Abschnitt 7

Zweites Kapitel
Die Revolutionsheere.


Von dem idealen Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht, wie ihn die Revolution verkündet hatte, hat man sich also sehr stark entfernt. Man könnte sagen, diese Konskription sei nichts als die Wiederaufnahme des Systems der alten Monarchie: die Stellvertreter, die als Kapitulanten weiter dienten, bildeten ein berufsmäßiges Söldnertum und neben diesem hatten ja auch die Ludwige schon ausgehoben. Noch mehr würde der Vergleich stimmen mit der preußischen Kriegsverfassung, wo ja die Aushebung aus den Kantons eine wesentliche Rolle spielte und die Hälfte der Armee lieferte. Trotzdem ist, wenn auch gebrochen, von dem Geist des republikanischen Heeres viel in das napoleonische übergegangen, nicht bloß in dem anderen Geist des Offizierkorps, dem anderen Verhältnis zwischen Offizierkorps und Mannschaft, sondern auch im Wesen und im Geiste der Mannschaft. Sie waren eben ihrem Ursprung nach nicht Söldner, sondern Söhne und Verteidiger des französischen Vaterlandes, selbst dann, wenn sie es wider Willen waren. Es sind dies bloß relative, nicht absolute Gegensätze, auch in der altfranzösischen Armee hatte bereits ein nationaler Geist gelebt. Aber die Steige rung war so bedeutend, daß man den Gegensatz der beiden Typen als einen Art-Unterschied bezeichnen darf und muß.


Verglichen mit Preußen kann man wohl sagen, daß auf Grund des Kanton-Reglements hier schon ebenso scharf und noch schärfer ausgehoben wurde, als in Frankreich durch die Konskription, aber in Frankreich brachte diese ganz andere Massen, weil Frankreich fünfmal so viel Einwohner zählte wie Preußen und die preußischen Kantonisten, wenn sie auch vielfach eine starke Anhänglichkeit an den König und den Staat hatten, entbehrten doch notwendig der eigentlichen Kraft der Vaterlands-Idee, weil Preußen bloß ein dynastischer Zufalls-, kein National-Staat war. Endlich ist zu beachten, daß selbst, wenn die Eingeborenen die Hälfte und mehr als die Hälfte der Armee bildeten, gerade sie doch nur kurze Zeit unter der Fahne waren, während die in der Fremde Geworbenen dauernd den Dienst versahen, dem Ganzen also ihren Geist, das ist einem mehr oder weniger ehrenhaften militärischen Standesgeist, aber nicht den der Vaterlands-Verteidigung aufprägten.

Man kann sich den Unterschied nicht besser veranschaulichen, als wenn man die schon angeführten Vorschriften Friedrichs in seine bedeutendsten Lehrschrift über die Verhütung der Desertion zusammengestellt mit dem Armeebefehl, mit dem sich Napoleon vor der Schlacht bei Austerlitz an seine Truppen wandte. Friedrich lehrte: „Es ist ein essentielles Devoir eines jeden Generals, der Desertion vorzubeugen. Dieses geschieht nun dadurch, wenn man evitieret, nahe an einem Walde zu kampieren; wenn man die Burschen öfters in ihren Zelten visitieren lässet; daß man Husaren-Patrouillen rund um das Lager gehen lässet; wenn man des Nachts Jäger in das Getreide postieret und gegen den Abend die Feldposten von der Kavallerie doublieren lässet; wenn man nicht leidet, daß der Soldat sich debandieret, sondern daß man die Offiziere obligieret, ihre Leute in Reihe und Gliedern zu führen, wenn Stroh und Wasser geholet wird; wenn das Marodieren sehr ernstlich bestrafet wird; wenn an den Marschtagen die Wachten in denen Dörfern nicht eher zurückgezogen werden, bis die Armee schon unter Gewehr stehet; wenn man bei Nacht nicht marschieret; wenn rigoureux verboten wird, daß bei Marschtagen kein Soldat sein Peloton verlassen darf; daß man seitwärts Husarenpatrouillen gehen lässet, wenn die Infanterie durch ein Holz passieret; wenn man jederzeit aufmerksam ist, damit es denen Truppen an keinen nöthigen fehle, es sei Brod, Fleisch, Branntwein, Stroh und dergleichen mehr.“

Der Tagesbefehl Napoleons vom 24. November 1805 aber lautet: „Vorläufig soll Ruhe sein. Die Korpschefs werden Sorge tragen, eine Liste der Maro deure zu machen, die ohne legitime Ursache zurück geblieben sind. Sie werden den Soldaten anempfehlen, es jene als Schande empfinden zu lassen, denn die größte Strafe in einer französischen Armee, nicht teilgenommen zu haben an den Gefahren und Siegen, ist der Schimpf, der ihnen angetan wird von ihren Kameraden. Sollte es Leute geben, die sich in diesem Fall befinden, so zweifelt der Kaiser nicht, daß sie bereit sein werden, sich zu sammeln und sich um ihre Fahnen zu schließen.“

Das den alten Söldner-Armeen eigentümliche Auslösen der Kriegsgefangenen um Geld, das „Ranzionieren“ hatte die französische Nationalversammlung schon durch Dekrete (19. September 1792, 25. Mai 1793) verboten.

In seinen späteren Jahren, 1812 und 1813, als Napoleon gezwungen war, die Konskription immer schärfer anzuspannen, hat auch er sehr unter der Desertion zu leiden gehabt. Ja man kann sagen, daß er die Feldzüge von 1812 und 1813 geradezu durch die Desertion verloren hat. Denn vermöge des Abströmens der Mannschaften schon auf dem Hinmarsch, kam er so schwach in Moskau an, daß er den Krieg nicht fortsetzen konnte, und wenn er den Herbstfeldzug 1813 mit einem Heer eröffnete, das den Verbündeten an Zahl nur wenig nachstand, zwei Monate darauf bei Leipzig aber nur wenig mehr als halb so stark war, wie seine Gegner, so wirkte dazu zwar manches zusammen, ganz besonders aber die unerhörte Stärke der Desertionen auf der französischen Seite.

Auch Friedrichs Heer wurde im Laufe des Siebenjährigen Krieges schlechter und schlechter, und wir haben gesehen, wie der König den Mangel bei der Infanterie zu ersetzen suchte durch Vermehrung der Artillerie. Bei Napoleon haben wir oben gesehen, ist ganz dasselbe, wenn auch nicht in demselben Maße festzustellen. Bei Friedrich führte diese innere Abwandlung in der Armee auch zu einer Abwandlung in der Strategie, bei Napoleon, wie wir noch sehen werden, nicht.

Auf die kürzeste Formel gebracht, unterscheidet sich das neue, in und von der Revolution geschaffene Kriegswesen von dem der alten Monarchie durch ein Dreifaches: das Heer ist viel größer, es tirailliert und es requiriert. Von diesen drei militärischen Qualitäten, in denen sich das neue Kriegswesen über die vorhergehende Epoche erhob, ist aber schließlich noch zu bemerken, daß sie nicht alle drei gleichmäßig und von Anfang an zur Geltung kommen. Die große Zahl trat namentlich im Anfang bei der levée en masse in Erscheinung, sank dann aber wieder zeitweilig zurück, so daß Napoleon in seinen ersten Feldzügen den Gegnern an Zahl nur gerade gewachsen war.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Kriegskunst Teil 4