Geschichte der Kunst in Ägypten

Mit 565 Abbildungen und 4 Farbtafeln
Autor: Maspero, Gaston (1846-1916) französischer Ägyptologe, Generaldirektor der ägyptischen Altertümer. Deutsche Übersetzung von Dr. Adolf Rusch
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kunst, Kunstgeschichte, Kultur, Kulturgeschichte, Ägypten, Pyramiden, Altertum, Pharaonen, Malerei, Bildhauerkunst, Denkmäler, Wüste, Nil, Kunstwerke, Bauwerke, Skulptur, Kairo Museum, Monumente
Vorwort des Verfassers

Die Kunst Ägyptens ist, wie überhaupt die ganze Kultur dieses Landes, ein Produkt der afrikanischen Erde. Wenn sie auch gelegentlich von anderen Völkern, mit denen sie infolge der Politik der Pharaonen in Berührung kam, Ideen und Ausdrucksformen entlehnte, so waren doch diese Entlehnungen von vornherein nicht schwerwiegend genug, um eine dauernde Wirkung auf die Gestaltung der ägyptischen Kunst auszuüben; in wenigen Jahren wurden diese fremden Bestandteile so völlig aufgesogen, dass kein Zeichen mehr darauf hinwies, dass irgend etwas von außen gekommen war, die Einheitlichkeit der ägyptischen Kunst, wenn auch nur vorübergehend, zu stören. Nur gegen das Ende, als sich die Rasse unter dem Druck der fünfzig und mehr Jahrhunderte, die ihr auf den Schultern lasteten, zu beugen begann, sank auch die Kunst und verlor die Kraft, erfolgreich ihre veralteten Traditionen gegen die neuen Auffassungen vom Schönen verteidigen zu können, die jüngere Völker mitbrachten.

Ich habe nicht lange Erörterungen über die allererste Kindheit der Kunst anstellen wollen, da ich meinte, der Leser würde es wohl entschuldigen, wenn ich bei dem beschränkten Raum mich so wenig als möglich bei den umstrittenen Anfängen aufhielte. Außerdem meine ich — doch ich weiß, dass ich mich damit zu manchem in Gegensatz setze — es hieße das Wort „Kunst" missbrauchen, wenn man es auf die unförmigen Bilder anwenden wollte, durch die jedes Volk in seiner Kindheit die Objekte und Wesen wiederzugeben suchte, die in seinen Gesichtskreis traten, und den Ideen Ausdruck verlieh, die diese Dinge ihm eingaben.

Ich habe daher als Beginn für meine Darstellung der ägyptischen Kunst einen späteren Termin genommen, wo sie schon den Kinderschulen entwachsen ist. Und zwar habe ich gezeigt, aus welchen religiösen und sozialen Grundlagen sie sich seit der Zeit der thinitischen Dynastien entwickelte; und dann suchte ich die Reihe ihrer Entwicklungsstadien in den folgenden Epochen festzulegen. Man hat sich — sehr zu Unrecht — eingebildet, die ägyptische Kunst sei vom Anfang bis zum Ende in allen ihren Werken eine einheitliche Kunst, und auch in allen Teilen des Landes sei sie völlig identisch, bis auf einzelne Unterschiede in der Arbeit, die auf die geringere oder größere Geschicklichkeit der Arbeiter zurückgingen. Ich habe dagegen gezeigt, dass zwar der Fond allgemeiner Ideen, aus dem sie schöpft, überall derselbe ist, dass ihre Ausdrucksformen aber von Ort zu Ort verschieden sind, ja dass sie sogar einzelne unabhängige Schulen nebeneinander erwecken konnte, deren Tätigkeit je nach dem Schicksal ihrer Heimatstadt sich steigerte oder abnahm; dazu gehören die thinitische, die memphitische, die thebanische, hermopolitanische, tanitische Schule und die untergeordneteren Schulen Oberägyptens und des Deltas. Noch steht die Liste nicht ganz fest, und für die Architektur habe ich sie überhaupt noch nicht vollständig aufstellen können — dazu fehlt es zu sehr an Beispielen aus der Provinz — für Malerei aber und Bildhauerkunst ist sie fast fertig. Man kann nicht allein ihre Eigenarten im allgemeinen bestimmen, sondern bei manchen, wie der thebanischen, kann man sogar die Entwicklung vom Beginn der 11. Dynastie an bis zu den römischen Kaisern mit Leichtigkeit verfolgen; zählen doch ihre Werke nach Tausenden, und jeder Tag bringt neue Entdeckungen, die es uns ermöglichen, Lücken in unseren Kenntnissen auszufüllen und schon bekannte Teile schärfer herauszuarbeiten.

Genug von Eigenem steckt in diesem kleinen Buch und viel von anderen. Ich lasse die Schriftsteller beiseite, die über Ägypten zu einer Zeit schrieben, als es für die Modernen noch ein Buch mit sieben Siegeln war. Wenn Champollion auch von Anfang an über die Natur der ägyptischen Kunst recht vernünftige Ansichten hatte und vollkommen ihre Fähigkeiten zu schätzen verstand, so war doch der einzige Emmanuel de Rouge der erste, der ihre Eigentümlichkeiten wissenschaftlich begrenzte und dann auch ihre Geschichte skizzierte in seiner 1854 erfassten Notice über die Denkmäler aus dem Louvre. . . .
Inzwischen hatte Steindorff für wissbegierige Reisende, die jährlich das Nilland aufsuchen, einen Hauptabriss unserer Kenntnisse auf diesem Gebiete vorbereitet (Baedeker, Ägypten und der Sudan, 7. Auflage, Leipzig 1913); Spiegelberg nahm eine Theorie von de Rouge und Mariette auf und bemühte sich, die Existenz einer Popularkunst nachzuweisen, die weniger starren Gesetzen unterworfen sei als die offizielle Kunst (Geschichte der ägyptischen Kunst bis zum Hellenismus, Leipzig 1903). In Wirklichkeit hat es nie einen Unterschied zwischen beiden gegeben, nur hatten dieselben Künstler bald mehr, bald weniger Freiheit, entsprechend der Art der Motive, die sie behandelten, und der sozialen Stellung der Persönlichkeiten, deren Porträts sie lieferten.

Ich habe es mir zur Pflicht gemacht, soweit es mir möglich war, nur über solche Kunstwerke zu urteilen und nur von solchen Abbildungen zu geben, die ich selbst gesehen und behandelt habe; dabei hat mir ein glückliches Geschick, das zweimal die Leitung des Service des Antiquites in meine Hände legte, ganz besonders diese Aufgabe erleichtert. Und doch wäre es ungerecht und undankbar, wollte ich hier nicht der Sammlungen von schwarz oder farbig ausgeführten Stichen und Photographien gedenken, an deren Hand so viele aus unserer Zahl und auch ich selbst am Arbeitstisch solche Monumente studieren mussten, zu denen ein direkter Zugang uns versagt war. Die Architekturaufnahmen der französischen Kommission haben wenig von ihrem Wert verloren, und die Werke von Cailliaud, Gau, Champollion und Rosellini wird man nie hoch genug schätzen können. Die Denkmäler von Lepsius haben den Philologen und Archäologen mehr Nutzen gebracht als den Kunsthistorikern. Weidenbach, der sie mit seinen Schülern zeichnete, hatte den unglücklichen Einfall, für die Wiedergabe der Reliefs und Malereien Reihen von Vorlagen zu schaffen, die er kopierte und vom Anfang bis zum Ende des Werkes mit ganz geringen Abweichungen immer wieder kopierte. Da ist es denn gar nicht zu verwundern, dass die Kritiker der ägyptischen Kunst Monotonie vorwarfen, da sie stets dieselben Personen vorfanden, die von der memphitischen Zeit bis zu den Jahrhunderten der römischen Herrschaft stets auf dieselbe Weise behandelt waren. Auch Prisse d'Avesnes, der mit mehr Feuer als Weichheit zeichnete, hat in seiner Histoire de l Art Egyptien die Vorbilder zu stark stilisiert. Neben diesen Systematisierungen, die immer nur ein ungefähres Bild der Monumente geben, verdienen die Faksimiles von Champollion und Rosellini allein Glauben, wenn es sich darum handelt, solche Monumente zu prüfen, die jetzt verstümmelt oder zerstört sind. Für die anderen sind heranzuziehen entweder die Voyages en Egypte von Maxime Ducamp (Paris 1852) und von Mariette (Kairo 1878) oder die Photographien, die Banville zusammen mit Emmanuel de Rouge an Ort und Stelle aufnahm (Paris 1868), Bechard's L' Egypte ei la Nubie (Paris 1887), die Alben von Mariette (Album du Musee de Boulaq, Kairo 1872), von Borchardt (Kunstwerke aus dem ägyptischen Museum zu Kairo, Kairo 1908) und von Capart (L'Art Egyptien, Brüssel 1909 u. 1911), besonders aber das unvergleichliche Sammelwerk, das Bissing soeben für Bruckmann vollendet hat (Denkmäler ägyptischer Skulptur, München 1906 bis 1911). Das Museum von Kairo hat es sich vorgenommen, in den Bänden seines Catalogue general (Kairo 1900 — 1911) alle die Gegenstände aus seinen Sammlungen zu reproduzieren, die Künstler wie Historiker interessieren können, und das Berliner Museum hat eine wertvolle Auswahl seiner Monumente gegeben (Ägyptische und Vorderasiatische Altertümer aus den Kgl. Museen zu Berlin, Berlin 1897). Aber die Schätze des Britischen Museums, des Louvre, von Turin und Leiden sind noch zu wenig ausgebeutet. [Von Leiden sind neuerdings ausgewählte Denkmäler des Alten und Mittleren Reichs publiziert worden: Beschreibung der ägyptischen Sammlung des niederländischen Reichsmuseums in Leiden; auch von einigen kleineren Sammlungen sind Publikationen mit Tafeln erschienen, z. B. W. Spiegelberg, Kunst-Denkmäler der ägyptischen Sammlung der Universität Straßburg (Straßburg 1909.)] Und wie viel Wunderwerke bietet noch Ägypten, an denen Touristen und sogar Gelehrte achtlos vorübergehen !

Indessen ist heute die ägyptische Kunst nicht mehr das Privileg einiger Weniger. Künstler, Maler, Architekten und Bildhauer, die anfangs ihren Vorzügen ohne Verständnis gegenüberstanden, haben in den letzten Jahren begonnen, sie zu bemerken und aufs lebhafteste nachzuempfinden; je mehr sie Gelegenheit haben, die Werke dieser Kunst aus der Nähe zu studieren, um so mehr wächst die Bewunderung, die sie ihnen einflößt. Die Gebildeten und das große Publikum können sich zwar noch mit einigen seltsamen Ausdrucksformen nicht recht abfinden, und es wird noch manche Zeit vergehen, ehe sie diese in der richtigen Weise schätzen werden. Möge dieses Buch, in dem ich so klar und vollständig, als ich es vermochte, ihre Wandlungen behandelt habe, denen, welche die ägyptische Kunst noch nicht anerkennen wollen, wenigstens ein Führer zum Verständnis werden, vielleicht entschließen sie sich dann auch, sie ein wenig lieb zu haben.

        Abu-Simbel, am 1. Februar 1911.


                        Vorwort des Übersetzers

Mit Vergnügen habe ich das Angebot des Verlegers angenommen, die deutsche Übersetzung der neuerscheinenden ägyptischen Kunstgeschichte von Gaston Maspero zu besorgen. Verdienen es doch die feinsinnigen Darlegungen und sachkundigen Urteile des Direktors des Kairener Museums, dem ein Material zur Verfügung steht, wie sonst kaum einem zweiten, auch in Deutschland in weiteren Kreisen bekannt zu werden. Gewiss gibt es manche Punkte, in denen ich Masperos Auffassung nicht teilen kann, doch begnüge ich mich, dies hier im allgemeinen vorauszuschicken; im Text oder in beigefügten Anmerkungen Kritik an den Anschauungen des Verfassers zu üben, passt, meine ich, nicht in den Rahmen einer Übersetzung. Dagegen bin ich aus praktischen Gründen von seiner in Frankreich üblichen Umschreibung ägyptischer und arabischer Namen abgewichen. Noch besitzen wir weder ein einheitliches wissenschaftliches System der Umschreibung ägyptischer Worte, geschweige denn ein für Laien verständliches. Die in Deutschland in den Kreisen der Ägyptologen übliche Umschreibungsweise, unter Fortlassung von Vokalen lediglich die Konsonanten, zum Teil mit diakritischen Zeichen versehen, zu geben, verbot sich für diese populärere Schrift von selbst. So gebe ich denn rein mechanisch die ägyptischen Konsonanten durch die entsprechenden deutschen wieder, im übrigen füge ich, um die Aussprache zu erleichtern, zwischen die Konsonanten willkürlich ein e ein. Dies System hat gegenüber dem von Maspero gebrauchten den Vorteil, dass jedermann, auch der Laie, sofort den mit Hieroglyphen geschriebenen Namen, den er im Museum oder sonstwo auf Denkmälern sieht, in der Umschreibung wiedererkennt, wenn er nur eine Liste der allergebräuchlichsten Zeichen an der Hand hat. Aus dem gleichen Grunde teile ich die Namen ihren einzelnen Bestandteilen entsprechend ab. Maspero wird bisweilen die richtigere Form des Namens geben, ich die deutlichere; und die ist wohl vorzuziehen. Daher benutze ich die Schlüsse, die sich aus babylonischen Namensformen ergeben, gar nicht, und verwende auch die griechisch überlieferten Formen nur für die bekanntesten Namen von Königen und Göttern, gelegentlich auch in der griechischen Periode für andere Namen. Dass sich jedoch auch dies System nicht mit voller Konsequenz durchführen lässt, wird jedem klar sein, der die Schwierigkeiten kennt, völlig andersartige Laute in unsere Sprache zu umschreiben. In der Umschrift arabischer Namen schließe ich mich ganz der deutschen Ausgabe des Baedeker an, so dass alle in dieser Kunstgeschichte erwähnten Ortsnamen mit Leichtigkeit dort wiederzufinden sind. — Im übrigen habe ich nur die Literaturangaben etwas ergänzt, indem ich einzelne, besonders für Deutsche wichtigere, Werke einfügte.

        Charlottenburg, im September 1912.

                                Inhaltsverzeichnis

Vorwort des Verfassers
Vorwort des Übersetzers
ERSTER TEIL Die Anfänge der Kunst in Ägypten
KAPITEL I Die Kunst der Thiniten
KAPITEL II Die Kunst der Memphiten
ZWEITER TEIL Die thebanische Kunst
KAPITEL I Die erste thebanische Epoche von der 11. bis zur 17. Dynastie
KAPITEL II Die zweite thebanische Epoche von der 19. bis zur 21. Dynastie
DRITTER TEIL Die saitische Epoche und das Ende der ägyptischen Kunst
Schlusswort
Namenverzeichnis

000 Ägypten zur Zeit der römischen Herrschaft

000 Ägypten zur Zeit der römischen Herrschaft

000 Büste und Kopf der Prinzessin Nefret (Kairo, ;useum)

000 Büste und Kopf der Prinzessin Nefret (Kairo, ;useum)

000 Aus dem Grabe des Königs Setoi I.

000 Aus dem Grabe des Königs Setoi I.

000 Bäckerwerkstätte des Königs Ramsese III. Reliesf in dessen Felsengrabe im Tale Biban el Moluk. Hausgeräte. Aus gräbern von Privatpersonen

000 Bäckerwerkstätte des Königs Ramsese III. Reliesf in dessen Felsengrabe im Tale Biban el Moluk. Hausgeräte. Aus gräbern von Privatpersonen

000 Blick in einen Säulenhof

000 Blick in einen Säulenhof

000 Das Totengericht vor Osiris. Zeichnung aus dem Totenpapyrus der Königin Maat-ka-Rê

000 Das Totengericht vor Osiris. Zeichnung aus dem Totenpapyrus der Königin Maat-ka-Rê

000 Gemalte Grablandschaft auf der Stele der Zed-Amon-iwes-anch

000 Gemalte Grablandschaft auf der Stele der Zed-Amon-iwes-anch

000 Ramsese II. vor der Göttin Sechmet. Aus dem Ramesseum (Theben)

000 Ramsese II. vor der Göttin Sechmet. Aus dem Ramesseum (Theben)

000 Vier glasierte Platten aus dem Palast des Ramses III. in Medinet-Hadu

000 Vier glasierte Platten aus dem Palast des Ramses III. in Medinet-Hadu