068. Gestaltungsarten der Visionen in der Geschichte

Gestaltungsarten der Visionen in der Geschichte.



In der Geschichte der Magie sind beinahe durchgehends die Visionen religiöser Art. Die Israeliten lebten schon seit Abrahams Zeit mit Gott und den Engeln in Verkehr, die ihnen in Menschengestalt erschienen, sehr häufig hatten sie jene bedeutungsvollen symbolischen Bilder.


Die indischen Seher stehen mit der Sonne und dem Monde in Verkehr, die als ihre Gottheiten sie zu sich hinauf ziehen oder sich zu ihnen herablassen. „Die Sinne gehen in den Manas (der große Allsinn) zusammen, und der Seher sieht nichts mit den Augen, hört nichts mit den Ohren, fühlt nichts und schmeckt nichts, aber innerhalb der Stadt des Brahma sind die fünf Pranas leuchtend und wach und der Seher erreicht sich selbst im Licht bei den verschlossenen Pforten des Leibes. Da sieht er dann, was er im Wachen sah und tat, er sieht Gesehenes und nicht Gesehenes, Gewusstes und nicht Gewusstes, und weil der Athma (Geist) Urheber aller Handlungen selbst ist, so verrichtet er im Schlafe gleichfalls alle Handlungen und nimmt auch die ursprüngliche Gestalt des Lichtes wieder an, und er wird wie Brahma selbst leuchtend. Der innerlich versammelte Geist kleidet sich in die Hüllen der Himmelslichter und aller Elemente, spricht aus dem Seher, als ob die Stimmen von außen kämen, ja die Stimmen offenbaren sich dem Seher aus Sonne, Mond und Sternen, aus Pflanzen und Tieren, und selbst aus dem starren Gestein.“ Die Ekstasen sind bei keinem Volke häufiger als bei den Indern.

Bei den Griechen sind zwar die ekstatischen Visionen bei ihrer jugendlich kräftigen Phantasie seltener, jedoch auch bei ihnen nahmen sie die objektiven Kleider ihrer Götter an. Der Dämon des Sokrates, der ihn durch eine ratende Stimme durch das ganze Leben begleitete, ist bekannt, den Ulysses leitete Minerva und der Pythia erschien Apollo.

Die neuplatonischen Heiden hatten wie die Inder sehr häufig ekstatische Visionen. Das letzte Ziel ihres philosophischen Strebens war ihnen das unmittelbare Anschauen der Gottheit, die sich dem innern Auge als ganz reines Licht offenbart. Reinigung der Seele von allem Irdischen und Fasten waren die Bedingungen zur Anschauung des überschwänglichen Lichtes. Ihnen erschienen jedoch auch die Dämonen als Mittelwesen zwischen Gott und Menschen in mancherlei Gestalten.

In der christlichen Zeit kamen die Visionen der Juden — von Geistern, von Engeln und Teufeln wieder auf, und die Heiligen, welche meist selbst die bedeutendsten Visionen hatten, verkehrten als abgeschiedene Seelen mit den frommen Gemütern fast mehr auf Erden als im Himmel. Der Jesuit Joh. Carrera lebte mit seinem Schutzengel wie mit einem vertrauten Freunde. „Cum angelo suo tutelari erat tanto et tam familiari conjunctus usu, ui, velut intimo cum amico suo consilia, sermonesque conferret, saepe ad eum de suis rebus dubits, arduisque referret; vicissimque ei angelus ad omnia notis hisce usitatisque vocibus responderet.“ Der Engel weckte ihn zum Morgengebet, strafte ihn, wenn er die Zeit verschlief. Orlandini, Historia societatis Jesu. Coloniae Agripp. 1615. lib. H. No. 66.

Am häufigsten waren die Visionen in den Klöstern, wo die Abgeschiedenheit, die asketischen Übungen, das Fasten, unberücksichtigte Krankheiten, wie die Krämpfe vorzüglich in den Nonnenklöstern, der unbeschäftigten, oft schwärmerischen und sehr lebendigen Phantasie die häufigen Veranlassungen waren zu ihren subjektiven Bildungen. Die Geschichte des Mittelalters bis in das siebzehnte Jahrhundert ist beinahe nur eine Geschichte des Magismus und eines allgemein behexten Zauberwesens. Die Visionen waren so häufig, daß man die Merkmale der göttlichen Erscheinungen von den subjektiven und trügerischen Täuschungen und von den falschen dämonischen Verführungen angegeben hat. Die Theologen setzten den Unterschied darin, daß die falschen dämonischen Erscheinungen jenen Visionen und Zuständen gleichen, welche in Krämpfen, besonders in der Epilepsie, im Wahnsinn und der Raserei stattfinden. Die näheren Bestimmungen hat der Cardinal Lambertini, nachmaliger Papst Benedict XIV. im 49. Kapitel des dritten Bandes de servorum die beatificatione angegeben.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1