053. Höheres und niederes Divinitationsvermögen

Höheres und niederes Divinationsvermögen nach der kabbalistischen Lehre.



Was das Sehvermögen betrifft: so muß unterschieden weiden: das Schauen der, den Sinnen räumlich verborgenen oder zeitlich fernen, aber in einem Naturnexus stehenden Dinge, von der höhern Divination der künftigen, durch die freie Wahl des Menschen bedingten Begebenheiten. Der Mensch kann allerdings vermöge des innern Sinnes, wenn er von den äußeren Sinnen entbunden ist, durch geistige Kräfte affiziert [einwirken] werden (was zwar fortwährend, aber nicht fühlbar geschieht), und so kann er unmittelbar in die verborgenen Essenzen hineinblicken und aus ihrer Beschaffenheit die daraus hervorgehenden Wirkungen erkennen. Daher lehrt die Kabbalah, daß jede Handlung eines Menschen nicht nur eine Beziehung hinterlässt, sondern alles Geschehene seit dem Weltanfang sich oben eingräbt, die künftigen Ereignisse vorauszusehen, die durch frühere längst vergangene Handlungen bedingt sind. Allein dieses Anschauen hat doch seine Grenzen; denn der innere Mensch wird nur von dem affiziert, zu dem er irgend eine Verwandtschaft hat. Je freier, je reiner der innere Mensch, desto weiter erstreckt sich seine unmittelbare Anschauungs- und Wirkungssphäre; wo dieselbe aber nicht hinreicht, da bedarf er der Hilfe anderer geistiger Wesen, die ihn rühren, daß sein inneres Schauen mehr erweitert wird. Daraus wird es klar, warum bei dem magischen Schauen (bei den somnambulen und Kerner'schen Geistererscheinungen), auch in natürlichen oder blos faktischen Verhältnissen größtenteils andere geistige Wesen im Spiele sind. „Auch gesellen sich (eine schöne Erklärung) dieselben leicht und gern zu dem Menschen, der in das Bereich von ihnen sich imaginiert.“ Die Ratschlüsse Gottes vermag aber kein Mensch je zu schauen, wenn er sie ihm nicht freiwillig offenbart. Denn das Prophetentum würde sonst nicht eine freie Wirkung der Gottheit, sondern eine naturnotwendige Folge von Steigerung les Geistes sein, der sich momentan so tief in die zeitfreie Ewigkeit versenkt, daß ihm die ferne Zukunft erscheint (wie es eine falsche Mystik und die indischen Seher wähnen). Eine solche Ansicht ist allem religiösen Glauben durchaus zuwider.


Die Gottheit offenbart sich übrigens auf eine innere — subjektive, und eine äußere — objektive Weise. Vermöge der ersten erfüllt sie die Kreatur im Innern unmittelbar; vermöge der andern ist die Gottheit der eine, allgemeine Gott für alle Kreaturen, indem sie sich denselben auf eine äußerliche mittelbare Weise mitteilt.

Obwohl nun diese Seh- und Wirkungskraft eine allgemeine Eigenschaft der menschlichen Natur ist, so findet sie sich doch auf eine sehr verschiedene Weise. Denn zum magischen Wirken wird nach der Kabbalah eine feste und starke Willenskraft erfordert (wie es Paracelsus lehrt), um den höheren geistigen Einfluß anzuziehen und auf denselben zurückzuwirken. Der Wille des Menschen muß ferner ganz übereinstimmend mit seinem Gegenstande und auf ihn ausschließlich gerichtet sein. Außerdem gehört noch eine starke und lebhafte Vorstellungskraft dazu; dieselben Bedingnisse gehören auch zu dem richtigen Sehen. Geist, Leib und Seele des Schauenden muß in einer harmonischen Übereinstimmung sein mit dem innerlich anzuschauenden Objekte; daher darf die Seele nicht mit anderen Dingen zu sehr beschäftigt sein. Auch die Einbildungskraft muß stark, lebhaft und klar sein, damit die Einzeichnung aus der geistigen Welt tief und fest geschehe, nicht verwischt und durch fremde Vorstellungen entstellt wird; weshalb die Zauberer auch die Einsamkeit lieben, sich durch allerlei Mittel von Außen abzuziehen und ihre Phantasie zu steigern versuchen. Ausdrücklich ermahnt die Kabbalah: „der Mensch müsse zu dergleichen Dingen geordnet sein; Bileam war es, aber in verkehrter Stärke, denn er hatte einen Fehler im Auge, wobei aber nach dem Sohar nicht der äußere Fehler im Auge, sondern die innere Fehlerhaftigkeit des Gemütes gemeint war, sowie dieser die äußere Physiognomie, der objektive Ausdruck der inneren Seelenbeschaffenheit ist. In dieser Beziehung behauptet auch die Kabbalah, daß jeder Schwarzkünstler irgend etwas Verzerrtes und Gebrechenhaftes an sich habe.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1