093. Visionen durch Gifte und andere Stoffe erzeugt

Visionen durch Gifte und andere Stoffe erzeugt; die Beobachtungen van Helmonts über die Wirkungen des Eisenhuts.



Zu dem abnormen Somnambulismus, der jenem des Deliriums und der Visionen im Wahnsinn ähnlich ist, gehören jene Zustände, die entweder zufällig oder mit gewissen Giften willkürlich erzeugt werden. Hier ist es eine Art Giftrausch und eine Exaltation der Seele, die gewöhnlich eine große Schwäche und einen Stumpfsinn hinterlassen. Dahin gehören alle Narkotika. Passavant hat in der ersten Ausgabe seiner „Untersuchung über Lebensmagnetismus,“ mehrere hierher gehörige geschichtliche Beispiele gesammelt. — Von dem Samen des Stechapfels erzählt Acosta, daß in Indien die Freudenmädchen denselben in den Wein mischen. Wer so unglücklich ist, sagt er, denselben genommen zu haben, der verweilt einige Zeit in Geistesabwesenheit. Oft spricht er dabei mit Andern und gibt Antworten, daß man glauben sollte, er sei bei völlig gesunder Vernunft; dennoch ist er seiner nicht mächtig, weiß Nicht, mit wem er sich unterhält, und verliert davon völlig die Erinnerung, nachdem er erwacht ist. Nach Gaffendi bereitete sich ein Schäfer in der Provence durch Stechapfel zu Visionen und Weissagungen vor.


Die Ägypter bereiten aus dem Hanf ein berauschendes Mittel, das sie Assis nennen. Sie machen daraus Kugeln von der Größe einer Kastanie. Nachdem sie einige derselben verschluckt, und dadurch gleichsam berauscht sind, haben sie gleich den Ekstatischen Visionen.

Johann Wier erzählt von einer Pflanze am Libanon, Theaugelides, welche diejenigen, welche sie genießen, in einen Zustand versetzen soll, in welchem sie weissagen.

Kämpfer erzählt, daß die Perser bei einem Feste ihm einen bei ihnen gebräuchlichen Trank gaben, in welchem Opium enthalten war. Er fühlte davon bald eine unbeschreibliche Freude. Am Ende glaubte er auf einem Pferde zu sitzen und durch die Lüfte zu fliegen.

Ein ähnliches Gefühl, als schwebe man durch die Lüfte und reite über den Wolken, erregt vorzüglich das Bilsenkraut. Man wird hierbei gedrungen, an die sogenannten Hexen des Mittelalters zu denken, welche Ähnliches von sich behaupteten, z. B. auf den Blocksberg zu fahren, weil man weiß, daß dieselben sich des Bilsenkrauts innerlich zum Zaubertrank und äußerlich als Salbe bedienten. Durch die Wirkungen dieses und ähnlicher Mittel allein lassen sich indes bei weitem noch nicht alle Erscheinungen des Hexenwesens im Mittelalter erklären. (Passavant, S. 244.)

Durch die Wurzel des Napellus ward van Helmont in eine Stimmung der Seele versetzt, in der sich die veränderte Tätigkeit des Geistes reiner, als sonst beim Gebrauche betäubender Gifte offenbarte, van Helmont erzählt von sich selbst (Demens idea, §12.): [i]„Ich behandelte den Napellus auf verschiedene Weise. Einst, als ich die Wurzel desselben nur grob zubereitet, versuchte ich sie mit der Zungenspitze. Obgleich ich nichts hinuntergeschluckt und viel Speichel ausgespieen hatte, so hatte ich doch bald ein Gefühl, als wenn mir der Schädel von Außen mit einem Bande zusammengeschnürt würde. Es kamen mir einige häusliche Geschäfte vor, ich ging im Hause hin und her und brachte Alles in Ordnung. Endlich widerfuhr mir, was sonst niemals. Ich fühlte nämlich, daß ich im Kopfe nichts dächte, verstünde, noch mir einbildete nach der gewöhnlichen Weise; aber ich fühlte mit Bewunderung, klar, unterscheidbar und beständig, daß alle jene Verrichtungen in der Herzgrube vor sich gingen und sich um dm Magenmund verbreiteten; ich empfand dies bestimmt und deutlich und bemerkte es aufmerksam, daß, obgleich ich fühlte, wie Empfindung und Bewegung vom Kopfe aus sich über den ganzen Körper verbreitete, dennoch das ganze Vermögen zu denken wirklich und fühlbar in der Herzgrube sei, mit Ausschließung des Kopfes, als wenn dort die Seele ihre Anschläge überlegte. Voll Verwunderung und Staunen über diese Empfindungsweise, bemerkte ich mir meine Gedanken und stellte über dieselben, wie über mich selbst die genaueste Prüfung an. Ich bemerkte ganz deutlich, daß ich viel klarer dachte. Die Empfindung, meine Vernunft und Einbildungskraft in der Herzgrube zu haben und nicht im Kopfe, vermag ich nicht mit Worten auszudrücken. Es war eine Seligkeit in jener intellektuellen Klarheit. Es währte auch nicht kurze Zeit; widerfuhr mir auch nicht, da ich schlief, träumte, oder krank war; sondern ich war nüchtern und gesund. Und obgleich ich mich schon mehrmals in Ekstase befunden hatte (van Helmont war also schon geneigt dazu); so beobachtete ich doch, daß dieselbe nichts gemein hatte mit diesem Denken und Fühlen an der Herzgrube, wobei jede Mitwirkung des Kopfes ausgeschlossen war. Ich bemerkte mit deutlicher Überlegung (als wäre ich vorher unterrichtet gewesen), daß der Kopf in Hinsicht der Phantasie völlig feierte, und ich wunderte mich, daß dieselbe außerhalb des Gehirns in der Herzgrube tätig sei. Zuweilen wurde jene Freude durch die Furcht unterbrochen, es könne mich der ungewöhnliche Zufall zum Wahnsinn bringen, weil ein Gift die Ursache desselben war. Allein die Bereitung und die kleine Gabe desselben beruhigten mich. Obwohl mir nun die Klarheit oder die selige Erleuchtung meines Verstandes, wegen ihres Grundes, diese Art der Einsicht in Etwas verdächtig machte, so gab mir doch meine völlig freie Resignation in den Willen Gottes meine frühere Ruhe wieder. Etwa nach zwei Stunden überfiel mich zweimal ein leichter Schwindel. Nach dem ersten bemerkte ich, daß das Denken zurückgekehrt sei; nach dem zweiten fühlte ich, daß ich auf die gewöhnliche Weise dachte. Später begegnete mir niemals wieder etwas Ähnliches, obwohl ich von demselben Napellus kostete.“[i] van Helmont bemerkte hierzu selbst: von diesem lichten Strahl kann man nur sagen, daß er intellektuell ist, höher als die irdische Materie, denn er wird allein von der Seele bereitet, welche an sich reine Intelligenz ist. Weil die Sinne und Bewegungen freistunden, so urteile ich, daß ihnen ein anderes Licht anderswoher zugeführt werde. Auch lehrt es, daß die Lebensgeister einen freien Durchzug durch die Nerven hatten. Denn das Licht in der Herzgrube durchdringt Alles, wohin es strahlt, so wie bei jungen Leuten das Kerzenlicht durch die Finger rötlich durchscheint, als wären die Knochen durchsichtig. — Von jener Zeit an, sagt er weiter, hatte ich hellere und verständigere Träume als vorher. Da lernte ich verstehen, wie ein Tag dem andern etwas kundgibt, und eine Nacht der andern ein Wissen verleiht. Ich lernte auch, daß das Leben, der Verstand, der Schlaf Wirkungen eines gewissen Lichtes sind, das keiner Kanäle bedarf; denn ein Licht durchdringt ein anderes Lebenslicht. Zu weilen zieht sich die Seele zurück, breitet sich aus und zwar auf sehr mannigfache Weise, im Schlafe, im Wachen, in des Kontemplation, in der Ekstase, der Ohnmacht; in der Manie, dem Delirium, in den Verirrungen der Leidenschaften und endlich durch gewaltsame Mittel. — van Helmont kannte also die verschiedenen Arten der Visionen recht gut, bildete sich aber, dadurch veranlaßt, seine eigene Physiologie über die Wirkung der Seele durch das Nervensystem. Nach ihm geschieht das Urteilen des Verstandes mittelst des Gehirns, aber durch Zufließen eines Strahls aus der Herzgrube, wo die Gegenwart und die Erinnerung des Vergangenen die Erkenntnis betrifft. Alles aber, was sich auf das Zukünftige und rein Abstrakte bezieht, ohne Rücksicht auf die nahe Umgebung, geschieht ganz in der Herzgrube, wobei das Ferne erscheint, als wäre es gegenwärtig; deswegen reden diejenigen, die von Sinnen sind, von den Dingen, als wenn ihnen Alles gegenwärtig wäre. Das Hellsehen erklärt van Helmont endlich als unmittelbares Schauen der Seele, und glaubt, daß dieses der reine ursprüngliche Zustand des Menschen gewesen sei, bevor sie von der Sünde besteckt gewesen. Nun aber sei sie in einer fremden Herberge überall gehindert und der Geist (mens) habe seine Geschäfte seiner Magd, — der Sinnesempfindung nämlich (animae sensitivae) übergeben. Nach dem Tode werde aber die Seele wieder zu ihren, freien Schaum gelangen, dann wild sie nicht mehr blos durch Schlußfolgerungen erkennen, sondern ein Jetzt und Hier umfasst ihr alle Dinge, weshalb sie auch keiner Erinnerung bedarf und keiner Reflexion. Die Seele ficht dann im Genusse und Anschauen der nackten Wahrheit ohne Ermüdung und Aufhören (Imago mentis §. 24.).

Zu den narkotischen Mitteln gehören auch die betäubenden sparten und Erddämpfe, wodurch die Priester im Altertume, wie es scheint, in Ekstase kamen, oder diese bei den Orakeln erzeugten. Die heftigsten Krämpfe waren auch damals schon mit dem Somnambulismus verbunden, wie bei der Priesterin des Apollo zu Delphi. — Ebenso die Räucherungen, die betäubenden Tänze der türkischen Derwische erzeugen Schwindel und weisende Visionen, wie man Ähnliches bei wahrsagenden Priestern schon im Altertume, beim Sabäismus der Kanaaniten, bei dem Baalsdienste, bei dem indischen Schiwa und Kali, bei dem phönizischen Moloch, bei den bacchanalischcn Festen der Griechen und Homer sah, und bei den Lappen und Finnen usw. jetzt noch sieht. Bei dieser Art findet sich aber nicht das wohltätige Licht, sagt Passavant, was friedlich die Seele erleuchtet, sondern es sind Blitze, die aus dem Innern hervorzucken. — Wo nun bei Menschen von unlauteren Herzen durch zerstörende Naturkräfte und döse geistige Rapporte, die tiefsten überzeitlichen Kräfte geweckt werden, da mögen wohl leicht finstere Mächte die Wurzeln des Gemüts ergreifen, und sich sittliche Abgründe auftun, welche der in die Zeitschranken gebannte Mensch kaum ahnet und vor denen die menschliche Natur zurückbebt. Eine solche unerlaubte Ekstase und böse Begeisterung erkennen wenigstens die Religionslehren der Juden und Christen an, und die Seher Gottes beschrieben sie als einen Bund mit der Hölle. (Jesaias 28, l5.)




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1