Geschichte der Juden in Sachsen - 08

Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland
Autor: Levy, Alphonse (1838-1917) deutsch-jüdischer Publizist, trat für die jüdische Gleichberechtigung ein und bekämpfte den Antisemitismus, Erscheinungsjahr: 1900
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Juden, Judentum, Sachsen, Judenverfolgung, Mittelalter, Deutsche, Menschenrechte, Bürgerrechte, Staatsbürger, Religion, Glaubensgenossen, Heimat, Antisemitismus, Reformation, Reformator Luther
Die Stellung der Juden in Deutschland war am Ausgang des Mittelalters eine unendlich traurige und verbesserte sich bei dem Beginn der neuen Zeit nicht. Selbst die von allen übrigen Menschen als Segen betrachtete Erfindung der Buchdruckerkunst bereitete ihnen zunächst nur Unheil, da die Gegner der Juden sich dieser Kunst bedienten, um ihre Schmähungen rascher und wirksamer zu verbreiten. An dem hartnäckigen literarischen Kampf, der am Anfang des 16. Jahrhunderts gegen die Juden geführt wurde, beteiligten sich in heftigster Weise die getauften Juden, Johann Pfefferkorn, Victor von Karben und Antonius Margarita, welche offenbar ihre früheren Glaubensgenossen in dieser Weise anfeindeten, um ihre neuen dadurch für sich zu gewinnen. Margaritas dreibändiges lateinisches Werk, von dem später deutsche Übersetzungen erschienen, enthielt nicht nur höchst böswillige Verleumdungen des jüdischen Glaubens und der verschiedenen religiösen Einrichtungen der Juden, sondern verdächtigte auch seine früheren Glaubensgenossen in Bezug auf ihr Verhalten gegen die Obrigkeit. Prof. Dr. Ludwig Geiger*) berichtet über dieses Werk in einem Aufsatz „Die Juden und die deutsche Literatur" folgendes: „Ich habe mir nur eine deutsche Ausgabe verschaffen können: „Der gantz Jüdisch glaub mit sampt eyner gründlichen und wahrhaftigen anzayunge alter Satzungen, Ceremonien, gebotten, heymliche und öffentliche gebrauch, deren sich die Juden halten durch das gantz Jar, mit schönen vnd gegründten Argumenten wider jren glauben, durch Anthonium Margaritham, Hebreyschen Leser der löblichen Universität vnd Fürstlichen Stadt Leyptzigk beschryben vnd an tag gegeben." Da diese Schmähschrift eines getauften Juden in Sachsen eine ziemliche Wirkung auf seine Zeitgenossen hervorbrachte, lässt sich kaum bezweifeln, wenn sie auch in andern Ländern nicht so bekannt wurde wie der Pfefferkornsche „Judenspiegel" und andere Hetzschriften.

*) Zeitschrift f. d. Gesch. d. Juden i. Deutschl. Bd. II. S. 324.

Durch die Einführung der Reformation verschlimmerte sich die Lage der Juden in Sachsen in Folge des wesentlich erhöhten Glaubenseifers weiter Bevölkerungskreise und der ablehnenden oder mindestens gleichgültigen Haltung, welche sie selbst dem kirchlichen Umschwung gegenüber bewahrten. Es mag hier unerörtert bleiben, wie weit verschiedene die Juden betreffende feindselige Äußerungen des großen Reformators Luther auf diese widerstrebende Haltung der Bekenner des von ihm mit so großer Hingebung übersetzten Alten Testaments zurückzuführen sind. Er schrieb die Tatsache, dass sie nicht zu ihm massenhaft übergingen, ihrer Anhänglichkeit an dem Talmud und den Rabbinern zu, gegen die er in heftigster Weise eiferte. Unter anderem sagte er: „Ich habe von den gelehrtesten Juden gehöret, welche, da sie von mir durch klare Sprüche der Schrift überzeuget waren, hartnäckig sagten: Sie wollten by ihren Rabbinern bleiben".*) Andere noch weit zornigere Aussprüche des großen Reformators trugen dazu bei, die Lage der Juden in Sachsen zu verschlimmern. Mehrere sächsische und thüringische Städte verboten ihnen den Aufenthalt, indem sie ihnen ,,Feuer und Wasser versagten." Aus Zwickau, wo die Juden unter Markgraf Friedrich dem Freydigen im Jahre 1308 Aufnahme gefunden und wo sie sich trotz mancher Anfeindungen erhalten hatten,**) wurden sie im Jahre 1543 unter der Regierung des Churfürsten Moritz verjagt. Ähnlich erging es ihnen damals in Plauen i. V.

*) Luther, Ausl. Jes. 28, 13. Walch 6, 538.
**) Tittmann, Geschichte Heinrichs des Erlauchten. S. 393.

Wie ungünstig sich die Stimmung der Fürsten nach der Reformation für die Juden gestaltete, dafür gibt es urkundliche Beweise. Während die fürstlichen Brüder Ernst und Albrecht im Jahre 1468 dem polnisch-jüdischen Arzte Baruch (Waroch) einen Schutzbrief verliehen hatten, welcher ihm die Stellung eines Wundarztes „für sie und andre Leute, die sie ihm zuweisen würden," und nicht nur ihm, sondern auch seiner ganzen Familie das Aufenthaltsrecht in Dresden verschaffte, erfolgte 61 Jahre später auf ausdrücklichen Befehl des Herzogs Heinrichs des Frommen die Ausweisung eines jüdischen Arztes aus Freiberg. In dem Copiale 95 des Kgl. sächsischen Hauptstaatsarchivs Cl. 101 befindet sich ein vor einiger Zeit von Archivrat Dr. Distel veröffentlichtes, von Freiberg den 21. Februar 1529 datiertes Konzept Heinrichs des Frommen an den Bürgermeister und Rah zu Freiburg. Darin heißt es: „Ein Jude habe sich dort, „ohne gunst und wissen, etzlichen unsern underthanen ahn iren schadhafftigen gebrechen apzuhelffen als einen arczt eingelassen", da es nun aber in den heiligen Rechten verboten sei, dass „christgleubige menschen" von Juden Arznei nehmen, dieselben auch ihre Gemeinschaft „umb manchfaltiger dreuender gefherlichkeit willen vermeiden sullen, und zu deme gemeinlich befunden, van sie (die Juden) etzlich gelt empfangen, die armen gebrechenhafftigen unvorvaret liegen lassen und sie darvon streichen, desgleichen und venig gutts, unsers erachtens, bey angezeigten juden zu vermuten", befehlen wir, dass er sich schleunig von hier vegvende und das eventuell „zu unpflicht" (wo er Hilfe zugesagt und nicht gebracht hat) empfangene Geld zurückerstatte."

Das Reskript schließt mit den Worten, „da der Allmächtige seine Gnade und Güte durch christliche Doktoren und Ärzte besser, als durch Verräter seiner göttlichen Ehre und Majestät verleihen werde."

In der sich über „Freibergs Ärzte und Heilkünstler in den ältesten Zeiten" verbreitenden Abhandlung von Dr. Paul Pfotenhauer im Heft 22 der „Mitteilungen des Freiberger Altertumvereins" ist des hier erwähnten jüdischen Arztes keine Erwähnung getan, was darauf schließen lässt, dass derselbe das Feld freiwillig geräumt hat, ehe das nur im Konzept vorhandene Reskript seine Wirkung ausüben konnte.

Im Jahre 1556 erließen die drei fürstlichen Brüder, Johann Friedrich der Jüngere, Herzöge zu Sachsen, Landgrafen zu Thüringen und Markgrafen zu Meißen eine „Pollizey- und Landesordnung", in welcher ein von den Juden handelnder Abschnitt nachstehenden Wortlaut hatte: „Nach dem auch weiland unser gnediger lieber Herr und Vater seliger | der Jüden und derselbigen Pass halben | im erschienenen neun und dreissigsten Jar | ein offen Ausschreiben gethan | So wollen wir dasselbige | hiermit vernewert haben | mit diesen Verordnungen | das alle Juden | vnd ein jeder insonderheit | das ordentliche und gewonliche Gleit und Zoll | von jren Personen | da sie sonderlich geleitet worden | vnd von jren Gütern | jedes Orts | da solchs zu geben | pfleglich und gebreuchlich ist | reichen | auch sich keiner vnterstehen noch anmessen | in vnserm Fürstentumb vnd Landen — (heusslich) oder sonsten | nider zu tun | vnd zu wonen | noch darin vber ein nacht | an einem Ort zu bleiben | oder auch gewerbe vnd handthierunge darin zu treiben | dazu von jren Glauben vnd Opinion | andere einzubilden vnd zureden | alles bey vermeidunge der straff in demselbigen ausschreiben vnterschidlich ausgedrückt. Do sich aber disselbigen | oder vnsere vnterthanen mit jene einich Handthierung | zu üben vnterstehen würden, | So solle keinem | wider den andern | einiche Hülfe oder Exekution geschehn | Sondern deshalben | in vnsere ernste straff gefallen sein. Wo auch darüber | einer oder mehr | in vnsern Landen | betretten der | oder dieselbigen | sollen gefenglich angenomme | vnd bis vff vnsere bescheydt | verwart werden.*)

Von dem Nachfolger des Churfürsten Moritz, dem Churfürsten August wird berichtet, er habe erklärt, den Juden die Zulassung weigern zu wollen, „auch wenn ihm die Juden und Andere Gold zuschneieten." Trotzdem soll bei ihm ein Jude (aller Wahrscheinlichkeit nach ein getaufter) Mardochai da Stelle als Hofastrolog in Sold gestanden und durch eine glückverheißende Weissagung über die Zukunft des Hauses Wettin hohe Gunst erworben haben. Ein Judenfeind ist der mildgesinnte „Vater August" sicher nicht gewesen, sonst würden die sächsischen Städte und insbesondere die in denselben so einflussreichen Zünfte keinen Grund gehabt haben, sich über seine landesherrlichen Maßregeln, welche die Juden betrafen, zu beklagen. Auf dem Landtage von 1565 sprach sich eine Eingabe der Städte (deren Abschrift in dem Leipziger Archiv Sidori eingesehen hat) darüber tadelnd aus, dass noch hin und wieder Juden geduldet würden, „welche nicht allein mit Sammet, Seide, Lindichen und andere gewand bürgerliche Gewerbe und Handthierung, sondern auch Wucher trieben." Eine zur Verhinderung der Silberkäufe in Freiberg erlassene Bergordnung des Churfürsten August (vom 5. Oktober 1554) war im Grunde nur eine Erneuerung, beziehentlich Verschärfung der bereits von seinen Vorgängern erlassenen Verordnungen.

*) Histor. Saxon. K. 101 LXXVII.

Es hieß darin: „Es soll kein Jude vf vnseren Bergstädten an einem Ort vber Nacht von jemandts vnsrer Unterthanen beherbigt, sondern von dem Wirthe, da er einzeucht, ernstlich gewarnet werden, vnd sollen sich also alle die vnsern enthalten, bei Leibes Straff, die ihnen im Fall der Übertretung begegnen soll, irgendt mit einem Jüden disfalls Gemeinschafft zu haben oder vber Nacht zu hausen. Würde aber ein Jüde darüber betroffen werden, so soll er den halben Teil alles des, so bei ihm befunden, vns und den andern Teil denen, der ihn zu hafften bringen wird, verfallen sein und der mehr denn einmal brüchig, soll an Leib und Gut gestrafft werden.*)

*) Cod. Aug. P. II. 2 Art. 80.