das Verborgene tun; umfassende Weltanschauungen offenbaren; treffende Ideale aufstellen, die sie von Außen nicht gelernt haben; denn sie schöpfen sie aus dem inneren unversiegbaren immer fließenden Born der geistigen Welt, weil ihre edelsten Keime gerade in der Abgezogenheit und Ruhe sich entwickeln, was bei dem gewöhnlichen Treiben und Toben in dem Geräusch der äußern Welt ganz verhindert wird, wo eigentlich eine wahre Besonnenheit eines ruhigen Selbstbewusstseins und eines mit demselben im Gleichgewichte stehenden Wirkens nie zu Stande kommt, so daß die innere Sonne hier aus Mangel aller isolierten Einkehr gar nicht aufgeht; dort aber nur periodisch mehr oder weniger das trübe Gewölk der Umhüllung durchbricht. Was nun jene erste Art der Verzückung betrifft, so werden wir sie insbesondere später näher kennen lernen, wenn wir zu den indischen Sehern und zu den orientalischen Fakiren kommen. Von jener Zurückgezogenheit der Einsiedler und Mönche führe ich hier die sogenannten Quietisten, Hesychiasten, auf dem Berge Athos im vierzehnten Jahrhundert an. Letzteren Namen führten sie wegen der Art zu beten, wie cs sie ihr Abt Simeon gelehrt hat in dem Werke über die Mäßigkeit und die Andacht. „Sitzend in einem Winkel allein, merke und tue, was ich sage. Verschließ deine Türe und erhebe deinen Geist von allem Eitlen und Zeitlichen. Dann senke deinen Bart auf die Brust und errege das Auge mit ganzer Seele in der Mitte des Leibes am Nabel. Verengere die Luftgänge, um nicht zu leicht zu atmen. Bestrebe dich innerlich den Ort des Herzens zu finden, wo alle psychischen Kräfte wohnen. Zuerst wirst du Finsternis finden und unnachgiebige Dichtheit. Wenn du aber anhältst Tage und Nächte: so wirst du, o des Wunders! unaussprechliche Wonne genießen. Denn der Geist sieht dann, was er nie erkannt hat, er sieht die Luft zwischen dem Herzen und sich ganz strahlend.“ Dieses Licht, behaupteten diese Einsiedler, sei das Licht Gottes, das auf Tabor den Jüngern sichtet geworden. Jene mystische Kontemplation mit ihren Visionen von guten und bösen Geistern werden wir bei den Neuplatonikern; bei der Geschichte des Hexenwesens und des Bessennseins im Mittelalter; bei den Mystikern im höheren Sinne, wie bei Pordage, Swedenborg und I. Böhme betrachten.

Jene zweite Art der göttlichen Entzückung der Heiligen und Propheten, die durch Gottes Geist getrieben werden, bildet eigentlich eine wesentliche Verschiedenheit und gehört nicht in die Geschichte der Magie, sondern in die Religionsgeschichte. Der Gleichheit der formellen Erscheinungen halber pflegt man diese jedoch meist auch zu der magischen Ekstase zu zählen, weshalb wir kurz dabei verweilen müssen, aber darum, um den wesentlichen Unterschied beider Arten recht einzusehen.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1