Abschnitt 3

Drittes Kapitel
Napoleonische Strategie.


Als er gesiegt hatte und über den Waffenstillstand bei Leoben verhandelte, sagte er zu den österreichischen Generalen: „Es gibt in Europa viele gute Generale; aber sie sehen zu viel auf einmal. Ich, ich sehe nur eins, das sind die Massen. Ich suche sie zu vernichten, weil ich sicher bin, daß alles andere damit zugleich fällt“.


Etwas später sagte er in Mailand: „Das Wesen der Strategie besteht darin, mit einer schwächeren Armee stets mehr Kräfte auf dem Angriffspunkt oder auf dem Punkt zu haben, auf dem man angegriffen wird, als der Gegner“. Endlich auf St. Helena: „In den Revolutionskriegen hatte man das falsche System, seine Kräfte zu zersplittern, Kolonnen nach rechts und Kolonnen nach links zu senden; was ganz verkehrt ist. Was mir in Wahrheit so viel Siege verschafft hat, das ist das entgegengesetzte System. Denn am Tage vor der Schlacht zog ich meine Divisionen, statt sie auseinandergehen zu lassen, alle auf den Punkt zusammen, den ich überwältigen wollte. Dort war meine Armee massiert, und warf mit Leichtigkeit das, was ihr gegenüberstand und notwendigerweise stets schwächer war, über den Haufen.“

Es wäre sachlich für Moreau und Jourdan durchaus angängig gewesen, in Deutschland in derselben Art zu operieren, wie Bonaparte in Italien. Die Österreicher unter Führung des Erzherzogs Karl standen verteilt auf einer Front, die von Basel bis zur Sieg reichte. Die Kräfte waren, nachdem ein Korps unter Wurmser wegen der Erfolge Bonapartes nach Italien abgegangen war, ziemlich gleich. Die Franzosen hätten unter Konzentrierung ihrer Truppen die österreichischen Korps einzeln angreifen und schlagen können. Kräftige Schläge wurden auch beabsichtigt; als das eigentliche Ziel aber wurde angesehn nicht die Vernichtung der feindlichen Streitmacht, sondern der Geländegewinn. Unter wenig bedeutenden Gefechten manövrierten die beiden französischen Generale den Erzherzog bis nach Bayern zurück. Moreau kam bis an die Isar. Mittlerweile aber hatte der Erzherzog sich mit seinen Hauptkräften gegen Jourdan gewandt, brachte diesem bei Würzburg eine Schlappe bei und drückte ihn bis an den Rhein zurück. Moreau hatte an der Isar mehr als die doppelte Überlegenheit über seine Gegner; dennoch trat auch er den Rückzug an, wußte auch weiter seine Überlegenheit nicht auszunutzen, und nach vier Monaten standen die beiden Gegner wieder ziemlich in denselben Stellungen wie bei Beginn der Feindseligkeiten. Die öffentliche Meinung aber rechnete Moreau den glücklichen, verlustlosen Rückzug durch das Höllental noch als eine große strategische Leistung an.

Der französische Feldzugsplan mit der Aufstellung der drei Heere Bonaparte, Moreau, Jourdan stammte von dem Kriegsminister Carnot, und man hat in ihm eine strategische Konzeption größten Stiles sehen wollen in der Meinung, daß Carnot den drei Heeren konzentrisch die Richtung auf Wien habe geben wollen. Richtig ist, daß Carnot ein Zusammenwirken vom italienischen und deutschen Kriegsschauplatz aus ins Auge gefaßt hat, aber doch nicht in dem Sinne, daß die drei Heere, jedes auf gesonderter Basis vorrückend, sich endlich auf dem Schlachtfeld zur Vernichtung der feindlichen Streitkraft zusammenfinden sollten, sondern das Ziel war ihm das gegenseitige Sekundieren, um durch Flankenbedrohung den Gegner weiter und weiter zurückzumanövrieren und Gelände zu gewinnen. Man kann den Plan einigermaßen mit dem Einmarsch Friedrichs in Böhmen im Jahre 1757 vergleichen. Wie Friedrich das Wesen dieses Planes darin erblickte, daß er den Feind „fast aus Böhmen herausjage“, aber auch möglichste Schläge dabei austeilen wollte, so schrieb auch Carnot an die Generale, indem er ihnen ausmalte, wie sie den Gegner überflügeln und seine Magazine nehmen würden, gleichzeitig, sie sollten immer kräftig angreifen und mit der Verfolgung nicht nachlassen, bis sie den Feind völlig geschlagen und aufgelöst hätten. Diese Instruktion kann als Schulbeispiel für die doppelpolige Strategie dienen. Der Unterschied aber zwischen 1757 und 1796 ist, daß, als die Gelegenheit sich bot, Friedrich die Gefechtstendenz steigerte bis zu der gewaltigen Schlacht von Prag und schließlich zu der Idee, die ganz feindliche Armee in Prag gefangen zu nehmen, während Moreau bei sehr mäßigen Gefechten in dem Manövergedanken stecken blieb und auch dann sich nicht über ihn erhob, als der Abfall der deutschen Reichsfürsten von Österreich dessen Streitkräfte noch wesentlich geschwächt und den Franzosen die unzweifelhafte, wesentliche Überlegenheit gegeben hatte.

Ganz dasselbe Bild zeigt ein Vergleich des Doppelfeldzuges im Jahre 1800. Die Österreicher hatten 1799 mit Hilfe der Russen die Franzosen, während Bonaparte in Ägypten war, aus Italien vertrieben. Bonaparte, Erster Konsul geworden, hatte nun ursprünglich die Absicht, den Feldzug in Deutschland zu führen. Er wollte die Reserve-Armee, die er bei Dijon bildete, mit den Truppen Moreaus vereinigen, von der Schweiz aus die Österreicher umfassend angreifen, ihr Heer möglichst vernichten und dann den Weg auf Wien nehmen. Der Plan erwies sich als unausführbar, weil Moreau nicht unter dem Ersten Konsul kommandieren wollte und dieser auf den nächst ihm angesehensten älteren General Rücksicht nehmen mußte. Es wäre für ihn politisch zu bedenklich gewesen, wenn Moreau verstimmt den Abschied gefordert hätte.

So entschloß sich Bonaparte, die Reserve-Armee nicht nach Deutschland, sondern durch die Schweiz nach Italien zu führen. Er stieg jenseits (östlich) des Genfer Sees aus den Alpen herab, zog über den St. Gotthard noch ein Hilfskorps von Moreau heran und erschien damit zum höchsten Erstaunen der Österreicher in deren Rücken. Mit höchster Verwegenheit verteilte er seine Divisionen so, daß er ihnen auf jedem Wege, auf dem sie den Abzug versuchen konnten, entgegentreten konnte, und hielt sie doch vorsichtig so nahe beieinander, daß sie sich gegenseitig helfen konnten. Als man nun bei dem Dorfe Marengo unvermutet zusammenstieß (14. Juni 1800), blieben die Österreicher, die an 30000 Mann beieinander hatten, gegen die nur 20000 Mann starken Franzosen im Vorteil. Es war ganz nahe daran, daß die Schlacht mit einer völligen Niederlage der Franzosen endete. Die gemäß Bonapartes Befehl heranrückende Division Defaix aber (noch 6000 Mann) und ein spontaner Kavallerie-Angriff des Generals Kellermann brachten die Wage zum Umschlag. Der schon ältliche österreichische Kommandierende Melas hatte das Schlachtfeld bereits verlassen und die Truppen waren in wenig geordnetem Vormarsch, als ganz unvermutet noch der Gegenstoß erfolgte. Die Franzosen siegten also trotz ihrer Minderzahl wesentlich durch die Tüchtigkeit ihrer Truppen und ihrer jugendlich tatkräftigen Generale. Da die Schlacht mit verkehrter Front geschlagen war, glaubten die Österreicher keinen Rückzug mehr zu haben, und Bonaparte gewann Oberitalien bis zum Mincio, indem er Melas gegen Räumung dieses Gebietes freien Abzug gewährte.

Moreau hatte in Deutschland einen ähnlichen Erfolg, indem er, freilich sehr langsam, die Österreicher bis hinter dem Inn zurücktrieb. Der Unterschied ist, daß Deutschland der Hauptkriegsplatz war, Italien der Nebenkriegsschauplatz, und daß Bonaparte auf diesem mit geringen Kräften vermöge der unerhörten Kühnheit seiner Führung denselben Erfolg erfocht, wie Moreau ohne besonderes Wagnis mit seiner Methodik. Der Vergleich wird auch nicht verändert dadurch, daß Moreau am Schluß noch (nach Ablauf eines Waffenstillstandes) den Sieg von Hohenlinden erfocht (3. Dezember 1800). Denn dieser Sieg war nicht die Frucht einer vorbedachten Strategie, sondern, wie Napoleon ihn ganz richtig bezeichnet hat, ein „glückliches Renkontre“, freilich in sehr großem Stil. Der Erfolg blieb den Franzosen wieder durch die qualitative Überlegenheit der Truppen und den Schneid des jugendlichen Generals Richepanse.

Noch 1813, als Moreau, von den Verbündeten gerufen, ihnen mit seinem strategischen Rate zu dienen, die Lage der Nordarmee mit Bernadotte besprach, rief er diesem dringend, nicht dem Trachenberger Plan gemäß, die Offensive zu ergreifen, da seine Operationslinie zu wenig gestützt sein.

Vergleicht man Moreau mit Friedrich und Daun, so sieht man, wie große Verschiedenheiten bei denselben Grundanschauungen noch möglich sind. Entscheidungen, wie Friedrich sie in seinen großen Schlachten herausforderte, hat Moreau niemals geschlagen. Er hat sich aber auch vom Schlachtpol nie so weit entfernt, wie in seinen späteren Jahren der König. Auch mit Daun aber kann man deshalb Moreau nicht zusammenstellen, denn diesem ist der Franzose an Tatkraft und Beweglichkeit entschieden überlegen. Schon die Jugendlichkeit seiner Armee gab ihm ein Feuer und eine Triebkraft, deren das traditionelle Österreichertum entbehrte.

Nichts wäre verkehrter, als Moreau etwa geringschätzig behandeln zu wollen, weil er Ermattungsstratege war. Um es nicht zu sein, hätte er eben ein Napoleon sein müssen. Er hätte nicht nur die unfehlbare Vereinigung von Wagemut und Vorsicht, von glühender Phantasie und kältester Berechnung, von Heldentum und Staatskunst haben müssen, die Napoleons Strategie kennzeichnen. Kein Napoleon zu sein, ist noch kein Vorwurf. Nicht um die beiden Männer aneinander zu messen, haben wir den Vergleich ge macht, sondern um uns klarzumachen, daß die Weltgeschichte sich nicht bloß aus den Verhältnissen aufbaut, sondern daß die Persönlichkeiten zum wenigsten eins der vielen Elemente sind, die in ihr mitwirken. Noch nicht die französische Revolution hat die moderne Niederwerfungsstrategie geschaffen und an die Stelle der Ermattungsstrategie gesetzt, sondern der General Bonaparte mit den Mitteln der französischen Revolution ist ihr Schöpfer. Er war sich auch dessen bewußt. Nur ein vulgärer Ehrgeiz, sagte er, könne jene Mittel gebrauchen, deren sich Ludwig XIV. und Friedrich II. bedienten. So berichtet der Marschall St. Cyr in seinen Memoiren und will Napoleon tadeln, weil er die allgemein als gut anerkannten Regeln verachtet und gemeint habe, sie seien nur für mittelmäßige Geister.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Kriegskunst Teil 4