067. Einteilung nach Ursachen und Erscheinungsformen

Einteilung — nach den Ursachen und Erscheinungsformen.



Die Visionen, welche übrigens nicht blos Gesichtsgegenstände betreffen, sondern auch Gehör-, Geruch- und Geschmacks-, so wie Tastempfindungen sein können, werden weiter nach den Ursachen und ihren Erscheinungsformen eingeteilt. — Nach den Ursachen haben wir die ursprüngliche Disposition des Dichtungsvermögens (des Phantastikons) schon genannt. Sehr reizbare Sinnesorgane und ein leichtbewegliches Herz mit einer zarten Leibeskonstitution, sowie das damit verbundene leicht stimmbare Gemüt, und das frühere Alter zeichnen sich durch die Gabe des Geisterschens aus. Zweitens Krankheiten des Zirkulations- und Nervensystems und oft auch des Unterleibs, Aufregungen und Entzündungen des Gehirns und der Sinnesorgane sind Hauptquellen der Visionen, besonders aber auch krankhafte Verstimmungen der äußeren Sinnesorgane, was ich in der genannten Schrift: der Magnetismus im Verhältnis zur Natur und Religion, ausführlicher labgehandelt habe. Hierher gehören die Visionen der Delirien, wie die Halluzinationen der Irren, bei denen sich der Verstand ganz unter die Herrschaft der Phantasie begeben hat. Drittens die religiöse Erziehung und die Geneigtheit zu übersinnlichen Betrachtungen; das asketische Leben und das Fasten begünstigen die Visionen. Bei vielen Heiligen des Altertums und aller Nationen wirkten diese Umstände offenbar als zusammenwirkende Ursachen. Viertens auch äußere Reize und künstliche Mittel wurden von jeher gebraucht. Zu den ersteren gehören die Narkotika; der Wein; das Opium der Orientalen; der Somatrank der Brahmanen; das aus der delphischen Höhle aufsteigende Gas der mantischcn Pythia; das oxydierte Stickgas noch Davy's Beobachtungen; die Räucherungen mit Gewürzstoffen in den Tempeln, wie mit Santalum, Aloe, Mastix, Safran, Schwefel usw., das Reiben des Körpers mit einschläfernden Salben (den Hexensalben). Fünftens kann man die eigens angestellten Zeremonien und das Gemüt zu Furcht und Erwartung stimmenden Vorbereitungen durch Worte, Gesang und Gebete dahin zählen.


Nach diesen Ursacheverhältnissen gestalten sich die Visionen auf eine verschiedene Weise. Die aus der innern Disposition des frommen Gemütes stammenden werden Gegenstände der Religion und der Heiligen sein, und sie werden unwillkürlich ohne alle äußere Mittel sich einstellen, wogegen bei den magischen Visionen die Dämonen durch Hilfsmittel hervorgerufen werden. Der Zauberer zitiert und bannet die Geister, dem religiösen Schwärmer erscheinen sie von selbst; hier ist mehr ein geselliger Wechselverkehr und eine unmittelbare Anschauung der Gottheit, mit welcher der Brahmane sich vermählt, gleichsam als wie es sich unter Bekannten von selbst versteht; dort ist es eine Art Höllenzwang.

„Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben,
Du mußt, du mußt, und kostet es mein Leben.“


Dem Furchtsamen bildet sich im Nebel eine erschreckende Riesengestalt, dem Verliebten erscheint heute die Venus, als die hohe Jupiters Tochter in strahlender Schönheit:

"Quisquis amat ranam,
Ramam putat esse Dianam;"


Morgen plagt ihn der Sohn des Erebus mit den Gesellen der Finsternis, mit Schmerzen und Zank, mit dem Rausch und der Feindseligkeit.

Wenn durch äußere Zeremonien, durch Räucherungen usw. die äußeren Sinne eingeschläfert werden, um der inneren Ekstase Raum zu verschaffen: so verwandelt sich das äußere Sinnesleben allgemach in ein inneres.

"Es wölkt sich über mir,—
Der Mond verbirgt sein Licht,
Die Lampe schwindet!
Es dampft! — Es zucken rothe Strahlen
Mir um das Haupt. — Es weht
Ein Schauer vom Gewölb' herab
Und faßt mich an!
Ich fühl's, du schwebst um mich, erflehter Geist.
Enthülle Dich.“


Petrus de Abano (Elementa magica) beschreibt die nach der Citation erscheinenden Geister, als Visionen der Dämmerung und des Halbwachens und als Gegenstände des Gesichts und Gehörs unter allen Gestalten von Menschen und Tieren „quibus tite peractis apparebunt infinito visiones er phantasmiata, pulsantia organa et omnis generis instrumenta musica. Post haec videbis infinitos sagittarios cum infinita multitudine bestarium horibilium.” Das Opium erzeugt Visionen von paradiesischen Freuden und Gegenden, so wie dasselbe und andere Narkotika das Gefühl des Fliegens und des sich Erhebens in die Luft verursachen. Solche Narkotika wurden den Salben beigemischt, wonach die Hexen im Fluge oder auf einem Besenstiel, oder auf einem Bock reitend dem Blocksberg zueilten. Das Stickgas veranlaßt Vorstellungen von allerlei Tieren, Fröschen und feurigen Gestalten, wie in der Trunksucht vorzüglich Phantasmen von Gewürm und Insekten usw. sich einstellen. Die nordischen Seher setzen sich durch eine lärmende Musik und durch Trommelschläge; die afrikanischen Wilden durch Schwindel erregende Tänze in Ekstase und sie verkündigen in ihren Gesichten die Ankunft fremder Schiffe und die Begegnisse und Schicksale ihrer Anverwandten, wie den letzteren die mohammedanischen Houris und die Scharen von Geistern erscheinen.

Eine gewisse Verschiedenheit der Formen entsteht auch, je nachdem die Visionen aus subjektiven inneren Sinneseindrücken, oder von äußeren Objekten angeregt entstehen. So sind die Visionen des gewöhnlichen Traumes; der Mondsucht; des Fiebers; des nervösen Krankseins, anderer Art, unstet und gehaltlos; anders und stetiger ist das magnetische Hellsehen; das kontemplative Schauen und die Höhere Begeisterung.

Als subjektive Äußerungen des innern Sinnes gelten eigentlich alle Visionen, die nur dem Visionär allein sichtbar sind; denn wenn die Visionen einen objektiven und gleichen Kausalitätsgrund haben, dann können mehrere Menschen (nicht alle) ähnliche Visionen haben, die sich gewissermaßen einander gleichen, was aber keine Ansteckung ist, wie mehrere Menschen an einem Orte und in einer Luft dieselbe Krankheit bekommen können, ohne daß es durch Ansteckung geschieht, wie z. B. bei der Cholera, dem gelben Fieber usw. Es gibt aber auch wirkliche Ansteckungen, so daß subjektive Visionen auf Andere übergehen; dies ist eins der merkwürdigsten Phänomene der Psychologie. Es geschieht entweder unmittelbar, wie bei kontemplativen Schwärmern (die philadelphische Gesellschaft des Pordage), bei magnetisch Hellsehenden zuweilen; sogar von Träumen sind Beispiele bekannt; oder die Ansteckung geschieht mittelbar, wie durch das Handauflegen und durch die Berührung bei dem zweiten Gesichte. Hierhin gehören die merkwürdigen Geschickten gewisser Geistererscheinungen, wo zuerst Einer, dann Mehrere dieselben Visionen bekamen, was sogar auf Tiere sich erstrecken soll. Ob nun hier eine objektive Realität angenommen werden kann oder nicht, das Faktum findet sich in aller Zeit und bei allen Völkern erzählt. Dieses Wunder äußerer Erscheinungen höherer oder niederer Wesen geschieht indessen niemals organisch mittelst der äußeren Sinne auf das subjektive Innere; die Offenbarung ist jedenfalls auf das innere Organ der Seele unmittelbar, wodurch so der Gegenstand der Vision von dem subjektiven Boden aus auf das ganze Sinnesorgan übergetragen wird. Alle geistige Perzeption [sinnliches Wahrnehmen als erste Stufe der Erkenntnis] des Ideellen, Göttlichen, und die höhere Sprache des Genius ist wohl immer eine innere unmittelbar subjektive Gestaltung. Und so offenbart sich das Göttliche nur objektiv verschieden nach der Beschaffenheit des Gefäßes, auf dem es auffällt, diesem so, jenem anders; dem reichen Dichtergenie offenbart es sich vorwaltend in der Tätigkeit seiner Phantasie; dem philosophischen Verstande als Schema eines harmonischen Systems; dem Frommen senkt cs sich in die Tiefe seines Gemütes, und den starken werktätigen Willen erhebt es als eine heilige Macht. Und so wird auch das Göttliche von jedem Andern anders verehrt.

Der Art nach verschieden sind endlich die Visionen wie jene des halbwachen, ja des ganz wachen Zustandes, die willkürlich bei gewissen Personen sich einstellenden Visionen, wie z B, dem Cardanus; die Visionen des Nicolai und Bazko, die ihre subjektiven Erscheinungen als solche erkannten und ihnen als nner wirklichen Phantasmagorie zusahen; das Sichselbstsehen, so wie das Doppelt- und Mehrfachsehen der eigenen Persönlichkeit; das zweite Gesicht der schottischen Inseln usw. — Dem Gattungsbegriff nach gibt es eine Verschiedenheit der Visionen, z. B. nach den religiösen Vorstellungen, die Erscheinungen von Heiligen und Göttern; nach den im Volke gangbaren Erzählungen und Aberglauben, die verschiedenen Gespenster- und Geistererscheinungen, das Teufelsehen.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1