083. Auch das natürliche Wahrsagen war allgemein bekannt

Auch das natürliche Wahrsagen war in allen seinen Arten allgemein bekannt, wie wir aus den alten klassischen Schriften ersehen.



Noch mehr konstatiert, als die genannten Arten, war von den ältesten Zeiten das natürliche Wahrsagen aus der prophetischen Bewegung der Seele, wobei Zeit und Raum, nach der einstimmigen Annahme, keine Schranken setzen. Daß die menschliche Seele göttlicher Natur sei, war die allgemeine Überzeugung, und eben deswegen sei sie den Naturgesetzen nicht so unterworfen; erst seitdem die Seele in einem vorirdischen Leben gesündigt habe, sei sie in die körperliche Natur herabgefallen und mit ihr vermischt worden, dadurch wurde ihre ursprüngliche Sehkraft getrübt (Plato im Phädrus und Phädon. Cicero de divinat. I. 30 etc.). Ganz verloren haben aber die Menschen die Sehergabe nicht, weil sie ihrer Natur nach unverlierbar ist. „Wie die Sonne, sagt Plutarch, nicht erst dann, wenn sie aus den Wolken hervortritt, glänzend wird, sondern es immer ist, und nur wegen der Dünste, die sie umgeben, uns finster erscheint: so erhält auch die Seele nicht erst dann, wenn sie aus dem Körper, wie aus einer Wolke hervorgeht, das Vermögen in die Zukunft zu sehen, sondern besitzt dieses schon jetzt, ist aber durch ihre gegenwärtige Vermischung mit dem Sterblichen gleichsam geblendet.“ — Da der Seele also die weissagende Kraft angeboren und unverlierbar einwohnt, aber im gewöhnlichen Zustande des Lebens nur latent ist: so kann sie von einer höhern Macht erregt, oder auch dann offenbar hervortreten, wenn die Macht des Körpers auf irgend eine Weise herabgesetzt wird. Vorzüglich wird dieses in jenen Zuständen geschehen, in denen die Seele am wenigsten Gemeinschaft mit dem Körper hat und nicht so gefesselt ist, das Wesen der Dinge zu schauen. Solche lucida intervalla treten am meisten im Schlafe und im Traume ein. Xenophon (Cyrop. VIII. 7. 21.) sagt: „im Schlafe erscheinen die Seelen der Menschen am freiesten und göttlichsten, da werfen sie einen Blick in die Zukunft,“ und Josephus (C. J. VII. 8. 7.) schreibt: „im Schlafe genießen die Seelen, nirgends durch den Körper zerstreut, die süßeste Ruhe, gehen mit Gott um, mit dem sie verwandt sind; schweifen überall hin und sehen zukünftige Dinge.“ Auch in der Nähe des Todes ist die natürliche Weissagung schon in der ältesten Zeit wohl bekannt gewesen. In Griechenland war der Glaube von der weissagenden Kraft der Sterbenden so verbreitet, daß ihn Sokrates in der Platonischen Apologie als einen allgemein brannten Satz ausspricht. Eben dasselbe sagt Cicero, den insbesondere wir noch weiter vernehmen wollen, Arrian (de exped. Alex. VII.), Aretäus (de causis et signis morb. acut.etc.) In den Ekstasen aber, ob sie freiwillig oder in Krampfkrankheiten entstehen, ist die Weissagung eine allgemein bekannte Erscheinung gewesen, welche teils durch göttliche Einwirkung, teils durch physische Einflüsse, wie durch begeisternde Quellen und Erddämpfe hervorgebracht wurde. Letzteres nennt Plutarch (Mor. p. 432 d.) in den verschiedenen Arten der Manie das ,................... Von ersterer spricht vorzüglich auch Plato in Phädrus und Plinius führt merkwürdige Beispiele von kataleptischen Ekstasen an (VII. 52. 174 ff.).


„Zu der natürlichen Wahrsagung, sagt Cicero, gehört diejenige, welche nicht durch Voraussetzung, durch Beobachtungen oder durch bekannte Zeichen geschieht, sondern die durch irgend einen inneren Zustand und Bewegung des Gemütes begründet ist, wo Menschen durch ein ungebundenes, freieres Hervortreten des inneren Sinnes künftige Dinge vorherzusagen vermögen, was entweder bei Träumenden, bei Irren, bei Tobsüchtigen (per furorem vaticinantes), oder sonst bei sehr reinen Gemütern der Fall ist. Von dieser Art sind die Orakel, nicht aber jene, die durch Loszeichen, sondern durch einen inneren Trieb und einen göttlichen Hauch begründet sind. Wenn wir auch jenes Wahrsagen bei den Opfertieren als eitel Ding verlachen; wenn wir auch die Babylonier verlachen, und jene am Kaukasus, die an Himmelszeichen glauben und die der Zahl, der Bewegung und dem Lauf der Gestirne folgen; verdammen wir auch diese alle, sage ich, wegen ihrer Eitelkeit oder Narrheit, welche sich auf fünftehalbtausendjährige Erfahrungen, wie sie sagen, und Erinnerungen stützen; strafen wir das Urteil von Jahrhunderten Lügen; verbrennen wir die Jahrbücher und sagen wir: es sei Alles nur Dichtung! — Aber ist auch die Geschichte der Griechen erlogen, was Apollo durch die natürliche Wahrsagung den Lacedämoniern, den Argivern, den Korinthern usw. geantwortet hat? Alles will ich unberührt lassen, aber dieses Einzige verteidige ich, daß die Götter auch die menschlichen Dinge besorgen. Niemals würde das Orakel zu Delphi so berühmt geworden, noch mit so vielen Geschenken von allen Völkern und Königen überhäuft worden sein, wenn nicht jedes Alter die Wahrheit jener Orakel selbst erfahren hätte. Oder soll der Ruhm, da jenes jetzt aufgehört, mit verschwunden sein? Es kann die Kraft der Erde, welche die Seele der Pythia mit göttlichem Hauche bewegte, durch das Alter verschwunden sein, wie auch einige Flüsse vertrocknen oder einen andern Lauf nehmen, allein die Kraft ist da und bleibt immer da, wenn wir nicht die ganze Geschichte umstürzen wollen.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1