070. Psychologische und physiologische Verwandtschaft

Wie psychologisch, so haben alle diese Zustände auch eine physiologische Verwandtschaft, weshalb eine umfassende Naturgeschichte des Traumes über alle Licht verbreitet.



Wenn nun die psychologische Verwandtschaft der Träume und Visionen aus dem Vorigen erhellt und über ihre wesentliche Allgemeinheit wohl noch weniger ein Zweifel obwalten kann, weil es Niemand geben wird, der nicht Spuren von Visionen, oder doch von Träumen an sich beobachtet hat: so liegt wohl auch der physiologische Grund derselben nicht so ferne. Die Träume sind Phantasmen in den inneren Sinnesorganen, wie die Visionen. Hätten nicht alle diese verschiedenen Formen der Visionen; Ekstasen; der Spektra und des Hellsehens wirklich auch in physiologischer Hinsicht ähnliche Ursachen und Vorgänge, wie würden sich alle diese Erscheinungen und jene der Delirien und der Fieberkranken; der Halluzinationen der Irren; der Hypochondrie und [/b]Katalepsie usw. einander so gleichen können? Wie psychologisch allen jenen Formen ein potentielles Geniusleben der Phantasie zu Grunde liegt, und wie der Genius bei der Nacht wie bei Tage, im Schlafe wie im Wachen seine geistige Beschäftigung fortsetzt, und zwar oft freier in den Schlafzuständen, als bei der nach außen gewendeten, zerstreuten und auf sinnliche Objekte fixierten Aufmerksamkeit, wobei die Seele noch dazu mit der Regierung aller übrigen äußeren Bewegungsorgane beschäftigt ist: so ist physiologisch die Funktion eine organische Sinnesfunktion in der Energie derselben Werkzeuge des Empfindens und Aufnehmens der Eindrücke, ob dieselben von dem dichtenden Geiste innerlich auf den sogenannten innern Sinn oder von außen durch die äußeren Reize angeregt in Tätigkeit kommen; das Sinnesbild gestaltet sich in beiden Fällen nach der Beschaffenheit des Organs, das Sehbild und seine Umrisse und Farben nach dem Äuge; die Stimmen und Laute nach dem Ohre. Die Sinnesorgane können auch ohne die äußeren objektiven Reize und ohne die inneren psychischen Eindrücke in Tätigkeit gesetzt werden, und zwar durch die physischen Zuströmungen; durch die Sympathien und Antagonismen der Säfte und Leibeskräfte zu den Sinnesorganen, welche in allen Fällen nur das ihnen eigentümliche Leben der organischen Verrichtung: des Sehens, Hörens usw. und der sinnlichen Verwandlungen offenbaren. Es kommt nämlich der innere Raum der Sinne nach und nach in Tätigkeit; das Sehfeld z. B. auf kleinere oder größere Strecken; auf kürzere oder längere Zeit; vorübergehend oder bleibend. Wird das ganze Feld erleuchtet, so werden die Anschauungen so helle wie das Tageslicht, und was darin vorgeht, erscheint so deutlich, daß man Alles für die wirkliche Welt hält. Die Phantasie erleuchtet mit Sonnenhelle Personen und Gegenden, und die träumende Seele befindet sich in entfernten Räumen und Zeiten. — Kurz hierin liegt der, allen jenen verschiedenen Formen gemeinschaftliche physiologische Grund der Erklärung, was ich übrigens in meiner öfter genannten Schrift erschöpfender ausgeführt habe und worauf hier nicht weiter eingegangen werden kann. Da nun der des Unterscheidens dieser geheimen Vorgänge noch ungeübte Verstand der Kindheit des Individuums, wie der Urvölker natürlich nicht im Stande ist, das subjektive innere Sinnesbild von der objektiven Realität zu unterscheiden, was erst eine höhere Entwickelung des menschlichen Geistes und eine weiter geförderte Wissenschaft zu tun im Stande ist: so werden dem Leser hiernach auch die verschiedenen Ansichten, Erklärungen und Nichterklärungen dieser subjektiven Zustände begreiflich werden.


Wenn nun aus dem Vorstehenden erhellet, daß der Traum ein Zustand des innern Sinnes ist und mit den Visionen, dem magnetischen Schlafleben usw. wesentlich einerlei Natur hat: so ist eine treue und umfassende Naturgeschichte des Traumes ganz vorzüglich geeignet, über alle jene Zustände eine Aufklärung zu verschaffen. Es wird der Naturforscher daher zu untersuchen und zu unterscheiden haben, ob der Traum unmittelbar von der Seele, oder ob er von dem Leibe und den Sinnesorganen ausgehe. Zu diesem Behufe sind sämtliche mit dem Träumen gegebenen Erscheinungen zu beachten. Dahin gehören: die Sprache des Traumes mit ihren Bedeutungen; die Bilder; Allegorien und Symbole; der mit dem Träumen zuweilen gegebene poetische Aufschwung; die Ironie; das Schauen zukünftiger Dinge und die prophetische Divination; das Traumsenden oder die willkürliche Traumerzeugung bei entfernten Personen und die gegenseitige Mitteilung der Träume. Diese sämmtlichen Zustände finden sich gleicherweise bei den magischen Visionen und bei den magnetischen Erscheinungen, welche daher auch gleichen Gesetzen unterworfen sein müssen. Da in der älteren Zeit alle diese Formen der Träume mit dem prophetischen Weissagen gleichbedeutend waren und diese geradezu Traumweissagungen genannt wurden (in Dänemark heißen sie noch das erste Gesicht), so wollen wir diese mehrfachen Seiten des Traumes noch mit einem historischen Blicke insbesondere überschauen und zuletzt einige Ansichten der Alten über das Wesen desselben, sowie über das Wahrsagen überhaupt folgen lassen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1