Abschnitt 2

Erstes Kapitel.
Revolution und Invasion.


Die wiederholten Mißerfolge und Niederlagen, die die französischen Feldherren davontrugen, zerfetzten das moralische Gefüge der Armee, die Disziplin. Die französische Armee war ja nie in dem Sinne und in der Art diszipliniert gewesen wie die preußische. Von der Strenge und Exaktheit des preußischen Exerzierens, von der unendlichen Mühe, die man hier Tag für Tag auf diese Kunst verwandte, wußte man in Frankreich nichts. Die französische Disziplin hatte immer nur grade erreicht, die äußere Ordnung aufrecht zu erhalten und die Truppen ins Gefecht zu führen. Als man nun mit wenig Ruhm, aber viel Selbstironie, blieb von militärischer Autorität überhaupt nicht viel übrig. Der Kriegsminister St. Germain machte einen großen Anlauf, die Zucht in der Armee wiederherzustellen, indem er nach preußischem Muster das Fuchteln mit der blanken Klinge, statt der Arreststrafe einführte. Aber sowohl das Offizierskorps wie die Mannschaft widersetzte sich. Aus so üblen Elementen sich das Heer auch zum größten Teil rekrutierte, das Prügeln wollten die Soldaten sich doch nicht gefallen lassen, und die Offiziere entzogen sich der Anwendung eines Verfahrens, das ihnen nicht zusagte. Denn der Geist der Humanität, der von der französischen Literatur der Epoche ausging, hatte auch den französischen Adel ergriffen, und die Disziplin war nicht nur gegenüber den Mannschaften, sondern auch im Offizierkorps selber lax geworden. Die Strenge, zu der man wieder zu gelangen wünschte, hätte von oben nach unten durchgehen müssen, hätte, wie es in Preußen war, das Offizierkorps ebenso scharf anfallen müssen, wie den gemeinen Mann. Das war mit kriegsministeriellen Verordnungen und dem Hinweis auf das Beispiel der glorreichen preußischen Armee nicht zu erreichen.


Saint Germain schrieb 1758 an den General-Intendanten Du Vernay: „Die Subordination ist das Band, das die Menschen verbindet und das die Harmonie der Gesellschaft ausmacht; wo es keine Subordination mehr gibt, gerät alles in Verwirrung und das Chaos und der Umsturz folgen bald.“ Aber so gewiß Disziplin Macht gibt, so gehört auch Macht dazu, sie zu schaffen. Diese Macht hatte das bourbonische Königtum nicht mehr, und indem St. Germains Versuch der Einführung einer strengeren Zucht mißglückte, wurde der Schaden nur um so größer und der Geist der Widersetzlichkeit verstärkt und angefeuert. Der Absolutismus Ludwigs XIV. hatte zwar den alten, trotzigen Widerspruchsgeist des feudalen Adels gebändigt, ihn aber doch nicht ganz ausgerottet. Indem die königliche Autorität zurückging und angefochten wurde, lebte auch diese Opposition wieder auf, ging als solche mit der Demokratie Hand in Hand und zog auch das Offizierkorps in die oppositionelle Bewegung hinein. So geschah es, daß das Königtum im Jahre 1789 keine Armee zur Verfügung hatte, um die Volksbewegung niederzuhalten, und die öffentliche Gewalt ging über an die Nationalversammlung, die dem Staate eine neue Verfassung gab.

Nach dieser Verfassung sollte die Armee eine Soldarmee bleiben wie bisher. Die Einführung der Wehrpflicht wurde als despotisch fast einstimmig abgelehnt. Da nun die Verfassung aufgebaut wurde nach dem Grundsatz der Teilung der Gewalten, so wäre die Verfügung über die Armee wie bisher bei dem Königtum, als der Gewalt der Exekutive geblieben. So wollte es die Doktrin, aber, wie so oft, paßte die Doktrin nicht auf das Leben. Man sagte sich, daß der König als das Haupt der Armee für die neue Freiheit sehr gefährlich bleiben würde und schränkte deshalb seine Exekutive auf die verschiedenste Weise ein. Er sollte nur einen Teil des Offizierkorps ernennen; die andere Stelle sollte nach einem komplizierten System von Anciennität und Wahl besetzt werden. In einem Umkreis von 8 Meilen um den Sitz der Nationalversammlung durfte der König keine Truppen halten außer seiner Garde, die nicht stärker als 1800 Mann sein durfte. Die fremden Regimenter sollten abgeschafft werden. Neben der stehenden Armee, sollte eine zweite bewaffnete Macht, eine Bürgerwehr, National-Garde genannt, geschaffen werden, über die nicht der König, sondern die vom Volk gewählten Bürgermeister die Verfügung hatten. Diese Nationalgarde stellte eine ungeheure Masse dar, denn sämtliche Urwähler sollten ihr angehören.

Trotzdem würde bei einer Reaction in der öffentlichen Meinung der König die Zügel wohl wieder in die Hand bekommen haben, wenn sich die innere Bewegung nicht jetzt mit einem auswärtigen Kriege kompliziert hätte.

Bei allen politischen und nationalen Spaltungen ist Europa doch zu sehr eine Einheit, als daß eine Bewegung, wie die französischen Revolution, nicht auch jenseits der Grenzen starke Wirkungen hätte auslösen müssen. Es ist freilich nicht richtig, daß die Könige sich verbunden hätten, um die junge Freiheit in Frankreich zu ersticken, aber immerhin suchten sie durch Drohungen einen Druck auszuüben, protegierten die Emigranten, die sich in großen Massen an den Grenzen sammelten und versagten eine freundschaftliche Verständigung über die in Elsaß noch vorhandenen Feudalrechte deutscher Fürsten. Alles das nahmen die französischen Demokraten als Veranlassung, um ihrerseits dem Kaiser Franz den Krieg zu erklären, von dem sie hofften, daß er sie nicht nur moralisch stärken, sondern Frankreich auch das alte Objekt des nationalen Ehrgeizes, die Annexion von Belgien bringen würde. Österreich aber erhielt Hilfe von Preußen, das die Friderizianische Politik fallen ließ und jetzt im Verein mit Österreich und im Gegensatz zu dem sozialen Umsturz in Frankreich, glaubte, neue Bahnen beschreiten zu können, die zu Macht und Eroberung führen würden.

Die französische Armee war durch die Folgen der Revolution derart aufgelöst, daß sie so gut wie aktionsunfähig war. Das Offizierkorps, das im Beginn der Bewegung noch selber frondiert hatte, hatte durch den Fortgang der Revolution den Boden unter den Füßen verloren. Die Mehrzahl, die sich mit den neuen Ideen und Zuständen nicht befreunden konnten, verließ die Armee und auch das Land.

Man machte einen Einfall in Belgien, das kaum verteidigt war, aber schon beim Anblick eines Feindes stoben die Franzosen auseinander, hielten sich für verraten und ermordeten ihre Offiziere. Ehe die eigentliche österreichische Armee und die Preußen herankamen, verging mehr als ein Vierteljahr ohne Kriegshandlungen. Die französische Armee war mittlerweile etwas verstärkt durch Aufgebote von Freiwilligen aus der Nationalgarde, aber die meisten dieser Bataillone erwiesen sich als unbrauchbar. Dennoch behaupteten sich die Franzosen. Das preußische Heer unter dem Herzog von Braunschweig war mit seinen Hilfskorps 82000 Mann stark; die Österreicher, die eben einen Türkenkrieg hinter sich hatten, waren in Belgien immer noch sehr schwach, etwa 40000 Mann. Man unternahm dennoch die Invasion in der Erwartung, daß die große Masse der französischen Bevölkerung royalistisch gesinnt sei und die deut schen Truppen als Befreier begrüßen werde. Das erwies sich als eine vollständige Täuschung. Als die Preußen Longwy und Verdun genommen hatten, nahm der Kommandierende der Franzosen, Dumouriez, hinter den Argonnen eine Defensiv-Stellung und blieb in ihr stehn, auch als die Preußen sie vollständig umgangen hatten. Er hatte 60000, die Preußen am ersten Tage 30000, am zweiten 46000 Mann zur Stelle. Der Rest des Heeres war zur Sicherung gegen die noch unbezwungenen, rückwärts liegenden französischen Festungen (Sedan, Diedenhofen, Metz) verbraucht. Es handelte sich darum, ob die Preußen unter solchen Umständen eine Schlacht mit verkehrter Front wagen sollten. Wurden sie geschlagen, so waren sie der Vernichtung ausgesetzt. Selbst wenn sie gesiegt hätten, hätten sie aber bei der Feindseligkeit der Bevölkerung schwerlich bis nach Paris vordringen können. Die französischen Truppen hatten allerdings keine Angriffsfähigkeit, waren aber an der Zahl überlegen und gut mit Artillerie versehn. In richtiger Einsicht und mit einer der höchsten Anerkennung würdigen Entschlossenheit hatte Dumouriez sich auf die Defensive beschränkt und behauptete seine Stellung. Nach einer Kanonade, die beiden Seiten kaum 200 Mann kosteten (20. September 1792), beschlossen die Preußen, von einem Angriff abzusehen und schließlich den Rückzug anzutreten.

Hätte Friedrich den Angriff bei Valmy unternommen? Blickt man auf die ungeheure Verwegenheit seiner Angriffe bei Kollin, bei Leuthen, bei Zorndorf, Kunersdorf, Torgau, so möchte man die Frage bejahen. Überlegt man aber, wie sehr Friedrich immer vor zu tiefem Eindringen in feindliches Land, der „Pointe“ gewarnt hat, wie ihm schon ein Vorgehn in Böhmen bis Budweis eine solche „Pointe“ war, daß er nie an eine ernstliche Bedrohung von Wien gedacht hat, so möchte man doch zweifeln und bescheidet sich, die Entscheidung in das Subjektive seines Feldherrentums zu verlegen, für das nachträglich nicht einmal eine Wahrscheinlichkeit zu begründen ist.

Man kann auch die Frage umgekehrt stellen: War es die Verbildung der Theorie, die Vorstellung des Kriegsführens ohne Blutvergießen, die die Entscheidung oder besser gesagt die Nichtentscheidung verursacht hat? Diese Vorstellungen mögen psychologisch mitgespielt haben, als entscheidend aber dürfen sie nicht angesehen werden. Das Entscheidende war die Erkenntnis, daß man auf einen erheblich stärkeren Widerstand gestoßen war, als man erwartet hatte; daß die Hilfe aus dem französischen Volk, auf die man gerechnet hatte, ausblieb und daß man deshalb für ein so ungeheures Unternehmen, als welches auch Friedrich den Marsch auf Paris angesehen haben würde, zu schwach war.

Die Invasion war gescheitert. Sie ist abgewehrt worden nicht mit den Mitteln der Revolution, nicht mit einem bewaffneten Volksaufgebot, sondern wesentlich mit den Resten des alten königlichen Kriegsstaats, namentlich mit den sachlichen Mitteln, den Festungen und der Artillerie. War dieser alte Kriegsstaat auch durch die Revolution sehr in Unordnung gebracht und reduziert und dieser Verlust nicht entfernt ersetzt durch eine kleine Anzahl von Freiwilligen und Föderierten-Bataillonen, so war die preußisch-österreichische Offensive doch auch sehr viel schwächer als einst etwa die vereinigte Macht Eugens und Marlboroughs, und so war das strategische Ergebnis des Feldzuges von 1792 das natürliche Fazit der beiderseitigen Kräfte, das zu besonderen kritischen Vorbehalten oder persönlichen Anklagen keine Veranlassung gibt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Geschichte der Kriegskunst Teil 4