Geschichte der Juden in Sachsen - 07

Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland
Autor: Levy, Alphonse (1838-1917) deutsch-jüdischer Publizist, trat für die jüdische Gleichberechtigung ein und bekämpfte den Antisemitismus, Erscheinungsjahr: 1900
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Juden, Judentum, Sachsen, Judenverfolgung, Mittelalter, Deutsche, Menschenrechte, Bürgerrechte, Staatsbürger, Religion, Glaubensgenossen, Heimat, Antisemitismus
Bei dem völlig rechtlosen Zustande der Juden in der Mitte des 15. Jahrhunderts war es erklärlich, dass man sie bald duldete, bald wieder vertrieb. In Leipzig gab es zu jener Zeit eine Synagoge, zu welcher eine besondere Pforte führte und die Judengasse, „Judenburg" genannt, befand sich bis zum 16. Jahrhundert am Fleischerplatze, an der Pleiße, nahe der Barfußmühle. In dem für sie so traurigen Jahre 1430 wurde auf Geheiß der Landesherren (Churfürst Friedrich nebst Bruder) am 29. März vom Rate der Stadt Leipzig ein gewisser Abraham nebst Frau, Kindern und Schwiegersohn, als Jude dieser Stadt auf und in Schutz genommen mit dem Versprechen, sie samt ihren Gütern und Häusern, welche sie besitzen, in demselben zu erhalten. Dafür, sowie für die gänzliche Steuerfreiheit sollten sie eine jährliche Abgabe von 60 Gulden Rheinisch entrichten, welche sie aber, wenn sie „mehr Erbe einnehmen", nach Vereinbarung mit dem Stadtrate vermehren müssten. Auch die Aufnahme ihrer Synagoge in ein Privathaus ward diesen jüdischen Einwohnern Leipzigs im Jahre 1441 gestattet.*) Der Protest des Leipziger Rates, zu dem sich dieser auf das Andrängen der zünftlerischen Gewerbetreibenden bewogen fühlte, blieb dagegen zunächst wirkungslos. Abraham soll aber doch später wegen Wuchers gefänglich eingezogen und durch eine Strafe von 4.000 Schock Groschen völlig zu Grunde gerichtet worden sein.

Im schroffsten Widerspruch mit dem erwähnten Gnadenakt des Churfürsten Friedrich des Sanftmütigen gegen einige Juden in Leipzig steht seine fast gleichzeitig (am 26. Februar 1430) dem Rate zu Dresden erteilte schriftliche Zusicherung, dass alles, was am Tage vorher seine Bürger in Dresden den dortigen Juden angetan, auf sein Vollwort und Geheiß geschehen sei.**) Jedenfalls ist es damals den Dresdener Juden sehr schlimm ergangen, wenn auch die Annahme, dass dieselben in den (erst 1848 zugeschütteten) ,,Jüdenteich" getrieben worden seien, völlig unbewiesen ist. Der Jüdenteich (heute der Georgsplatz mit dem Gymnasium zum Kreuz) dessen Name diese mündliche Tradition wohl veranlasst hat, trug diesen Namen lange vor dieser Verfolgung. Er wird bereits in einer Dresdener Bauamtsrechnung als ,,Yodin tych" erwähnt und hatte seinen Namen wahrscheinlich von dem damaligen nahegelegenen jüdischen Friedhof. Unter den 1430 ausgetriebenen oder getöteten Juden befanden sich jedenfalls die noch im Jahre 1429 in Dresden als Steuerzahler aufgeführten Salmon, Kaczmann, Perla, Jacof Pregerynne, Smol und Senelskint, die von da ab aus der Liste der Steuerzahler verschwinden. Die Abschaffung der Dresdener Juden kann aber auch im Jahre 1430 keine vollständige gewesen sein, denn eine aus demselben Jahre stammende Urkunde gibt Nachricht von einem Juden Jordan in Dresden der sogar als Grundstücksbesitzer auftritt. Das von Hasche***) erwähnte Dokument enthält die landesherrliche Bestätigung eines Kaufes, das Dorf Podenbrose betreffend, mit drittehalb Schock jährlichen Zinses, welches Jordan, welchen Landgraf Friedrich, „seinen Juden" nennt, einen Vincentius Bußmann zu Dresden „von Schulden wegen" abgeklagt und erstanden und dann dem ehrsamen Meister Nicolas Tirmann und Peter Zcuzcka, Bürgern zu Dresden, auf Wiederkauf abgetreten hatte.

*) Sidori, Geschichte der Juden in Sachsen. Seite 37.
**) Richter, a. a. O. S. 231 und 234.
***) Haschef Urkundenbuch S. 234.


Jedenfalls wurden damals in Dresden nur einzelne, sogenannte Hofjuden geduldet, zu welchen Ende des 15. Jahrhunderts die Familie eines gewissen Baruch gehörte, dessen Name in den betreffenden Urkunden auch verstümmelt als „Waroch“ aufgeführt wird. Der Chronist Lindau erzählt, dass sich in dieser Zeit einige Juden eines nicht unbedeutenden Rufes in der Arzneikunde erfreuten. Ihr Wirkungskreis in diesem Berufe war innerhalb der christlichen Gemeinde durch kirchliche Verhältnisse mehrfach beschränkt, indem selbst da, wo sich die Fürsten ihrer ärztlichen Hilfe bedienten, nicht selten die Absolution verweigert wurde, wenn derjenige, der darnach verlangte, sich in der ärztlichen Pflege eines Juden befand. In Dresden scheint in dieser Beziehung „ein alter Jude" bekannt gewesen zu sein, der unter dieser Bezeichnung von Churfürstin Margarethe nach Altenburg erbeten wurde, um einen ihrer Hofbeamten zu behandeln, der hart darnieder lag.*) Jedenfalls war dies der vorerwähnte Meister Waroch (Baruch), derselbe, dem Ernst und Albrecht am 26. Mai 1468 einen besonderen Schutzbrief erteilten.**) In demselben erklärten die fürstlichen Brüder, dass Waroch als guter Wundarzt berühmt sei „wie er seine Kunst zu mehrenmalen scheinbarlich erwiesen habe," und dass sie ihn zu ihrem Diener und mitsamt seiner Wirtin, Weib, Kind und Gesinde in ihren Schutz und Schirm aufgenommen hätten, auch dass er sie (die Fürsten) und andere Leute, die sie ihm zuweisen würden, mit Wundarznei getreulich aufwarten und versehen sollte.

*) v. Langenn a. a. O. S. 464.
**) M. B. Lindau, Gesch. d. Residenzstadt Dresden. S. 225.


Dafür wollten ihm die Fürsten, so lange er ihr Diener wäre, jährlich 30 Scheffel Korn, 1 Fass Wein, 6 Viertel Bier, 20 Schafe und 1 Rind geben und reichen lassen. Ferner sollte Waroch und zwei seiner Söhne (Meyer und Moses) mit ihren Weibern, Kindern und Gesinde mit ihrem Leibe und Gute in der Stadt Dresden bei einander in einem Hause frei und sicher wohnen, wandern und ihre Nahrung suchen gleich Andern. ,,So sich aber Warochs zwei Söhne in andre Häuser in derselben Stadt setzen und ihren Bruder Abraham in diesen Häuser eines zu sich nehmen wollten, sollten sie das nicht ohne des Fürsten Wissen tun und sich deshalb mit den Fürsten vertragen. Doch sollten die obgenannten Söhne steuerfrei sein, den Bürgermeistern und Räten aber Geschosse und Gerechtigkeit geben, wie andere Inwohner, die in der Stadt Dresden saßen und wohnten, tun müssten."*) Da der Apotheker Hüffner sich weigerte, dem jüdischen Arzte Arzneien zu liefern, ließen ihn die fürstlichen Brüder durch den Rat zu Dresden bedeuten „dass er dem Wundarzt Materien und Anderes, was er bedarf, um sein Geld mache, verkaufe und ohne Widerrede verabfolgen lasse."**) Waroch reiste 1469 auf Veranlassung der Mutter Albrecht des Beherzten nach Altenburg, um dort, wie schon oben bemerkt, einen ihrer Hofbeamten ärztlich zu behandeln. Diese Kur musste ihm geglückt sein, denn dem Hofbeamten wurde später die Absolution verweigert, „weil er zur Osterzeit von den Juden Arznei genommen und sich dieser auch fürder nicht entschlagen wolle.***)

*) Dresdener Ratsarchiv, Misccllanea.
**) Richter a. a. O. S. 234.
***) von Langenn, Herzog Albrecht der Beherzte S. 463.


Übrigens scheint Waroch nicht nur das Wundarzt-Gewerbe getrieben zu haben, denn der Schutzbrief erlaubte ihm, sowie seinen Söhnen, Kindern und Gesinde, Geld zu verleihen, wann und wem sie wollten, nur nicht auf gestohlene Güter, auf Messgewand und andere zum Gottesdienst gehörende Geräte. ,,So aber einer zu den Juden käme, den sie nicht wohl kennten, und versetzte ihnen ein Pfand, sollten ihn die Juden fragen, wie er heiße und den Namen von ihm eigentlichen innebehalten." Für alle Fälle des Zuwiderhandelns, sowie für Streitigkeiten zwischen Juden und Christen blieben, nach dem Inhalte dieses Schutzbriefes, in der Hauptsache die Bestimmungen früherer Judenordnungen in Kraft. Doch wird zum Schluss ausdrücklich erwähnt, dass den Juden alle Gnaden, Freiheiten und Rechte zugestanden bleiben sollten, welche von Kaisern und Königen zu Eger, Nürnberg und Regensburg den Juden gegeben wären und die sie von Alters her hätten. Nun waren aus den früheren „kaiserlichen Kammerknechten" Schützlinge der Landesfürsten geworden; leider blieb die Abneigung der großen Menge den Juden gegenüber dieselbe wie früher. Die mit manchen Vorrechten ausgestatteten sogenannten „Hofjuden“ erweckten bitteren Neid; ihre bei dem Verbot jeden ehrlichen Handwerks und der Unmöglichkeit des Grundbesitzes allein auf Wucher und Schacher angewiesenen ärmeren Glaubensgenossen, die als „Gesinde des Hofjuden" das Aufenthaltsrecht in Sachsen erwarben, konnten bei ihren traurigen Erwerbszweigen erst recht keine Sympathien erwerben.