032. Subjektive Vorstellung in den Mythologien

Grund der ursprünglichen Verwechslung der subjektiven Vorstellung in die objektiven Charaktere der Mythologien.



War der allgemeiner verbreitete Magismus der alten Zeit weniger seinem Wesen nach erkannt und nicht zum klaren Bewußtsein erhoben, mehr Sache des dunkeln Gemütes, aus dessen Tiefe oft plötzlich das klare Bild, wie der Blitz aufleuchtete mit dem Eindrucke der unmittelbaren Gewißheit; so war wohl nichts näher, als anzunehmen, die Erscheinung stamme nicht aus der eigenen Tiefe, sondern, sie komme von außen und sei wirklich objektiver Art. War das Gedankenbild von großer Deutlichkeit, und wiederholten sich die Erscheinungen öfter in derselben Lebhaftigkeit, so offenbarten sie sich in Geberden und mit ungewohnter Sprachweise oft in ergreifenden Reden auch den Umstehenden, und so erschien ihnen das geisterhaft Dämonische als ein göttliches Wesen, das die Begeisterten erfüllte. „Aus solchen Anschauungen, Erregungen und Handlungen ist, wie der Strom aus tausend Quellen, der weitschichtige Bau der Naturreligion allmählich erstanden, und Jahrhunderte mochten vergehen, bis auch nur die einfachen Grundlinien klar und scharf gezogen waren. Diese der Prophetie und Poesie zunächst verwandte religionsschöpferische Tätigkeit hat man wohl auch dem Priestertum beigelegt, das aber im gewöhnlichen Sinne des Worts sehr verschiedener Art, dieselbe vielmehr voraussetzt und selbst erst dadurch seine Entstehung erhielt. Die Priester, die Mittler zwischen den Göttern und Menschen, sind die Pfleger, die Diener und Werkzeuge der bestehenden, überlieferten Religion; sie haben dieselbe weiter ausgebildet, allein es liegt dies und überhaupt eine eigentümliche geistige Produktivität so wenig in ihrem Begriffe, daß auch der geistloseste Mechanismus sich mit ihm verträgt. Dem ungeachtet ist dieses Priestertum unstreitig das wichtigste und großartigste Institut der ersten Periode der Geschichte, als der Punkt, in dem alle Strahlen, alle Richtungen des Zeitalters sich sammelten, um von ihm aus das ganze Leben auf das Allseitigste zu beherrschen und zu gestalten, bei einer Religion, welche Geistliches und Weltliches nicht voneinander schied und gerade in dem Weltlichen selbst das Göttliche suchte.“ (F. Haug, Allgemeine Geschichte S. 114. 1841.)


Wir begreifen demnach leicht sowohl wie das visionäre Prinzip, als wie das magische Wirken in der menschlichen Seele als Anlage gegründet in der Kindheit einer mangelhaften Geistesbildung so verbreitet sein, und sich Jahrhunderte ohne viele Veränderung erhalten konnte, und wie das. somnambule Element der Phantasie den Stoff lieferte zu der religiösen Anschauungsweise und dem allgemeinen mythologischen Götterverkehr mit den Menschen. Da die Scheidung von Geist und Materie der Urzeit fremd war und man keinen Geist ohne Leib, keinen Körper ohne Seele kannte: so hatte die Phantasie bei dem unentwickelten Verstände freies Spiel zu ihren schöpferischen Bildungen, die freilich nur auf den Schein der Natureindrücke gebaut waren, und nicht auf den wesentlichen Begriff des Verstandes nach dem wirklichen Zusammenhange, weil dieser der Phantasie noch keinen Zaum und Zügel angelegt hatte. Die Phantasie beherrschte jenes Zeitalter mit ungeschwächter Kraft, und ihre Schöpfungen sind daher Beweise ihrer Stärke wie der Schwäche. Die Luft, wie das Wasser wurde mit lebenden Wesen angefüllt; der starre Fels, wie der grüne Baum und die Blume, die Flamme und das Gestirnleben, alle stehen mit dem Tier und Menschen in Verkehr. Ihren verborgenen Sinn und den Anteil zu erforschen, den sie an ihm nehmen, war daher für ihn von der größten Wichtigkeit. Hiernach wird es ferner begreiflich, wie die Phantasievorstellungen sich von der subjektiven Persönlichkeit ablösen, sich den Naturgegenständen einbilden und so den Anthropomorphismus][Übertragung menschlicher Eigenschaften und Verhaltensweisen auf nicht menschliche Dinge oder Wesen] und die herrschenden Naturreligionen herbeiführen mußten, wobei der eigentümliche Charakter an die Vorsteher und Lenker des Volkes — die Priester — objektiv übertragen oder durch Einweben von allerlei Beziehungen die unkenntliche Hieroglyphe und ebenso der Fetischismus herbeigeführt wurde. Poesie, Religion, Kultus, Geisterglauben. stammen daher aus derselben Urquelle, verwandeln sich aber nach der Naturanlage, Bildungsfähigkeit und dem Charakter des Geistes; nach den Lebensverhältnissen und der einförmigen oder in Naturszenen wechselnden geographischen Heimat; nach der einfachen und abgesonderten Lebensweise oder nach dem geselligen Verkehr; nach der Kulturstufe, Stammverfassung, dem Beispiel und Zwang, in die verschiedenen Arten, wie wir sie in der Geschichte der alten Völker kennen. Religion, Kunst und Sprache spielen aber hierbei eine Hauptrolle, worauf wir noch einen besonderer Blick zu werfen haben.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1