033. Die Religion als Macht und Vereinigungsband

Die Religion in genetischer Hinsicht als Macht- und Vereinigungsband des urgeschichtlichen geselligen Zustandes.



Wie die Religion aus der innersten Tiefe des Gemütes stammt, so ist ihre sittliche Äußerung die höchste und edelste Blüte des menschlichen Geistes. Man findet keine Zeit und kein Volk, wo der religiöse Sinn fehlte, ja die Religion spielte in der Urzeit eine Hauptrolle, sie ist daher ein vorzüglicher Gegenstand bei der Betrachtung der Entwicklung der Menschheit und in ihrer historischen Fortbildung in der wandelnden Zeit. —
Wie das Gefühl und die Phantasie bei dem unentwickelten Geiste vorherrschen und auf jene Grundtätigkeiten sich ursprünglich auch alle Äußerungen beziehen; so vernehmen wir auch schon von den ersten Menschen, wie mächtig der Drang des Gemütes zu der heißesten Andacht und wie bestimmt die Ahnung höherer Einwirkungen des Göttlichen gewesen ist, welches ihre ganze Seele, besonders bei den wichtigsten Angelegenheiten, wie der Äther das All umfasste. Das religiöse Bewußtsein wird natürlich sich nach der Lebendigkeit und Entfaltung der Seele richten, und entweder bei ihrer Ruhe, trägen Gemütsart und Phantasiearmut nur als schwaches Licht scheinen, oder auf den Wogen des bewegten Gemütes als Enthusiasmus auftreten und bei den lebendigen Vorstellungen einer dichterischen Phantasie überall in den Fügungen und Schicksalen der Begebenheiten göttliche Wesen bewundern und verehren.


Wer demnach die Religion von äußern Eindrücken ableitet; oder als eine Erfindung der Zeit ansieht; oder als etwas Zufälliges betrachtet, was der Mensch allenfalls entbehren könnte, der hat von der Beschaffenheit des Geistes, von seiner Höhe und Tiefe nicht die allergeringste Kenntniß; der hat wohl selbst nie einen ernstlichen Blick in seine eigene Brust geworfen. Die Ahnung des Unendlichen ist das unmittelbar innerste geistige Gefühlleben und der Glaube an das Dasein einer geheimnisvollen waltenden Macht der edelste Vorzug des Menschen, der überall die Schranken seiner hilfsbedürftigen Endlichkeit, und das unabweisliche Bedürfnis empfindet, dasselbe zu suchen und sich mit ihm zu vereinigen. Es ist daher die Entfaltung der religiösen Anlage eines Volkes zu einer höheren Klarheit des Bewusstseins immer zugleich mit seinen Vorstellungsweisen und seinen Handlungen eng verbunden und ein Zeugnis der Bildungsstufe in der Geschichte, des Fortschrittes in dem geselligen Verkehr, oder ein Entarten und Zurücksinken in die tote, von keinem Lebenshauch bewegte Natur. — Daß in den Anschauungsweisen Aberglauben und Götzendienst, in der Verehrung und dem Umgang mit dein Übersinnlichen Zauberei mit unterlief, ja der vorherrschende Charakter der Naturreligion werden konnte, ist ebenso begreiflich, als daß die dem Göttlichen verwandte und ihm zugekehrte Seite des Menschen auch das unmittelbare Organ der göttlichen Offenbarung war, welche als waltende objektive Realität, wie das Licht dem Auge, wie die Speise dem Hunger nur mangeln, aber nicht absolut fehlen konnte. Bei einem solchen Walten der Kräfte, bei einem solchen Stande der Dinge gelangte auch die Religion lange vor dem Staate zu einer bestimmten äußern Gestaltung, ja sie beherrschte die Poesie und die Wissenschaft, wie sie mit dem Staate aufs Innigste verwachsen von den Priestern, den Mittlern zwischen Gott und Menschen, nach allen diesen Rücksichten gepflogen wurde. Denn in dem Priestertume war die Erhaltung der Sitten und der Gesetze bewahrt; die Kunst und Wissenschaft in der Überlieferung fortgepflanzt; das geistige und weltliche Regiment konzentriert; in ihm beruhte die Kraft und Einheit der Gesellschaft, die Würde des Oberhaupts für das Familien- und Volksleben, wie für den göttlichen Opferdienst. Die Religion ist schon von Anbeginn mit dem Staate auf das Innigste verwachsen gewesen, wo immer ein solcher sich als geselliges Leben zu bilden anfing, welche Form sie auch immer haben mochte. Glaube, Liebe und Gehorsam waren überall die Grundpfeiler, und wo diese wankten oder ein Werk der Not und Willkür wurden, oder wo diese gar verschwanden, da siel allemal auch sein Fortbestand dem Zufall und der endlichen Auflösung anheim.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1