026. Langsames Fortschreiten der wissenschaftlichen Aufklärung

Grundverhältnisse der alten Zeit des Magnetismus und Ursachen des häufigeren Vorkommens der magischen Zustände in derselben, sowie des langsamen Fortschreitens einer wissenschaftlichen Aufklärung.



Das Leben der Natur und des Geistes hatte in der Urzeit ein ganz religiöses Interesse, denn alles Gegenständliche hielt man für göttlich. Die Wissenschaft der Naturerscheinungen wie der Religion fiel daher ganz mit der theologischen Spekulation zusammen und trug durchaus den mythischen, hieroglyphischen und phantastischen Charakter derselben. Die Form und den Inhalt, die Bedeutung und ihre Mittel vermochte die früheste Zeit nicht auseinander zu halten, daher die Idolatrie, das Bild der Erscheinung als göttlich zu verehren; die ersten Elemente jeder Praxis waren Handlungen des Kultus. Etwas später sammelten die früheren blos flüchtigen Beobachtungen die Priester, und machten wohl auch selbst anhaltende Beobachtungen, freilich mit den bloßen Sinnen, deren Erklärung dem Dogma oder der Phantasie anheimfiel. Wenn daher auch wie durch einen glücklichen Wurf bei Erklärungen bisweilen Wahrheiten getroffen wurden, die erst Jahrtausende nachher durch die Wissenschaft bestätigt wurden (wie denn überraschende Geistesblitze nie fehlten), so hatte dies keinen nachhaltigen Einfluß.


Die ersten Fortschritte einer wissenschaftlichen Erkenntnis bestanden in der Entdeckung einer beharrlichen Ordnung und Gesetzmäßigkeit der Natur überhaupt, aber sie beschränkten sich noch auf die rein mathematischen Verhältnisse des Raumes und der Zeit, an deren Regelmäßigkeit und Symmetrie sich zuerst der jugendliche Verstand übte. — Wie der Himmel mit seinen Gestirnen in bestimmten Zeiten bestimmte Räume durchmisst, und nach gewissen Perioden sie in die vorigen Stellungen zurückführt (— daher die für heilig geachteten Maße und Zahlen —), so wurden die Abschnitte des Jahres und der Tage in der priesterlichen Geheimlehre auch bei den praktischen Interessen von der höchsten Bedeutung. Wie der Wechsel der Jahreszeiten, des Aufblühens und Absterbens der Pflanzen usw. so wurden auch der Schlaf und das Wachen und andere physische Zustande und Schicksale des Menschen, ganz besonders aber die abnormen Abweichungen, den oberen übersinnlichen Mächten und Einflüssen zugeschrieben. Es ist leicht einzusehen, wie bei dem Ansehen der Priester der mächtig und tiefwurzelnde Glaube daher auch alle somnambulen Erscheinungen für göttlich ansah, und bei einer ohnehin ganz mangelhaften Naturkenntnis nicht daran dachte, dieselben ihrem wahren Grunde und Verhältnissen nach zu erforschen.

Es ist nicht ohne Grund anzunehmen, daß jene magischen Zustände in der Urzeit häufiger vorgekommen sein mögen, da die Natur den Menschen gleichsam noch mit mütterlicher Zärtlichkeit in seiner unschuldigern und einfachem Kindheit umfing. Die seltenem Stürme der Gemütsbewegungen und der engere Kreis der Leidenschaften erhielten einen ungetrübteren Frieden zwischen ihm und seiner Umgebung. Sein innerer Sinn, durch keine Reflexionen getrübt, war der Stimme der Natur noch offener und alle Tiefen der Empfänglichkeit für äußere Eindrücke, die verborgensten Falten seines noch ungeschwächten Organismus, waren auch den leisesten Einwirkungen der Außenwelt zugänglich. Die Menschen der ersten Zeit lebten noch mehr in der Naturgewalt und selbst auch natürlicher, sie waren daher auch nicht ihrem eigenen trügerischen, nur zu oft fehlgreifenden Nachdenken überlassen, sondern, da sie der Natur noch näher standen, von einem mächtigen sicher leitenden Naturtriebe beherrscht. Kein Wunder, wenn dem kindlichen Geschlechte auch sein Zusammenhang mit dem All in der Vorstellung aufging, in welcher er sich verwoben, aber darin nicht gestört fühlte. Indem so die in Fülle strotzende Natur ihm zuvorkommend reichte, was er bedurfte und begehrte, so verstand er auch ihre Sprache deutlicher, womit sie ihn in ihren Geheimnissen traulich unterwies, was er zu tun habe. Ein ungetrübterer Instinkt, ein sicheres Gefühl leitete ihn auf seinen Wegen, und folgsam der Stimme, die ihn beherrschte, ohne daß er sich beeinträchtigt wähnte, lebte er in Einheit mit der Natur und ihrem Gesetze untertan. Da nun auch die Rhythmen des Naturlebens ihm selbst alle eingeprägt waren, so floß sein Leben, der treue Spiegel der Natur, in einer Harmonie dahin, welche die innigste Durchdringung in den Individuen eigentümlich offenbarte. — Bei einem solchen Zustande der Seele, wo die unendliche Tiefe eines ungetrübten Gemütes, und die Klarheit der äußeren Sinne dm Stoff zu den Vorstellbildern in unendlicher Fülle darboten, und wo nicht der raisonnierende kritische Verstand und ein ungebändigter selbstsüchtiger Eigenwille, sondern mehr der unmittelbare Glaube das Denken und die Handlung bestimmte, da war übrigens der lebendigen Phantasie ein weites Feld offen gelassen, darauf umher zu schweifen und sich in den Metamorphosen der Bilder zu üben und zu ergötzen, wenn ihr nicht die Religion dm Zaum angesetzt und ihre Grenzen bestimmt hätte. Daraus wird nun auch schon der Mythos, die Hieroglyphe, der Enthusiasmus und der Magismus der alten Zeit erklärlich. —

In dem Zeitalter der frühen noch unbewussten Kindheit einer vorwaltenden physischen Bildung der Menschheit sind die Jahrhunderte, ja Jahrtausende einer gleichmäßigern Existenz und des immer tieferen Verwachsens in die eigentümliche Landesnatur, auch die Ursachen der so lange im Verborgenen gebliebenen Geheimlehren des Magismus. Denn wie das klare wissenschaftliche Selbstbewusstsein erst dem erwachsenen Jüngling aufgeht, so ist auch der Geist der Menschheit erst in der christlich germanischen Zeit nach und nach zu einem wissenschaftlichen Selbstbewusstsein gekommen, und dies zwar auch nur langsam durch das Mittelalter herauf, bis endlich in der neuesten Zeit erst der Verstand die Herrschaft über die Phantasie und über die Elemente der Natur errang, und so auch erst die wahre Freiheit gewann in einem subjektiven Denken, wie in dem sieghaften Gebrauche der Naturgewalten. Und so wäre bei diesen, glücklichen Wendepunkte um das achtzehnte Jahrhundert unserer Zeitrechnung die Menschheit auch erst etwa in die Periode des Jünglings- oder höchstens auf die erste Stufe des Mannesalters getreten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Magie, Buch 1