088. Visionäre Erscheinungen in Krankheiten

Visionäre Erscheinungen in Krankheiten, insbesondere in, entzündlichen Fiebern, in der Hysterie, Katalepsie, Epilepsie.

Bei Entzündungskrankheiten, vorzüglich des Gehirns, sind die Delirien häufig weissagender Natur. De Geze sieht es schon als unbestritten an, daß besonders in der Hirnentzündung und in der Apoplexie ekstatische Zustände sich einstellen, und daß damit nicht nur neue Ideen, sondern sogar neue Vermögen sich bilden, in die Zukunft zu sehen (Recherches sur la sensibilité). Fernel erzählt von einem Kranken, der im Schlafe Latein und Griechisch sprach, was er im Wachen nicht konnte; auch entdeckte er seinen Ärzten ihre Gedanken und machte sich über ihre Unwissenheit lustig, Gueritaut erzählt von einem 18jährigcn Mädchen, die alle ihre Sinne in der Magengegend hatte, die Personen in der Entfernung erkannte, alle Ereignisse bis zu ihrer Heilung voraussagte und sich die Mittel zur Heilung angab. Ganz ähnliche Fälle erzählt Hunaud von einem kataleptischen Mädchen, die künftige Dinge vorhersagte und andere, z. B.: „ich sehe die arme Frau Maria, die sich viele Mühe um die Schweine macht; sie mag tun, was sie will, sie muß sie doch alle ins Wasser werfen.“ Den andern Tag brachte man sechs Schweine ins Haus; eine Magd sperrte sie ein, um sie den andern Tag zu schlachten. In der Nacht wurde eins der Schweine toll, weil es von einem tollen Hunde gebissen war, es biss nun alle anderen Schweine und man mußte sie umbringen und ins Wasser werfen. Lentulus erzählt ähnliche Fälle, sowie bei Nerven- und Krampfkrankheiten unter vielen anderen vorzüglich die Erfahrungen Petetins sehr merkwürdig sind, welche er bei einer hysterischen Frau lange vorher gemacht hat, ehe durch Mesmer der Magnetismus bekannt war, sowie ein ähnlicher von Sauvages in Montpellier.


Die kataleptische Person, die Petetin beobachtete, war seit lange sehr abgestumpft, sie empfand fast keine äußern Reize mehr; konnte nicht sehen und hören. Einmal bemerkte Petetin zu seinem Erstaunen zufällig, daß ihn die Kranke verstand, wenn er ihr auf die Herzgrube sprach. Bald nachher sah und roch sie auf dieselbe Art. Sie vermochte auf diese Art ein Buch oder einen Brief zu lesen, wenn auch etwas zwischen ihr und diesem lag. Setzte er einen elektrischen Nichtleiter zwischen den Magen und den Gegenstand, so hatte sie keine Kunde davon, und bei elektrischen Leitern fand das Umgekehrte statt. Auf diese Weise bildete er öfters eine Kette von mehreren Personen, wovon die erste die Hand auf die Herzgrube der Kranken legte, und die letzte, welche die entfernteste war, nur leise in die Hand sprach; die Kranke hörte auf diese Weise Alles. War aber die Verbindung nur zwischen zwei der Personen, welche die Kette bildeten, durch einen idioelektrischen Körper, z, B. Siegellack unterbrochen, so hörte die Kranke nichts, man mochte auch noch so lange sprechen; was ihn bewog, das ganze Phänomen der Elektrizität zuzuschreiben.

Bei einer anderen Kataleptischen bemerkte Petetin nicht blos eine Versetzung der Sinne an die Herzgrube, sondern auch an die Fingerspitzen und an die großen Zehen. Beide Kranken zeigten auch eine ungewöhnliche Entwicklung ihrer Geisteskräfte, und taten richtige Blicke in die Zukunft. Petetin war übrigens damals noch ein heftiger Gegner des Magnetismus, den er erst gegen Ende seines Lebens besser kennen lernte.

Sauvages erzählt seinen Fall wie folgt: „Ein Mädchen von einundzwanzig Jahren wurde 1737 von der Katalepsie befallen. Drei Monate darauf gesellte sich ein wunderbarer Zustand dazu. Geriet die Kranke in denselben, so sprach sie mit einer Lebhaftigkeit des Geistes, die ihr sonst ganz ungewohnt war. Was sie sagte, stand in Verbindung mit dem, was sie am vorigen Tage in demselben Zustande gesprochen. Sie wiederholte Wort für Wort eine Vorschrift in katechetischer Form, welche sie den Tag vorher gehört hatte. Sie zog daraus moralische Bemerkungen für ihre Hausleute. Sie begleitete dies Alles mit Bewegungen dir Gliedmaßen und der Augen und doch schlief sie ganz fest. Um die Wahrheit dieser Erscheinung noch mehr zu bekräftigen, stach ich sie, brachte plötzlich ein Licht vor ihre Augen, und ein Anderer schrie ihr unbemerkt rückwärts ins Ohr. Ich goss ihr in die Augen und in den Mund Franzbranntwein und Salmiakgeist; in ihre Nase blies ich starten Spaniol; ich stach sie mit Stecknadeln; drehte ihr die Finger; ich berührte ihren Augapfel mit einer Feder und selbst mit der Spitze meines Fingers. Sie zeigte nicht die mindeste Empfindung. Sie sprach nur lebhafter und munterer. Bald darauf stand sie auf. Ich erwartete, sie würde sich an den benachbarten Betten anstoßen, aber sie ging ganz ruhig, indem sie allen Betten und Stühlen auswich. Sie legte sich hierauf wieder ins Bett. Bald darauf ward sie kataleptisch. Wenn ihr Jemand während der Zeit einen Arm aufhob, oder den Hals und Kopf drehte, sie aufrichtete, so blieb sie in dieser Stellung, wenn der Körper nur dabei im Gleichgewicht war. Hierauf erwachte sie, wie aus einem tiefen Schlafe. Da sie an der Physionomie der Anwesenden erkannte, daß sie ihre Anfälle gehabt, so war sie verwirrt und weinte den ganzen Tag. Sie wusste übrigens von Allem, was sie in diesem Zustande getan oder geredete hatte, durchaus nichts. Nach einiger Zeit verschwanden all diese Anfälle, und es schien gar nichts, als hätten die Arzneimittel diese Wirkung hervorgebracht. Später hörte ich, daß sie noch einmal somnabul war, ohne immer vorher kataleptisch zu werden. Ihre Gesundheit war sehr gebessert. Der Somnabulismus, in welchem sich auch einzelne halbhelle Blicke offenbarten, war hier wie häufig die Krise der Krankheit. Schon Hippokrates kennt ihn von dieser Seite, indem er sagt: „In der Manie und Dysentrie ist die Wassersucht oder die Ekstase gut.“

Die häufigsten Beispiele sind von Nervenkrankheiten, von der Hysterie, dem Veitstanz und der Epilepsie aufgezeichnet. Lentulus, welcher von jener Apollonia Schreier in Bern 1604 wegen ihrer Gesichte und ihres langen Fastens erzählt, erwähnt auch eines epileptisch gewordenen Knaben, welcher nach seinen Anfällen ekstatisch wurde und geistliche Lieder sang. Plötzlich unterbrach er sich selbst und sprach außerordentliche Dinge, sogar von den Verstorbenen. Nach der Ekstase war er wie einer, der aus einem tiefen Schlaf erwacht, wonach er versicherte mit Engeln umgegangen und in den lieblichsten Gärten gewesen zu sein, in denen er die höchste Wonne genossen habe.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1