084. Das Wahrsagen der Sterbenden

Das Wahrsagen der Sterbenden.



Daß Menschen kurz vor ihrem Tode auf einmal zu weissagen anfangen, ist eine der ältesten Erfahrungen, und es findet damit von den erwähnten Erscheinungen kein Unterschied statt, das Wahrsagen der Sterbenden bezieht sich auf Personen und Begebenheiten, oft bis in die tiefsten Einzelheiten. Damit tritt auch jene den magnetischen Hellsehern ähnliche Verklärung des Angesichts ein. Merkwürdig ist dabei, daß hier kein Unterschied stattzufinden scheint, weder in Hinsicht des Alters noch des Geschlechts, weder bei Gesunden, noch bei den verschiedensten Arten von Krankheiten. Kinder von wenigen Jahren wie alte Greise sagen den Umstehenden zuweilen ihre künftigen Schicksale vorher, und ebenso Menschen, die noch kurz vor ihrem Tode gar nicht für krank gehalten wurden, wie jene, die Jahre lang auf dem Siechbette lagen. Ja sogar viele Jahre verrückt Gewesene wurden kurz vor ihrem Tode auf einmal klar, zeigten den hellsten verstand und offenbarten verborgene Dinge, Belege hierzu finden wir bei den ältesten Schriftstellern, wie bei Hippokrates, Galen, Avicenna, Aretäus, Cicero, Plutarch usw., in großer Menge. — Auch zeigt die Erfahrung, daß Sterbende Gegenstände schauen, die ihnen unaussprechlich sind; sie vernehmen die entzückendsten Harmonien und ihre Seelenkräfte steigern sich dermaßen, daß sie mit den innigsten Gefühlen, wie begeistert in poetischer Rede ihre Gesichte mit den reichsten Bildern und mit den lebhaftesten Farben geschmückt vortragen. — Nur ein paar Beispiele mögen hier angeführt weiden.


Schon Homer kannte diese Erscheinung sehr gut; denn der sterbende Hektor sagt dem Achilles seinen nahen Tod vorher, Calanus gab, als er den brennenden Scheiterhaufen bestieg und ihn Alexander fragte: was er noch wolle, zur Antwort: Nichts, ich werde dich übermorgen sehen, was auch richtig eintraf. Posidonius erzählt von einem sterbenden Rhodier, welcher Sechs nach einander hernannte, wer als der erste, der zweite usw. sterben würde. Plutarch macht daraus folgenden Schluß: „es wäre nicht wahrscheinlich, daß beim Sterben die Seele eine neue Fähigkeit erlange, die sie vorher nicht schon gehabt hätte, als das Herz durch die Bande des Körpers noch gefesselt war. Viel wahrscheinlicher sei es, daß man diese Fähigkeit immer besitze; allein verfinstert und durch den Leib verhindert wäre sie, und die Seele vermag sie erst dann zu üben, wenn die Körperbande anfangen aufgelöst zu werden, und wenn sie durch die schwere Last der hinfälligen Glieder und faulenden Säfte nicht mehr niedergedrückt werden.“ — „Die Seele wirkt im Körper, sagt fast ebenso Aretäus, wie durch Kot und Feuchtigkeiten verfinstert, bis sie davon erlöst wird.“

Neuere Beispiele findet man unter andern bei Werner, die Symbolik der Sprache. Die älteren finden sich gesammelt bei Sauvages, Nosolgia methodca. T. IV. — Quellmalz, de divinationibus medicis. Freiburg 1723. — Janitss, Dissertatio de somniis medicis. Argentorati 1720 und vorzüglich M. Alberti, disserat de vaticiniis aegrotorum. Halae 1723.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1