Geschichte der Juden in Sachsen - 12

Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland
Autor: Levy, Alphonse (1838-1917) deutsch-jüdischer Publizist, trat für die jüdische Gleichberechtigung ein und bekämpfte den Antisemitismus, Erscheinungsjahr: 1900
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Juden, Judentum, Sachsen, Judenverfolgung, Mittelalter, Deutsche, Menschenrechte, Bürgerrechte, Staatsbürger, Religion, Glaubensgenossen, Heimat, Antisemitismus
So nachsichtig damals die sächsischen Verwaltungsbehörden mit den bereits ansässigen Juden verfuhren, so streng nahmen sie es mit den fremden. Man „bannisierte" im Jahre 1708 die polnischen, schlesischen, mährischen und böhmischen Juden gänzlich aus den sächsischen Landen und verschärfte das Hausierverbot mit Ausnahme auf der Leipziger und Naumburger Messe. Gegen das Herbeiströmen fremder Juden nahmen Berend Lehmann und Jonas Meyer selbst in mehreren Eingaben an den König Stellung, nicht aus Konkurrenzneid, sondern in der Absicht „solche Elemente fernzuhalten, welche der grundsätzlichen Abneigung der Stände gegen die Zulassung von Juden Nahrung geben konnten."*)

Ohnehin erregten die den beiden jüdischen Geschäftsleuten gewährten Vergünstigungen den Groll der Stände, welche deshalb im Jahre 1716 Klage führten, dass der jüdische Cultus ,,in der churfürstlichen Residenzstadt beständig exerzieret werde." Zu derselben Zeit beklagten sich die Dresdener Geschäftsleute darüber, dass die Juden „sich des Handels unterständen unter dem falschen Vorwande, im Dienste des Königs zu stehen." Nach langen vergeblichen Bemühungen, die Erlaubnis zur Erwerbung eines Grundstückes zu erlangen, erhielt Berend Lehmann endlich am 17. März 1718 die königliche Genehmigung dazu, das Posthaus auf der Pirnaischen Gasse (jetzt Landhausstraße 7) hypothekarisch und pfandweise auf 20 Jahre in Gebrauch zu nehmen, wofür er 13.000 Thaler erlegte. Lehmann und Meyer errichteten in dem verpachteten Hause das erste ansehnliche Wechselgeschäft**), sollen aber daselbst auch mit Seide und Materialwaren ordentlichen Detailhandel getrieben und als Lieferanten des prachtliebenden Hofes ein ausgebreitetes Geschäft erzielt haben. Am 1. September 1720 gab Jonas Meyer in dem glänzend eingerichteten Hause ein großes Fest, an welchem der Churprinz und die Churprinzessin teilnahmen.***)

*) Emil Lehmann, der polnische Resident Berend Lehmann. S. 52.
**) Vehse, Gesch. der Höfe des Hauses Sachsen. V. 13.
***) Hasche, Diplomatische Geschichte Dresdens VI. S. 70.


Sicher ist das Vertrauen, welches Berend Lehmann und Jonas Meyer bei dem Hofe und den Regierungsbehörden genossen, kein unverdientes gewesen, so unfreundlich es auch von einem großen Teile der Bevölkerung Dresdens beurteilt wurde, und so ungünstig sich auch die zeitgenössischen Schriftsteller darüber äußerten. Die menschenfreundliche Handlungsweise des Königs Friedrich August I., der während einer großen Teuerung in Dresden im Jahre 1720 für das Getreide Zoll, Geleite, Landaccise, Fähr- und Brückengeld erließ und für Herbeischaffung größerer Getreidemassen sorgte, veranlasste seinen Biographen Fassmann zu nachstehender gehässiger Äußerung: „Allein, weil die Sache durch Judenhände gegangen, so ist die Frage, ob der Preis des Getreides der Armut zu Statten gegangen, wie es des Königs Majestät gewünscht, gewollet und verlanget haben." Unbefangener urteilte über diesen Vorgang der Leipziger Magister Heinrich Engelbert Schwartze: „In Meißen, Dresden und den herumliegenden Gegenden war die Not um deswillen um so viel größer, weil auch nicht einmal vor das schönste Geld etwas von Getrayde, sonderlich dem lieben Korne, zu bekommen war, bis sich endlich der Hofjude Jonas Meyer aufwurff, welcher in Pommern, Hollstein u. a. Nieder-Sächs. Landen eine unsägliche Menge Korn aufkauffte und nach Dresden brachte, u. weil er von Kgl. Mj. als u. allergnäd. Landesherrn, viele Freiheiten und Begnadigungen erhalten, den Scheffel Korn Dresdener Maas durch die Bank vor 3 Rthlr. an Reiche und Arme verkauffete. Da kamen die armen Leute nicht nur aus unsern Provinzien, sonderlich dem Ertzgebürgischen und Chur-Creyß und der Lausitz, allwo die Hungersnot am stärksten grassierte, sondern auch aus Böhmen, Schlesien und Mähren, lagen offt Tag und Nacht zu 200 u. 300 vor des Hof-Juden Hause und warteten, bis wiederum eine Lieferung von 20, 30 und mehr Fudern ankam, alsdann, wenn der Hof und die Stadt versorget war, eine ordentliche Einteilung gemachet und jedem nach Proportion etwas Korn gegeben wurde, da mancher vor eine große Wohltat erkennen musste, wenn er einen kleinen halben Scheffel Korn vor sein Geld bekommen konnte, ob er wohl 10, 12 und mehreren Meilen darnach gereiset war."*) Jedenfalls steht fest, da der Hofjude Jonas Meyer, welcher mit königlicher Bewilligung die Versorgung Dresdens übernahm, bis im Mai 1720 bereits über 40.000 Scheffel Getreide auf Schiffen von der Unterelbe und selbst von Danzig hatte herbeischaffen lassen und den Scheffel Korn für 3 Thaler 15 Groschen an die Bürger verkaufte, denen diese Getreidezufuhr also wohl zu Statten kam. Unwillig waren wohl nur die Bäcker und Branntweinbrenner, welche grundsätzlich davon nichts erhielten. Der Andrang der Kornbedürftigen war vor des Juden Hause und vor dem Gewandhause täglich so groß, dass man, um die Ordnung aufrecht zu erhalten, Militär aufstellen musste. Da der Sommer eine gesegnete Ernte brachte, sank der Preis des Kornes im August wieder auf 2 Thaler 20 Groschen. Da jedoch Meyer noch große Getreidevorräte aufgespeichert hatte, wurden dieselben in Folge eines besonderen Befehls auf die Städte und Ämter verteilt und mussten in Dresden allein die Weiß- und Platzbäcker, die Branntweinbrenner und Essigmacher, welche vorher nichts erhalten, 5.000 Scheffel Korn zu dem alten Preis von 3 Thaler 15 Groschen und 1.000 Scheffel Weizen annehmen.**)

*) Historische Nachlese zu den Nachrichten d. St. Leipzig, ed. M. Heinrich Engelbert Schwartze. Leipzig 1744. S. 122,
**) M. B. Lindau, Gesch. d. Residenzstadt Dresden. S. 552.


Durch die einzelnen Juden gegenüber geübte landesherrliche Milde wurden die Handel- und Gewerbetreibenden in Dresden und in andern sächsischen Städten zu unzähligen Eingaben und Beschwerden veranlasst. Die Ernennung des Juden Gerd Levi in Leipzig zum „Münzjuden" rief außerdem im Jahre 1725 den Einwand der Stände hervor, dass keine Münze mehr in Leipzig vorhanden sei, für welche Lieferungen nötig wären. Lange hielt die Regierung an ihrer Duldsamkeit gegen eine Handvoll Israeliten fest und ließ sich durch alle gegen dieselben gerichteten Eingaben darin nicht beirren. Als aber die Stände am 22. März 1728 in der Präliminarschrift noch dringlicher als je vorher die Forderung aufstellten: „Die Juden sind gänzlich zu eliminieren. Der Kontrakt wegen des Posthauses ist zu kassieren", gab die Regierung nach und erließ im April desselben Jahres ein Reskript des Inhalts: „Den Handel ohne weitere Anfrage zu untersagen. Wir sind durch schärfere Verordnungen den Juden mehr Schranken zu setzen gemeint und lassen es bei Eurer wegen des Gerd Levi getroffenen Vereinbarung bewenden."

Berend Lehmanns Warengeschäft war schon vorher durch allerhand einschränkende Bestimmungen so zurückgezogen, dass sich Lehmann fast nur noch mit Geldgeschäften abgeben konnte, bei welchen er häufig große Verluste erlitt. Einer seiner Schuldner war der berühmte Marschall von Frankreich, Graf Moritz von Sachen, der am 7. April 1727 nach Dresden gekommen war, nachdem er keine Großmacht geneigt gefunden hatte, sich wegen Kurlands in einen Krieg zu verwickeln. Die vom sächsischen Hofe erwartete finanzielle Unterstützung blieb auch aus, weshalb Graf Moritz von Sachsen sich an Lehmann wandte, der ihm auf seine Pension 20.000 Thaler vorschoss.*) Die Gunst des sächsischen Hofes muss Lehmann aber damals schon nicht mehr besessen haben, denn es wurde ihm zu jener Zeit bereits das vollständige Verbot des Warengeschäfts angekündigt und am 12. April 1728 ging ihm die bestimmte Weisung zu, binnen drei Monaten das Warenlager zu räumen. Alle Vorstellungen gegen diese Anordnung blieben fruchtlos. Mit dem 1730 erfolgten Tode Berend Lehmanns, dem gänzlichen Verbot des Warenhandels und der Zahlungsunfähigkeit zahlreicher hochgestellter Kunden sank der Glückstern der vielbeneideten und angefeindeten Familien Lehmann und Meyer. Immerhin nahm noch später ein Sohn Berend Lehmanns, Elias, eine anerkannte Vertrauensstellung ein. Das Posthaus, welches die Familien Lehmann und Meyer einstweilen weiter bewohnen durften, wurde ihnen 1732 durch ein Vorkommnis verleidet, welches der Dresdener Chronist Lindau zwar nur als ein „lächerliches" bezeichnete, das aber leicht einen ernsteren Ausgang hätte nehmen können. Wie in dem „Magazin für Sachs. Geschichte" berichtet wird, beklagte sich 1732 ein Nachbar des Judenhauses darüber, dass dort das Leutewitzer Röhrwasser in seinen Keller trete. Der Röhrmeister färbte es rot. „Als der Jude" — so berichtet das Magazin — „sein Wasser rot sah, glaubte er es in Blut verwandelt. Der Pöbel hielt es für ein Zornzeichen des Himmels, verursachte einen Auflauft er hätte lieber den Juden des Kindesmords beschuldigt. Das Bad ward besetzt, untersucht, und man fand — gefärbtes Wasser." Der durch das Missverständnis herbeigeführte Volkstumult zeigte jedenfalls deutlich, wie leicht sich die Bevölkerung blinder Erbitterung gegen die Israeliten überließ.**) Im Jahre 1733 verließen die Juden das Haus, in dem sie bis dahin ihre Geld- und Wechselbänke hatten und das Gebäude wurde der Sitz des Postamtes.

*) Moritz von Sachsen, Marschall von Frankreich. Von Dr. Carl v. Weber. Leipzig 1863.
**) Hasches Beschreibung Dresdener Merkwürdigkeiten. 2. Teil.


Ihr Schicksalswechsel hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem der Reichsgräfin von Cosel, die sich lange Zeit der Gunst August des Starken in hohem Grade erfreute, plötzlich aber in Ungnade fiel und dann den Rest eines langen Lebens erst als Gefangene, dann als freiwillige Einsiedlerin in dem Bergschloss Stolpen verbrachte. Über diese seltsame Gönnerin der Juden berichtet Ed. Vehse*) u. A.: „Sie hatte sich allmählich in ihre Lage gefunden: sie studierte in den Büchern ihrer Bibliothek, trieb hauptsächlich Orientalia und ganz besonders jüdische Literatur; sie hatte sich auf die Kabbala gelegt. Außerdem bebaute sie noch einen kleinen Garten und verkehrte viel mit Juden, die sehr häufig bei ihr aus- und eingingen und mit denen sie auch einen lebhaften Handel trieb: sie mussten ihr unter andern die ungalanten, garstigen, derben Spottmünzen aufkaufen, die der König, der ungemein aufgebracht über sie war, auf sie hatte schlagen lassen. Eben so sorgfältig sammelte sie die Münzen mit ihrem und des Königs Wappen, die August in der Glückszeit einst auf ihr dringendstes Bitten in sehr geringer Anzahl hatte prägen lassen: nach ihrem Tode fanden sich vierzig sogenannte Cosel'sche Speziesthaler und Guldenstücke im Polster ihres Leibstuhls. Interessante Mitteilungen über die Lebensweise der Gräfin Cosel in Stolpen enthalten die Fragmente von den bisher ungedruckten Memoiren des Prinzen von Ligne, die neuerlich in der „Revue nouvelle" bekannt gemacht wurden. Der Prinz sah die Gräfin während der Zeit des siebenjährigen Krieges, im Jahre 1762. Er besuchte sie von Dresden aus, das damals die Österreicher besetzt hielten, bei denen er als Dragonerobrist stand. Die Gräfin teilte dem Prinzen mit, dass sie sich damit beschäftigt habe, alle Religionen zu studieren, und zuletzt habe sie sich für die jüdische entschieden. Ihrem Bekenntnis nach war sie Protestantin und blieb es auch äußerlich mit ihren Kindern. Auch eine im Jahre 1847 erschienene Biographie des Apothekers Martins bestätigt die rabbinisch-talmudischen Prädilektionen der interessanten Frau aus Mitteilungen eines gelehrten Orientalisten seiner Zeit, des Superintendenten Bodenschatz in dem bayreuthischen Städtchen Bayersdorf. Dieser renommierte Mann erhielt einst, als er noch Pfarrer in Uttenreuth war, einen Brief mit zwanzig Reichsthalern, worin ihm ein angeblicher Borromäus Lobgesang aus Bischofswerda bei Stolpen Auftrag erteilte, ihm die „Pirke Aboth" aus dem Rabbinischen zu übersetzen. Er besorgte das in wenigen Tagen und erhielt darauf sechs Ducaten Honorar nebst vielem Danke. Darauf wurden ihm noch mehrere hebräische Traktate zur Übersetzung zugesendet und er erhielt jeden Bogen mit einem Louisd'or honoriert. Bodenschatz war angewiesen, seine Briefe nach Dresden zu adressieren, und erfuhr auf Erkundigung, dass ein Bote aus Schmiedefeld die Briefe sowohl bringe als abhole; nach Weiterem zu forschen, sei nicht rätlich. Endlich kam eine Einladung von dem unbekannten Korrespondenten, persönliche Bekanntschaft in Dresden zu machen; das Reisegeld werde wie auch geschah — erstattet werden. Bodenschatz traf den unbekannten Korrespondenten in Dresden: dieser trat ihm in vollem Ornate des jüdischen Hohenpriesters im Alten Testament entgegen. Es war die Gräfin Cosel. Sie empfing den gelehrten Herrn nun öfters, erwies ihm alle mögliche Auszeichnung und begehrte fortwährend genaue Aufschlüsse über Stellen im Talmud, über jüdische Gebetbücher und andere rabbinische Dinge. Er sollte die Stadtpfarrerstelle in Stolpen erhalten; die Gräfin hatte deshalb bei dem Vater ihrer Schwiegertochter, dem Grafen Holtzendorf, dem allezeit willfährigen Oberkonsistorialpräsidenten Schritte getan: die Sache kam nur deshalb nicht zur Ausführung weil Bodenschatz von seinem eigenen Landesherrn, dem Markgrafen von Bayreuth befördert wurde. Als die Gräfin „allerlei Dinge aufs Tapet brachte, die gegen die Lehre Christi und seine heilige Person gerichtet waren", zog der geistliche Herr sich von der Gräfin zurück: seine Frau, der er das Mysterium von der sechzigjährigen, aber noch immer sehr schönen Oberpriesterin mitgeteilt hatte, war unruhig oder vielmehr eifersüchtig geworden; sie fürchtete, ihr gelehrter Eheherr könne verführt werden. Die Gräfin Cosel starb nach fast fünfzigjährigem Aufenthalt in Stolpen, 1765 am 2. April, fünfundachtzig Jahre alt, unter der vierten Regierung, die sie erlebte, unter Churfürst Friedrich August III. Noch ihre Leiche trug, den Angaben von Augenzeugen zufolge, die deutlichsten Spuren der Schönheit und des Heroismus."