048. Von den Quellen und Grenzen des Mythos und der Magie

Von den Quellen und Grenzen des Mythos und der Magie.



Daß die Magie durch Tradition von dem frühesten Altertume herstammt, geht überall aus den ersten Urkunden des Menschengeschlechts hervor, und dies ist auch, wie wir sahen, so genau mit der Natur des menschlichen Wesens gegeben, daß man sich wundern muß, wie gelehrte Leute daran zweifeln konnten, und alles einem erdichteten Mythos zuschreiben zu müssen glaubten, als wenn der Mythos überhaupt keine tiefere und nicht eine inhaltschwere Grundlage hätte. So behauptet z. B. Eberhalt (Berliner Monatsschrift 1787. 10. Bd. S. 10.), daß er die Quellen der magischen Kunst und ihre Theorie lediglich in dem Platonischen Mythos aus dem Timäus entdeckt habe und daß die Tradition auch nicht weiter reiche; daraus stammt ihm der Keim der neuplatonischen Philosophie, der Kabbalah, der Theosophie und der Magie bis zu Mesmer und seinen Anhängern. Nach Eberhart ist ein Mythos eine Dichtung, „welche die Beglaubigung einer übernatürlichen Belehrung oder einer alten Überlieferung hat, und welche als eine ausgemachte Wahrheit angenommen wird, weil die richtige Vernunfterkenntnis des Gegenstandes über den Gesichtskreis der Vernunft und Erfahrung derjenigen erhaben ist, die diese Mythen annehmen.“ Auf eine solche Weise wird man allerdings bald fertig, Alles in der Welt und Natur sehr leicht zu begreifen, und was man nicht begreift, hinter den Mythos zurückzuschieben, von wo es gelegentlich etwa zum Zeitvertreib Jemand herausholt, um Spuk und Lug zu treiben.


So kurz Eberhart die Magie abfertigt, so weit steckt ihr ein Anderer die Grenzen, daß Dinge zu der Magie gerechnet werden, die nie in ihr Bereich gehört haben. So gehört nach Tiedemann (Diet. Tiedemann, disputatio de quaestione, quae fuerit artium magicarum origo. Marb. 1787 p. 7.) „in das Reich der Magie zu allererst, Kranke ohne, oder mit wenig Arzneien völlig zu heilen; künftige und verborgene Dinge zu wissen; vergrabene Schätze von Gold und Silber zu finden; die ganze Natur zu erkennen, mit einem Wort, Alles, was groß und herrlich ist, zu vollbringen. Welches nun die vorzüglichsten Teile der Magie sind, dies ist hieraus leicht zu ersehen; soviel es nämlich besondere Grenzen gibt und auf wie vielerlei Art man dahin gelangen kann, so viel gibt es Teile der Magie; die vorzüglichsten sind aber die verschiedenen Arten des Wahrsagens zu kennen, die Wissenschaft Krankheiten zu machen und zu heilen, Geister zu zitieren und die Alchemie zu verstehen.“

Wenn wir gleich nicht die Kunst der Zigeuner, aus den Händen wahrzusagen, und die spagirische Wissenschaft, Gold zu machen, oder den Stein der Weisen zu entdecken, zu der Magie zählen: so enthält sie doch jedenfalls mehr, als was der Verstand der Verständigen so ohne Weiteres passieren läßt, oder als pure Contrebande des Unsinns und Aberglaubens in Beschlag nimmt; und dieses ist nun die wunderbare Gabe des menschlichen Geistes, in die Ferne und Zukunft zu sehen, und der magischen Wirksamkeit, durch Kräfte auf Andere ohne materielle Mittel zu wirken. Diese der Menschheit angeborene Gabe ist indessen keine häufige Erscheinung und jedenfalls keine solche, daß ihren Wert und die Beschaffenheit derselben Jedermann gehörig zu würdigen verstünde. Die Bekanntschaft mit solchen seltenen Erscheinungen und ihren Ursacheverhältnissen konnten daher in der Urzeit nur die obersten Wissenden und Wirkenden, die Vorsteher des Volkes besitzen, welche sie in ihren Geheimlehren bewahrten und durch die Tradition unter dem religiösen Mantel, womit sie Alles beleckten, auf ihre Nachkommen fortpflanzten. Da wir nun Urkunden über mythologische Gegenstände, wenn schon nur spärlich, von den ältesten genannten Völkern Asiens besitzen: so haben wir uns umzusehen, wo und von welcher Art wir sie finden. Die Mythologie der Griechen ist hiezu freilich schon eine sehr späte und gemischte Quelle, und wenn man diese in dem Platonischen Mythos, wie sie in dessen Gesprächen enthalten ist, annehmen wollte: so würde man ebensowenig das rechte Licht der Wahrheit haben. Denn Platon handelt in seinen philosophischen Gesprächen, wie z. B. von dem vor- und nachweltlichen Zustand der menschlichen Seele, von ihrer übersinnlichen Wirkungsweise usw., nicht nach einer mythisch-historischen Auslegung, sondern er trachtete nur seinen Untersuchungen die schöne Rundung zu geben, um alle Lücken eines Systems auszufüllen, und sie der Wahrscheinlichkeit und dem Volksglauben anzupassen. Immerhin mag indessen dem Platon der geschichtliche Mythos zum Teil zu Grunde gelegen haben, was wir dahin gestellt sein lassen; sicher aber mehr seine Phantasie. Solche mythische Gespräche sind sein Timäus von der Weltseele; sein Mythos von der Unterwelt in der Republik und im Gorgias; von der Präexistenz der Seelen im Menon; von der Liebe im Gastmahl, und vorzügliche von der Reminiszenz der Seele, was ihm schon sein Schüler Aristoteles offen widerlegte.

Ebenso wenig wollen wir die neuplatonischen Philosophen als die Hauptquellen gelten lassen, welche z. B. die Ideen des Makrokosmos und Mikrokosmos in Platons Timäus finden mochten (Plotin Ennead. IV.), oder welche die Pythagorische Philosophie von den Dämonen (Proklus), oder jene des Heraklitus von den Geistern annahmen (Porphyrius), oder welche die Übereinstimmung des menschlichen Körpers mit der Welt und mit den Wunderkräften der Bilder und Statuen behaupteten (Plotin); oder welche gewissen Wörtern eine große Kraft zuschrieben, die Geister zu beschwören. Auch wollen wir nicht die spätere christliche Geschichte der Magie und des Mittelalters, z. B. nicht die nach Platons Phädrus nachgebildeten Sylphen, Gnomen, Nymphen und Salamandern des Paracelsus; nicht Agrippas von Nettesheim occulta Philosophia; nicht Fausts Höllenzwang, oder des Petr. de Adano Heptameron —, Elementa magica etc. für die Geschichte des Magismus zu vorzüglichen Stützpunkten auswählen..— Sicher liegt aber allen spätern, wie den früheren Platonisch - Pythagoreischen mythischen Verhandlungen und Lehren etwas Wahres zu Grunde, was nichts weniger als bloße Dichtungen und Ausgeburten leerer Träumereien und des Aberglaubens sind. Um uns hiervon zu überzeugen, werden wie weiter in frühere Zeiten zu den Völkern des Orients und Ägyptens zurückgehen und uns, so wie in den Urkunden der Israeliten etwas umsehen, was dort etwa für die zur Magie gehörigen Teile, das visionäre Schauen und Wirken Merkwürdiges enthalten sein wird. — Die Gegenstände, die hier zur Sprache kommen sollen, werde ich in geschichtlicher Folge durchgehen und sie so in ein Ganzes zusammenstellen, daß erstens die Geschichte der Natur unfern magischen Gegenständen entspricht und, daß zweitens soviel wie möglich ein Punkt dem andern die nähere Bestimmung und das wahre Licht zu geben vermag.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1