045. Ein wichtiger Standpunkt wird das Christentum

Ein wichtiger Standpunkt für die Gestaltung des Magismus wird das Christentum



Ein sehr wichtiger Wendepunkt für die Gestaltung des Magismus wird ganz vorzüglich das Christentum. So ist die Zeit der Erscheinung Christi, wie schon in welthistorischer Hinsicht, der Mittelpunkt, wo sich die alte Zeit abschließt und die neue beginnt; wo das Ende der nächtlichen Dämmerung des Mysteriums in die Tageshelle des Selbstbewusstseins und der Erleuchtung aller Lebensrichtungen nach jeder Beziehung überging. Wie die biblische Geschichte des alten Testaments den Samen und das Vorbild aller künftigen Geschichte, aber nur in vorbereitenden Ideen noch in ihrer Verhüllung enthält: so entwickelt sich derselbe aus der Knospe zur Blüte erst im neuen Testamente des Christentums als vollkommene Offenbarung aller Wahrheit. Das Judentum in dem alten, wahren Sinne ist der echte Lebensbaum der innern genetisch fortschreitenden Kulturentwickelung. Alle übrigen Heidenvölker mit ihren verschiedenen Religionssystemen sind abgerissene Zweige von dem großen Lebensbaume, die zwar vegetieren, aber keines inneren Wachstums fähig sind. Das Judentum ist das reale Mysterium, das im Christentume zur Idealität der Heiligkeit und Gottesvereinigung aufging. Allein wie aus der Blüte die Frucht erst nach und nach ausreift: so geht dieses Reisen auch in der neuen Geschichte langsamen Schrittes vorwärts; und wie die Religion und Sitte, Kunst und Wissenschaft zwar in einer neuen, aber vielseitig verschlungenen Richtung in der neuen christlichen Zeit fortschreiten, indessen aber noch weit von ihrem Endpunkte der Vollkommenheit entfernt sind: so steht es mit der Geschichte des Magnetismus; auch er richtet sich nach der Verstandesaufklärung des sich emporarbeitenden vorzüglich germanischen Geistes in den rationalwissenschaftlichen Bestrebungen und religiösen Krisen, so daß er jetzt noch den Stasen oder den Bewegungen derselben, nach Orten und Individuen folgt. So haben z. B. die Visionen bei der allgemeinen Ausbreitung der christlichen Lehre überall den Charakter der mit derselben gegebenen Vorstellungen angenommen und das subjektive sittliche Gefühl hypostasierte sich nach den gangbaren Begriffen des Guten und Bösen, und dieses als Gott, Engel oder Teufel usw. in Menschengestalt mit Idealen der Schönheit und Güte, oder der Hässlichkeit und Bosheit in den mannigfachsten Verzerrungen. Eine reinere mehr wissenschaftliche Behandlung und Erkenntnis der magischen Erscheinungen sing erst im 16. Jahrhunderte an, und die bestimmte Aufklärung des Magnetismus als einer besondern Naturkraft, die zu dem bestimmten Zwecke Krankheiten zu heilen planmäßig benutzt weiden kann, gab erst Friedr. Anton Mesmer, so daß er wirklich der Entdecker und Mittelpunkt der Geschichte des Magnetismus wird zwischen der alten, Jahrhunderte im dunkeln Traumleben fortschlummernden, und der neuen noch lange nicht hinlänglich aufgeklärten Zeit. — Denn, wenn alle Wissenschaft über die geheimeren Gesetze und Vorgänge der Natur in der alten Zeit mehr eine Phantasiewissenschaft war, und daher auch nur phantastische Anwendungen daraus hervorgingen: so ist die neuere, mehr spekulative Verstandeswissenschaft meist ein trockenes Gewebe, das zwar eine gewisse Allseitigkcit der Bestrebungen, aber mit Kraut und Unkraut enthält. Da sie meist alles höheren Lebens spottet, das sie nicht versteht: so weiß sie auch von der magischen Kraft keinen Gebrauch zu machen. Was die alte Zeit zu viel hatte, hat die neue zu wenig, und dieses ist vorzüglich der Mangel des unerschütterlichen religiösen Gefühls, der Mangel der symbolischen Anschauungen und der künstlerischen Einbildungskraft des Mittelalters und vor Allem das Leugnen einer unmittelbaren Einwirkung Gottes in der Natur.


Goethes Mephistopheles zeichnet diese Zeit vortrefflich in folgenden Zeilen:

„Ein Kerl, der spekuliert, ist wie ein Tier auf dürrer Haide
Von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt,
Und ringsumher liegt schone grüne Weide“ —
— „Wer will was Lebendiges erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben;
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt leider! nur das geistige Band.
Encheiresin naturae nennts die Chimie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.“ —



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1