089. Die Convulsionärs am Grab des Diakonus Paris

Die Convulsionärs am Grabe des Diakonus Paris.



Mit allen chronischen Convulsionen, besonders wenn si endemisch auftreten, sind fast immer somnabule Visionen verbunden; so bei den Convulsionärs der Protestanten in den Cevennen, die im sechzehnten Jahrhundert sich durch fast ganz Deutschland verbreiteten, und ebenso bei jenen merkwürdigen Zufällen am Grabe des Diakonus Paris auf dem Kirchhofe St. Medard zu Paris in den Jahren 1724 bis 1736. Diese hatten mit denen der Besessenen große Ähnlichkeit. Nach Carre de Montgeron sollen jene Convulsionärs gegen Stiche und Stöße mit spitzigen Pfählen und eisernen Barren ganz unempfindlich gewesen sein, ebenso gegen jede Erschütterung der schwersten Lasten. Sie hatten Visionen, gingen mit himmlischen und höllischen Geistern um, sowie auch dort die größten Wunderkuren geschehen sein sollen; welche aber der Erzbischof von Paris in seinem Hirtenbrief 1735 mirakula, nennt, was um so mehr von den Berichten der Jansenisten absticht, welche jene als Beweise göttlicher Wirkungen den Wundern Jesu und der Apostel in Vergleich setzten. Die Kranken bedienten sich such eigentümlicher Behandlungsarten, die man grands secours, oder secours meurtriers nannte, deren Wahrheit durch Augenzeugen und aktenmäßig erwiesen ist. Die Kranken wurden nämlich von den stärksten Menschen mit schweren Werkzeugen, mit hölzernen Balken, mit eisernen dreißig Pfund schweren Barren usw, mit Stößen auf den Leib traktiert, und statt einer mechanischen Beschädigung des Körpers stellte sich ein Wohlgefühl ein, welches mit der Heftigkeit der Gewalt zunahm. Die Kranken ließen sich auch mit einem Brett bedecken, worauf zwanzig und mehrere Menschen sich stellten, ohne dem Kranken Schmerz zu erzeugen. Selbst hundert Stöße, welche abwechselnd mit einem 25pfündigcn Gewicht bald auf den Bauch, bald auf die Brust gegeben wurden, die die ganze Stube erzittern und die Zuschauer schaudern machten, ließen sie sich ruhig gefallen. Ja die Kranken forderten zu ihrer Erleichterung starke und immer stärkere Schlage, weil schwache ihnen das Übel nur vermehrten. Wer sich nicht getraute tüchtig zuzuschlagen, wurde für feig und schwach gehalten, und Dank erhielten nur die stärksten und in hinreichender Menge erteilten Schläge, welche allein Linderung verschafften. Wenn die Schläge mit der größten Kraft endlich in die Tiefe bis an den Magen drangen: dann war die Kranke zufrieden und schrie laut mit dun Ausdruck der Zufriedenheit auf dein Gesichte: ach wie gut! — Es ist übrigens eine bekannte Sache, daß Krämpfe gegen äußere Reize und selbst gegen die stärkste Gewalt sich gleichsam in einer übermenschlichen Steigerung hatten, ohne daß die Kranken den geringsten Schaden leiden, wie ich es bei Mädchen und Frauen öfter gesehen habe, daß man leicht veranlaßt wird, an übernatürliche Einflüsse zu denken. Die Spannung der Muskeln nimmt an Elastizität und Stärke gegen die Unempfindlichkeit der Nerven so zu, daß ihr keine äußere Gewalt gleicht, und wenn man den Paroxysmus mit irgend einer Gewalt aufhalten will, so steigert er sich, und nach eigenen Beobachtungen geschieht dies nicht minder auf psychische, als auf physische Weise. Mit Ruhe des Geistes, mit Besänftigung der Seele und der aufrührerischen Natur geht der Anfall viel sicherer und schneller zu Ende, ohne daß man übrigens hier von Wundern zu träumen braucht, die bei dieser Krankheitsart die Geschichte aufgehäuft hat, und ohne daß dabei von Glauben und Religion und Teufelei viel die Rede zu sein braucht. Ich habe bei Kindern, bei Katholiken, Protestanten und Juden keinen Unterschied gefunden, ob sie Religion und Glauben hatten oder keins von beiden, weshalb ich auch das ganze Wunder der Krämpfe für nichts anderes als für ein gewaltiges, abnormes und disharmonisches Naturspiel schon in meiner Schrift: der Magnetismus im Verhältnis zur Natur und Religion, angegeben habe, welches Urteil ich nicht zurücknehme, sondern mit voller Überzeugung beibehalte. Daß bei dieser ungewöhnlichen Erscheinung auch die Psyche eigentümliche Modifikationen erleiden muß, ist wohl von selbst klar, wobei wir indessen nur die verschiedenen Anlagen des Menschen und sein erweitertes Gebiet für entfernte und fremde Einflüsse zu bewundern Gelegenheit finden, von denen in dem gewöhnlichen Zustande derselbe in der Regel nichts erfährt; weshalb man den Wirkungskreis und die Würde des Menschen überhaupt viel zu niedrig anzuschlagen pflegt.





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1