085. Das Nachtwandeln oder die Mondsucht

Das Nachtwandeln oder die Mondsucht.



Zu den Träumen und dem natürlichen Wahrsagen gehört auch das Nachtwandeln, der Idiosomnambulismus der Mondsüchtigen.


Man versteht unter Nachtwandeln, Traumwandeln, Schlafwandeln usw. jenen Zustand, in welchem Menschen des Nachts während des Schlafes zu bestimmten oder unbestimmten Zeiten das Bett verlassen; sich ankleiden; zuweilen sprechen; gehen und verschiedene Verrichtungen vollbringen, die meist von der gewohnten Tagesbeschäftigung sehr abweichen. Die Menschen werden übrigens für gesund gehalten und haben auch während dieses Zustandes keine Fieberbewegungen. Die Handlungen sind oft sehr sonderbar, der Nachtwandler geht, liest, schreibt und bringt oft die schwersten und außer diesem Zustande die gefahrvollsten Arbeiten zu Stande. Er klettert und steigt über Mauern und Dächer; seht sich mit hinabhängenden Füßen an die äußersten, gefahrvollsten Stellen; wandert durch die schauderhaften Felswände über die gefährlichsten Abgründe und verrichtet daselbst wohl auch Geschäfte, die bei Tage Niemand zu unternehmen wagt. So stand ein Bauer aus meiner Heimat oft des Nachts auf, Arbeiten zu verrichten, die er bei Tage nicht auszuführen im Stande war. Mit geschlossenen Sinnen ging er aus dem Hause und kam nach vollbrachtem Geschäfte wieder, ging zu Bett und schlief wieder ruhig seine noch übrige Zeit. Einmal nahm er das Holzbeil mit sich und haute einen Baum ab, der über einen reißenden Bach an einem fürchterlichen Abgrund hinüberhing. — Ein Apotheker las in der Nacht in seiner Officin bei verschlossenen Augen die Rezepte durch die Fingerspitzen und bereitete dann die vorgeschriebenen Arzneien aufs Beste, und so gibt es hundert verschiedene Beispiele.

Gewöhnlich sind die äußeren Sinne ganz geschlossen; nur selten hat der Nachtwandler die Augen offen, er sieht aber doch nicht mit denselben; auch hören sie nichts, was um sie vorgeht, selbst das Zurufen vernehmen sie gewöhnlich nicht; man muß sich jedoch in Acht nehmen, sie nicht beim Namen zu nennen, wenn sie an gefährlichen Stellen sich befinden, weil sie zuweilen erwachen und dann über ihre Lage erschrecken und Schaden leiden.

Es gab Beispiele, wo das Nachtwandeln auch bei Tage solche Menschen überfällt, allein dann ist es mehr schon wirkliche Krankheit, und sie befinden sich in einer Art Delirium, aus dem sie nur mit Mühe zu sich zu bringen sind. Die Krankheiten, mit welchen das Nachtwandeln zuweilen verbunden ist, sind die Katalepsie, Hysterie, Melancholie, Epilepsie, der Veitstanz. Bei Entzündungs- und Wechselfiebern, und in Wurmkrankheiten und besonders in der Entwickelungsperiode des jugendlichen Alters hat man die Mondsucht beobachtet.

Auch das Nachtwandeln ist schon in den ältesten Zeiten ein Gegenstand mehrfacher Ansichten und Untersuchungen gewesen. Die Griechen nannten es ..........., die Römer noctambulatio und somnabulismus. Forest nennt es eine nächtliche Verrücktheit; Ettmüller einen wachenden Schlaf und ein schlafendes Wachen; Paracelsus eine Tobsucht des Traumes; Junker eine gestörte Phantasie zur Nachtzeit; A. v. Haller eine heftige Bewegung in irgend einem Teil des Gehirns, während die übrigen ruhen; Weickart einen höhern Grad des Traums unter der Herrschaft des Willens, welcher sich von irgend einem Übel zu befreien strebt; Brandts eine Aufregung aller Gehirnteile; Friedr. Hofmann einen halbwachen Traum, in welchem die schöpferische Geisteskraft nach den äußeren Teilen wirkt; van Swieten, de Haen usw. einen Zwischenzustand zwischen Traum und Wachen; endlich nannte es van Helmont die Mondsucht. Ausführlicher beschrieben findet man das Nachtwandeln von folgenden Schriftstellern.

Jacob Horstius, de natura, differentiis et causis eorum, qui dormientes ambulant etc. Lipsiae 1593. — G. G. Richter, dissert. De statu mixto somni et vigiliae, quo dormientes multa vigilantium munera obeant. Göttingen 1756. — Gottfried Fr. Meyer, Versuch einer Erklärung des Nachwandelns. Halle 1758. — Schenkius, dissert. De ambulatione in somno. Jenae 1671. — Pigatti, sonderbare Geschichte des Joh. Bapt. Regretti, eines Nachtwandlers; aus dem Italien. Nürnberg 1782. — De la Croix, observation concernant une fille cataleptique et somnabule en meme temps. (Histoire de l'acad. Royale des sc. 1742. p. 409). — Muratori, über die Einbildungskraft. Moritz, Magazin der Seelenkunde und andere psychologische Lerhrbücher.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1