066. Einteilung der Visionen in drei Stufen

Einteilung der Visionen in drei Stufen, der Visionen schlechthin, der Ekstase und der Begeisterung.



Man kann die Visionen in solche schlechthin; in die Ekstase lind in die höhere Begeisterung abteilen. Zu den Visionen niederer Art gehören die flüchtigen Bilder und vorüberschwebenden traumartigen Erscheinungen, die nicht haften und aus der Erinnerung verschwinden, wie sie wesenlos sich eingestellt haben. Von dieser häufigsten und allgemeinsten Art ist wohl Niemand frei, so wenig im Wachen, als im Schlafe, und es gibt Menschen, die nicht nur während des Wachens in sich verloren, wie der Träumende, sondern wie der schlafende Somnambule im Getümmel des Tages, wirkliche Visionen haben. Bei Anderen findet dies statt, wenn etwa in der Dämmerung ihr Gemüt bewegt wird, wo ihnen dann, wie im Schatten des Waldes, das Säuseln der Luft und das Rauschen der Blätter zu lebendigen Gestalten werden. Bäume und Felsen necken mit ihren Riesengesichtern,


"Und die Klippen, die sich bücken,
Und die langen Felsennasen,
Wie sie schnarchen, wie sie blasen.
Und die Wurzeln wie die Schlangen
Winden sich aus Fels und Sande,
Strecken wunderliche Bande,
Uns zu schrecken, uns zu fangen;
Aus belebten derben Masern
Strecken sie Polypenfasern
Nach dem Wanderer.“


In dieser niederen Art der Visionen beruht vorzüglich das Geistersehen, wozu aber Jeder sein verschieden organisiertes Auge mitbringt, denn auch hierzu, wie zu dem tiefern Hineinsehen in die unsichtbare Welt gehört eine besondere Anlage, wozu eben nicht gerade eine zarte, kränkliche Leibeskonstitution gehört; auch bei gesunden und starken Menschen findet es zuweilen statt; gleichwie nicht jeder Magnet gleich stark das Eisen anzieht, obwohl jeder seiner Natur nach dasselbe mehr oder weniger anzieht. Er hat diese Gabe nach der geringern oder größeren Menge von beigemischtem Kiesel und von dem öftern oder seltneren eingeübten Gebrauche. — Auch spielen die Visionen ins wache Leben hinüber, so daß die äußeren Sinneseindrücke noch empfunden werden, oder daß die Visionen auch von Außen entstehen oder von den innern Sinnen in die äußern herausscheinen: die Halluzinationen.

Einen höhern Grad bildet die Verzückung — Ekstase, wozu vorzüglich kontemplative und religiös gestimmte Gemüter geneigt sind, wenn sie in ein dieser Anlage entsprechendes Verhältnis der Umstände gesetzt sind. Hierin steigern sich die Tätigkeiten der Seele, insbesondere der Vorstellungen und der Phantasie, oft zu einer wunderbaren Höhe, daß man leicht versucht wird, in dem Verzückten eine völlige Verwandlung der Persönlichkeit, oder das Einsprechen und Besitznehmen fremder Wesen in derselben anzunehmen. Diese Art spielt die Hauptrolle durch die ganze Geschichte der Magie von den ältesten Völkern her, und sie ist es auch, welche bei den magnetischen Erscheinungen jetzt noch das größte Aufsehen erregt. Die verschiedenen Arten ihrer Manifestation werden wir in der Folge kennen lernen. Das Hervorstechende dieser Erscheinung ist überall ein gewisser poetischer Schwung und eine Art religiöser Begeisterung. Die Visionen gehen entweder von einer intensiven Phantasie aus, oder sie strömen dieser von dem weiten Blumenfelde der Religion zu. Es folgt daraus aber nicht, daß in der Ekstase die Steigerung der Kräfte konstant bleibe, oder daß überhaupt ein gewisser vollkommener Zustand damit gegeben sei. Es wechseln die Visionen wie die Krampfzustände, die meistenteils damit verbunden sind. Auch die religiöse Äußerung ist nicht gleichbleibend. Bald singt der Ekstatische Hymnen, bald flucht er und gebärdet sich in den fratzenhaftesten Manieren. Es kann daher der Vergleich mit dem Lichter nur insofern stattfinden, daß das innere Gestaltungswesen der Phantasie identisch ist.

Dem Dichter und echten Künstler schweben die Ideale zu ihren herrlichen Schöpfungen vor in der üppigsten Fülle von Bildern. Wer könnte solche Madonnen wie Raphael malen, wenn ihm nicht dieselben in einer Art Verzückung, wie jenem vorschweben? Der Maler Johannes von Fiesole fiel während seiner Kunstarbeiten zuweilen in solche Entzückungen und hatte darin ideale Anschauungen, und nach Görres (Mystik I. 155) sagte Michael Angelo selbst über ein von ihm gemaltes Bild der Maria: „So könnte kein Mensch ein Bild schaffen, ohne das Urbild gesehen zu haben.“

In länger dauernden Perioden treten die visionären Erscheinungen bei der religiösen Verzückung auf, wozu eine natürliche Disposition oft sehr Vieles, oft die Erziehung und oft eine freiwillige Ästest und Angewöhnung beiträgt und sie zu bleibenden Zuständen bildet. Dahin gehören die Ekstatiker aller Formen und aller Zeitalter, von den Brahmanen, Israeliten, Heiden und Christen, deren Offenbarungen bald in überraschenden Ferngesichten [Fernvisionen] und Divinationen aller Art; bald in veredelter oder in symbolischer Sprache und in Allegorien, die Laien durch Warnungen, Mahnungen, Drohungen und Versprechungen in Erstaunen setzen. Eine gewisse Verschiedenheit geht indessen aus der nationellen und geschichtlichen Sachlage und Bildungsstufe, so wie von der Verschiedenheit der Religion selbst hervor. Beispiele hierzu liefert vorzüglich Görres' Mystik, insbesondere für christliche Ekstatiker, in großer und lehrreicher Anzahl. So sind z. B. die Visionen und Ekstasen der heiligen Katharine, der heiligen Hildegardis, Theresia usw. bekannt. Ein Beispiel möge hier von dem heiligen Xaverius, einem ekstatischen Jesuiten stehen, wie es bei Kieser (Sphinx I. 129) aus Orlandini mitgeteilt wird. Xaverius hatte im 17. Jahrhundert einen Kriegszug gegen die Seeräuber von Malakka angeraten. Während nun die Vorbereitungen dazu gemacht wurden und dann während der Seeschlacht selbst befand sich Xaverius in einer Ekstase, in welcher n auf eine Entfernung von zweihundert portugiesischen Meilen im Augenblick der Schlacht derselben gleichsam beiwohnte. Er verkündigte in derselben den Sieg der Streiter für die Sache Gottes; sah vor dem Auslaufen der Flotte ein Schiff sinken, dann dasselbe durch ein anderes ersetzen; beschrieb bis ins Einzelne die Umstände der Schlacht; gab die Stunde derselben genau an; sah sich selbst mitten im Kampfe und verkündigte die Ankunft des Siegesboten auf einen bestimmten Tag, was Alles sich vollständig bestätigte.

Dieses ist ein Beispiel des Fernsehens von einem katholischen Geistlichen. Ein anderes Beispiel von Gesichten im Verborgenen aus längst vergangener Zeit möge hier noch von einem schlichten, aber sehr religiösen evangelischen Gärtnermädchen stehen, welches die Gabe des Geistersehens hatte, wie es Schubert (Berichte eines Visionärs über den Zustand der Seelen nach dem Tode 1837. S. 30) erzählt. „Ich weiß die Geschichte von der Tochter eines Gärtners, berichtet Oberlin im Steinthale; die Jungfrau war Braut, aber es standen sehr viele Hindernisse der Verbindung entgegen. Die beständigen Sorgen, der langwährende Zustand des Sehens nach endlicher Erfüllung der Wünsche machten die Jungfrau sehr reizbar und kränklich. Wenn sie so bei ihrer Gartenarbeit vor sich hinsah, da war es ihr, als sähe sie gleich einer Rauchwolke eine Menschengestalt vor sich. Dieselbe Gestalt erschien dann auch bei Nacht, wenn sie ruhen wollte, und wenn sie keinen Schwindel hatte. Nun da wird man sagen, der Schwindel, der vom Geblüt entstand, hat Phantasien erzeugt. Aber die Gestalt blieb nicht allein; es kamen mehrere, die mit der Jungfer sprachen, sie führten sie auf eine Wiese, wie es kein lebendiger Mensch könnte, in die Welt des Verborgenen und längst Vergangenen. Nun da wird man sagen, Blutegel hätten geholfen, die hätten alle Erscheinungen verjagt. Aber das Mägdlein wurde von ihrer für Andere unsichtbaren Gesellschaft in längst verschollene Geschichten und Familienverhältnisse eingeweiht, deren Wahrheit sich bei dem Nachforschen in Akten, wovon etliche in Wien lagen, vollkommen bestätigte, Geschichten und Akten, wovon kein noch damals Lebender, am wenigsten das Gärtnermädchen aus der Vorstadt etwas wissen konnte. Nun da wird man sagen, das war Betrug oder Zufall. Meinetwegen sage man, was man wolle; die Mitteilungen, die die Jungfer erhielt, waren so, wie sie etwa ein Mensch, der fern von seiner Familie stirbt, einem Menschen, der sich ihm in den letzten Augenblicken nähert, zum Besten seiner entfernten Familie machen würde. Die Gärtnertochter hat übrigens auch eben solche Sachen gesehen, wie die Concorde im Schlosse von Belfort gesehen hat.“

Endlich eine noch höhere Stufe als die Ekstase ist das Hellsehen und die echte Begeisterung. Schon auf den beiden vorgenannten Stufen zeigt der Mensch, wie mit seiner aufrechten Stellung nn Emporragen in eine über die Erde gelegene Region und eine Fähigkeit mehr zu sehen und wahrzunehmen, als was die feinste Schärfe der tierischen Sinne erreichen kann, ihm gegeben ist; wir sehen an ihm ein Bewegen des Geistes mit einer Geschwindigkeit, der die Schnelligkeit des Sturmwindes, ja der Blitz des Lichtes nicht nachkommt. Aber die wahre Selbstständigkeit und die höchste in die übersinnliche Welt eingreifende Freiheit des menschlichen Geistes beurkundet erst das wahre Hellsehen und die echte Begeisterung. Das Schauen und Wirken der religiösen Begeisterung insbesondere ist das höchste Selbstbewusstsein ohne die schwankenden Wechsel und ohne die ruckweisen Unterbrechungen, welche auf den unteren Stufen noch stattfinden. Wie der Zweck über alles Irdische hinaus ein göttlicher ist, so bekommt in der Begeisterung der an sich oft sehr schwache Leib eine übermenschliche Kraft, und die Naturdinge in ihrer Schwere und Trägheit dienen dem Begeisterten wie ein leichtes, selbstbewegliches Spielzeug. Die stammelnde Zunge wird ein feuriges Sprachorgan von dem heiligen Geiste bewegt mit Worten des Lebens, und der innern Demut und Selbstaufopferung folgen äußere Liebeswerke und Tugendhandlungen! — Eine treffende und erfahrungsmäßigc Einteilung der Visionen hat Fischer (Der Somnambulismus, Basel 1839) gegeben. Er teilt die Erscheinungen des innern Sinnes in das Schlafwandeln, in die Visionen und in das höhere Hellsehen. Die niedrigste Stufe ist das bloße Träumen, dann das Traumwachen in dem eigentlichen Nachtwandler, der wieder entweder blos Schlafredner, oder Schlafwandler, oder noch höher Schlafwandler ist. Das Hellsehen ist als solches die höchste Stufe des somnambulen Wachens selbst.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1