074. Die Wechselwirkung der Trennung der Völker

Die Trennung der Völker war jedoch nie eine alle gegenseitige Wechselwirkung ausschließende, und die Verlassenheit keine absolute, sondern Gott veranstaltete die Mittel und Wege zu einer endlichen Wiedervereinigung unter ein gemeinsames Haupt.



Allein so sehr die Völker sich von der Einheit einer wahren Erkenntnis ihrer Beziehungen zu der Natur und der Gottheit immer weiter entfernten und endlich das rechte Ziel ganz aus den Augen verloren; so sollte diese Entfernung doch nicht ins Unendliche gehen und die Trennung der einzelnen Völker nicht beständig bleiben. Eine absolute Gottesvergessenheit hat wohl auch kein Volk der Erde je gehabt, und so tief der Menschheit das religiöse Gefühl anerschaffen ist, ebenso ist wohl überall auch die Spur irgend einer Erinnerung von einer höheren Beziehung zu dem Übersinnlichen zurückgeblieben, was freilich oft nur wie in einem flüchtigen Traumbild oder wie eine Vision vorübergehend aufleuchtete. Auch blieben die getrennten Völker nicht so völlig isoliert, daß sie nicht auf irgend eine Weise gegenseitig auf einander einwirkten, welche Einwirkung auch immer eine geistige ist. Sowie in religiöser Hinsicht, so trennte sich auch die Sprache der Völker nicht ganz und nur langsam; was man einmal kann, vergißt man nicht so leicht, wenn auch die Fülle und Lebendigkeit abnimmt. Denn wie in der Natur die Kräfte sich auch schon in der Entfernung gegenseitig anregen; so ist die geistige Wechselwirkung noch viel unmittelbarer. Und so wie die Naturverhältnisse wenigstens durch den tierischen Instinkt, wenn auch nicht in dem ursprünglichen Maße festgehalten wurden: so ist der Mensch, als das letzte und vollkommenste Geschöpf der Erde, wohl auch nie von Gott so verlassen worden, daß jede Beziehung völlig aufgehoben wurde und daß die Kreatur nicht doch an ihrem Schöpfer gehangen hätte. Konnte der in den Abgrund des Elends geratene Mensch den verborgenen Gott gleich selbst in seiner Höhe nicht finden: so ließ er sich liebevoll zu ihm herab, und reichte ihm hilfreich die väterliche Hand, um den sehnsüchtig suchenden durch ratende Eingebungen seiner Boten mit sich in die Lichtregion zu erheben. Es finden sich daher auch bei allen Völkern Sagen, Erinnerungen und Ansichten von gleichen Grundbedeutungen, bei den meisten in den wesentlichsten Stücken von ganz gleicher Art; bei anderen ist wenigstens der Klang nicht so verschieden, daß nicht der Schluß auf eine gleiche Ursache gestattet wird. Ebenso hat das vereinigende Band der göttlichen Leitung nie gefehlt, und wo die Trennung ganz ins Verderben gehen wollte, da hielt die rettende Hand den Verirrten irgend eine Leuchte zu der Wiedervereinigung vor. Auf eine solche Weise sind die Völkerzüge und ihre Einwanderungen in andere Länder als Erscheinungen höherer Ursachen anzusehen, und sie haben, wie die Gewitterstürme, befruchtend gewirkt, indem sie Pflanzungen, die keine guten Früchte brachten, zerstörten; schlummernde Keime weckten; entfernte Räume verbanden und getrennte Glieder vereinigten und so ein neues, kräftiges Leben, weckten. In anderer Hinsicht haben die Absonderungen und das Freihalten von der dem wahren und höheren Leben feindseligen Einwirkung, wie bei den Juden, die göttliche Lehre der Tugend und der wahren geistigen Bestimmung des Menschen bewahrt und in die Mysterien eingekleidet fortgepflanzt, bis einstens die rechte Zeit kommen sollte, daß das Verborgene ganz an das Licht trete, damit alle Welt sehen und begreifen kann, daß Gott ein Vater ist aller Menschen, und daß alle wieder als verschiedene Glieder unter ein Haupt sich uneinigen sollen, welches, durch mehrfache Vorbereitungen schon früher oft in der Weltgeschichte angedeutet („das Licht scheinet in der Finsternis, aber die Finsternis hat es nicht begriffen;“) endlich durch Jesus Christus in der Art schon in Erfüllung gegangen ist, daß er den wirklichen Anfang gemacht hat und das Ende der Wiedervereinigung aller Völker der Erde sicher herbeiführen wird. — Denn wie die Menschen, der Natur und ihrer eigenen Torheit überlassen, nicht auf einmal zu dem niedrigsten Götzendienst und in die roheste Sittenlosigkeit entarteten: so konnte das neu angezündete Licht die Heiden auch nur langsam erleuchten und stufenweise wieder auf die ursprüngliche Geisteshöhe erheben, von wo aus sie den wahren Gott zu erkennen und in demütiger Liebe anzubeten im Stande sind. — „Nachdem vor Zeiten Gott manchmal und auf mancherlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn, welchen er gesetzt hat zum Erben über Alles.“ Paul, an d. Hebr. 1. 12.





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1