Geschichte der Juden in Sachsen - 00 Einführung

Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland
Autor: Levy, Alphonse (1838-1917) deutsch-jüdischer Publizist, trat für die jüdische Gleichberechtigung ein und bekämpfte den Antisemitismus, Erscheinungsjahr: 1900
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutschland, Juden, Judentum, Sachsen, Judenverfolgung, Mittelalter, Deutsche, Menschenrechte, Bürgerrechte, Staatsbürger, Religion, Glaubensgenossen, Heimat, Antisemitismus
Die Bilder, welche ich hier zu entrollen gedenke, gehören dem Königreiche Sachsen an, in dessen Hauptstadt nicht nur meine Wiege stand, sondern auch bereits mein aus Böhmen eingewanderter Urgroßvater (Simon Levy aus Tuschkau) eine Heimat gefunden hatte. Die Liebe zu meinem sächsischen Vaterlande, welche weder durch trübe Erfahrungen noch durch mehrjährige Entfernung abgeschwächt worden ist, veranlasst mich vorzüglich die nachfolgenden Beiträge zur Geschichte der Juden in Sachsen zu veröffentlichen. Diese Beiträge sollen nur eine gewissenhafte Zusammenstellung der Ergebnisse meiner Forschungen über das sein, was im Verlauf von einem Jahrtausend meinen Glaubensgenossen in Sachsen widerfahren ist.

Ich bin fest davon überzeugt, dass eine objektiv gehaltene Darstellung dieser Erfahrungen nur dazu beitragen kann, die vielfach auch unter der sächsischen Bevölkerung vorhandenen Vorurteile gegen die dortigen Staatsbürger jüdischen Glaubens abzuschwächen, andererseits aber auch die letzteren darüber zu belehren, dass schon in früheren Jahrhunderten die meisten sächsischen Fürsten sich ihrer oft hart bedrängten jüdischen Untertanen als wohlwollende Beschützer erwiesen haben. Die schweren Leiden, welche in der dunkelsten Zeit des Mittelalters nicht nur die sächsischen, sondern alle deutschen Juden erduldeten, lagen in dem Geiste einer Zeit, in welcher man von Rechtsgleichheit, Freiheit der Bewegung und von dem Nutzen des freien Wettbewerbs kaum eine Ahnung hatte. Zur Beschaffung von Mannschaften und Hilfsgeldern bedurften die Landesfürsten damals der Städte und der in diesen allmächtigen Zünfte zu oft, als dass sie die von den zünftigen Handwerkern meistens scheel angesehenen Juden zu allen Zeiten hätten wirksam beschützen können. Was trotzdem von einzelnen Ahnherren des sächsischen Königshauses, z. B. von Heinrich dem Erlauchten, frühzeitig in dieser Beziehung geleistet worden ist, löscht die Erinnerung an andere trüben Zeiten wieder aus. Die genaue Kenntnis der Geschichte der Juden in Sachsen kann deshalb auf die jetzigen israelitischen Bürger dieses Landes keine andere Wirkung haben, als sie dankbar die Segnungen der lichtvolleren Neuzeit anerkennen zu lassen und sie in den Gefühlen echter Königstreue und inniger Liebe zu dem Lande zu bestärken, welches ihnen in Wahrheit zur Heimatsstätte geworden ist.

Zwei hochbegabte sächsische Glaubensgenossen haben sich eingehend mit solchen geschichtlichen Studien beschäftigt und darauf bezügliche wertvolle Schriften veröffentlicht. Die im Jahre 1840 erschienene, zum Teil nach archivalischen Quellen verfasste „Geschichte der Juden in Sachsen" von K. Sidori (Isidor Kaim) ist durch mehrere Schriften des am 23. Februar 1898 in Dresden verstorbenen Rechtsanwalts Emil Lehmann („Ein Halbjahrhundert in der Dresdner jüd. Religionsgemeinde", „Aus alten Akten", „Der polnische Resident" u. a. m.) trefflich ergänzt worden. Sidoris gründliche Arbeit ist leider nicht so objektiv und leidenschaftslos gehalten, wie dies der Gegenstand eigentlich erheischte. Aus diesem Grunde schrieb der Professor Friedrich Bülau in Leipzig damals in der Vorrede zu der von ihm in vielfacher Beziehung sehr geschätzten Arbeit: „Es ist zu entschuldigen, wenn der Jüngling, der selbst unter den Leiden, die verjährtes Vorurteil über seinen Stamm verhängte, geseufzt hat, nicht ohne Bitterkeit die Geschichte dieser Leiden aufzeichnen kann. Ja, auch das ist zu verzeihen, dass er die Anfange der Befreiung nicht mit voller Dankbarkeit begrüßt, wo er auf seinem Standpunkt eine volle und gänzliche Befreiung gewünscht hätte."

Seitdem sind sechs Dezennien verflossen; nun hat der sächsische Jude ein Vaterland; er liebt es und hat Ursache es zu lieben; Noch wird zwar im Verwaltungswege die rechtliche Gleichstellung vielfach in schmerzlicher Weise verkümmert; noch sind von der gesellschaftlichen Gleichstellung nur dürftige Anfänge vorhanden; noch gibt es in Sachsen viele, die den Juden auch diese nicht gönnen und alle Errungenschaften der letzten Jahrzehnte wieder entzogen sehen möchten. Das Rad der Geschichte lässt sich wohl hemmen, aber nicht rückwärts drehen. Die Emanzipation der Juden war kein Geschenk, das sich zurücknehmen lässt, sondern eine logische Folge der Erklärung der Menschenrechte. Was von den Menschen im Allgemeinen gilt, das muss auch von den Juden in Sachsen zutreffen, wenn sie auch nur einen verschwindend kleinen Teil der Gesamtbevölkerung bilden: „Die Menschen meidet nur, wer sie nicht kennt; und wer sie meidet, wird sie bald verkennen!" Da sich die Juden in Sachsen der bürgerlichen Freiheit würdig gezeigt haben, können und werden ihre christlichen Mitbürger, weil sie selbst einem hochstehenden Kulturvolke angehören, auf die Dauer nicht verkennen. Ist es doch eine unumstößliche Wahrheit, dass die wechselnden Geschicke der Juden kennzeichnend sind für die Stufe der Kultur, auf der die Völker stehen, unter welchen sie leben. Die Kulturstufe des sächsischen Volkes ist die beste Bürgschaft dafür, da die Vorurteile, welche den Sachsen jüdischen Glaubens zur Zeit noch entgegen stehen, genau so verschwinden werden, wie die ehemaligen Auswüchse des Partikularismus geschwunden sind, dessen unerfreuliche Spuren sich übrigens noch daran erkennen lassen, dass sich der Antisemitismus in Sachsen stets mit größerer Schärfe gegen die in den letzten Jahrzehnten zugezogenen Israeliten wendet, als gegen die seit langer Zeit im Lande wohnhaften.

In einer von wahrhaft menschenfreundlicher Gesinnung zeugenden Abhandlung über „Die Judengemeinde zu Meißen"*) schrieb der dortige Realschullehrer Dr. Leicht: „Die rückläufigen Bewegungen, die dem Verschmelzen des jüdischen Bestandteils der deutschen Nation mit den übrigen entgegenstreben, sind, nach Mommsen nichts als ein retardierendes Moment in der Entwicklung der Geschichte, eine kleine Verlangsamung, welche den wahrhaften Gang der Geschichte nicht aufhalten wird. Der Volksgeist folgt der wissenschaftlichen Erkenntnis in gewisser Entfernung; er schreitet gleichmäßig mit ihr fort, wird von ihr geleitet und durch sie vertieft. Und so wird auch das Prinzip der Humanität, durch historische und völkerpsychologische Forschungen gehoben, läuternd auf das Nationalgefühl einwirken. Die Juden des Mittelalters waren keine Deutschen, weil sie nicht als Deutsche betrachtet wurden. Seit sie sich mit der ihnen eigenen Beharrlichkeit von den Folgen der ihnen zugefügten Unbilden erholt haben, erwacht in ihnen der Wunsch, Deutsche zu sein. Solange noch breite Schichten der Bevölkerung die Juden als Fremde betrachten, wird der Prozess der vollständigen Einbürgerung noch nicht beendet, der Geist des Mittelalters nicht völlig überwunden sein."

*) Mitteilungen des Vereins der „Geschichte der Stadt Meißen" 2. Band, 4. Heft.

Der Korn- und Weinjude (aus einem satirischen Flugblatt)

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Schwörende Juden vor Gericht

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Judenfriedhof in Fürth im 18. Jahrhundert

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Jüdischer Hausierer zu Nürnberg  1790

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Festzug der Prager Juden

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Auszug der Juden aus Wien

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Zug zur Hinrichtung des Juden Süß in Stuttgart

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Die Heldinnen des Judentums

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Plünderung der Judengasse in Frankfurt 1614

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Ein ermordetes Kind

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Eine Anzahl von erschlagenen Juden

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Verwundete Juden im Hofraum des Hospitals

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