071. Die Sprache des Traums

Die Sprache des Traums und ihre symbolischen Beziehungen auch in Hinsicht der Kunst.



Überaus merkwürdig ist die Sprache des Traumes; denn die Sinnesbilder der Träumenden sind nicht immer bekannte und leicht verständliche Erscheinungen, häufig sind es überraschende Symbole, deren Bedeutung erst mit Mühe in die Worte der Umgangssprache zu übersetzen ist, die der Träumende selbst meist nicht zu enträtseln weiß, weshalb es im Altertume und insbesondere bei den Tempelanstalten eigene Traumdeuter und eine Traumdeutungskunst gab (oneirocritica, onelrnscopia). Es ist aber ursprünglich die Sprache der Poesie und der Propheten überhaupt, symbolisch, d. i, Bild und Sache sind Eins und es scheint, daß die wahre angeborene Sprache und die Sprache Gottes zu den Menschen eine symbolische Bildersprache war. Die Sprache des Traumes ist bei den verschiedensten Menschen und Völkern dieselbe; die Propheten und Seher, der wahre Dichter, der magnetische Hellseher, und der prophetische Traumgenius haben die magische Sprache sämtlich häufiger als die gewöhnliche Umgangssprache. Es liegt in jener eine Fülle von Bedeutungen und Kombinationen, von Sachen und Zeiten, daß sie die weitläufigste Prosa nicht auseinander zu legen im Stande ist. Wenn nun auch das instinktive Gefühlsleben in der alten Zeit überhaupt allgemeiner und häufiger war, als in der späteren Zeit der mehr zerstreuten äußern Sinnes- und Verstandesbeschäftigung, so wird sowohl das so häufige Vorkommen der Symbole als der Hieroglyphenschrift begreiflich, wie man es bei den indischen Sehern, bei den jüdischen Propheten, bei den griechischen Orakeln und bei der alten Bilderschrift der Ägypter und der Votivtafeln in den Orakeltempeln findet. Eine gleiche Bewandtnis hat es mit der Kunst (§. 37.). Auch diese war in den Bauwerken symbolisch; denn die Kunst ist ganz der Ausdruck des inneren Genius, der die Phantasie des Volks oder des Künstlers beseelt, und mit dm religiösen Gefühlen aufs Engste verbunden. Auch ist der Kunstausdruck nur so die rechte Sprache des Sehers, daher meist ebenso symbolisch vorbildlich, wie z. B. die Bundeslade durch göttliche Eingebung entstand und in den Salomonischen Tempel überging, bis endlich die christliche (deutsche) Baukunst in allseitiger Freiheit und Durchsichtigkeit, gleich dem eröffneten Geheimnis und der Verklärung, alle Last der Materie gleichsam von sich abgestreift hat und in der vollkommensten Durchbildung aller Kunstformen, wie eine lebendige Kraftentwicklung, mit den Spitzbögen, Kreuzgewölben und Mit den durchbrochenen Türmen zum Himmel aufstrebte, und so wie mit einer von oben kommenden Kraft die gleichsam im Äther schwebenden Formen zusammenhielt.


Sowie die Sprache der Symbole dem menschlichen Geiste angeboren, so ist die Natur eine Sammlung von Symbolen und ein offenes Buch von Bedeutungen, welche dem Menschen zu lesen vorliegen. Denn die Natur spricht mit ihren Elementen, Kräften und Schöpfungen, als Offenbarungen Gottes, eine lebendige, viel- aber gleichbedeutende Sprache, die Natur stand ursprünglich auch mit dem menschlichen Geiste in einer größeren Harmonie; da sie von Anbeginn eine bedeutendere Macht, dm Menschen mit allen ihren Reizen stärker umsing: so war auch der Geist des Menschen von einem sicher leitenden Triebe beherrscht und er stand ihr, an sie friedlicher angeschmiegt, noch näher und war nicht dem eigenen trügerischen, so leicht fehlgreifenden Nachdenken überlassen. Auch die religiöse Erkenntnis war anfangs keine Reflexionserkenntnis des innern Wesens und der Tiefe der Gottheit, die dem Menschen nicht in der Fülle der Weisheit und Liebe, der Macht und Heiligkeit mit den idealen Attributen, sondern blos als der Herr erschien, der die Gewalt hat über alle Dinge. Die nähere, innigere Gemeinschaft mit Gott und der Natur mußte daher, dem Bedürfnis gemäß, auch ein innigeres Sprachverständnis herbeiführen, und die Sprache mußte daher nach der Beschaffenheit der Natur und des Geistes offenbar eine symbolische Bildersprache sein. Alle Dinge schienen auf den Menschen als Mittelpunkt, wie auf einen Spiegel, und der Mensch deutete sich die Wunder der Bilder, was sie sagen wollten. „Den ersten Menschen ist Alles leicht erfunden worden, sagt Jakob Böhme; die Mysterien der Natur sind ihnen nicht so hart verborgen gewesen, wie uns, indem der Sünden noch nicht so viele auf Erden waren. Darum war sonderlich Adam, der aus den Wundern des Paradieses in die Wunder dieser Welt war eingegangen, ursprünglich das Herz aller Wesen dieser Welt, der nicht allein aller Tiere Wesen, Art und Eigenschaften kannte, sondern auch aller Kräuter und Metalle, und gab darum auch allen Dingen Namen, einem jeden nach seiner Essenz, Art und Eigenschaft, als hätte er in allen Dingen gesteckt und ihre Essenzen probiert.“

Mit der nach außen gehenden Sinneszerstreuung und ihrer Lust wuchsen die Begierden groß und so erlosch allmälig das innere stille Verständnis der Natur; mit dem Anblicken der äußeren Blüten und dem Genüsse der Frucht an dem Baum der äußeren Erkenntnis erblindete das innere Auge für die Symbole und Mysterien, und dem Menschen entschwand so das göttliche und symbolische Wort, sowie ihm die frühere paradiesische Natur nur mehr Dornen und Disteln trug, d. i. er hatte statt für das innere Leben des Kerns nur mehr den Sinn für die äußere raue Schale, und wie die Natur und Gottesstimme stumm, so wurde sein Ohr taub und sein Auge blind. „Jede Erscheinung, sagt Hamann, war dem ersten Menschen ein Wort, das Zeichen, Sinnbild und Unterpfand einer neuen geheimen, unaussprechlichen, aber desto innigeren Vereinigung, Mitteilung und Gemeinschaft göttlicher Energie und Ideen. Alles was der Mensch am Anfang hörte, mit Augen sah, beschaute, mit seiner Hand betastete, war ein lebendiges Wort. Mit diesem Worte im Munde und im Herzen war der Ursprung der Sprache so natürlich, so nahe und leicht wie ein Kinderspiel. Gott also unterrichtete den Menschen in seiner Sprache und der Mensch lernte und sie war ursprünglich nur eine.“

Wenn es auch nicht unsere Aufgabe ist, hier in das religiöse Dogma von dem Sündenfall tiefer einzugehen: so wird wohl Niemand mit Grund leugnen wollen, daß in der Urzeit der Mensch zu der Natur in einem innigeren Verhältnisse gestanden habe, das gewissermaßen demjenigen verglichen werden darf, worin noch jetzt Leib und Seele zu einander stehen; Niemand wird zweifeln, daß die Erde in jenen Zeiten von einem weit mächtigeren Leben durchdrungen war als jetzt, und daß ebenso der Mensch inniger mit ihr zusammenhing; daß er einfach und weniger in Geist und Körper geschieden, um so tiefer eine Alles in sich aufnehmende und reflektierende Gemütsart besaß und haben mußte, als jetzt der suchende, aber überall anstoßende und gehemmte Verstand; woraus sich dann die angedeuteten Resultate notwendig ergeben, sowie überhaupt auch das Wesen der Mythologie durch eine solche Betrachtungsweise erst in das rechte Verständnis gebracht wird, weshalb es nicht am unrechten Orte sein wird, darüber einige Bemerkungen folgen zu lassen, weil auch die magischen Verhältnisse damit zusammenhangen, deren mysteriöser Charakter damit um so leichter aufgeklärt werden wird.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1